Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
Hanna Rautzenberg – eine Seelenverwandte 06.08.2021 Das CD-Release-Konzert für das Album „Soulmate“ (2020) auf den Eineterrassen in Aschersleben. Sie ist eine besondere Erscheinung und so völlig anders, als die Möchtegernstars ihrer Generation. Auf mich wirkte Hanna bei unserer ersten Begegnung zurückhaltend und sehr jugendlich. Als Support der Australierin Jackie Bristow überraschte sie die Zuhörer mit einer Stimme ( HIER ), als käme sie geradewegs aus einem Hinterhof amerikanischer Großstädte, wo die Hautfarbe meist dunkel ist. Nie im Leben hätte ich dieses rauchige Organ mit dem zarten Gesicht eines Teenagers in Verbindung gebracht. Da steht eine große Zukunft in den Startlöchern, vermutete ich kühn, und holte mir ein Jahr später am gleichen Ort und in gleicher Konstellation die Bestätigung dafür ( HIER ). Da wirkte sie gereift, sicherer und hatte sichtlich großes Vergnügen, die eigenen Lieder zu präsentieren sowie gemeinsam mit Jackie Bristow das Finale zu rocken. Sie würde für ihr erstes Album arbeiten, verriet sie, und das machte mich neugierig. Als die CD „Soulmate“ erschien, das Album einer 15-jährigen, und deren Live-Präsentation schon in greifbare Nähe rückte, kam die Pandemie um die Ecke gegrinst und alles war offen, der Termin ins Nirgendwo verschoben. Heute endlich ist es Zeit, die Songs des Silberlings live zu präsentieren und ich freue mich darauf. Der Ort des Geschehens sind die Eineterrassen, eine Parkanlage entlang des Flüsschens namens Eine. Hier fand 2010 die Landesgartenschau statt, die dem Gelände seine heutige Gestaltung hinterließ. Am Einlass erhalte ich eines von einhundert vorab signierten Tickets. Viele Besucher sind auch schon hier und ständig kommen neue hinzu. Die Schönheit dieses Ortes trüben drohende Regenwolken. Immer wieder einmal fallen Tropfen, der ganz große Regenguss fällt zum Glück aber aus. Es fühlt sich an, als käme eine hundertköpfige Großfamilie für eine Party auf diese Wiese. Zwischen Zelten und der Bühne fühle ich mich wie in einem Ameisenhaufen. Auch ich werde ganz selbstverständlich begrüßt und fühle mich so dazugehörig. Die Zeit vergeht mit Gesprächen und gespannten Warten auf das Band-Konzert, das die CD „Soulmate“ in voller Länge und Schönheit live präsentieren soll. Hanna steht auf dieser großen Bühne, scheint es kaum fassen zu können. Das Glück ist ihr ins Gesicht geschrieben, als die ersten Klänge der Band ins weite Rund donnern. Das klingt gut, denke ich, doch schon erhebt sich Hanna’s Stimme über diesen Sound, federleicht und kraftvoll zugleich. Mir klappt die Kinnlade runter, denn „Falling Apart“ klingt live viel ruppiger und dennoch so ungemein geschmeidig. Hinter mir wird gejubelt und ich staune. Der absolute Hammer! Diese zierliche Soul-Diva, inzwischen „siebzehn Jahr’ und blondes Haar“*, gestaltet den Song souverän. Sie singt mit Leichtigkeit und mit routinierter Präzision. Alex Wurlitzer, der vielseitige Gitarrist an ihrer Seite, steigt mit rockigem Sprung in die Nummer hinein - Rock’n’Roll at his best und Pete Townshend wäre neidisch! Die Gitarrensaiten scheppern, sie jammern und sie schieben die Stimme dezent nach vorn. Der Himmel sendet in diesen Momenten viele kleine Freudentränen herab, doch kaum jemand nimmt Notiz davon. Hier wird gerade ausgelassen und stimmungsvoll ein Fest gefeiert. In der Reihenfolge der Album-Tracks folgen „Learning To Lie“ sowie „Never Be The Same“. Der Sound ist perfekt, die Stimmung grandios und die Harzer „Lady In Black“** rockt, dass die Fetzen fliegen. Geil, genau so hatte ich mir den Abend insgeheim ausgemalt. Mit „White Heart“ folgt nun jener Song, dem der MDR seine Aufmerksamkeit schenkte und Hanna’s Stimme weit über das Harzvorland hinaus trug. Noch einmal lässt uns Hanna wissen, wie stolz sie ist und wie glücklich, dieses „Soulmate“-Konzert in Ascherleben spielen zu können. Es folgen „Self Control“, „I Know How“ und „Romeo“, so wie auf dem Album. Zwischendurch plaudert Hanna locker oder sagt passende Worte zu ihren Liedern. So auch zu „Bloody Tears“, das sie für eine Freundin schrieb, die sich in einer schwierigen Situation befand. Ihre Stimme strahlt in die Abenddämmerung hinein, eine Slide-Gitarre weint bittersüße Töne und lässt die dunklen Wolken über der Silhouette der Stadt im Abendrot schimmern. Was für eine schöne Ballade! Mit „Soulmate“ folgt der Titelsong ihres Album-Debuts. Sie steht am Mikrofon und breitet