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lla Meinecke & Band live im Kreuzgang
09.06.2018
Der in der DDR Geborene, in den 1960er Jahren Teenager und die 1970er musikalisch als Twen erlebt und hier auch
sozialisiert worden, hat natürlich auch Rias & Co. gehört sowie auf West-Platten gelauert. Meine Erinnerungen können
das bezeugen. Allerdings hießen meine (west)deutschen Favoriten eher Can und Tangerine Dream, als etwa
Gröhnemeyer oder Lindenberg, Ausnahme „Galaxo Gang“ (1976). Deshalb ist auch die neudeutsche Welle an mir
vorüber geschwappt, hat mich nicht beeindruckt und kaum ein Spritzer blieb an mir haften. Doch 1983, wir tummelten
uns abends in der kleinen „STUBE“ von Elsterwerda, unserem Self-Made-Club, da überraschten mich die Stakkato-
Klänge eines Keyboards und eine Stimme, die irgendwie ganz anders daher kam. „Die Tänzerin“ und ULLA MEINECKE
sprühten mit Atmosphäre „nur so um sich und trafen mich“. Dass ich jemals eines ihrer Konzerte besuchen und „Die
Tänzerin“ live erleben würde, daran habe ich in jenen Tagen keinen Gedanken verschwendet und auch nach der
Zeitenwende kam mir das nicht in den Sinn. Bis vor wenigen Tagen, da schaute sie von einem Plakat in der Stadt und
ganz langsam reifte ein Gedanke. Die Liebfrauenkirche am Domplatz ist gut zu Fuß erreichbar. Genau das, was ich gern
gegen mindestens drei Stunden Autofahrt (und wieder zurück) eintausche. Ein langes Jahr kann viel verändern: Die
Lust, zu reisen und auch die Prioritäten.
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Seit Tagen ist es drückend schwül und beinahe jede Bewegung eine schweißtreibende Angelegenheit. Zwischen den
alten Mauern im Kreuzgang jedoch, gibt es Schatten und daher Schutz. Hier steht eine Bühne auf dem Rasen und die
Klappstühle davor beginnen, sich zu füllen. Auf einem dieser Holzstühle sitze ich und hoffe, sie möge bitte auch „Die
Tänzerin“ vorführen, damit sich wieder ein Kreis schließt. Man nennt sie die „Grande Dame poetischer deutscher
Popmusik“, habe ich gelesen und heute hat sie Gelegenheit, mir zu beweisen, dass es stimmt. Deshalb bin ich hier und
neugierig.
Der Erste auf der Bühne ist REINMAR HENSCHKE. Seinen Tasten entlockt er ein Sound-Entreè, das ich mit seiner Nähe
zu Pink Floyd-Klängen so nicht zu erwartet habe. Zu dem alten Gemäuer passt dieses Grummeln und Zerren jedenfalls
wunderbar und das scheint sich diese Klänge zuzuspielen. Als wenig später INGO YORK seine Gitarre zupft, hat dieser
Ort plötzlich eine neue Aura. ULLA MEINECKE singt „Geh mir aus dem Licht“ (2002) und deshalb ich stehe auf, um sie
besser sehen zu können. Da vorn groovt und swingt es zwischen Piano und Gitarre und eine Stimme, wie weicher Samt,
fängt mich ein, sie umhüllt mich, wie der leichte Hauch eines Gewandes. Sie singt von den „Süßen Sünden“ und vom
„Hafencafè“ (sowie den Emigranten). INGO YORK lässt seine Bass-Saiten dazu surren und singen, die Tasten von
REINMAR HENSCHKE spielen parallel mit. Mich fesselt das Zusammenspiel, ich lasse mich fallen und plötzlich entsteht
aus dem Spiel so eine steinalte Weise und leise summe ich das Zitat von „Happy Together“ (Turtles, 1967) mit. Von jetzt
auf gleich lande ich völlig unvorbereitet in der Musik meiner Jugend. Das ist wirklich toll gemacht!
Ja, ich war skeptisch, als ich diese Entscheidung traf, aber ich brauchte etwas, das mich diesem Alltag entziehen konnte.
