Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
Rock aus der „Werkstatt Jugendtanz“ – Suhl 1983 01.04.2012 Im launischen April des Jahres 1971 fasste der FDJ-Zentralrat der DDR in Berlin einen Beschluss Es ging um Festlegungen „zur weiteren Entwick- lung des Jugendtanzes“, denn völlig unabhängig vom Wollen und Handeln, vor allem der Kultur- und Jugendfunktionäre, hatte sich in allen Ecken der DDR eine quirlige Beat- und Rockszene etabliert. Das IX. Parlament der FDJ verkündete daraufhin seinen „Richtung weisenden Beschluss“ zur Jugend- tanzmusik. Dieses Papier wäre heute nicht des Erwähnens wert, hätte sich daraus nicht ein Ereignis entwickelt, das über viele Jahre zu einer Institution im Rockland DDR wurde - die „Werkstattwoche Jugendtanzmusik“. Unter der Schirmherrschaft der DDR-Jugendorganisation wurde hier regelmäßig „Bilanz gezogen“ und versucht, Rock’n’Roll, Bands und Künstler sowie die Musik liebende Jugend, mit und ohne FDJ-Hemd, „auf Linie zu trimmen“, so die heutige offizielle und gesamtdeutsche Leseart. Was diese Zeit in der DDR angeht, sollte man wohl eher von einem kalkulierten Locken sprechen. Denn neben der offiziell gewollten Leseart, der von damals und der von heute, spielten sich, wie in einem Mikrokosmos, die Dinge dann doch anders ab, als vorausgeplant. Da wimmelte es geradezu von einer Farben-, Ideen- und Erscheinungsvielfalt, die kein staatliches oder noch so freies gutbürgerliches Rezeptionsverfahren jemals zu registrieren bereit gewesen wäre. Echter Rock’n’Roll ist anders, als die Etikette, die man ihm gern verpassen möchte, die ihn lieben und die ihn praktizieren auch. Damals wie heute! Das sollte man beim Lesen der nun folgenden Zeilen (aus meiner ganz persönlichen Sicht) nicht völlig aus dem Auge verlieren: Die beginnenden 1970er Jahre waren genau jene Zeit, in die hinein mein berufliches Leben „in der Kulturarbeit“ startete. Damals begann ich bewusster zu registrieren, was neben Rockmusik und dem Kulturbetrieb noch so alles geschah. Da war die jährliche „Werkstattwoche“ von Frankfurt/Oder bis Suhl so etwas wie ein kleines „Festival der Rockmusik“, wo man die neuen und gestandenen Bands auf einem Haufen neben- und nacheinander treffen und erleben konnte. Dies war ein Ort, wo sich Texter und Musiker trafen, wo man diskutierte und wo auch Ideen entstanden, weil sich solche Leute natürlich auch gegenseitig inspirierten. Gestalten und Mittun war angesagt, wenn vielleicht auch nicht immer so, wie sich das die Initiatoren gewünscht hätten. Mir ging das damals relativ locker von der Hand und hat, abseits von Regeln und Statuten, richtig Spaß gemacht. Es war tatsächlich möglich, auch wenn es heutiger Wahrnehmung oft nicht entspricht. Vielleicht war das der Grund, warum ich die Möglichkeit bekam, im Februar 1983 zur „VI. Werkstatt“ nach Suhl zu fahren. Um ehrlich zu sein, ich habe mir weder damals noch heute darüber Gedanken gemacht, warum ich fahren durfte. Ich war einfach nur glücklich, eines Tages in Elsterwerda in den Zug steigen und dann in Doberlug-Kirchhain in einen anderen vollen Zug umsteigen zu können. Das weiß ich deshalb noch so genau, weil mir dieses Umsteigen zu einer Zufallsbekanntschaft mit einem Musiker verhalf, der ebenfalls im Zug nach Suhl reiste. Bernd Dewet war mir bis zu diesem Moment völlig unbekannt, aber von diesem Tag an habe ich den lustigen Typen, mit dem stets fröhlichen Grinsen im Gesicht, nie wieder vergessen können. Aus dem Mund vom Rauschebart Dewet sprudelten unablässig Witze, Anekdoten und Begebenheiten und deshalb ist mir im Grunde nur ständiges Lachen in Erinnerung. Die Werkstatt Suhl war das erste und einzige Mal, dass ich bei einer RUND Sendung des Fernsehens