Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
„Gruß Kundi“ - ein Abend voller Erinnerungen 25.09.2021 Am Morgen des 19. Dezember vergangenen Jahres ändert Gundolf mein Leben, obgleich er da schon nicht mehr unter den Lebenden weilt. Am anderen Ende der Strippe erzählt mir Kerstin, also Lissi, mit einer Stimme voller Tränen und Schluchzer, was wenige Stunden zuvor geschah. Von diesem Moment an ist mir klar, dass meine Gedankenwelt gerade völlig neu justiert wird. Kundi ist tot und damit auch einiges andere unwiederbringlich verändert, völlig anders. Es ist ein Schock, habe ich mich doch Tage zuvor erst von meiner geliebten Lily verabschieden müssen. Wieder einmal einen guten Freund, einen engen Vertrauten verloren. Der sprichwörtliche Blitzt aus heiterem Himmel – Scheiße! In den darauf folgenden Wochen versuche ich, meine Gedanken zu sortieren und zu begreifen. Diese Pandemie sorgt zudem dafür, dass sich die Zeit bis zur Beisetzung verzögert. Mir ist es nicht möglich, in den schweren Stunden des Abschieds und der Trauer, den Angehörigen Trost zu spenden und mich irgendwie von Kundi, den Freund, zu verabschieden. Das ist bitter, doch langsam reift eine Idee: ein Abend in Erinnerung an den Freund und Bühnenrandmissionar an seinem verpassten 57. Geburtstag. Auch ein Ort dafür ist bald gefunden. Zwischen Bernburg, Halle, Leipzig und Dresden surren die Räder über den Beton. In meinem Kopfkino aber wechseln sich Bruchstücke voller gemeinsamer Erinnerungen ab: Das Transit-Comeback in Berlin, Gundermann-Tribut in der Columbia-Halle, Semper Fidelis und Omega im „Anker“, Cäsar’s Beisetzung auf dem Südfriedhof, Renft in Medingen, Karussell in Munzig, Wunderbundt im Kunsthof Gohlis, Kerth in der Tante Ju, Haase im Zschoner Grund oder der Stammtisch in Braunsdorf. Das letzte Mal, ohne es als letztmalig wahrzunehmen, trafen wir uns in Goßberg, am „Rand dieser Welt“. Der Beginn unserer besonderen Freundschaft datiert auf den am 25. August 2007, einer Gartenparty in Elsterwerda ( HIER ). Was danach folgte, waren eben diese dreizehn erlebnisreichen Jahre und heute fahre ich nach Ottendorf-Okrilla, ins „Alte Teichhaus“, um den Schlusspunkt dahinter zu setzen. Unwiderruflich. Es ist zeitiger Nachmittag, als das Harzgefährt auf dem Parkplatz ausrollt. Angekommen, Erster! Doch schnell klärt sich der kleine Irrtum auf, aber Zweiter oder Dritter fühlt sich auch sehr gut an. Die alte Kastanie hinter dem Haus steht noch, einige Tische im Biergarten auch. Die Stühle sind angekippt, die Gäste bleiben aus, obwohl morgen Wahlsonntag ist und das gemeine Volk hier feiern könnte, wenn, ja wenn. – Das Zimmer ist schnell bezogen. Im Raum der Zusammenkunft wird eine dezente Dekoration platziert, die an das „Geburtstagskind“ erinnern soll. Blumenstrauß, Kerze und ein Foto von Gundolf wird Kerstin mitbringen. Dann gönne ich mir ein „Schälchen Heeßen“ und erste Gespräche nehmen Fahrt auf. Nach und nach treffen weitere Freunde ein. Man begrüßt sich, man umarmt sich wie in alten Zeiten und die Gespräche wachsen sich zu einem fröhlichen Stimmengewirr aus. Da ich das alles „eingebrockt“ habe, sitze ich glücklich, still in mich hinein lächelnd, am Rande und genieße diese freundliche Harmonie, die ich so lange vermisst habe. Wir sind Musikliebhaber, Fans und Freunde gleichermaßen, sitzen an einer langen Tafel und dennoch ist ständig Bewegung im Raum. Lange nicht gesehen und so viel Neues zu erzählen. Es gibt zwar ein gedankliches Gerüst, aber die herzlichen Begegnungen