Von Plessa zu den Unterwellenborn-Sessions
07.09.2017
Vom langen steinigen Weg, den man gehen muss, um historische Kulturhäuser zu retten.
Die Vorgeschichte:
V
on
meinem
7.
bis
zum
14.
Lebensjahr
(von
1957
bis
1964)
„durfte“
ich
den
Geigenunterricht
in
der
Musikschule
„genießen“.
Dies
war
meine
erste
tiefe
Erfahrung
mit
Musik,
ehe
ich
autodidaktisch
auf
die
Gitarre
umsattelte.
In
jene
Tage
fällt
auch
eine
Klassenfahrt
nach
Berlin
mit
einem
Besuch
des
damaligen
Metropoltheaters,
dem
heutigen
Admiralspalast.
Man
spielte
uns
„Die
lustige
Witwe“
von
Franz
Lehar
und
ich
war
innerlich
ergriffen.
Diese
Art
Musikerlebnisse
in
der
POS
(Polytechnische
Oberschule)
sollten
sich
auch
während
der
Pennezeit,
also
an
der
EOS
(Erweiterten Oberschule), sprich Gymnasium, fortsetzen.
Per
Anrecht
ging
es
regelmäßig
mit
dem
Bus
in
das
Nachbardörfchen
Plessa,
wo
die
Landesbühnen
Sachsen
und
das
Theater
Senftenberg
nebst
Orchester
ihr
klassisches
Repertoire,
in
Ergänzung
zum
Musikunterricht
der
interessierten
Schülerschar
darboten.
Dafür
nutzte
man
das
Kulturhaus
in
Plessa,
das
auf
Wunsch
von
Braunkohlenwerk,
Kraftwerk
und
Landwirtschaft
gebaut
wurde.
Träger
war
dann
bis
zur
Wende
das
Braunkohlenkombinat.
Ein
wuchtiger
Monumentalbau,
der
die
„Kultur
aufs
Land“
bringen
sollte
und
brachte.
Im
Nachhinein
darf
man
durchaus
resümieren,
dass
es
gut
funktioniert
hat
und
mein
Musikverständnis
heute
ein
anderes
wäre,
hätte
es
dieses
Kulturhaus
in
Plessa
auf
dem
Lande
nicht
gegeben.
Selbst
noch
nach
der
Penne
(und
der
Fahne)
war
dies
ein
Ort,
wo
gute
(Rock)Musik
und
andere Künste, für jedermann nutzbar, ein Zuhause hatten.
Diese
mehr
als
2.000
Kulturhäuser
in
der
DDR
waren
vor
allem
auch
ein
Platz
für
gemeinsame
Aktivitäten,
geselliges
Miteinander,
statt
sich,
wie
heutzutage
in
Ermangelung
von
Kulturhäusern
und
Jugendklubs
üblich,
vor
die
überdimensionalen
Flachbildschirme
mit
schaler
Billigunterhaltung
ins
Private
zurückzuziehen,
soziale
Kontakte
oft
auf
Facebook
&
Co.
zu
beschränken
oder
im
Park,
mit
einer
Flasche
in
der
Hand,
zu
„pflegen“,
während
der
Staat
wegschaut.
So
ein
Kulturhaus
war
mehrheitlich
der
soziale
Mittelpunkt
einer
Gemeinde
oder
Stadt,
einer
Kommune
im
buchstäblichen Sinn.
Über
die
wuchtige
Architektur
mancher
Häuser
hat
sich
niemand
Gedanken
gemacht.
Jeder
nutzte
die
Angebote
zwischen
Gastronomie
und
der
Kulturarbeit.
An
den
Wochenenden
tobte
im
großen
Saal
der
Jugendtanz.
Dort
rockte
ich
zur
Musik
der
Bürkholz
Formation,
von
Uve
Schikora
und
von
den
Puhdys,
lange
bevor
die
eine
offizielle
Namensgebung
datierten.
Dass
ich
dort
eine
Dekade
später
selbst
Rock-Konzerte
auf
die
Bühne
bringen
würde,
habe
ich
einzig
Walter
Kotte,
dem
Chef
des
Kulturhauses
zu
verdanken.
Der
ließ
mich
mit
Freunden
gewähren.
Wir
alle
hatten
eine
Menge
Spaß
bei
Konzerten
mit
Diestelmann,
Biebl,
Pankow,
Neumi’s
Rock-Zirkus
oder
der
Stern
Combo
Meissen.
So
ein
Haus
war der Treffpunkt aller und nicht nur der Dorfjugend.
Nach
der
Wende
sorgte
ein
anderer
dafür,
dass
meine
Beziehungen
zur
alten
Hütte
lebendig
blieben.
