Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
Ten Years After - Besuch bei „Tante Ju“ 30.04.2010 Als ich siebzehn war und in die 11.Klasse einer EOS ging, gründeten der Gitarrist ALVIN LEE (*1944) und der Mann am Bass, Leo Lyons (*1943), in England ihre eigene Band. Da hatten sie schon mehrere Jahre gemeinsam auf den Bühnen gestanden. TEN YEARS AFTER waren geboren und sollten mit ihrem am Blues und Boogie orientierten Rock sowie einigen exzellenten LP-Einspielungen in die Rock-Analen eingehen. Der Mann im Vordergrund war ALVIN LEE und der galt über Jahre als der „schnellste Gitarrist“ der Welt. Spätestens sein über 10-minütiges rasantes Solo auf den Saiten der roten Gibson bei „Going Home“ in WOODSTOCK machte ihn unsterblich und setzte die Band neben anderen auf den Rock-Olymp. Schon Mitte der 70er stieg Alvin Lee wieder aus seiner Band aus, ließ den Tourstress hinter sich und macht seither sein ganz eigenes Ding. Doch TEN YEARS AFTER tourten und touren weiter und Alvin Lee heißt in heutigen Tagen JOE GOOCH. Mit der jugendlichen Re-Inkarnation des Altmeisters hat die Band nichts von ihrer Faszination verloren, wie ich überglücklich vor zwei Jahren im „Goldenen Löwen“ von Landsberg feststellen konnte. Damals erreichte ich den Ort des Geschehens leider zu spät. Zwar nicht „zehn Jahre später“, aber es reichte, um die Hälfte des Konzerts zu verpassen. Das sollte mir diesmal nicht noch einmal passieren, denn die „Tante Ju“ in Dresden liegt quasi vor meiner Haustür. Noch immer ist mir, als wäre bei solchen Konzerten ein wenig Luft aus Woodstock dabei, auch wenn mir der Vergleich natürlich verwehrt ist. Allein die Vorstellung, die anderen Fans mit den langen grauen Haaren und Rockerklamotten neben und hinter mir, würden ebenso ticken, reicht mir völlig. Das hat ein wenig was von einem demografischen Altweibersommer - noch immer sehr heiß, nach Schweiß riechend und dieses Gefühl von Power im alten Getriebe sowie die Vorstellung, die Zeit ein wenig ausgetrickst und einfach vor der Tür gelassen zu haben. Genau so sehen LEO LYONS, CHICK CHURCILL (*1949) und RICK LEE (*1945) auch aus, als sie auf die Bühne treten, jeder wie ein nostalgischer Cadillac in Jeans, Shirt und glänzenden Augen. Mitten in dieser Woodstock-Riege steht JOE COOCH mit seiner hellgrünen Gitarre. Ohne jedes Vorgeplänkel krachen uns kurz nach 22.30 Uhr die Akkorde von „Working On The Road“ um die Ohren. Mit dem bis dato völlig unbekannten Gitarrenhexer COOCH, geboren 1977 (!), hat dieses Rock-Monument vor über zehn Jahren sämtlichen alten Ballast abgeworfen und mischt sogar mit aktuellen und frischen Silberlingen kräftig mit. JOE COOCH ist ein Könner und wie er da vor mir steht, kommen die Vergleiche zum einstigen „British Blues“ nach oben, aus dem er zwar nicht entsprungen, aber ihm durchaus ebenbürtig ist. Beim „King Of Blues“ aus dem Album „Now“ (2004) stellt er seine Extraklasse unter Beweis und wird dies auch die folgenden zwei Stunden ohne Spannungsabfall tun. Er lässt seine Saiten schreien und wimmern, gemeinsam mit LEO LYONS am stampfenden Bass reißt er den Boogie aus seinem Instrument und er singt mit junger Stimme den Blues. Man erlebt wirklich live-haftig, wie er mit seinen drei um mindestens zwei Generationen reiferen Mitspieler frischen Rock’n’Blues zelebriert und dabei mächtig viel Spaß hat. Auf der linken Bühnenseite peitscht LYONS unermüdlich stampfend seinen Bass, zupft locker immer wieder neue Läufe aus den vier dicken Saiten, feuert die Töne in die Masse und freut sich, lacht und hat nebenbei noch Zeit für kurze Kommunikation mit uns. Wer gekommen war, um einen zweiten Alvin Lee zu erleben, wird wohl enttäuscht gewesen sein. JOE COOCH ist er selbst, spielt sein Instrument ganz und gar „in his own way“. Vergleiche sind unpassend, höchstens der, dass eine angenehme Ähnlichkeit zu so etwas wie einer „Britischen Spielweise“ gut erkennbar ist, die spielerisch mit den Saiten, Tönen und Läufen umgeht. Der kann’s wie Clapton, zupft und reißt wie Jeff Beck und lässt, seiner inneren Stimmung folgend, auch mal Mr. Blackmore durch die Saiten gucken. Durch und durch „Gentlemen like“, was meinem Empfinden viel näher ist, als hektisch abgeschossene amerikanische Funk-Impulse. Neben LEO LYONS mit der Viersaiter sorgt RIC LEE mit seinem schnörkellosen Spiel am Schlagzeug für den Drive der Band. Sein Solo zeigt, dass er’s noch immer drauf hat und wie sehr ihm das noch Freude bereitet. Ganz