quasi live in einer der hinteren Reihen saß. Aus den oberen Sitzreihen der Stadthalle hatte man einen guten Blick auf das Geschehen, das sich neben und hinter den Kameras abspielte. Mit „sympathischem Rock aus Sachen“ war die Gruppe DIALOG dabei, auch NEUMI’s ROCK CIRCUS und die noch weniger bekannte Amateurband BROMM OSS aus dem damaligen Bezirk Suhl. Was mir dennoch meinen Spaß an der ganzen Sache ziemlich vergällt hat, war die sterile Atmosphäre, in der die Sendung emotionslos von den Kameras eingefangen wurde. Das alles fand am Sonnabend und nachmittags statt, am Abend haben wir dann die ersten Biere im Musikantenklub gezischt, ehe wir todmüde auf den Matratzen in einem Klassenzimmer landeten. Meine nächste Erinnerung ist der „Rockwecker“ mit KARUSSELL am Sonntagmorgen darauf. Wenn ich mich recht besinne, fand diese Veranstaltung so gegen 10.00 Uhr im Saal des Kulturhauses statt. Man traf verschlafene Musikantengesichter und solche, die noch stehend zu schlafen schienen. Der Morgen war der Beweis, dass Musiker um diese Zeit zwar leben, aber noch nicht auf Betriebstemperatur sein können. KARUSSELL startete mit ihrem Konzert dennoch, sinniger Weise mit „Wenn die Hähne kräh’n am Morgen“ und ihren Songs, die heute Kult darstellen: „Entweder oder“, „Apfeltraum“ oder „Cäsar’s Blues“. Das eigentliche Sahnehäubchen bestand allerdings darin, dem Charakter der Werkstattwoche folgend, noch nicht fertige Lieder vorstellte. Die wurden im berühmten Pseudoenglisch darboten. Doch eigentlich war es JOCHEN HOHL solistisch an den Tasten, der damals eine Melodie spielte, die später als „Fischlein unter’m Eis“ zu einem der wohl schönsten KARUSSELL Lieder werden sollte. Nach dem Konzert blieben viele sitzen, um mit den Musikern ins Gespräch zu kommen oder sich gegenseitig ein paar kleine Tricks zu verraten. Auch Frank Schöbel war anwesend und tauschte sich mit den Musikern aus. Es war der Montagabend 19.00 Uhr, als in der Stadthalle von Suhl eines der „Beispielkonzerte“ dieser Tage begann. Es waren die vier recht jungen „Schnösel“ von ROCKHAUS, die damals gerade mal zwei Jahre gemeinsamen Musizierens hinter sich hatten und, wie alle aus den Medien wussten, großspurig angekündigt hatten, die PUHDYS ablösen zu wollen. Ob es nun Absicht war oder Zufall, das weiß ich nicht zu sagen. An diesem Abend standen beide Bands, die „jungen Schnösel“ und die etwas „älteren Herren“, die schon 15 gemeinsame Jahre rockten, auf der großen Bühne, um den anderen ihre Show zu zeigen oder anders gesagt, wo damals im DDR-Rock der „Hammer hing “. Die Halle war voll von ca. 1800 Leuten und wir saßen etwas erhöht der Bühne gegenüber hinter dem Mixer. Beste Sicht und bester Sound garantiert, denn „Indianer“, der PUHDYS-Tonmann, saß damals noch am Mischpult. ROCKHAUS spielte beherzt, frech und vor Energie sprühend auf. Kilian rannte ständig über die Bühne, wie eine Mischung aus Läufer und Sänger, animierte zum Mitmachen und riss mit seiner Begeisterung vor allem das jugendliche Publikum mit sich. Reinhard, der Gitarrist, und Ingo am Bass, lieferten sich Saitenduelle und standen in ihrem Bewegungsdrang ihrem Frontmann in nichts nach. Vor allem (Herr) Petereit deutete damals schon mal locker an, wo er heute als Gitarrist zu finden ist. Die junge Musik von ROCKHAUS war nie mein Geschmack, das Konzert in Suhl allerdings war ein Paukenschlag, frisch und geradlinig, so wie Rock’n’Roll sein soll. Das hat mir gut gefallen und sich in meinem Gedächtnis festgesetzt. Einfach mal so leichtes Spiel hatten die Herren PUHDYS danach nicht. Natürlich merkte man, dass da erfahrene und perfekt aufeinander eingespielte Musiker ihre Show ablieferten, die, ihrer aktuellen LP entsprechend, mit „Computerman“ startete. Ich meinte damals aber auch ein wenig von Erstaunen und Respekt gegenüber der Vorband entdeckt zu haben, die noch Minuten zuvor unbekümmert und gnadenlos drauflos gespielt hatte. Während des Konzerts präsentierte die Band ihr „Hiroshima“, das Wishful Thinking Cover ebenso, wie Klaus Scharfschwerdt bei „TV-Show“ flockig über die Bühne tänzelte und ich erinnere mich auch noch an die riesige aufgeblasene Puppe, die Bestandteil der Show war. Natürlich fehlten schon in jenen Jahren die Klassiker „Alt wie ein Baum“ oder „Melanie“ nicht, bei denen unten lauthals und textsicher mitgesungen wurde. Zudem kann ich mich noch daran erinnern, dass es mehrmals einen fliegenden Gitarrenwechsel bei Dieter „Maschine“ Birr gab, bei dem sich die “fliegenden Gitarren“ tatsächlich in der Luft kreuzten. Noch heute höre ich auch das laute Stöhnen manch Musikers neben, vor und hinter mir, als sie die teuren Instrumente derartig riskant durch die Luft geschleudert wurden. Das Konzert der PUHDYS hatte Eindruck hinterlassen. Auch ich hatte die Band schon lange nicht mehr live erlebt. Da konnte man schon merken, wie professionell da Entwicklung stattgefunden hatte und wie da unten auf die Bühne nach einer Dramaturgie gerockt wurde. Aber im Vergleich zu ROCKHAUS machte sich auch bemerkbar, dass im Laufe der Jahre so etwas wie Spontaneität auf der Bühne kaum noch einen bestimmenden Platz hatte. Dieses Konzert war natürlich auch Thema im spätabendlichen Musikantenklub. Dort wurde unter den Musikern heftig diskutiert und Meinungen ausgetauscht. Ich kann mich noch bestens daran erinnern, dass es an diesem Abend einen ganz besonderen „Diskussionsbeitrag“ gab, der dann alle vorherigen Themen in den Hintergrund stellen sollte. Die Band, die damals nur Eingeweihte kannten und die mir bis zu jener Nacht völlig ungekannt war, hieß POSSENSPIEL. Irgendwann, gegen sehr spät, kamen fünf ziemlich einmalig aussehende Gestalten auf die kleine Studiobühne gepoltert. Sie zeichneten sich durch Struwelmähnen, Vollbärte, kurze Hosen und durch eine gehörige Portion Musikantenhumor aus, wie sich bald herausstellen sollte. Da stand so ein kleiner, völlig in schwarzen, unpassend sitzenden Klamotten gekleideter, Typ und der kündigte lauthals an, gleich zu Beginn von der Gruppe „Baum“ das Lied „Alt wie ein Puhdy“ spielen zu wollen. Das war natürlich Zunder für die Diskussionen jener Nacht und von da an jagten die Herren um HANS KNIPPENBERG alias POSSENSPIEL einen Knaller nach dem anderen, entweder verbal oder musikalisch, in die Runde. Mit Bezug auf den Gitarrenwechsel der Puhdys kam dann auch prompt: „Was der Knirr da unten konnte, kann ich schon lange!“ Olle „Knippe“ sprach’s und schleuderte dabei eine aufblasbare Gummigitarre durch den Raum, die dann unter Jubeln und mit Gaudi weiter gereicht wurde. Ich kann mich noch sehr gut an eine lang durchzechte Nacht, haufenweise lustig – ironische Musik von POSSENSPIEL und an Lachsalven am laufenden Band erinnern. In den Tagen von Suhl gab es ebenfalls eine Portion Rockmusik mit Lokalkolorit. Von den heimischen Amateurbands hab’ ich mir VON OOM (Von oben) und Bromm Oss (Brummochse) angetan und deren Konzerte in angenehmer Erinnerung behalten. Allerdings sind mir beide Bands in der Folgezeit wieder aus dem Blickfeld geraten, so dass ich heute nicht mehr sagen kann, was die Zeit aus ihnen gemacht hat und wo die Musiker verblieben sind. Tatsache ist, dass eine ganze Reihe herausragender Bands gab, deren Musik man heute wahrscheinlich unter „Mundart-Rock“ einordnen würde und die in ihrer Art einmalig waren. Einer, der als Musikante und Typ diese Einmaligkeit sehr authentisch repräsentiert und gelebt hat, war