Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
STEPHAN TREPTE - Magier mit Stimme und Herz 23.07.2020 (20.07.1950 - 22.07.2020 - meine ganz persönliche Hommage) Man muss jene Jahre des Nachspielens, des Experimentierens und Entdeckens miterlebt haben, um zu erkennen, welche Wirkung die Orgelkaskaden von Czeslaw Niemen in der „Rhapsodie für Bem“ nicht nur bei Fans entfaltet haben. In Electra’s „Tritt ein in den Dom“ findet sich dieser Einfluss, schon mit den ersten Akkorden, ebenfalls deutlich wieder. Dieser Song grub sich in das Kollektivgedächtnis einer ganzen Generation ein. Jedoch entfaltete er seine Expressivität erst vollständig, als STEPHAN TREPTE zu singen begann: „Tritt ein in den Dom durch das herrliche Portal“. Das Opus damals vor einer Bühne live erlebt zu haben, gehört zu meinen herausragenden Erlebnissen jener Tage, einem „Child In Time“ durchaus gleichwertig. Doch diese Möglichkeit wird es niemals wieder geben. STEPHAN TREPTE lebt nicht mehr. Dabei hab ich meinen Aha-Effekt einer weniger bekannten Gesangsperle des Musikers zu verdanken. Zwischen den Tracks der ersten Amiga-Scheibe von Electra versteckt, sind die „Augen, von der Liebe verlassen“ zu entdecken. Am Beginn noch von aufwendigen Instrumentalpassagen umspielt, entfaltet die kleine Melodie durch den Gesangspart eine einzigartige Schönheit, die sich mir eingeprägt hat. Das Kleinod offenbart neben dem „Dom“ und „Seh’ in die Kerzen“ die einzigartige Kunst zu interpretieren, mit der man den Sänger TREPTE auch blind erkennt. Eigentlich hätte man auf jener Platte von 1974 alle drei Kompositionen nebeneinander veröffentlichen können, denn sie waren schon da. Die Zensur entschied bekanntlich anders, indem sie den Zeitgeist völlig ignorierte und die Chancen verkannte. Auf der Suche nach sich selbst und seinen Möglichkeiten, wechselte TREPTE mehrmals die Seiten und die Begleitmannschaft. Es war Bernd Aust, der ihn aus dem Amateurstatus zu Electra holte, wo seine Stimme den „Dom“ prägte und den Sänger zu Kult-Status verhalf. Ein Wechsel zu LIFT bescherte der Nachwelt Lieder wie „Mein Herz soll ein Wasser sein“ oder den „Soldat vom Don“. Einem Intermezzo bei Neon folgte ein Angebot von „Matze“ Blankenburg, bei REFORM einzusteigen. Hier fühlte sich der Ausnahmekünstler zu Hause, spielte drei Alben mit der Band ein und schenkte uns Perlen wie „Wenn die Blätter fallen“, „Löwenzahn“, „Schwester küss’ mich“ oder „Uhren ohne Zeiger“. TREPTE hatte sich selbst gefunden, seinen Stil voll entfaltet und begeisterte Fans im ganzen Land mit einer stimmlichen Ausstrahlung und einer Gestik, bei der man „Blätter fallen“ und den „Löwenzahn“ durch den Asphalt sprießen sah. Mit dieser Mixtur konnte er dich schlicht umhauen und einem den Atem nehmen. Eine ähnliche Performance suchte man im ganzen Land vergeblich. Im Jahr 1978 hatte ich REFORM, als „Ersatz“ für die Stern Combo Meissen, in Elsterwerda, auf eigener Bühne ( HIER ). Wir erlebten eine Band in Höchstform und deren Idealbesetzung: Matze, Kunze, Demnitz, Piele und eben Stephan Trepte. Diese Kapelle ließ mit ihrer virtuosen Explosivität „die großen Drei“ - Puhdys, Karat und City - damals live weit hinter sich. Die eigenen Songs wie „Löwenzahn“ oder der überlange „Feuerball“ wurden gleichwertig neben der „Musical Box“ von Genesis auf die Bühne gebracht und bei „Hey, hey Schwester küss mich“ übertraf sich der Sänger am Mikrofon jedes Mal selbst. Der Mann war schon damals der klassische Rock’n’Roll-Shouter und dennoch stets er selbst, TREPTE. Dieses Erlebnis hat sich in mein Langzeitgedächtnis eingebrannt und selbst Jahrzehnte später wächst mit den alten Erinnerungen wieder eine neue Gänsehaut, haut mich diese Stimme weg. Einfach so! Um manche Rockmusiker ranken sich Legenden, wahr und eher nicht. Diese Konzerte, die ich damals mit Freunden organisieren konnte, geben genug Stoff her, um erzählen zu können. Dabei sind Fotos entstanden, die auch den Musiker Trepte so zeigen, wie ich mich an ihn erinnere. Die Episoden hinter den Fotos aber bleiben bei mir. Erst später, weit nach der Wende, nach vielen Projekten, kamen die Erinnerungen und die Sehnsucht wieder noch. Da sah ich STEPHAN TREPTE mit dem Sachsendreier in Annaburg und durfte eine furiose Show lebendiger Klassiker, mit dem „Dom“ als Höhepunkt, erleben. Ich sah ihn mit Electra in Langburkersdorf, am Goldenen Reiter mit „Mampe“ und vor der Semperoper mit Chor und Orchester, die „Sixtinische Madonna“ zu ehren ( HIER ). Dass Musikanten gern und viel aus ihrem Mugge-Leben erzählen, konnte ich beim „Kleinen Sachsendreier“ miterleben (siehe oben) und letztlich durfte ich beim „The Last Waltz“ im Theater von Magdeburg dabei sein ( HIER ). Da überstrahlte seine Stimme noch einmal all meine Erinnerungen und Erlebnisse mit diesem Künstler, der, inzwischen „in Würde ergraut“, so Bernd Aust damals, sich vom Publikum im Schutz der Dresdener Kapelle verabschiedete. Dass es für immer werden würde, das war an jenem Abend noch lange nicht ausgemacht, dachte und hoffte nicht nur ich. Seinen runden 70. Geburtstag durfte er noch begehen. Zwei Tag später ging dieser Mann, einfach so. Die Nachricht trifft nicht nur mich wie ein Schock. Ich denke, eine ganze Generation Musikliebhaber ist in diesen Stunden erstarrt, hält in ehrendem Gedenken inne, um zu begreifen, sich zu erinnern. Es ist eine Bürde, selbst stolz die 70 zu erreichen und sich dennoch nach und nach von den Helden eigener wilder Jahre verabschieden zu müssen. Es tut weh, es schmerzt, macht aber auch stolz, all das erlebt zu haben und als Zeitzeuge mittendrin, daneben oder dabei gewesen sein. So etwas vergisst man nie mehr und meine Dankbarkeit wächst mit jedem neuen Tag. DANKE STEPHAN und gute Reise.