vorn rechts, beinahe ein wenig abseits der Band und verdammt nah an der Bühnenkante, agiert CHICK CHURCHILL an den Tasten. Wenn er nicht gerade wie besessen seine Soli oder Läufe in die Tasten hämmert, könnte sein Gegenüber im Publikum ihm glattweg die Hände reichen. Geht allerdings auch nicht, dem direkt vor ihm tanzt einer mit freien Oberkörper wie besessen den Rhythmus des Boogie Woogie und das Repertoire aus über 40 Jahren Bandgeschichte mit vollem Einsatz, von „Hear Me Calling“ über „Big Bad 45“ bis „Hobbit“! Ich wollt’, ich könnte das auch. Natürlich erklingt irgendwann die Melodieschleife von „Love Like A Man“ (Lieben wie ein Mann), weil der Überhit einfach zu TEN YEARS AFTER gehört. Das sich JOE COOCH als Sänger und Gitarrist bei den unweigerlich folgenden Improvisationen schon lange vom Original gelöst hat und auf seine Weise variiert, ist eher angenehm, denn störend. Mir ist, als wäre er noch tiefer in die alten Songs gestiegen, um sie zu den seinen zu machen. Deshalb fällt es auch überhaupt nicht auf, dass er direkt danach mit „Slip Slides Away“ einen Song von der brandneuen CD „Evolution“ folgen lässt. Zwischen beiden liegen locker vier Jahrzehnte und man spürt und fühlt den Unterschied nicht. Dieser Mann, seine Gitarre und drei erfahrende Haudegen machen es möglich! Ein einziges Mal in diesen zwei Stunden greift JOE COOCH zur akustischen Gitarre, um in ruhiger Stimmung zu singen: „I’d love to change the world, but I don’t know what to do.“ ( Ungefähr: Ich möchte gern die Welt verändern, aber ich weiß nicht, was zu tun ist.) Das ist der Moment, wo man bemerken kann, dass Rockmusik nicht alt werden muss, aber durchaus kann, dennoch aber brisant und aktuell ist, denn der Song „Change The World“ von Alvin Lee endet mit den Worten: „Just black or white, rich or poor, them and us, stop the war!“ (Ob schwarz oder weiß, reich oder arm, ihr oder wir, stopt den Krieg!). Mir ist vor dem Mikro stehend eine Gänsehaut über den Körper gekrochen, zumal COOCH dann wieder zur Elektrischen greift, um wie einst Jimi beim „Stars Spangled Banner“, die Gitarre sprechen zu lassen. Rock’n’Roll ist neben Spaß eben auch und immer wieder Botschaft und Aufrütteln, von Woodstock über Bangla Desh bis Live Aid… Der Rausschmeißer heißt am Ende, wie sollte es auch anders sein, „Going Home“, die Nummer für ultraschnelle Gitarrenläufe und Improvisationen. Das nutzen die vier da oben noch einmal richtig aus, um die kleine Halle zum Kochen zu bringen. Zwischendrin zitiert die Gitarre so nebenbei mal fix Clapton („Sunshine Of Your Love“) oder Blackmore („Smoke On the Water“), rechts neben mir tanzt und springt der nackte Oberkörper und mein Sohn, der Mescha hinter mir, übrigens mit diesem JOE COOCH im gleichen Alter, hat sein schönstes Dauergrinsen und Endlosstaunen aufgesetzt. Was für eine tolle Erfahrung und geile Musik, jung und alt neben- bzw. hintereinander. Das hatte ich mir stets gewünscht! Schon werfen JOE und LYON haufenweise Plektren unter die Leute oder verteilen sie in der ersten Reihe und danach sind die zwei Stunden Blues- und Boogie-Show vorüber. Wie auch vor zwei Jahren in Landsberg sind „ten moments later“ die vier Herren mitten im Volk, lassen sich auf Gespräche ein und signieren in aller Ruhe, was ihnen vor die Nase gehalten wird. Mein Woodstock-Trible-Album bekommt die Signaturen der einstigen Mitwirkenden, was sein muss, muss sein! Mit freundlicher Hilfe der netten Anita vom Fanclub der Band, erhalte ich an diesem Abend noch ein paar Informationen mehr sowie alle Unterschriften auf eine Set-List. Auch dies muss sein! DANKE Anita und auch für die angenehme Gesellschaft während des Konzertes. Für satte zwei Stunden sind wieder mal meine Jugendjahre mit mir aufgestanden und mit ihnen das Gefühl, dennoch im Heute zu sein. Der Geist und die Hoffnungen, die einst damit verbunden waren, sind noch immer lebendig, bei denen da oben und bei mir sowieso. Damit bin ich in verdammt guter Gesellschaft, jedenfalls so lange ich nicht allein vor so einer Bühne stehe und von dort oben „Goin’ Home“ in mein Gesicht kracht. So mancher Männercombo, die ich kenne, würde ich eine Exkursion zu dieser Band ans Herz legen. Zum einen, weil’s Freude macht und zum anderen, um zu erleben, dass man nach über 40 Jahren Rock’n’Roll noch immer forztrocken und mit nagelneuen Songs überzeugen kann, ohne die alten beiseite lassen zu müssen. Wir sehen uns auf jeden Fall, spätestens TEN YEARS ON!