Pierre
Wilhelm,
dessen
Großvater
Erich
Wilhelm
dem
Orchester
der
Bergarbeiter
vorstand,
gehörte
zu
jenen
Bürgern
in
Plessa,
die
sich
früh
gegen
einen
Abriss
wehrten
und
ihr
Haus
einer
neuen
Nutzung
zuführen
wollten.
Man
gründete
einen
Verein,
holte
sich
Künstler,
und
damit
Verbündete,
wie
Ludwig
Güttler
nach
Plessa
und
begann,
die
Politiker
beim
Wort
sowie
ihrer
Verantwortung zu nehmen und so Druck aufzubauen.
Heute
weiß
ich
nicht
mehr,
wie
genau
Pierre
mich
aufgespürt
hat,
doch
ehe
ich
zur
Besinnung
kam,
war
ich
Teil
eines
Teams,
das
mit
dem
Pop-Poeten
Ruben
Wittchow
aus
Potsdam
die
CD
„Weites
Land“
aufnahm
und
mit
der
5-Nationen-
Band
Rue
Lascar
eine
Reise
durch
die
Lausitz
zum
Kulturhaus
Plessa
dokumentierte.
Es
entstanden
ein
Film
und
eine
CD,
live
aufgenommen
im
großen
Saal
des
Hauses.
Beide
Male
saß
Jörg
Zinke
vom
Studio
Showcase
Potsdam
an
den
Reglern
und
jedes
Mal
durfte
ich
als
stiller
Beobachter
und
schreibender
Chronist
dabei
sein.
Auch
wenn
ich
inzwischen
nicht
mehr
in
der
Region
lebe,
verbindet
mich
noch
immer
eine
lange
Leine
mit
Pierre,
meiner
alten
Hütte
in
Plessa
und
der
Idee,
diese
schönen
historischen
Kulturstätten
und
Zeitzeugen
aus
Stein
nicht
dem
Verfall
zu
überlassen.
Nur
weil
sie
auch
einen
Teil
von
DDR-Kulturpolitik
repräsentieren,
sind
sie
dennoch
und
vordergründig
erst
einmal
kulturelles
Gut
der
Menschen
jener
Tage,
die
Angebote
aktiv
nutzten,
in
ihnen
Kultur
und
Kunst
lebten
und
erlebten.
In
allen
ostdeutschen
Ländern
stehen
noch
solche
Häuser,
einige
davon
dem
Verfall
preisgegeben,
ohne
Schutz
und
oft
ohne
einen
Förderer.
Herausragend
ist
der
große
Kulturpalast
in
Unterwellenborn,
mit
seiner
Architektur,
Ausstattung
und
Zustand einzigartig in Deutschland, ja in ganz Europa!
Während
in
Plessa
im
Rahmen
einer
umfangreichen
Sanierung
(u.a.
Dank
des
heutigen
Bundespräsidenten,
Axel
Prahl
u.v.a.)
inzwischen
ein
neues
Dach
die
Bausubstanz
des
Kulturhauses
schützt
und
darunter
sich
das
Leben
weiter
entwickeln
kann,
kämpfen
engagierte
Bürger
in
Unterwellenborn
immer
noch
darum,
dass
ihr
stolzer
Kulturpalast
diesen
dringend
notwendigen
Schutz
so
schnell
wie
möglich
bekommt.
Sie
nutzen
dafür
auch
die
vielfältigen
Erfahrungen,
die
man
in
Plessa
in
den
vielen
Jahren
zähen
Ringens
sammeln
konnte.
Man
nutzt
deren
entstandene
Netzwerke
und
ein
Projekt
von
Jörg
Zinke
und
Pierre
Wilhelm,
mit
der
Musik
junger
Künstler
Aufmerksamkeit
zu
erzielen.
Sowohl
die
Aufnahmen
mit
Ruben
Wittchow,
als
auch
die
mit
Rue
Lascar,
entstanden
unter
Live-Bedingungen
im
Saal
des
Kulturhauses
Plessa
zeugen
davon.
Aber
auch
das
Gundermann-Projekt
„Gundis
Lieder
–
Gundis
Themen,
eine
Doppel-CD,
die
vor
gleichem
Hintergrund
mit
einigen
sehr
unterschiedlichen
Künstlern
produziert
wurde,
ist
ein
Schritt
in
diese
Richtung.
Für
die
Musiker,
das
weiß
ich
aus
eigener
Anschauung,
war
es
jedes
Mal
eine
sehr
intensive
Erfahrung und seltene Herausforderung.
Nun
gibt
es
ein
weiteres
Tondokument,
ein
neues
Puzzleteil
und
diesmal
geht
es
um
Unterstützung
für
das
Haus
in
Unterwellenborn.
