Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
Christoph Theusner – “Music For A While” (BuschFunk, 2014)                                               17.12.2014 01  Toccata                                       09  Barcarola 02  Terziano                                      10  Letter For Love 03  Music For Ahile                             11  Abschied 04  Blues in D                                    12  Russischer Bossanova 05  Awake, Sweet Love                       13  Balkan Blues 06  Musette                                       14  Lied einer Kleinstadt 07  Allegro                                        15  La Taberna 08  Come, Heavy Sleep                      16  Stell dich mitten in den regen                                                        17  Sunset Stell ’ne Kerze in dein Zimmer, glaube an des Feuers Schimmer, Musik dazu im Flammenschein und versuche, gut zu sein. Darauf   habe   ich   in   den   letzten   Jahren   gewartet,   habe   still   für   mich   auf   so   etwas   gehofft,   seitdem   ich   „Ten   New   Songs“   von Leonard   Cohen   und   die   „12   Songs“   von   Neil   Diamond   gehört   hatte.   Wann   wird   einer   aus   der   hiesigen   Gilde   Lieder aufnehmen   und   nur   seinen   Erfahrungen   und   Intentionen   folgen?   Wann   wird   einer   diesen   dämlichen   Markt   und   dessen kommerziellen   Forderungen   außen   vor   lassen   und   sich   nur   noch   auf   das   Wichtigste,   die   Musik   konzentrieren,   statt   zu kalkulieren?   Wann   endlich   nutzt   einer   diese   Freiheit,   nur   sich   selbst   künstlerisch   zu   verwirklichen?   Die   Hoffnung   darauf   hatte ich   schon   aufgegeben,   doch   nun   ist   die   zweite   Solo-Platte   von   CHRISTOPH   THEUSNER   erschienen.   Der   Musiker   THEUSNER und   die   multikulturelle   Band   BAYON   waren   sicher   nie   die   personifizierten   Rocker,   aber   ohne   sie   wäre   diese   Musiklandschaft um   ein   gewaltiges   Stückchen   ärmer,   unvollständig.   BAYON   hat   mir   Wege   eröffnet,   die   mich   letztlich   beispielsweise   zu   Mari Boine   oder   zu   Kelpie   geführt   und   auf   diese   Weise   mein   Leben   reichhaltiger   sowie   meine   Leidenschaft   intensiver   gemacht haben.    Der   erste   Ton   ist   der   einer   tiefen   (Gitarren)Saite.   Gezupft   oder   angerissenen,   die   Finger   erzeugen   ein   warm   klingendes Tonfundament,   auf   dem   sich   eine   Tonfolge   entwickelt,   mit   filigranem   Spiel   aus   den   drei   hohen   Saiten   gelockt,   breitet   sie sich   leicht   tänzelnd   aus.   Dazu   klickt   im   Hintergrund,   rhythmisch   Akzente   setzend,   ein   dezent   in   das   Klangbild   eingebettetes Schlagen   zweier   Hölzer.   Das   ist   so   einfach   wie   genial.   Die   „Toccata“   eröffnet   spielerisch   einladend   das   Album,   gefolgt   von der   ebenso   leichtfüßig   anmutenden   „Terziano“.   Die   flockige   Melodie   erinnert   mich   im   Stil   an   ein   Menuett.   Sie   hüpft   locker   in Terz-Intervallen   (?)   über   die   Notenlinien.   Das   sind   keine   zwei   Minuten   fesselnder   Tontanz,   variierend   sich   wiederholend, zwischen   beinahe   Folk   und   Lied   in   klassische   Strukturen   verpackt.   Dazu   eine   fast   verträumt   anmutende   Melodie   aus   einer Blockflöte. Schlicht, anmutig, ein reizvoller Einstieg. Wie   im   Traum,   sicher   auf   einem   schmalen   Grat   wandelnd,   so   gleiten   Violine   und   eine   Sopranstimme   in   schwindelerregende Höhen.   Der   Titeltrack   „Music   For   A   While“   klingt   verlockend   schön   und   ist   opulent   mit   Tönen   verziert,   eine   besondere musikalische   Verlockung.   So   könnten   die   Gesänge   der   Elfen   und   Engel   klingen,   falls   es   sie   geben   sollte   und   THEUSNERs „Blues   in   D“   versetzt   mich   in   eine   Stimmung,   die   ich   seit   dem   legendären   „Albatross“   von   Fleetwood   Mac   schon   längst vergessen   glaubte.   Da   gleitet   das   Saxophon,   statt   einer   e-Gitarre,   schwärmerisch   gespielt   von   Hans   Raths,   über   eine samtweiche Akkordfolge wie auf elegischen Schwingen dahin. Blues eben und die Töne der Gitarre gleiten einfach mit. Morgenstille.    