Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
Stephan Krawczyk zu Gast im Papermoon 29.06.2018 Als bei Amiga 1983 die Langspielplatte der Folk-Gruppe LIEDEHRLICH erschien, las ich zum ersten Mal auch den Namen STEPHAN KRAWCZYK. Der spielte Gitarre, Mandoline, Flöte sowie Bandoneon und er prägte außerdem mit seiner markanten Stimme das Klangbild des Folk-Trios, das schon einige Preise eingesammelt hatte. Bis dahin ein ganz normaler Werdegang in dem Land namens DDR. Nach Berlin gezogen, wurden die Texte des nunmehr solistisch arbeitenden Künstlers zunehmend kritischer, seine Einstellung zum Staat auch. In jenen Tagen, Mitte der 1980er Jahre, hatten wir das große Glück, den Liedermacher KRAWCZYK bei uns in der „STUBE“ von Elsterwerda begrüßen zu können. Es wurde ein Liederabend der besonderen Art und deshalb ist er auch in meiner Erinnerung geblieben. Seither sind rund 35 Jahre vergangen und ich lebe inzwischen in Halberstadt. Die Kulturkneipe „Papermoon“ ist so etwas wie meine Stammkantine geworden. Hier erlebe ich heute den Liedermacher aus Thüringen bei einem seiner Konzerte wieder. Der Sommerabend ist lau und der Biergarten ist ein lauschiges Plätzchen zum Biertrinken und Musik zu hören. In einer Ecke hat er sein Instrumentarium um einen Tisch herum aufgebaut und kurz nach 20.00 Uhr sitzt auf ihm der Liedermacher, Dichter, Buchautor, Künstler. Ganz in Schwarz, so wie man ihn kennt und beginnt, statt zu singen, zu erzählen. Dass er kürzlich mit seinem Sohn im Harz einige Tage Urlaub verbrachte hätte. Oben, nahe der Roßtrappe, hätte er einen Ort gefunden und dort wäre er innerlich zur Ruhe gekommen. Einfach so und das hätte man auch nicht mit einem Messinstrument anzeigen können. Man müsse ja nicht alles messen können. Komisch, genau so geht es mir auch sehr oft, wenn ich irgendwo im Harz, weitab der Stadt, die Stille entdecke – und dann beginnt er zu singen. Er singt vom „Leben, das nicht erstritten werden will“ und vom „Ich liebe es, zu leben (das muss man mir verzeihn“. Die Worte finden und berühren mich, fordern mich auf, zu vergleichen. Er begleitet sich mit einer Gitarre und einer Mini- Ausgabe von Gitarre, ehe er das Bandonion zur Hand nimmt. Die Titel der Lieder sind mir unbekannt, aber was er besingt und worauf er aufmerksam machen möchte, nicht. Er versteht es sehr gut, meine Sinne zu schärfen, meine Neugier zu wecken und mich sogar staunen zu lassen. Erst recht, als er eine bekannte Melodie ankündigt, die sich als „Imagine“ von John Lennon entpuppt und aus der er eine beißende Satire in Wort und Musik braut, als er von dem „alten Spinner“ singt, für den es sich lohnt, von der Veränderung der Welt zu träumen und plötzlich bin ich mit ihm eins. Es gibt viel zu wenige von uns alten Spinnern. Es gibt zu wenige, die noch träumen und die sich gegen dieses „vielseitige Einerlei“, das so beliebig und farblos daher kommt, zu wehren beginnen. In diesen Momenten bin ich schlicht begeistert davon, wie dieser STEPHAN KRAWCZYK die Macht seiner Worte und die Magie von Musik einsetzt. Das ist grandios! „Schweigen früh die Wasserhähne, bleiben alle Becher leer.