Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
Volkmann im Dixiebahnhof Weixdorf 04.03.2011 Die populäre Musik ist in die Jahre, vielleicht sogar in die Jahrzehnte gekommen. Da wundert es nicht, wenn uns immer wieder und immer öfter Nachrichten erreichten, die wir eigentlich nicht hören wollen. Wenn in einer Band eine treibende Person oder ein kreativer Kopf nach oben abberufen wird, ist das immer auch ein schmerzhafter Einschnitt. Wird mit einem Schlag so eine künstlerische Gemeinschaft um die Hälfte reduziert, ist das verheerend und kann alles in Frage stellen. Mit dem viel zu frühen Tod von Reinhard „Mischwald“ Sonnenburg-Buchholz im Jahre 2007 ist diese Tragödie der PENSION VOLKMANN widerfahren. Seither ist die einladende Pension geschlossen und deren Lieder können uns nur noch aus der Konserve erreichen, leider. Die Lieder von Pension Volkmann gehörten in den 1980ern für mich zu den Lichtblicken, die einen Weg weit in die Zukunft weisen konnten, auch wenn ich das damals, wie vielleicht viele andere auch, noch nicht so bewusst wahrgenommen habe. Die Musik, angesiedelt zwischen Pop, Folk und „WeißnichtWas“, transportierten schon damals Botschaften, die zum Denken über den eigenen, und per Statut vorgegebenen, Horizont hinaus anregten, indem sie die gesellschaftlichen Zustände, Konflikte und stillen Unzulänglichkeiten spiegelten, sie zuweilen direkt aussprachen. Dort fand man sich wieder, fühlte sich eingebettet und aufgehoben und wagte gemeinsam mit der Musik auch das Denken über den Tellerrand DDR hinaus. Ein Blick, der oft mehr als nur Sehnsucht war. Aufgehoben in drei Vinyl-Alben ist dieser kleine Schatz inzwischen zum Erbgut der darauf folgenden Musikergenerationen geworden. In den Herzen der Fans sind die Songs ohnehin gut gespeichert, wie ich aus eigener Erfahrung weiß. „Satt zu essen und ’n Ausweis in der Tasche, der was gilt. Satt zu essen und ’ne Heimat, die dich nie für Fernweh schilt…“, klingt es in meinen Ohren. Doch die andere Hälfte wäre nicht Peter Butschke, wenn er die Ideale der Pension nicht weiter leben und fortführen würde. Kritische Blicke auf die Zustände, mahnende Worte und zuweilen auch einen leis’ oder laut gesungenen, oder auch gemalten, Aufschrei bräuchten wir heute mindestens ebenso, wie damals. Mehr noch, es ist wichtig, sich gegen die aufkeimende Ohnmacht und Lethargie Gehör zu verschaffen und genau danach, wie man das machen könnte, habe ich gesucht, als ich mich wieder einmal auf den Weg in den Weixdorfer Dixiebahnhof, im Norden von Dresden, mache. Ich möchte zur Volkmann Band. Keine Überraschung, da angekündigt, aber doch leises Erstaunen, hinterläßt die Dresdner Band SCHIMMELREITER, die den ersten Teil des Abends bestreiten darf. Die Musik der vier Herren, und einer Lady am Bass, schwingt irgendwo zwischen Indie-Pop und feinem Songwriter-Feeling und mir ist so, als wären auch (unbewusst?) eine Menge Anleihen aus den 60ern darunter gemischt. Besser hätte der Abend kaum starten können und wie sie in einem ihrer Songs singen, „Nimm’ deinen Stock, greif’ zu den Schuhen“, glaube ich, dass die vier Musiker einen interessanten Weg vor sich haben, den zu beobachten sich auf jeden Fall lohnt. Jedoch an diesem Abend sind all meine Sinne auf die Lieder von VOLKMANN ausgerichtet und darauf, mich auf die Fortsetzung der Pension zu konzentrieren. Umbaupause, Stimmungswechsel und Neugier. Dann steht er auf dem Podium: Peter Butschke, die verbliebene zweite Hälfte der PENSION VOLKMANN. Lang aufgeschossen, seine Struwelmähne, die nun auch schon grau ist, fest nach hinten gebunden. Stille und dann singt er tatsächlich gleich zu Beginn „Satt zu essen“. Mein Deja Vu ist perfekt! Der Mann hat nichts, aber auch gar nichts, von seiner Faszination eingebüßt und die filigran formulierten Worte auf die einprägsame Melodie wirken sofort wieder. Er sticht mir noch immer Emotionen pur in mein Herz, wenn er den „Sonntagmorgen“ besingt und „Nass wie Fische“ aus „Vollpension“ (1988) vorträgt. Er ist einer von denen, die mit der Stimme zaubern können und dabei verzaubern, einer, der dir die bissige Kommentare zur verlogenen Welt mit einem beinahe hintersinnigen Lächeln um die Ohren zu hauen vermag, damit du endlich aufwachst. „Ungeklärte Morde“ ist so ein Stück Musik, das