singend ihre junge Künstlerseele vor uns aus. Im Background unterstützt ein Mini-Chor, Mama Susann Rautzenberg plus Jana Eimler, die nunmehr 17-jährige Frontfrau. Die Rhythmusgruppe aus Daniel „Jack“ Wolf (dr) sowie Konrad Eggebrecht (bass) unterstützen den Bandleader, Produzenten und Gitarristen Alexander Wurlitzer in perfekter Harmonie. Die zierliche Rock- Lady singt diese wunderschöne Soul-Nummer; was für eine hoffnungsvolle reife Stimme, die sich fast in einen Rausch zu singen scheint. Ich stehe vor der Bühne und bin zutiefst beeindruckt von dem, was ich sehe, erlebe und höre. Doch ehe ich zu träumen beginne, beendet „Margrit“, der letzte Track der CD, ein echter Country-Rocker, die vollständige Live-Präsentation des Albums. Im Dämmerlicht stehen ihre Freunde und tanzen ausgelassen dazu. Was für ein schönes Bild und welch grandiose Performance der jungen Künstlerin und ihrer Live-Band. Ich bin restlos begeistert und hingerissen. Das ganze Album „Soulmate“ klingt live tatsächlich rattenscharf und rundum überzeugend. Schön, dass es abseits des Mainstream noch junge Musiker gibt, die es live tatsächlich schaffen, zu rocken sowie eigene Melodien mit persönlichen Texten zu schreiben. Doch war’s noch lange nicht! Nach einer kurzen Pause zum Runterkommen, Schnattern und Energie nachtanken, eröffnen die Musiker den zweiten Teil mit. „Never Miss A Man“ und „Narrow Lungs“ sind brandneue Lieder, die wir zu hören bekommen. Sie schließen klanglich nahtlos an die vorherigen an. Bei „Bluesy Wine“, einer emotional gesungenen Ballade, verziert Gitarrespiel mit längst vergessenen Wha-Wha-Effekten die Melodie. Danach steht Hanna Rautzenberg allein auf der Bühne. So wie sie vor Jahren begann, sagt sie, möchte sie zwei leise Lieder für uns singen. Tatsächlich gehen mir „Essential Pain“ und ganz besonders „Sweet Lullaby“ tief unter die Haut. Was für eine Stimme, die zu spärlich gezupften Gitarrentönen weit hinaus in die aufkommende Nacht trägt. Sollte jemand bis zu diesem Moment noch leise Zweifel gehabt haben, jetzt kann er sie einbuddeln, vergessen. Ein Wunderkind ist Hanna sicher nicht, aber ein Riesentalent mit einer unglaublichen Stimme, die von berührend zart bis heftig rockend sowie mit Soul eingefärbt, das ganze Spektrum mühelos beherrscht. Dem Rock-Rentner gefällt, was er zu hören bekommt. Das Album „Soulmate“ ist schon beeindruckend, doch dieses Konzert übertrifft meine Erwartungen bei weitem. Hanna spricht von ihren musikalischen Helden und lässt ihre ganz eigene Version von Tom Petty’s „Free Fallin“ folgen. Jetzt stehen viele vor der Bühne, sie schauen, sie singen und sie toben, als von der Bühne „Purple Haze“ von good old Jimi Hendrix zu uns herunter kracht. Ich sitze, als Rock-Rentner verkleidet, einfach nur da und tauche in diese Vintage-Klänge ein. Das Fest ist auf dem Höhepunkt angelangt und viele tanzen jetzt zu „Drive Me Crazy“, während auf der Bühne die Luft zu brennen scheint. Nur noch wenige Augenblicke, dann erleuchtet ein glücklich strahlendes Augenpaar, gemeinsam mit den Spots, die beginnende Nacht. Da erfindet ein Teenager neue Melodien, stattet sie mit gefühlvollen Texten aus und singt. Vorbilder gibt es, aber jeder Ton, jeder Klang ist authentisch Hanna Rautzenberg und sonst nichts. Das ist selten und aller Ehren wert. Die Show ist am Ende, doch einer fehlt wohl noch, den alle hier kennen. Dann geschieht, was mich noch einmal überrascht. Hanna singt zum ersten Mal an diesem Abend in deutscher Sprache und alle stimmen ein: „Ich sitze hier“. Die Nummer ist nichts Geringeres als ein ausgeflippter Gassenhauer und Hanna hat ihn geschrieben. Einer ihrer Freunde hat sich zu ihr begeben, um dieses „Ich sitze hier“ von der Bühne gemeinsam mit Hanna zu singen. Vor, neben und hinter mir wird gesungen und aus vollem Halse gejubelt. Erst danach ist der musikalische Teil der nachträglichen Veröffentlichungs-Party zu Ende. Noch ein wenig benommen und mittendrin stehend, realisiere ich, ein Teil dieser schönen Feier gewesen zu sein. Im Hochgefühl der erlebten Musik schüttle ich Hände, verabschiede mich von der Hauptperson des Abends und freue mich darüber, auf dem Aldi-Parkplatz kein Zettelchen am Auto vorzufinden. Das ist gut so. Mein Hochgefühl lässt mich dezent über die nächtliche Piste in Richtung des heimatlichen Hofes schweben. Schön war’s, DANKE Hanna und bis bald mal wieder (mit Jackie?). *) „Siebzehn Jahr, blondes Haar“ – Udo Jürgens **) „Lady In Black“ – Uriah Heep