und die Gedanken an KUNDI, dem das Zusammensein gilt, verführen die Zeit im Raum zum Langsamwerden. Wir feiern Geburtstag und der Jubilar sitzt mit an diesem Tisch und wer weiß, vielleicht hört er sogar zu. Irgendwann sind (fast) alle eingetrudelt, haben gegessen und sind in Gespräche vertieft. Draußen ist es dunkel geworden. Einer, der seine 8-saitige (!) Gitarre mitbrachte, ist Uwe Reibold aus Magdeburg. Wenn Kundi von ihm sprach, dann stets nur vom „Vize“, Freunde seit den 1980er Jahren. Der lässt die Saiten klingen. Zu den Akkorden singt er für Kundi „Ihr da oben“. Die Klänge durchdringen den Raum und ich hab’ einen dicken Kloss im Hals, der bleibt. Andere schlucken, haben feuchte Augen plötzlich ist das Kundi-Gefühl nah, ganz nah, unter der Haut: „Du packst deinen Koffer, du gehst auf die Reise, du gehst still und leise.“ (Broilers). Als der „Vize“ endet, steckt mir der Kloss noch immer tief im Hals. Man kann es deutlich hören, doch wenigstens aussprechen möchte ich, warum dieser Typ mir wichtig und wertvoll war, warum ich ihn vermisse. So sehr, dass ich die Nähe der Freunde brauche, um heute meinen Abschied zu finden. DANKE, dass Ihr meinen Worten gelauscht und mich verstanden habt! Dann ist „Vize“ wieder dran. Wir hören „Zu Hause“ und „Weiter“ von AufSturz und von Klartext „Das Leben ist bunt“. Sehr persönliche Weisen, die er seinem verstorbenen Freund widmet und die uns auf eine Reise des Erinnerns schicken. Auch ich versuche es mit dieser Reise. In Kundi’s Konzertberichten suchte und fand ich einige besondere Zeilen. Besonders, weil sie Bilder eines Menschen zeichnen, der mehr war, als ein „Schreiberling“ und sich auch manchmal hinter die Fassade schauen ließ - Zitat Kundi : „In jenen Tagen teilten jeder kleine Hühnerdieb, jeder Schläger und viele Mitläufer der Welt mit, der wichtigste Sargnagel des untergehenden Systems gewesen zu sein. Da konnte dir schon mal das große Kotzen kommen, bei so viel Falschheit, Verlogenheit und Selbstbeweihräucherung. Da ziehe ich lieber meinen Hut vor Leuten wie Gundermann und meinem verstorbenen Großvater, denn beide kommentierten die Wirren und Irrungen jener Tage gegen den herrschenden Zeitgeist. Über Gundermann wurde in dem Zusammenhang schon viel geschrieben und gesagt. Deshalb beziehe ich mich jetzt mal auf Opa.“ Der musikbegeisterte Kerl aus der Oberlausitz war ein Kind jenes Landes; geerdet, verwundbar, stolz und kritisch. Einer wie du und ich. Plötzlich sprudeln die Erinnerungen. Längst vergessene Szenen und Momente werden wieder lebendig und so mancher weiß auch noch, welche Konzerte gemeint waren. Nach diesem Ratespiel aus Kundis Schriftuniversum greift Jens Kurze, alias „Tom’s Daddy“, zur Gitarre. Schon oft hatte er versucht, mit Kundi’s Truppe gemeinsam vor einer Bühne zu stehen, doch das Leben machte ihm oft einen dicken Strich durch persönliche Wünsche. Heute besingt er den „Zweitbesten Sommer“ von Gundermann für uns und den Meister vom Bühnenrand. Ein bewegender Moment, weitere sollten folgen, denn jeder von uns holt Episoden von und mit Kundi aus seinem Gedächtnis. Die sorgen für Lacher aber auch für Nachdenklichkeit und manchmal bleibt eine Frage unbeantwortet. Ach Kundi, wie wundervoll wäre es doch, würdest Du auch in dieser Runde weilen und der Anlass wäre ein völlig anderer. Wie sagte doch Hans die Geige schon vor Jahren: „Wir sollten uns nicht bei Gedenkveranstaltungen treffen, mir wäre eine Feier, aus welchem Anlass auch immer, in fröhlicher Runde viel lieber.