Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
Status Quo rocken den Hutberg – Monokel glühen vor 18.08.2012 Ich mag es, wenn Rockmusik gigantisch ist, es krachen lässt und sie mir die geballte Wucht verspielter Strukturen und verzwickter Arrangements um die Ohren knallt. Ich mag Emerson, Lake & Palmer, ich liebe die frühen Genesis oder Yes und gerate bei Crosby, Stilly, Nash & Young oder Greenslade in Verzückung, während ich bei Pink Floyd und Tangerine Dream durch Wurmlöcher in ferne Galaxien abtauche. Bei der Musik vieler anderer geht es mir ähnlich und wenn ich dann mal satt von Klang, Struktur und großer Lyrik bin, brauch’ ich wieder einen auf die Zwölf und wenn’s geht, den nächsten in die Magengrube. Einfach nur dreckig-rotzigen Rock’n’Roll und krachenden Boogie Woogie aus den Saiten. Ist dieser Zeitpunkt gekommen, dann lege ich mir Led Zeppelin auf oder steige den steilen Weg in Kamenz zum Hutburg bei fast 40° im Schatten nach oben, um STATUS QUO bei ihrer „Suche nach dem vierten Akkord“ zu unterstützen. Zum Glück bin ich nicht der einzige „Bekloppte“, der das an einem heißen Sommertag macht und so mancher ist dabei, den ich zu dieser Zeit eher in seinem Garten beim Pflanzensortieren vermutet hätte. Und alle stöhnen sie, sie schwitzen und ändern ihre Gesichtsfarbe wie ein Chamäleon, je näher sie dem Haupteingang kommen. Rock’n’Roll kann so schön sein und das Warten bis zum Einlass auch! Endlich drinnen stolpert jeder, der den Aufstieg und eine ganze Stunde Stehen hinter sich hat, mit tauben Füßen die vielen Stufen und über den Schotter wieder hinunter, um seinen Platz zu finden oder einen der wenigen direkt vor der Bühne einzunehmen. Nach einer weiteren Stunde und glücklicher Bierbetankung dann endlich der lang ersehnte Augenblick. Als JÖRG Speiche“ SCHÜTZE, das Blues-Urgeistein des Ostens, standesgemäß in ausgewaschenen Jeansstoff gehüllt und mit über die Schulter lang herab gleitenden grauen Haar, die Bühne betritt, ist die Mühsal des Konzert-Joggings vergessen. Speiche stöpselt den Bass ein, nickt seinen Mitstreitern und uns zu und dann knallt es ostdeutsche Blues-Tradition von der Bühne, der untergehenden Sonne entgegen. Von vorn dröhnen der Traum vom „Fliegen“ und die Geschichte von „Bye, bye Lübben City“. Im Hintergrund diktiert OLLI BECKER an den Drums den Rhythmus, während HEINZ GLASS und CARSTEN GROßE den Blues & Boogie aus den Saiten zupfen und zerren. Das zweite Urgeistein der Band, BERND „Zuppe“ BUCHHOLZ gibt dem Blues seine raue Stimme und dem Sound seine Seele und Ausdruck. MONOKEL von Mr. Speiche rocken „Call Me The Breeze“ und die alte Stones-Nummer „Love Is All Over Now“. Ich fühle mich gut aufgehoben im “Boogie Mobil” und find’s unheimlich schade, dass nach 30 Minuten und “Wie die Großen” schon wieder Schluss ist. Das brauche ich auf jeden Fall noch ein weiteres Mal über die volle Distanz und ich weiß auch schon wo und wann. Während flinke Hände auf der Bühne hochprofessionell und dennoch völlig entspannt die Kabel neu sortieren, jagen mir fast 50 Jahre Bandgeschichte STATUS QUO durch den Kopf. Von den „Bildern der Streichholzmännchen“ über „Sweet Caroline“ und „In The Army Now“ zieht sich die tolle Story von zwei Freunden, die antraten, um Spaß und Musik zu machen und daraus 29 Studioalben und beinahe 100 Singles bastelten. Die beiden, FRANCIS ROSSI und RICK PARFITT, leben bis heute den Traum eines jeden Jugendlichen und sind dennoch „nur“ STATUS QUO geblieben. In meine Gedanken hinein schleicht sich das Intro und dann stehen sie endlich live und in Farbe vor uns auf der Bühne. Direkt vor mir RICK PARFITT und weiter rechts FRANCIS ROSSI und beiden fehlt die Lockenpracht und der wedelnde Haarzopf im Nacken! Sie sind trotzdem die, die ich erwartet hatte und mir die „Sweet Caroline“ singen, während sie den Boogie in die Saiten dreschen. Es kracht und es brettert vom ersten Moment an und es wird auch nicht wieder aufhören. Die beiden füllen die gewaltige Bühne locker aus, sie laufen und springen, stellen sich in Pose und kommen bis ganz vorn zur Bühnenkante, damit man die Saiten glühen und den Spaß im Gesicht sehen kann. Es geht Schlag auf Schlag, „Something ’Bout You Baby“ und „Rain“ folgen aufeinander. Es gibt „Rock’n’Roll You“ und ich gröle laut mit beim „Mean, Mean Girl“. Ich fühle mich so