Vom    Zwitschern    der    Vögel    lässt    sich    jemand    zum    Gitarrenspiel    verleiten    und    zu    meiner    Überraschung entwickelt   sich   „Awake,   Sweet   Love“   (Erwache,   süße   Liebe),   dank   einer   zauberhaft   gesungenen   Melodie,   so   ganz   anders, als   ich   es   in   diesem   Fall   erwarte.   Im   klassischen   englischen   Stil   werde   ich   für   knapp   zweieinhalb   Minuten   ver-   und   entführt. Dann   ist   das   süße   Erwachen   schon   wieder   vorüber   und   man   findet   sich   nun   irgendwo,   statt   an   der   Themse,   an   der   Seine wieder.   Der   Klang   des   Akkordeons   von   TOBIAS   MORGENSTERN   spielt   mit   der   „Musette“   die   Gewitterwolken   beiseite.   Alles erscheint   wieder   leicht,   so   wie   der   Walzertakt,   flockig   und   unbeschwert.   Einfach   toll,   wie   zwei   Musiker   mit   einem   Akkordeon und Gitarre Stimmungen erzeugen können. Das   kurze   „Allegro“   erweckt   den   Eindruck   einer   lässigen   Fingerübung   für   Gitarre   und   doch   verstecken   sich   in   den   eineinhalb Minuten   unheimlich   viele   Nuancen,   wie   die   eingestreuten   Piano-Tupfer,   so   dass   in   der   kurzen   Zeit   ein   kleines   Meisterwerk entsteht.   In   „Come,   Heavy   Sleep“   (Komm,   tiefer   Schlaf,   Bild   des   wahren   Todes),   einem   uralten   englischen   Lied   für   Laute, brilliert   ein   zweites   Mal   HEIKE   PORSTEIN   mit   ihrem   glockenhellen   Sopran.   Fantastisch,   wie   CHRISTOPH   THEUSNER   so   ganz nebenbei   Zeiträume   und   Schranken   schrumpfen   oder   gänzlich   schwinden   lässt.   Zur   Halbzeit   verleitet   eine   „Barcalore“   zum Schwelgen   und   zum   Träumen   beim   puren   Klang   der   Gitarre.   CHRISTOPH   THEUSNER   erweist   sich,   wen   wundert’s,   als Meister   auf   seinem   Instrument,   dem   es   gelingt,   das   Spiel   mit   den   sechs   Gitarrensaiten   tatsächlich   kinderleicht,   wie   ein Spiel,   klingen   zu   lassen.   Besondere   Kunst   von   einem   großen   Künstler   dargeboten.   (Was   schreibe   ich   dann   eigentlich   am Ende   der   Rezension?)   „Letter   For   Love“   heißt   die   nächste   Überraschung.   Ganz   offensichtlich   hat   THEUSNER,   dem   ja bekanntlich   Theater   nicht   fremd   ist,   einen   Text   von   Shakespeare   ins   Deutsche   übertragen   und   vertont.   Das   Ergebnis,   ein filigranes   Duett   im   klassischen   Gesangsstil,   überzeugt   auf   ganzer   Linie   und   wieder   schafft   es   der   Mann   aus   Weimar,   alle möglichen    Vorbehalte,    die    man    haben    könnte,    mit    Musik,    von    leichter    Hand    dargeboten,    beiseite    zu    wischen. Eingeschlossen   wird   dieses   klingende   Kleinod   von   eben   gehörter   „Barcalore“   und   danach   von   „Abschied“,   einem   weiteren Solo-Glanzstück   nur   für   eine   Gitarre.   Nah   am   Blues   und   mit   feinen   rhythmischen   Tupfern   garniert,   deutet   THEUSNER   dezent eine   seiner   musikalischen   Wurzeln   an.   Wie   dramaturgisch   geschickt   diese   Reihenfolge   gewählt   ist,   sei   nur   noch   nebenbei erwähnt. Für    eine(n)    „Russischer    Bossanova“    hat    sich    THEUSNER    noch    einmal    TOBIAS    MORGENSTERN    mit    dem    Akkordeon eingeladen.   Beide   erzeugen   sie   eine   verspielte   Stimmung,   schlagen   dabei   gleichzeitig   einen   Bogen,   der   kulturell   von Lateinamerika   (Gitarrenspiel)   bis   in   die   Weiten   Russlands   (Akkordeon)   reichen   könnte.   Die   Bilder   dazu   in   meinem   Kopfkino ähneln   denen   aus   den   Mos-Filmen   in   meiner   Kindheit.   Im   „Balkan   -   Blues“   lässt   er   eine   Zigeunergeige   zum   Spiel   seiner Gitarre   schwelgerische   Melodiebögen   zu   angedeuteten   Tanzschritte   in   die   Noten   malen,   während   das   „Lied   einer   Kleinstadt“ ausgewanderte   Seelen   an   ihren   (meinen)   Erinnerungsfetzen   kleben   lässt.   Auch   hier   finde   ich   mich   mit   leichter   Hand mitgenommen.   Letztlich   sitzen   wir   alle   in   einer   Kneipe,   der   „La   Taberna“,   um   im   spanischen   Flair   und   beim   Klang   der Kastagnetten   den   tanzenden   Frauen   zuzusehen.   