Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
Trio Benares – Klänge zwischen Asien und Europa 12.11.2017 Es ist Herbst da draußen und in meinem Leben auch. Es ist Erntezeit. Im übertragenen Sinne auch bei mir, in meinem Leben. Ich ernte aus einem Korb, angefüllt mit den unterschiedlichsten musikalischen Erfahrungen und Hörerlebnissen, die ich im Leben erfahren durfte. Ich war niemals nur Beatles- oder Stones-Fan, niemals nur folk- oder heavy-orientiert, wollte nicht nur Renft und ja nicht Puhdys hören und ich war auch nie ein reiner Blues-Kunde und auch nie dem Jazz oder Soul abgewandt. Stets habe ich versucht, mir alle Optionen, Musik zu inhalieren, offen zu lassen. Je mehr, desto besser. Kann sein, das ist einer der Gründe, warum ich die 1960er & 70er Jahre als ungewöhnlich innovativ und ebenso experimentierfreudig empfinde, ich mit so mancher Modeströmung einfach nichts anzufangen weiß. Dieses Gefühl habe ich immer noch und musikalisches Gleichmaß sowie sture Gewohnheit gehen mir auf den Keks. Seit ich im Harz lebe und im Herbst des Lebens angekommen bin, entdecke ich auch die Vielfalt und Nähe wieder mehr für mich. Es sind die mir unbekannten Namen und Projekte, mit denen es sich gut gegen früh aufkommende Dunkelheit und feuchtes Schmuddelwetter ankämpfen lässt. Die Wärme von Rhythmen und Klängen auch körperlich zu spüren, kann so etwas wie Medizin sein. Man nehme sich die Rhythmen zweier Tablas, den Klang einer Sitar und die Töne eines Saxophons, um zu entspannen. Die richtige Mischung macht es und die heißt heute am Abend BENARES. Vor mir, in einem Nebenraum vom Stübchen der Festung Mark, liegen, zum Greifen nah, Instrumente auf einem niedrigen Podest: Sitar, Tabla und Saxophon sowie drei Mikrofone. Nichts sonst, wenn man einmal von der matten Beleuchtung absieht, was auf ein besonderes Musikereignis hindeuten könnte. Doch spätestens nachdem der Macher hinter der Konzertreihe „Freie Klänge“, Warnfried Altmann, die Gäste des heutigen Abends angekündigt hat, wird das Besondere auch optisch deutlich. Wann sieht man schon mal einen Musiker in indischer Kleidung auf die Bühne kommen? Ich jedenfalls hatte nicht die Chance, Ravi Shankar live zu erleben und genau daran muss ich denken, als die Musiker vom Trio BENARES das Podium betreten. Irgendwie schwebe ich erwartungsvoll zwischen „Norwegian Wood“ und „The Inner Light“, endlich den Klang einer Sitar live aus allernächster Nähe erleben. Vielleicht auf eine Reise gehen, hinein in eine Zwischenwelt von klassischer indischer Musik und europäischem Jazz, verbunden nur im freien Spiel, der Improvisation, als einziges formales Bindeglied. Ich bin neugierig. Als das Saxofon die ersten schnellen heißen Töne in den Raum bläst, fühlt sich alles für mich normal und gewohnt an. Doch schon Sekunden später greifen Sitar und die Tablas die kleine Melodieschleife auf und plötzlich entsteht eine völlig andere Klangwelt, in der orientalische Rhythmen und exotische Klänge dominieren und leicht zu schweben scheinen. Immer dann, wenn sich Saxophon und Sitar in der Ursprungsmelodie treffen, wird daraus ein wilder heftiger Tanz und ich, ganz da vorn sitzend, bin mittendrin, werde einfach nur mitgerissen. Zumindest fühlt es sich für mich fünf Minuten lang so an und dann wird hinter mir begeistert in die Hände geklatscht. Mir aber ist einfach nur nach Staunen. Ganz rechts vorn sitzt ROGER HANSCHEL, einer der rhythmisch außergewöhnlichsten und wohl auch exzellentesten Saxophonisten, sagt Warnfried Altmann, selbst