verdammt wohl in meiner Haut, mit guten Freunden aus alten und neuen Zeiten links und rechts neben mir, dass ich nicht schlecht Lust hätte, dort hoch auf die Bühne zu springen und Luftgitarre zu spielen. Aber dies hier ist kein Puhdys-Spielplatz und ich bin kein hübsches Mädchen. Es gibt keine Kunstpause, sondern Rocking the Boggie pur und die volle Ladung am laufenden Band. Das alles richtig schön laut, knackig und glasklar! So fahre ich mit bei der „Softer Ride“ und lasse mich vom „Beginning Of The End“ zu Jubelstürmen hinreißen. Immer und immer wieder kommen RICK PARFITT, der auf „meiner“ Seite spielt, und FRANCIS ROSSI, auf der anderen, nach vorn, stellen sich in Pose und ermöglichen Blickkontakte. Ab und an gibt der gertenschlanke ROSSI den Plauderer, der auch gern mal trockenen britischen Humor an einzelne vor der Bühne verschenkt, um dann selbst drüber zu lachen. Es ist schon imponierend, wie professionell und so unheimlich locker die beiden älter gewordenen Schulkumpels ihre Musik verschenken, so als wäre dies das erste Mal, so spontan, und vielleicht auch das letzte Mal, so vor Energie strotzend und stürmisch. Sie geben uns „What You’re Proposing“ und wir bekommen „In The Army Now“ zum Mitsingen. Ab und an fliegt ein Plectrum von der Bühne in die Massen und ständig recken sich Arme in die Höhe, den Musikern und vielleicht auch Idolen entgegen. Inzwischen bebt und rockt der Hutberg, der Himmel glüht nicht nur vom Sonnenuntergang und die Spots zucken und flackern und meine Füße stampfen den Boogie in den Boden unter mir. Mir steht das Adrenalin bis zur Hutkrempe und noch einmal trommelt mein Herz den Rhythmus von „Roll Over Lay Down“. Mir ist grad all der Ärger und mancher Frust so ziemlich wurscht und schnuppe, denn ich habe „Whatever You Want“, zumindest für diesen Moment und diese Minuten, in denen ich mit STATUS QUO „Rockin’ All Over The World“ singen und erleben darf. Es ist einfach nur Pardon geil und mein Sohn würde wahrscheinlich wieder, wie damals 2005 im Schlachthof zu Dresden, grinsend neben mir stehen und sich über die Zuckungen und die Euphorie seines Alten köstlich amüsieren. Aber dem habe ich eben die 60er, die Streichholmänner und das „Eis in der Sonne“ voraus. Immer wieder stellen sich die Saitenakrobaten ROSSI und PARFITT in Pose nebeneinander und immer wieder stellt sich JOHN EDWARDS mit dem Bass dazu. Ein einziges Mal komplettiert der Keyboarder ANDY BROWN als dritter Gitarrist diese Herrenriege und dann tobt die Masse von der Kante bis hoch zu den Rängen den vier rockenden Engländern zu. Meine Welt ist in Ordnung, meine Haare nass und mein olles Herz springt vor Freude und Vergnügen, dieses rockende Boogie-Gespann hier live erleben zu können. So viel braucht man(n) gar nicht, um wirklich entspannt und rundherum glücklich sein zu können. It’s only rock’n’roll und kein Stress! Nach 90 Minuten straffen Tempo, knallenden Boogie-Beats und rasanten Gitarrenläufen sowie laute Akkorde in die Saiten dreschen ist Schluss. Keine „Matchstick Men“ und kein „Ice In The Sun“. Aber sie lassen sich (natürlich) noch einmal locken und geben uns „Junior’s Wailing“ und im Anschluss ein Medley aus good old „Rock’n’Roll Music“ und Chuck Berry’s „Johnny B. Goode (Go, Johnny Go)“. Dann fliegen unsere Hände in die Höhe und die Herren, die sich STATUS QUO nennen, winken uns mit den ihren zu. Sie verschwinden nach hinten und es heißt Bye Bye Francis, Rick & Co. Ich hab’ STATUS Q UO gesehen. Zum zweiten Mal seit 2005 und dazwischen wahrscheinlich 100 andere Bands und Künstler. Die Band ist eine einzige Erfolgsgeschichte. Zwei junge Schulfreunde beschließen, gemeinsam Musik zu machen und rocken und rollen sich und die halbe Welt über 50 Jahre in’s Rentneralter, aber bei weitem nicht in’s Seniorendasein. So ein Zwillingspaar wie ROSSI & PARFITT kann man suchen und deshalb darf man getrost den Hut ziehen, vor zwei Jungs und deren Band, die neben den mächtig flimmernden Glimmer-Twins ihren eigenen Stern strahlen lassen und Woche für Woche weltweit die Bühnen rocken. Es sind die Kumpels von nebenan, die unseren eigenen Jugendtraum wahr gemacht. Aber träumen ist auch verdammt schön, wenn der Rock’n’Roll und der Boogie die Melodien dazu spielen! Diese Zeilen widme ich nachträglich der Erinnerung an Rick Parfitt (12.10.1948 - 24.12.2016).