Vier   ganz   unterschiedliche   Plätze,   zu   finden   irgendwo   in   Europa,   die   in kleinen Melodien ihre liebevoll klangliche Entsprechung finden.   CHRISTOPH   THEUSNER   hat   einige   wirklich   wunderschöne   Lieder   für   BAYON   geschrieben,   aber   „Stell   dich   mitten   in   den Regen“,   mit   einem   Text   von   Wolfgang   Borchert,   den   damals   auch   Reiner   Schöne   als   „Versuch   es“   vertont   hat,   ist   in   dieser Interpretation   ein   wahres   Volkslied   geworden.   Natürlich   hat   der   Liebhaber   die   kantige   Stimme   von   Michael   Lenhardt,   dem die   damalige   Gesangsstimme   gehört,      im   Hinterkopf,   wenn   die   ersten   Akkorde   erklingen.   Das   geht   mir   auch   so.   Diese   neue Version   mit   der   Stimme   von   SOFIA   MÜHLING   transformiert   die   alte   Melodie   mit   einer   „modernen“   Stimme   in   das   Heute, ohne   den   Charakter   des   Originals   zu   verletzen.   Nur   ein   paar   wenige   alte   Schnörkel   fehlen   mir,   aber   wahrscheinlich   auch   nur mir, weil ich persönlich so gern diesmal den Meister singen gehört hätte, so wie damals auf Gut Geisendorf. „Für   eine   Weile   Musik“   endet   in   einem   elegischen   Sonnenuntergang.   Die   warmen   Töne   einer   Flöte   schweben   bei   „Sunset“ zum   Klang   der   nach   Laute   klingenden   Gitarre   und   beinahe   bin   ich   geneigt,   eine   mir   bekannte   Tonfolge,   die   von   BAYON’s „Sommerlied“   (1976),   darüber   zu   summen.   Für   jenen   einen   Augenblick   bin   ich   völlig   hingerissen   von   dieser   Überlagerung und   außerdem,   weil   mich   dieser   neue   kleine   Silberling   tief   in   meinem   Seelenleben   berührt   hat.   Die   CD   „für   eine   Weile Musik“   ist   einer   der   einfühlsamsten   Paukenschläge,   den   ich   jemals   gehört   habe.   Die   Musik   schwingt   und   vibriert   lange,   sehr lange in mir nach.       Man   legt   eine   neue   CD   ein.   Basierend   auf   eigenen   Erfahrungen   hat   man   Klangimpressionen   in   seinem   Hinterkopf.   Beim Hören   stellt   man   dann   fest,   dass   man   selbst   viel   zu   enge   eigene   Denkschemata   mit   sich   herum   trägt.   Plötzlich   ist   das   große Staunen   und   Wundern   da,   weil   einer   sich   traut,   diese   Grenzen   zu   negieren   und   sich   dennoch   aus   allen   Nähkästchen,   die durch   Grenzen   entstehen,   mit   zielsicherem   Händchen   sowie   mit   viel   Ideenreichtum   und   Kreativität   zu   bedienen.   Der   Musiker verdichtet   alle   seine   eigenen   Erfahrungen   und   verwirklicht   dabei   nur   sich   selbst,   gerade   so,   als   wäre   es   das   Normalste   auf dieser   Welt,   zwischen   Stilen,   Epochen,   Spielweisen   und   Auffassungen   zu   pendeln.   Aber   genau   dies   macht   CHRISTOPH THEUNSER   und   verleugnet   dennoch   nicht   einen   einzigen   Augenblick   sein   eigenes   Musikerleben   und   die   verschiedenen Einflüsse,   vom   Blues   bis   hin   zur   Khmer   Pentatonik,   die   es   geprägt   haben.   Ganz   im   Gegenteil,   auf   das   Einfache   reduziert, präsentiert    er    all    diese    Inspirationen    und    sein        vielseitiges    Können,    das    sich    auf    einzigartig    leichte    Weise    in    den Kompositionen und in seinem Spiel äußert. Irgendwie    finde    ich    mich    auf    eine    fantasievolle    Reise    mitgenommen    und    wie    Erinnerungen    bleibt    die    Musik    der verschiedenen   Orte   und   Plätze   in   mir   zurück.   Wie   das   der   Musiker   einfädelt   und   wie   er   die   beteiligten   Gäste   inspiriert,   die jeweiligen   Stücke   auszukleiden   und   mit   ihm   gemeinsam   zum   Glänzen   zu   bringen,   das   darf   man   getrost   genial   nennen,   so wie   ich   es   bei   den   beiden   oben   erwähnten   Alben   von   Leonard   Cohen   und   Neil   Diamond   nicht   anders   empfinde.   Bei   solchen Scheiben,   wie   „Music   For   A   While“   eine   ist,   empfiehlt   es   sich,   ruhige   Momente   für   das   Hörerlebnis   zu   wählen,   um   in   das Erlebnis Musik mit wachen Sinnen einzutauchen. Vielleicht ja unter einem Lichterbaum?