eine brilliante Musikerpersönlichkeit, zur Einführung. Wenn ein Saxophonist einen Kollegen derart überschwänglich lobt, sollte man beim Spiel sehr genau hinsehen und -hören. Der widmete sein Stück „Charlie’s Reverberations“ Charlie Mariano, einem anderen Großen auf diesem Instrument und wieder geschieht Erstaunliches. Diesmal eröffnet die Sitar, ich fühle mich in frühe Jahre versetzt, als alles Fremde neu war und träume diesen Klängen voller Zauber hinterher. Langsam steigt das warme weiche Spiel des Saxophones, ähnlich einem Riff, in dieses Spiel ein und die Tablas treiben beide rhythmisch an. Ein Klangeflecht entsteht, in dem die ursprüngliche Idee immer wieder mal und neu auftaucht. Es ist ein faszinierendes Miteinander ganz unterschiedlicher Musizierauffassungen, in die man eintauchen kann, wie in den Wirlpool mit warmen Entspannungsdämpfen. Meine Füße wippen und meine Gedanken schweifen fern, irgendwo und weit weg. Diese Musik ist Balsam für die Seele und mich macht sie auf wundersame Weise leicht und sehr sensibel für den Zauber einer fremden Kultur. Diese Art von Musik treibt mir ein staunendes Lächeln ins Gesicht. Vor mir, in der Mitte des Podiums, sitzt DEOBRAT MISHRA, Sitar-Spieler in elfter (!) Generation einer Musikerdynastie, deren Ursprünge sich fünfhundert (!!) Jahre zurück nachweisen lassen, erfahre ich nach dem Konzert. Zunächst lausche ich nur dem Klang einer alten indischen Weise, die der Meister den Saiten seiner Sitar entlockt. Neben ihm sein Neffe PRASHANT MISHRA, der auf zwei Tablas spielerisch Rhythmen erzeugt und das Spiel der Sitar antreibt. Beide scheinen miteinander zu verschmelzen und kommen selbst in komplizierter Rhythmik nicht aus diesen federleicht gespielten orientalischen Melodiebögen heraus. Während ich darin versinken möchte, wird mir gleichzeitig gewusst, dass vieles in meinen Erfahrungen, die Musik betreffend, neu aus- und eingerichtet werden muss. Man sollte niemals glauben, schon viel gehört zu haben. Vor mir öffnet sich gerade ein Tor zu einem völlig anderen Universum und ich stehe bei Null! Wieder einmal und trotz „Within You Without You“ (Beatles). Wenn man eine Schublade bräuchte, dann wäre „Weltmusik“ die passende. Dass da vorn mit ROGER HANSCHEL ein lupenreiner Jazz-Musiker spielt, ist dem Laien nicht erkennbar. Mir wird diese Tatsache erst wirklich bewusst, als der Mann „Extrembiose“ spielend, minutenlang eine einzige Tonsequenz mit dem Saxophon durch die unterschiedlichsten Rhythmen jagt, ohne den Tonfluss durch seine Atmung zu unterbrechen. Der hält den Klang und atmet nebenbei (durch die Nase) ein, ohne dabei aus dem musikalischen Konzept zu geraten. Ohne jahrelange Erfahrung und eine ausgefeilte Technik ist diese extreme Symbiose von Klang und Rhythmus, im komplizierten 9/4-Takt, überhaupt nicht machbar. Da bleibt dem Laien schlicht und ergreifend die Spucke weg, aber dieser Musiker bläst minutenlang, ohne mit der Wimper zu zucken. Ganz, ganz großes Kino in einem unscheinbar kleinen Saal. Chapeau! Schulbuchweisheiten zugrunde gelebt, sollten diese beiden Inder und der Deutsche miteinander nicht viel anfangen können. Zu unterschiedlich sind die historischen Tonfolgen beider Kulturen und auch die Rhythmik ist einem Miteinander nicht wirklich zugetan. Von einer gemeinsamen Notenschrift ganz zu schweigen. Nur mit gegenseitiger Akzeptanz, Lernwillen und Toleranz wird möglich, was gerade an unser Ohr gelangt. Die zumeist überlangen Stücke winden sich ineinander und nur manchmal spüre ich unbewusst, wie