Dem
Musiker
Lukas
Natschinski,
ein
Gitarren-
und
Klaviervirtuose
und
zudem
jüngster
Sohn
des
Komponistengenies
Gerd
Natschinski,
ist
dieser
Ort
von
Jörg
Zinke
bewusst
vorgeschlagen
worden.
Pierre
Wilhelm
hatte
Jörg
Zinke
auf
den
Kulturpalast
aufmerksam
gemacht.
In
dessen
großen
Saal
gibt
es
einen
einmaligen
Raumklang,
denn
Fußböden
und
Decken
wurden
aus
Holz
gefertigt
und
die
Wände
sind
trapezförmig
angewinkelt.
Beinahe
wie
in
einem
Aufnahme-Studio.
Das
ist
intelligent
gebaut
und
in
Kombination
mit
der
architektonischen
Gestaltungshöhe
des
prächtigen
Baus
einmalig
in
ganz
Europa.
Das
klangliche
Endergebnis
der
„Unterwellenborn
Sessions“
(2017)
ist
daher
auch besonders filigran und intensiv. Ich habe mich davon überzeugt:
Das Album: Lukas Natschinski „Unterwellenborn Sessions“
(2017)
1. Guitar / 2. Revelation /
3. Csàrdàs / 4. Sunny /
5. La Campanella / 6. Mary /
7. Der Mann, der mir gefällt /
8. Hummelflug / 9. Isn’t She Lovely /
10. What A Wonderful World
Für
die
„Unterwellenborn
Sessions“
hat
sich
LUKAS
NATSCHINSKI
mit
Band
einige
populäre
Standards
aus
dem
Feld
zwischen
Klassik
und
Pop
ausgewählt
und
mit
zwei
Kompositionen
aus
eigener
Feder
ergänzt.
Es
ist
eine
fast
angenehm
relaxte
Jazz-
und
Pop-Mixtur
entstanden,
der
sich
auch
eher
„ungeübte“
Ohren
leicht
nähern
und
Freude
empfinden
können.
Schon
das
einführende
Stück
„Guitar“,
eine
Komposition
von
Lukas
Natschinski,
stimmt
auf
das
Gesamtwerk
ein.
Über
den
treibenden
Beats
demonstriert
der
Künstler,
wie
locker
und
verspielt
eine
Jazz-Gitarre
in
nur
knapp
vier
Minuten
zu
verzaubern
vermag.
Ebenso
entspannt,
nur
diesmal
deutlich
mehr
mit
Jazz-Elementen
auf
Gitarre
und
Piano
angereichert,
demonstriert
er
leicht
und
verspielt
mit
„Revelation“
seinen
eigenen
Stil.
Wer
genau
hinhört,
kann
das
Motiv
von
„Isn’t
She
Lovely“
schon
erkennen,
das
zum
Schluss
auch
vollständig
als
Song
zu
hören
sein
wird.
Sehr
entspannend
und
genussvoll
sind
diese
sieben
Minuten
durchgestaltet,
ohne
dass
auch
nur
ein
Hauch
von
Dehnung
oder
Langeweile
entstehen
könnte.
Richtig
Freude
kommt
dann
bei
“Csàrdàs“
auf.
Die
wohl
bekannteste
Komposition
des
Italieners
Vittorio
Monti,
wird
von
LUKAS
NATSCHINSKI
hier
leicht
und
locker
neu
„verjazzt“
interpretiert.
Mit
„Sunny“
(1966)
von
Bobby
Hebb
ist
ein
wirklicher
Evergreen
auf
die
Scheibe
gelangt
und,
was
kaum
möglich
scheint,
Natschinski
kann
dem
Song
einige
neue
interessante
Facetten
hinzufügen
und
der
Gesang
von
ANNELIE
SCHREIBER
bleibt
nah
am
Soul-Feeling,
sehr
dezent
und
fast
ein
wenig
cool
auf
mich
wirkend.
Wundervoll
ausgestaltet
faszinieren
die
solistischen
Ausflüge
von
LUKAS
NATSCHINSKI
auf
seiner
Gitarre.
Fast
schon
hitverdächtig,
wie
er
auf
dem
Klavier
mit
„La
Campanella“
(Glöckchen)
von
Franz
Liszt
umgeht
und
nach
einem
schwelgerisch
ausladende
freien
Teil
wieder
zum
Thema
zurückfindet,
um
anschließend
mit
„Mary“,
dem
zweiten
eigenen
Werk,
zunächst
einen
Ruhepunkt
zu
setzen.
Wohl
als
Erinnerung
an
seinen
2015
verstorbenen
Vater
ist
„Der
Mann,
der
mir
gefällt“
gedacht,
eine
Nummer,
die
der
Sohn,
dem
Ausdruck
dieses
Albums
entsprechend,
neu
bearbeitet
hat.