unsere Zugbekanntschaft BERND DEWET BORNSCHEIN. Der hatte schon mit HORST KRÜGER und auch mit KRAKATOA musiziert und dabei seinen ganz eigenen und unverwechselbaren Stil als der „Rock’n’Roll King aus’m Thüringer Wald“ entwickelt: urige Texte zu mitreißender Musik und das alles mit ein wenig Dialekt und sehr viel menschlicher Ausstrahlung vermischt, ergab eine poppige Mixtur, die nur BERND DEWET glaubhaft und humorvoll präsentieren konnte. Das tat er auch abends im Musikantenclub, wo ich neben dem „Rock’n’Roll King aus’m Thüringer Wald“ zum ersten Mal das „Bratwurstlied“ und „Harry Hammer“ zu hören bekam. Da ich selbst einer der größten Bratwurstfans bin und zudem diesen Urtyp von „Muschkanten“ mochte, ist dieser „Bratwurstsong“ meine heimliche Küchenhymne geworden. Die singe ich manchmal, wenn ich in der Küche werkeln darf, im Wechsel mit der anderen Thüringen-Hymne vom DEWET, dem „Zwiebelmarkt in Weimar“, und denke dabei an jene Abende im Musikantenklub von Suhl zurück. BERND DEWET verstarb leider viel zu früh am 27. Juli 2006 und wieder war’s der Krebs, der einem der wenigen und unverwechselbaren Originale der Szene die Klampfe verweigerte. Darüber hinaus gab es Konzerte von PASSION, MERIDIAN sowie SCHESELONG. Aber wie das so ist, wenn man aus einem dichten Angebot auswählen kann, verpasst man fast zwangsläufig etwas, was man auch gern erlebt hätte. PASSION gehört ebenso dazu, wie KEKS, die ich auch nicht sehen und hören konnte. PETRA ZIEGER gab mit ihren SMOKINGS gar ein Konzert in der Suhler Schwimmhalle, aber die Kombination fand ich dann doch etwas daneben. Andere mögen das damals anders erlebt haben. Nach dieser Woche bin ich voller Wünsche und mit vielen frischen Eindrücken und Emotionen nach Hause gefahren. So kompakt habe ich seither nie wieder Rockmusik in vielen Facetten erlebt und so unterschiedliche Musik gehört. Am meisten beeindruckt haben mich die intimen Begegnungen mit unterschiedlicher Musik allabendlich im Suhler Musikantenclub und dort ganz besonders die Konzerte mit POSSENSPIEL, BERND DEWET und auch REGGAE PLAY. Letztere habe ich dort das erste und einzige Mal live erleben können. Mir ist nicht aufgefallen, dass sich nach solchen Ereignissen die Bands in Scharen und en masse nur noch Themen zugewandt hätten, die im Beschluss des FDJ- Zentralrates verankert waren. Ganz im Gegenteil. Mit der fortschreitenden Zeit und der Zuspitzung von Konflikten im tagtägliche Leben der DDR, wurden auch die Texte direkter, manchmal zynisch oder doppeldeutig und bei den „neuen Bands“ gar ablehnend und radikal, was sich auch in deren Musik spiegelte. So gesehen, hätte man sich den bombastischen Aufwand von Werkstätten auch sparen können, denn die Entwicklung im Lande war weder von „Ochs und Esel“ aufzuhalten, noch waren die Rocker in ihrer Masse geeignet, die Rolle von Ochs und Esel einzunehmen. Schön und erlebnisreich waren die Tage in Suhl allemal. Hier konnten sich viele Musikanten treffen, miteinander Erfahrungen tauschen und sogar gemeinsam proben. Das war bei den nächtlichen Treffen in Freienhufen oder sonst irgendwo auf der Autobahn nicht möglich. Keiner der angereisten Besucher war gezwungen, eine der Veranstaltung zu besuchen, die ihm nicht nach seinem Geschmack schien. Ich empfand die Tage in Suhl als lehrreiches Erlebnis und versuche, sie so aufzubewahren. Das mache ich auf meine ganz persönliche Art und ich zwinge auch niemanden, dies vollständig nachzuvollziehen. Andere könnten davon sicherlich andere Geschichten aus anderen Perspektiven erzählen. Dies hier ist meine. Unter Verwenung von Pressematerial aus „Freies Wort“ vom 28. Februar 1983 inklusive Fotos von M. Schimmack, Karl-Heinz Frank sowie S. Störmer.