“ Recht hat er und schade, mein Rockgeiger, dass Du nicht bei uns sein kannst. Gruß auch an Hans, den wir „Wodka“ nannten, an Mary, die gerade vergleichbare Sorgen hat und an Sonny & Frank, die schwere Zeiten überstehen müssen. Grüße auch an Gela und Harald, die beiden „Verrückten Vögel“, die andere Verpflichtungen haben. Ihr wolltet gern dabei sein, konntet aber leider nicht. Schade! Kundi war ein Verehrer von Tamara Danz sowie Gerhard Gundermann und er liebte die Musik eines Rio Reiser, mit und ohne Ton, Steine, Scherben. Kein Wunder also, dass er eine innige Beziehung zur Kapelle Wunderbuntd mit Soldi & Jens pflegte. Beide schließen (vorerst) den musikalischen Rahmen. Als dezent „Halt dich an deiner Liebe fest“ erklingt, jagt mir ein Schauer über die Haut und Herr Kloss ist auch wieder da. Ich sitze auf einem Stuhl, die Gefühle überrennen mich und eigentlich könnte ich jetzt heulen. Den anderen scheint es ähnlich zu gehen, denn auch sie lauschen hingerissen, als beide noch das „Zauberland“ und den „Junimond“ beschwören. Es sind Minuten, in denen sich die Emotionen zu ballen scheinen und der gedankliche Blick richtet sich nach oben, ins Universum und dahinter, wo sie alle um Kundi herum sitzen und zuhören. Du hättest nach mir gehen sollen, mein Kundi, was also hat Dich getrieben, mir jetzt schon voraus gehen zu wollen? Wie soll ich das verstehen?? Danke Bernd Teichert für diese schöne Auswahl von Schnappschüssen im Teichhaus. Ehe sich die ersten schon wieder verabschieden müssen, stellen wir uns noch für ein Gruppenfoto, das die Nachwelt und uns an diesen Moment erinnern soll. Dann ist noch Zeit für Musik, ein nächstes Bier und dann wieder Musik. Der „Kleine Teddybär“ als Country-Song macht lustig und motiviert, weitere Erinnerungen auszupacken. Doch allmählich wird das Häuflein kleiner und die Zeit läuft unaufhaltsam gen Mitternacht. Ich bin froh, diesen Abend angeregt zu haben und glücklich, dass die Freunde in das Teichhaus kamen, wo uns Ecki, der freundliche Wirt, die Möglichkeit zum Beisammensein gab. Bis zur Geisterstunde sitzen wir noch, dann lockt uns der letzte Glockenschlag ins Bett. Alle diejenigen, die man irgendwann mal unter dem Sammelbegriff „Schreiberlinge“ zusammenfasste, repräsentieren eine ganz besondere Spezies. Sie sind Musikliebhaber, Besessene und mit besonderen Fähigkeiten, Musik aufzusaugen, ausgestattet. Sie tragen meist einen großen Fundus an Wissen sowie Erfahrungen mit sich und sie besitzen die Gabe, das Erlebte in spannende und emotionale Berichte zu kleiden. Kundi war so einer. Er war einer von uns und, was nicht genug geschätzt werden kann, er tat all dies, um zu bewahren und zu fördern, ohne eine Gegenleistung zu erwarten. Als die Zeit reif dafür war, gründete er sein eigenes Forum, sein Baby: Mission Bühnenrand. Dort schrieb und kommentierte er, er zeigte Fotos und gab Gleichgesinnten die Möglichkeit, ihre Erlebnisse zu präsentieren. Das alles, aber ganz besonderes dieser Typ, fehlt seither schmerzlich und mir fehlen einfach nur der Freund am Bühnenrand und sein freundliches Wort: „Gruß Kundi“. Der nächste Morgen sieht einen Frühaufsteher, der mit seiner Knipse den Sonnenaufgang bestaunt und ein wenig seinen Erinnerungen nachtrauert. Viel verbindet mich mit diesem Ort und vieles mehr mit dem Pilgern zu den Muggen an den Bühnenrändern. Das alles wird mich weiter begleiten und oft wird ein freundlicher Weggefährte namens Kundi an meiner Seite stehen. In diesem Sinne! Gruß Mudl, der Rock-Rentner