Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
„Zu guter Letzt“ - 30 Jahre Wacholder in Finsterwalde 16.2.2008 WACHOLDER neben den Folkländern, Brummtopf und Ougenweide, d i e deutsche Folk-Institution schlechthin. Viele verbinden mit den vom irischen Folk inspirierten Musikern eigene Interpretationen und intensiv prägnant klingende Stimmen. Mit solchen Liedern verknüpfte man tiefe Sehnsüchte nach anderen fremden Kulturen, die, verborgen hinter Mauern, Ozeanen und Inselklippen, unerreichbar für Augen und Ohren eines neugierigen DDR-Bürgers bleiben mussten. WACHOLDER wiederum knüpfte sich historische Liedertexte vor und veränderten sie so, wie sie meinten, heute gesungen werden zu können. So betrat man ab 1978 die Bühnen des kleinen Landes, sang deutsches Folks- Liedgut und würzte es kräftig mit genau jenen Zutaten, die man auch hinter Mauern, Ozeanen und Inselklippen benutzte. Das kam an und bescherte diesem Musikantenhaufen eine stetig wachsende Fan-Gemeinde, die jedes noch so winzige Detail der „DDR-Kelten“ gierig in sich aufsog. Wen also wundert es, wenn die nun endgültige Abschiedstour zum 30. Jubiläum der drei verbliebenen Vollblutmusikanten total ausverkauft und die Spielorte allerorten proppevoll sind, obgleich man inzwischen begonnen hatte, die Originale wie die Dubliners, Chieftains oder Clannad endlich live zu entdecken. Am gestrigen 16. Februar 2008 sah es im Brauhaus Radigk zu Finsterwalde nicht viel anders aus, als etwa in Halle, Mügeln oder Großenhain Tage zuvor auch. Die in die Jahre gekommenen Folk-Jünger treffen sich noch einmal, älter zwar an Jahren, doch aufmüpfig noch im Geiste, wie schon immer. Das hat uns einst verbunden und heute ist es auch noch so. Grund genug, sich bei Radigk einzufinden. Das erste Vinyl der Cottbuser Bau-Folk-Studenten erschien 1983 bei Amiga. In jenem Jahr sah ich sie in der heute legendären Fünferbesetzung auch zum ersten Mal live in ihrer Lausitz-Metropole. Später, in den frühen 1990ern, war ich ein zweites Mal dort, als sie gemeinsam mit der Schottischen Sands Family ein Konzert gaben. Finsterwalde ist also so etwas wie ein Heimspiel, denn MATTHIAS KIEßLING begrüßt den einen und die andere im Saal auch schon mal persönlich und mit Handschlag. Auf dem Bühnenpodest das „Handwerkszeug“ der drei Folkbarden: Gitarren, Akkordeon, Harmonika, diverse Flöten, Whistle, Mandoline, Bass, Löffel(!) und natürlich der Brummtopf. Ein stilvolles sowie stilles Bild, das zum Leben erweckt und zum Klingen animiert werden möchte. Das ist schon komisch: Man hat die Musik der Platten und Silberlinge im Ohr und mit dem ersten Song der allerersten LP beginnt auch diese Reise durch das Wacholder-Universum. „Es waren drei Gesellen“ ist „Zu guter Letzt“ so etwas wie ein Untertitel für eine musikalische Zeitreise, in die wir alle an diesem Abend entführt werden. Der geschrumpfte WACHOLDER, mit Scarlett O’ (Seeboldt), Matthias Kießling und Jörg Kokott, spielt uns all diese Klassiker, die wir natürlich auch hören wollen. Irgendwie fühle ich mich wieder versetzt in jene Zeiten, als musikalische und textliche Folklore auch als Transportmittel für harsche Kritik und Seitenhiebe an die Politik und manchen Grießgram im Leben waren. Man ließ überlieferte Texte gegenwärtig werden, um seinen Unmut