Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
Hans-Christian Müller - man nannte ihn „Wodka“ 14.09.2023 (12.09.1953 – 12.09.2023) Es ist der 25. August im Jahre 2007. Im Garten hinter dem Haus wird eine Party und ein Treffen von Leuten stattfinden, die allesamt Rockmusik von Bands aus der DDR lieben. Einige sind schon da, als es wieder klingelt. In der Tür steht ein Typ mit zotteligen lange Haaren, einem ebensolchen Bart und einem Lächeln im Gesicht. Sofort weiß ich, das muss „Wodka“ sein, jener Fan, dem die verrücktesten Geschichten nachgesagt werden oder voraus gehen. Im Garten streife ich ihm eine Ordnerbinde der FDJ über den Arm, das Bierglas fasst er mit dem anderen. Im Laufe des Abends wird er mit Heike, Conny und Kundi Gespräche führen, mit Heike ein Zelt aufbauen und mit allen bis in die Nacht Lieder singen. Für mich beginnt das vorsichtige Herantasten an ein Szene-Original, eine Beziehung, die sich allmählich zu einer wichtigen Freundschaft auswachsen wird. Er war ein ganz besonderer Mensch, ein treuer Freund und ein Freigeist, der schon zu DDR-Zeiten versuchte, nach seinen eigenen Vorstellungen und Idealen zu leben. Hans-Christian war zudem einer der letzten authentischen Zeitzeugen in Sachen Rockmusik der DDR, mit dem man seine eigenen Erinnerungen abgleichen und sich intensiv austauschen konnte. Dieser äußerliche Zausel, den viele nur als „Wodka“ kannten, liebte nämlich Rockmusik ganz allgemein, aber ganz besonders jene der Stern Combo Meissen (mit Reinhard Fißler), CÄSAR und der Klaus Renft Combo, von Gundermann, Stephan Trepte, Jürgen Kerth sowie einige andere unserer Musiker und Bands der alten DDR- Garde. Er liebte es, Lebensmomente so zu gestalten, dass es anderen schwer fiel, seinen schrägen Humor zu verstehen. Außerdem liebte er gutes Essen, konnte es zubereiten und zudem stundenlange Gespräche über die Rolle der Bedeutung im Universum und nebenan führen. Er war ein fröhlich nachdenkliches und gut gebildetes Unikum und „Wodka“ seine Marke. Damit wäre im Grunde alles zu Hans-Christian Müller gesagt. Doch sprach man über „Wodka“, kamen viele kleine weitere Nuancen hinzu. Die sollte man kennen, um ein halbwegs vollständiges Bild dieses manchmal schrägen Mannes zu erhalten. In den 1970er Jahren sah man „Wodka“ oft im Umfeld der legendären Stern Combo Meissen, deren Musik er liebte und deren Sänger Reinhard Fißler er verehrte. In späteren Jahren widmete er dem Musiker sogar eine eigene Fan-Seite im Internet. Seine Verehrung ging letztlich so weit, dass er für die Genesung des schwer erkrankten Musikers Geld spendete. Zudem beteiligte er sich ebenfalls an einer Spendenaktion für eine Bank an der Grabstätte von Cäsar Peter Gläser. Dessen Grab besuchte er lange Zeit regelmäßig an dessen Geburtstag im kalten Januar, um mit Weggefährten anzustoßen und Mary aus Dresden zu treffen. Beim jährlichen CÄSAR-Fan-Treffen der „Weggefährten“ im Entenfang zu Torgau spielte er mit Lily auf der Wiese und traf ein letztes Mal auf Cäsar. Im kalten Herbst gleichen Jahres schließlich trauerten wir gemeinsam, mit Lissi und Kundi, am Grab von Cäsar. Kein Weg schien ihm zu weit für Ereignisse oder Menschen, die ihm am Herzen lagen. Für ein Konzert des Thüringer Blues-Gitarristen Jürgen Kerth fuhr er schon mal, gemeinsam mit Martin, in das Alte Teichhaus nach Ottendorf-Okrilla, um seinen „Bub“ ins ABC der Rockmusik einzuführen. Als Reinhard Fißler, schon schwer von seiner Krankheit gezeichnet, seinen 60. Geburtstag im Haus eines Berliner Ruderklubs feierte, stellte Wodka ihm stolz seinen Sohn vor. Er kam aber auch nach Halberstadt, um dort mit mir der Musik des Thüringer Blues-Königs zu lauschen. Dass er dem Veranstalter nach diesem Konzert 300,00 Euro in die Hand drückte, um dessen Verlust auszugleichen, ist eine jener Gesten, die nur wenige von ihm kennen oder erlebten. Der Mensch „Wodka“ fuhr von Aschaffenburg nach Braunsdorf zu einem Puhdys-Fan-Treffen, um dort unter Freunden zu sein, nicht etwa der Band wegen. Wir trafen uns bei Semper Fidelis und bei einem der letzten Konzerte von Omega in Originalbesetzung im Leipziger Anker. Auch beim Cäsar-Fantreffen im Torgauer Entenfang war er dabei. Hier entstand ein schönes Foto vom Dreigestirn Kundi, „Wodka“ und HH aus EE. Es sollte das letzte bleiben, das man machen konnte. Sogar nach Dresden kam er nur, um bei meiner Lesung zum Buch „Lebensgefühl Rockmusik“ dabei zu sein und das Gruppenfoto nicht zu verpassen. Hinter seinem Struwelpeter-Gesicht verbarg er gekonnt ein großes Herz und eine zarte, einfühlsame Seele. Beides konnte man nur erkennen, wenn man sich auf ihn einließ, ihn verstehen wollte. Einer Bettlerin nahe dem Leipziger Hauptbahnhof drückte er einen „Fuffi“ in die Hand, damit sie ihrem Hund etwas Futter kaufen konnte, schrieb Mary, die dabei war. Unser „Wodka“ war auch ein empathischer Menschenversteher, einer, der sein Herz entscheiden lassen konnte. Hans ging so, wie er es sich vielleicht augenzwinkernd vorgestellt hätte - an seinem 70. Geburtstag. Die Feier ließ er platzen und uns, seine Angehörigen und Freunde, einfach fassungslos hier zurück. So zu gehen, ist nicht fair, mein Hans und „Wodka“, aber Du hast Dir vielleicht Schmerzen und viel Ärger ersparen wollen. Nun bist Du also bei Kundi sowie Deinen beiden Freundinnen Heike und Conny. Du bist jetzt bei den Idolen Deiner wilden Jahre, aber mich und andere, wie Klaus in Augsburg, lässt Du hier einfach zurück und langsam fühle ich mich irgendwie einsam. Meine Tränen hebe ich mir für die „Abendstunde, stille Stunde“ auf, denn die wollten wir in Dresden gemeinsam beim 50. Jubiläum von LIFT besingen. Es wird uns allen verdammt schwer fallen, Dich alten Zausel nicht mehr unter uns zu wissen. Nicht die Höhen im Leben oder die Reichweiten bei Facebook sind Maßstäbe, an denen wir gemessen werden, sondern die Anstrengungen und Bemühungen, Rückschläge zu bewältigen und Mitmenschen dabei nicht aus den Augen zu verlieren. Auf diese Weise sollten wir uns seiner erinnern. DANKE Wodka, es ist so gut, gut, gut, dass wir uns trafen.