Sitar und Saxophon nebenher im Gleichklang Melodien gestalten. Hier gehen sehr unterschiedliche musikalische Traditionen aufeinander zu, sie dürfen sich entfalten, ohne gänzlich in der anderen aufzugehen oder gar zu verschwinden. Was ich bisher noch von „Bitches Brew“ (1970) von Miles Davis oder der „Friday Night In San Francisco“ (1980) kannte, entdecke ich für mich heute Abend anders und auf einer völlig neuen Ebene. Dabei musizieren die drei Ausnahmemusiker erst seit dem Jahre 2014 als Trio miteinander und haben dennoch (oder deswegen?) den Preis der deutschen Schallplattenkritik bekommen. Jazz oder Weltmusik? Völlig egal, es groovt, es bewegt, es erzeugt viele Emotionen und diese Musik ist einzigartig und irgendwie sogar volkstümlich schlicht. Wundervoll! Neben den Stücken des preisgekrönten Albums „Assi Ghat“ (2015), hören wir auch ein neues Stück namens „Rhadschas“ (?), in dem es um Feuer und Energie geht. In „Greenfire“ wird das Leuchten eines Smaragdes musikalisch verarbeitet und als es noch einmal traditionell indisch wird, lasse ich mich gänzlich in die Zauberklänge der Sitar und die pulsierende Rhythmik der Tablas fallen. Das sind wundervolle Momente, zum Wegträumen schön und gänzlich nach innen gekehrt. Ich genieße, den Rhythmen zu folgen und den fremd klingenden indischen Gesängen der Beiden aus dem Orient zu lauschen. Zwischendurch und fast nebenbei erfahren wir interessante Einzelheiten zu den Ursprüngen der Musik und einigen Orten, von denen die Stücke erzählen. Als nach dem zehnminütigen „Kajari“ der Abend sein Ende erreicht hat, mag ich es nicht glauben. Das Konzert war einfach zu zauberhaft, zu einmalig und vielleicht viel zu intim, als dass ich schon wieder von diesen Klängen lassen möchte. Wenn es nach mir ginge, könnten statt dem Ende eine zweite Pause und dann die Fortsetzung folgen. Von Stücken, wie diesem unheimlich pulsierenden Zauberwerk „Karaji“, bei dem die drei Instrumente miteinander zu verschmelzen scheinen, kann ich einfach nicht genug bekommen. Also folgen nach einer Verbeugung ein indischer „Gypsy-Song“ und noch einmal ein Eintauchen in einen Klangkosmos, in dem Musik mehr ist, als nur Ton- und Taktfolgen mit Strophe und Refrain. Gut, dass uns Musiker wie das TRIO BENARES zu lehren verstehen, dass hinter unseren Erfahrungen viele weitere versteckt sein können. Man muss nur bereit sein, sie auch entdecken zu wollen. Manchmal endet so eine Reise erkenntnisreich und ein anderes, neues Abenteuer kann beginnen. Es fühlt sich genau so an. Ich kann nicht aufstehen, mich anziehen und gehen. Ich bin innerlich aufgewühlt und trunken von den Reizen des Fremden und Neuen. Ich höre mich zu DEOBRAT MISHRA etwas von „surprised & amazed“ sagen, aber Überraschung und Staunen spiegeln nicht, was in mir tobt. Wir tauschen uns, so geht es eben geht, über die Musik aus und als die meisten schon gegangen sind, lausche ich noch den Worten der Musiker beim Erklären der Instrumente. Als ich mir schließlich die Frage nicht verkneifen kann, wie viele Finger ein Deutscher haben müsse, um die Sitar oder Tabla spielen zu können, lachen wir noch gemeinsam. Dann verabschiede ich mich und weiß, sollten diese Drei wieder hier einkehren, werde ich wieder, im Gedanken irgendwo zwischen Asien und Europa, dabei sein, um, wie es DEOBRAT MISHRA formulierte, als Menschen, gleich welcher Kulturen „united in and with the music“ zu sein. Da will ich gern ein Träumer sein – und welch Glück, ich bin nicht der Einzige! Da bin ich dann doch Beatles-Fan.