zum Nachdenken verleiten will, indem er jedem, der es nicht wahrhaben will, einen Riesenspiegel vor die Nase stellt. Werteverschiebung als Kriminalpuzzle in geile Musik verpackt. Wenn man sich verleiten und verführen lassen möchte, sich auf Wortspielereien einlassen kann, dann ist „Spiel Tier mit mir“ eine gute Wahl. Wie Butschke mit den Worten und Assoziationen spielt, ist schlicht faszinierend. Darin war sein Wortefinder und Inhaltemaler WERNER KARMA schon immer ein großer Meister. Doch bei dieser Volkmann Band ist es wie bei der PENSION auch. Der Sänger ist Teil eines Ganzen und ohne seine drei Mitstreiter, ginge ein großer Teil von der Wirkung der Lieder verloren. Ihm steht mit JAN HAASLER ein junger Mann mit Gitarre zur Seite, der dezent aber sehr virtuos, ja beinahe im Hintergrund agiert. Dabei setzt er am laufenden Band kleine Akzente, die Butschke’s Interpretationen unterstützen, den Melodien immer wieder kleine Überraschungen über streifen. Die Hingucker sind FRANK GOHLKE an den Rhythmusinstrumenten, dem man die Unterstützung von Michael Behm anmerkt, sowie am Kontrabass JENS PETER KRUSE, der still, aber schelmisch mit seinem Instrument kokettiert und im Zusammenspiel mit dem „Klapper Klapper“ (geschriebener O-Ton von Gohlke) das Klangbild der Band zu einer filigranen Einheit fügt. So eine „Oma“ in einer Band ist an sich schon ein optischer Reiz, wenn dann aber einer sichtbar mit diesem Teil inniglich flirtet, macht das Hinsehen richtig Spaß und die Freude überträgt sich. VOLKMANN sind immer noch brandaktuell, ihre musikalischen Kommentare bissige, böse und zuweilen in schallende Backpfeifen verpackte Signale in Richtung Demokratie und schöne Welt. Wer nun wissen möchte, wie sich konzentriertes und symbolträchtiges Zusammenfalten einer Zeitung als schmissiger Song anhört, muss seine Ohren für ein musikalisches „Bild“ öffnen. Da bemerke ich zufrieden, dass diese Musik noch immer nicht den Biss verloren hat und dieses Gefühl tut gut. Die Volkmann Band entführt uns in die Seitenstraßen und zweiten Hinterhöfe. So wie einst auch, treffen wir dort die etwas anderen Typen und das Leben der anderen wie bei „Sehnsucht macht Müll“. In meinen Ohren klingen Zeilen wie „Die Sehnsucht der Trinker formt die Natur“ wie entzauberte Lügen. Als beißende Metapher hat sich „Die Sehnsucht nach Frieden und nach Freiheit macht, dass wir gute Bürger sind“ in meine Gehörgänge eingebrannt. Wahrheiten, die wohl so manch’ zufriedener braver Bürger nicht gern hören mag, weil sie eben unangenehm waren oder sind und so gar nichts von Friede, Freude, Eierkuchen haben. Für so manchen in die Jahre gekommenen anwesenden Fan spielt PETER BUTSCHKE noch einmal „Die Gefühle“ von 1985, um uns dann doch wieder mit bissigen Vergleichen - „Der Speichellecker macht Kinder, die lecken“ - vom Song „Kinder machen“ in die Gegenwart zurück holt. Zum Ende des Abends dann noch eine dezente und gefühlvolle Erinnerung an einen, den sie „Mischwald“ nannten, weil er in frühen Jahren als Reinhard Buchholz mit einer Dame namens Birkholz (nein, nicht Bürkholz) Lieder sang. Die musikalische Hommage heißt denn auch „Mischwald“ und erinnert an den einfühlsamen und virtuosen Gitarristen, Menschen und Wegbegleiter von Peter Butschke bei PENSION VOLKMANN. Diesen Abend sauge ich auf, wie selten einen. Da sprüht bei VOLKMANN die Energie und mir selbst bietet sich wieder Mal die Gelegenheit, einen großen Bogen über mein eigene Leben zu schlagen, die Bilder und Assoziationen im Hinterkopf zu genießen. Musik ist eben nicht nur das Bewundern von Idolen, sondern auch Nachdenken und Verinnerlichen dessen, was uns so mancher unserer Helden mitteilen wollte und wieder möchte. „Satt zu essen…“, dafür würde ich mich heute und hier nicht vorbehaltlos verbürgen wollen und der geltende Ausweis ist vielen inzwischen auch wieder nur’n Blatt Papier oder eingeschweißte Pappe, auf der letztlich nur Worthülsen gespeichert sind. Klar haben wir jetzt andere Zeiten, keine Frage, aber die ändern sich immer mal wieder, wusste schon Bob Dylan zu singen, und wir selbst haben es im eigenen Lande erlebt, ob wir nun wollten oder nicht. Wir können also Hoffnung haben und Abende wie diese sind Hoffnungsschwimmer, die Mut machen, die Kraft und Zuversicht spenden!