Genau das haben die drei Musiker nach wenigen Minuten erreicht. Diese Lieder sind zum Entspannen gut geeignet,
fordern zum genauen Hinhören auf und die Grande Dame verknüpft sie mit sehr persönlichen unterhaltsam-ironische
Sätzen, fast kleinen Erzählungen, miteinander. Da ist die Sache mit dem „Anti-Aging“ und der Katzenklappe im U-Boot,
die feinsinnigen Humor beweist und ein durchaus ernst gemeinter Hinweis, dass der Hinduismus manchmal gar nicht so
schlecht wäre, wenn der zustande bringen könnte, dass ein gewisser Neu-Nazi vielleicht als Bauerntochter in Bengla
Desh eine Wiedergeburt haben könnte. So viel Sarkasmus, so zart und tiefsinnig dargeboten, erfreut meine Sinne
zusätzlich zum „Star Of The County Down“ oder zu „Handle With Care“, als Hommage für Tom Petty (Travelin’
Wilburys).
Den Multi-Instrumentalisten an der Seite der MEINECKE nahm ich das erste Mal zur „Werkstattwoche der
Jugendtanzmusik“ 1983 in Suhl in der jungen Formation Rockhaus, als Vorband der Puhdys, wahr. Nach der Wende ging
er nach New York, wo er 14 Jahre lebte. Mit frischen Anregungen und neuen Erfahrung kam er zurück. Heute erlebe ich
INGO YORK als begnadeten Musiker mit Bass und Gitarre sowie eigenem Stil, die Saiten klingen zu lassen. Den Mann an
den Tasten, REINMAR HENSCHKE, sah ich mehrmals live an der Seite von Barbara Kellerbauer. Die Beiden verschaffen
dem Konzertbesucher das Gefühl, einem kleinen Orchester zu lauschen, das sich in ganz unterschiedliche Songs
einzufühlen vermag. So klingt Bruce Hornsby’s „The Way It Is“ im Kreuzgang als „Das war schon immer so (doch wer
will schon, dass es so bleibt)“ und Paul Simon’s „Fifty Ways To Leave You Lover“ als „50 Tips (ihn zu verlassen)“ in
Versionen von ULLA MEINECKE. Auch einen Song von Tom Waits hat sich die Dame ausgesucht – „Grapefruit Moon“ –
sowie eine Inspiration aus Tom Sayer zu „Wer will schon Becky Thatcher sein“ verarbeitet. Man muss schon verdammt
genau hinhören, wenn man all das in seiner Vielfalt und der poetischen Dichte genießen möchte. Sie haut nicht drauf,
sie umzingelt das Problem oder die Erkenntnis, um sie dann, skurril oder liebevoll verpackt, darzubieten.
Mit ihrer Musik berührt sie mich im Laufe des Abends immer tiefer, mit ihrem Wortwitz begeistert sie mich. Sie singt
„Wenn zwei zueinander passen“ und philosophiert darüber, einem ersehnten Wunsch nachzujagen: „Bedenke, was du
dir wünschst. Es könnte Dir gewährt werden.“ Noch ehe ich über den tieferen Sinn nachdenken kann, beginnt ein
wohlbekannter Rhythmus zu ticken. Die Stakkato-Akkorde der Tasten pendeln zwischen den dicken Mauern und „Die
Tänzerin“ beginnt ihre Abschiedvorstellung. Da geht mir doch tatsächlich ein Wunsch in Erfüllung und gedanklich sehe
ich mich noch einmal durch die „STUBE“ in Elsterwerda „schweben“. Spätestens jetzt weiß ich, dass es ein kleines Glück
ist, dieses Konzert in diesem Ambiente zu genießen. Ganz zum Schluss erinnert sie noch daran, dass es Udo L. war, der
ihr einst eine Chance gab, ihren persönlichen Traum vom Musikmachen zu verwirklichen. Am Entstehen von „Bis ans
Ende der Welt“ war sie damals beteiligt und genau den singt sie uns quasi als Abschied.
Mein Weg nach Hause dauert diesmal nicht Stunden, sondern nur wenige Minuten. Das reicht gerade, um ein wenig
runterzukommen und die Emotionen auspendeln zu lassen. Ich habe ULLA MEINECKE gesehen und bin noch immer
begeistert. Sie und ihre Band haben es wirklich geschafft! Danke für die Möglichkeit, teilnehmen und fotografieren zu
dürfen.