Luft zu machen oder über die Borniertheit der Oberen lauthals und frei lachen zu können. Spätestens in solchen Momenten wird mir wieder bewusst, dass die Lieder all diese Jahre überstanden und an Aktualität gar nichts verloren haben. Leider, möchte man meinen, weil manchmal die „Sehnsucht nach Veränderung“, so der Titel eines bekannten DDR-Rock-Albums, in diesem kleinen Lande so unermesslich groß war und sich dann aber doch nichts tat! Dieser „Bettelvogt“ bekommt plötzlich ein bekanntes politisches Gesicht und der Schmerz vieler Mütter einen Namen. Solche Gedanken schießen mir durch den Kopf, während ich die deutsche Fassung von Eric Bogles’s „No Man’s Land“ genieße. Hannes Wader lässt grüßen. Natürlich kommt an so einem Abend auch der Humor nicht zu kurz. Etwa als Scarlett O’ die Mutation des Rum-Topfes hin zum Brummtopf süffisant zelebriert oder was es mit dem grünen Ei im Stricksack am Akkordeon auf sich hat. Scarlett O’ verteilt Seitenhiebe Richtung deutscher Leit(d)kultur und sieht sich dabei eins mit denen, die ihr zu Füßen oder auf den Bänken sitzen. Sie erlebt ein Publikum, das an ihren Worten förmlich klebt. An anderer Stelle erfahren wir, was eine alte Schallplatte aus Polen mit Irischer Musik von einer Australischen Band mit „Fiddler’s Green“ zu tun hatte und wie weit es von „Friday Night in San Francisco“ bis zu einem Provinzstädtchen in der Lausitz, namens Cottbus, aus musikalischer Sicht ist. Die dazugehörigen Lieder und Geschichten sind ausgewählte Perlen des immer noch Lausitzers Matthias „Kieß“ Kießling und seine Stimme ein unverwechselbares Gut hierzulande. Doch Folk-Music hat zuallererst auch eine fröhliche, ja gesellige Komponente. Das ist bei WACHOLDER nicht viel anders und deshalb haben wir auch eine Menge Freude an der Musik sowie am Mitsingen der vielen schönen Melodien. Wir bekommen noch einmal Goethe’s „Osterspaziergang“ live, skurril und a capella sowie viele schöne Klassiker für das FOLK, das lauthals und textsicher dabei ist: „Es, es, es und es“, „Lustig, lustig ihr lieben Brüder“, „Herr Wirt, so lösche unsre Brände“ und auch „Wieder zu Haus“. Der absolute Rausschmeißer und letzter Songs des Abends (nach vielen Zugaben) war dann zu guter Letzt „Der Abt“. Ein toller Konzertabend ist unwiederbringlich Vergangenheit und diese letzte (?) Tour bald Geschichte. Es hat wahnsinnig viel Spaß gemacht, die Lieder noch einmal live zu erleben und dem perfekten Klang der drei doch so unterschiedlichen Stimmen zu lauschen. Wie sagte der Braushauschef Radigk mit nur einem Satz: „Ihr werdet uns fehlen!“ Der Mann meinte es so, wie er sagte und er hat recht damit. Nachtrag 2018: In diesen Tagen hätte, so war es zumindest angedacht und auch gerüchteweise zu hören, eine Konzert-Tour zum 40. Bühnenjubiläum stattfinden sollen und können. Einige Veranstalter hatten sich schon eingerichtet, die ersten Termine waren geplant und die Fans ohnehin schon lange in Hochstimmung und voller Vorfreude. Doch aus irgendeinem Grunde wollte der Wacholder nicht noch einmal aufblühen und bewundert werden. Man muss es hinnehmen und dennoch es hätte noch einmal so schön werden können. Macht es doch einfach noch ein einziges Mal gemeinsam, auch ohne Jubiläum. Nur aus Spaß und dann von mir aus wirklich „Zu guter Letzt (Part Zwo)“!