Ein
weiteres
populäres
Thema
taucht
mit
dem
„Hummelflug“
auf
und
auch
diesmal
überrascht
NATSCHINSKI
mit
seinem
ideenreichen
Spiel
am
Piano
und
auf
den
Gitarrensaiten,
dass
beide
Male
aus
dem
Klassiker
eine
sehr
moderne
flinke
„Jazz-Hummel“
werden
lässt.
Für
mich
sind
diese
fast
sechseinhalb
Minuten
der
absolute
Höhepunkt
dieses
Albums.
Da
kann
auch
die
Stevie
Wonder–Nummer
„Isn’t
She
Lovely“,
nun
in
voller
Länge
und
Schönheit,
mit
ihrem
leichten
Swing-Touch
nicht
mehr
ran,
obwohl
Musik
und
Text
ausgesprochen
gut
zum
Liebreiz
des
Hauses
passen,
den
der
Kulturpalast
in
einem
zugehörigen
Youtube-Video
ausstrahlt.
Zum
Ausklang
gibt
es
eine
entschleunigende
Version
des
Welthits
„What
A
Wonderful
World“
und
danach
habe
ich
das
Gefühl,
dass
das
Album
viel
zu
kurz
geraten
ist,
denn
von
diesem
so
einfalls-
und
abwechslungsreichen
Piano-
bzw.
Gitarrenspiel
kann
man,
in
der
richtigen
Stimmung,
eigentlich
nicht
genug
bekommen.
Klasse
Album,
dem
man
den
besonderen
Raumklang
auch
zu
Hause
anmerkt.
Diese
zehn
filigran
eingespielten
und
sehr
ideenreich
arrangierten
Songs
machen
in
jeder
Sekunde
genau
den
Hörgenuss,
den
man
sich
von
einer
Session
erhofft
–
spannend,
unterhaltsam
und
auf
höchstem
Niveau
abwechslungsreich
gespielt.
Nicht
zu
vergessen,
das
äußerst
liebevoll
und
sehr
ansprechend
gestaltete
28-seitige
(!)
Booklet
in
Bildbandmanier,
das
noch
einmal
mit
vielen
Informationen
zum
„Projekt
Kulturpalast“
aufwartet
und
das
Anliegen,
dem
damit
Ausdruck
verliehen
wird,
mit
wenigen
treffenden
Worten
zu
erläutern
vermag.
Vom
Begriff
„Jazz“
sollte
sich
der
Interessent
nicht
abschrecken
lassen,
denn
die
Scheibe
bietet
die
vielleicht beste Pop-Musik, die man sich idealer Weise heutzutage vorstellen kann. Kaufen, eintauchen und staunen!
Diese
„Unterwellenborn
Sessions“
wollen
ausdrücken,
wohin
sich
eine
sanierte
Kulturstätte
entwickeln
soll,
nämlich
zu
einem
Ort
für
alle,
die
sich
künstlerisch
beschäftigen
und
ausdrücken
möchten.
Das
ist
besonders
wichtig
in
bewegten
Zeiten,
wie
den
unseren.
Integration
funktioniert
nicht
am
Stadtrand,
vom
sozialen
Leben
abgeschirmt,
sondern
nur
im
lebendigen
achtungsvollen
Miteinander.
Das
braucht
neben
finanzieller
Ausstattung
auch
Orte,
wo
die
technischen
und
sozialen
Voraussetzungen
dafür
zu
finden
sind.
Wo
man
aufeinander
neugierig
ist,
wo
man
miteinander
etwas
erleben
und
erreichen
will,
haben
Konfrontation
und
Hass
weniger
Chancen,
sollte
die
Botschaft
heißen.
Deshalb
wird
es
am
10.
September
in
diesem
Haus
ein
drittes
Friedenskonzert
geben,
bei
dem
auch
der
Jazz-Musiker
LUKAS
NATSCHINSKI
dabei sein wird.
Am
Vorabend
(9.9.17)
gibt
es
erstmals
in
62
Jahren
Kulturpalast-Geschichte
eine
sogenannte
Record
Release
Party
zu
„Unterwellenborn Sessions“, bei der LUKAS NATSCHINSKI mit seiner Musik aus diesem Album live zu erleben sein wird.
Es
lohnt
sich
also,
dort
in
Unterwellenborn
dabei
zu
sein.
Um
das
Haus
zu
bestaunen
und
gute
Musik
zu
hören,
gsam,
mit
Freunden,
Gleichgesinnten
und
neugierigen
Menschen.
Für
eine
neue
Zukunft,
für
ein
zweites
Leben
des
Kulturpalastes
Unterwellenborn
und
gleichwohl
für
ein
friedliches
und
schöpferisches
Miteinander
der
Kulturen.
Musik
kann diese Barrieren auf spielerische Weise leicht überwinden, heißt die Botschaft.