“ Solche und ähnliche Sprüche streut er manchmal ein und wenn man möchte, bemerkt man, wie sehr wir von so einem Wasserhahn oder der Steckdose an der Wand abhängig geworden sind, ja verletzlich sogar. Ist das nicht paradox? Und wie aus dem Nichts taucht diese Beethovenmelodie auf, nur dass er eben nicht von der „Freude schöner Götterfunken“ singt. Kaum habe ich das verdaut, kommt die Nummer mit der „Versicherung“ ruppig daher. So geht es Schlag auf Schlag, noch einen auf den Hinterkopf und wieder nachdenkliches aber lautes Lachen. Obwohl, als er aus seinem Buch „Mensch Nazi“ liest, allein der Titel ist des Denkens wert, weicht das Lachen betretener Stille im Biergarten. „Komm’ über mich im Unterholz ich las’ ihr dann beim Abendmahl vom Unterkleid die Kletten“ ist wieder so eine Textzeile eines (Liebes)Liedes, die an mir haften geblieben ist. Wie die Kletten in ihrem Unterkleid und es werden Erinnerungen wach, die lange zurück liegen. Später folge ich dem Gedanken „Natur ist schön (wenn sie Abstand hält)“ und erinnere mich an das letzte Regen-Hochwasser, das die Altstadt, unweit von hier, urplötzlich in eine Badewanne verwandelte. Oder dieser gesungene beinahe Schüttelreim: „Bevor der Gott den Mensch gemacht,“ folgt „hat der Gott, hat - hat der Gott viel mehr gelacht“. Ich sitze auf diesem klapprigen Stuhl muss ich nun weinen oder darf ich auch lachen? Dieser STEPHAN KRAWCZYK benutzt gekonnt und stilgerecht eine Maultrommel und er überrascht uns mit einer Körper- Hände-Klatsch-Performance, die einfach phänomenal einfach wirkt, sicher verdammt kompliziert zu machen ist. Wie macht der das nur? Er singt vom Mond, dem All als „unser Liebesnest“ und lässt Mama und Sohn über die unterschiedlichen Lagen Klopapier philosophieren. Natürlich macht er auch einen kurzen Rückblick auf die eigene Vergangenheit, auf seinen Wechsel von Ost nach West und plötzlich steht da dieser Satz im Raum: „War ich doch Glaubens, mittels der Demokratie könne dem Richtigen zum Durchbruch verholfen werden“, und tief in mir weiß ich, dass ich diesen Glauben auch schon längst ad acta gelegt habe. Eine Meute kratziger Gedankenfetzen jagt durch meinen Kopf und der Liederkünstler singt dazu mit seiner derben Stimme, die auch so zärtlich und leise sein kann. Ich genieße die „Ode an die Soße“, nur „Glory Hallelujah“ singe ich nicht mit und außerdem sind bei mir die Rostbratwürste das Thüringer Nationalgericht, obwohl Rouladen, grüne Klöße mit Soße auch nicht zu verachten sind. Und während ich noch versuche, die Geschmacksrichtungen auf der Zunge zu sortieren, singt der auf dem Tisch und den Füßen auf der Kiste, „Geliebte, lass’ die Hüllen fallen“ und das „Marielied“ mit dem „Rosenzelt“ zum Klang des Bandonions und der Zeile „die beste Zeit ist vorn“. Für diese beste Zeit, die auch ich noch vor mir habe, hat er mir zwei Stunden lang viel Nachdenkliches und auch Bestätigung mitgegeben. Inzwischen ist der Abend in mattes Licht getaucht und eine Lampe malt es rot an. Die Farbe passt zur Stimmung, zur Nachdenklichkeit und irgendwie auch zu dem Künstler aus Thüringen, der es sich nicht nehmen lässt, auch heutige Zeiten kritisch zu begleiten. Nur habe ich das Gefühl bekommen, dass es heute nicht mehr so viele sind, die dem Zuhören möchten und erst recht nicht Jugendliche, die ich an diesem Abend vermisse. Dabei sind „die besten Zeiten vorn“ deren Zeiten, die sie gestalten müssen. Deshalb passt die Abenddämmerung gut zu meiner Nachdenklichkeit, die ich, ebenso wie das Cover mit seiner Signatur, nun mit nach Hause nehme.