Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
Erinnerungen an Siegfried „Siggi“ Schweimer 12.12.2019, 23.00 Uhr (04.12.1946 – 12.12.2019) Mir fehlt ein Freund, er ist gegangen. Wie reagiert man, wenn ein Freund gehen muss, ja gehen will? Ich sitze, im übertragenen Sinne, daneben und kann das Unvermeidliche nicht begreifen. Siggi hatte sich wohl schon vor längerer Zeit auf diesen Weg vorbereitet, denke ich. Nun ist er ihn bis zum Ende gegangen. Er ist, so wie John Lennon es einst formulierte, von dem einen nur in den anderen Wagen umgestiegen. Vor wenigen Minuten habe ich diese Nachricht bekommen, sitze vor diesem PC-Schirm und kann nicht begreifen, was ich da lese. Mensch Siggi, nun muss ich damit klarkommen, dass ich schon wieder einen Freund weniger an der Seite habe. Es macht mich unendlich traurig und irgendwie auch hilflos. Wir sind über die Jahrzehnte ähnliche Wege als „Kulturarbeiter“ gegangen, haben uns aber erstmals vor wenigen Jahren, durch Vermittlung einer Freundin, getroffen. Heike hatte das Gespür für unsere Ähnlich- und Befindlichkeiten und brachte uns, ausgerechnet bei einem Treffen von Puhdys-Fans, die wir gar nicht waren, zusammen. Wir saßen uns im Braunsdorfer Umfeld gegenüber und haben uns an längst vergangenen Episoden, neben und hinter den Bühnen, begeistert. Dieser „Kulturminister“ aus Fürstenwalde kannte sie alle, die auch ich live gesehen hatte: Joco-Dev, Centric, die Berolina Singers, die Alexanders, die Regenten mit Henry Kotowski, Electra, Diana Show, Sputniks und Modern Soul. Er hatte die Lords mit den Puhdys auf „seiner“ Bühne, Locomotiv GT, Zsuzsa Koncz, Illes, General, die Beatles Revival Band und Mud, die ich in Belgern live sah. Und Siggi liebte die Lieder der Klaus Renft Combo sowie das Spiel des Gitarristen Cäsar, so wie ich auch. Wir haben gequasselt, wir lachten, wir erinnerten uns und waren, mitten unter Puhdys-Fans, allein in unserer eigenen Welt der Erinnerungen unterwegs. Eine Welt, die nur noch wenigen wirklich vertraut ist. In meiner Wahrnehmung finden es viele Musiker toll, auf der Bühne bestaunt und gefeiert zu werden. Ich habe nicht viele kennengelernt, die das Wirken derjenigen hinter den Kulissen und vor Konzerten zu würdigen wussten. Ich habe sogar erlebt, wie großkotzig manche wurden, wenn man die eigenen Vorstellungen durchsetzen wollte. Siggi war einer von denen, der sich der Achtung von Musikern auf „seiner“ Bühne sicher sein konnte und von vielen in seiner Heimatstadt ebenso geachtet wurde. Das habe ich manchmal deutlich gespürt und das wird auch in der Erinnerung vieler Menschen in seinem Umfeld so bleiben. Ohne Enthusiasten wie ihn, hätten wir heute nicht den „Ostrock“, den wir kennen und wir hätten auf so manches „Provinz“ - Konzert internationaler Größen verzichten müssen. Siggi sah sich selbst nicht in einer Reihe mit den Stars und Sternchen, die seine Bühne nutzten. Ohne Leute wie ihn allerdings, hätten sie alle nicht wirklich existieren und „muggen“ können. Er war ein Macher und wenn man mit Musikern jener Tage ins Gespräch kommt, erinnern sich viele gern an den Mann aus Fürstenwalde, der seinen Job als Berufung sah und ihn mit Leidenschaft ausfüllte, obwohl er nach außen beinahe schüchtern und sehr bescheiden wirkte. Wir fanden raus, dass wir beide in Meissen-Siebeneichen waren, nur zu unterschiedlichen Zeiten. Wir teilten eine Vorliebe für Bands wie Lift, Electra, die Stern Combo Meissen und Czeslaw Niemen. Uns verbanden die gleichen Erfahrungen mit DDR-Behörden und die Kenntnis von vielen Umwegen, sie zu umgehen. Darüber haben wir selbst am Telefon oft gelacht, denn wir wussten, dass andere ebenso gedacht und gehandelt hatten. Irgendwann begann er, mir Teile seiner ganz persönlichen Souvenirs und Erinnerungsstücke zu überlassen. Wir trafen uns bei einem Konzert von Yusuf, der nun die Songs von Cat Stevens singt, und haben manch anderen schönen Augenblick geteilt. Dabei ging es ihm oft schon nicht besonders gut. Kann sein, dass er mich in weitreichender Voraussicht mit seinen Fotos und einmaligen Souvenirs längst vergangener Tage bedacht hat. Ich werde alles behüten, bewahren und hoffentlich einer sinnvollen Nutzung zuführen können. Siggi hat irgendwann in jenen Tagen gespürt, dass etwas nicht stimmt. Er hat sich dagegen gestemmt und die Symptome gehasst. Er hat Arztbesuche absolviert wie andere einen Wochenendausflug. Seine Zeit in einer Klinik verplempern zu müssen, ging ihm gegen den Strich. Wenn wir telefonierten, konnte ich manchmal die Veränderungen spüren, die durch die Krankheit kamen und wie er sich dagegen zu wehren versuchte. Irgendwann hat er wohl das Unvermeidbare geahnt, sich „arrangiert“ und vielleicht noch auf ein Wunder gehofft, das sich leider nicht einstellen wollte. Ich mochte nicht in der Haut der Angehörigen, insbesondere seiner Frau, stecken, die diesen schleichenden Prozess hilflos mit ansehen mussten. Vor ihnen ziehe ich meinen Hut, Ihnen gilt meine tief empfundene Anteilnahme in diesen schweren Stunden des Abschiednehmens. Mir fehlt jetzt ein Freund, einer mit dem ich mich auf Augenhöhe austauschen konnte und der mir das Gefühl gab, vielleicht auch einiges richtig gemacht zu haben. Wieder ist einer aus unserer Mitte diesen Weg viel zu früh gegangen. Ich hatte es wohl geahnt, doch dass alles so schnell eintreten würde, hat mich dann doch überrascht. Es war ein Vergnügen und ist mir eine Ehre, ein Stück des Weges mit Dir, lieber Siggi, gegangen zu sein. In meinen Augen warst Du ein Rocker aus tiefsten Herzen! Danke für Deine Begleitung „hier unten“ und grüße Heike von mir und uns allen „da oben“. Ihr seid unvergessen und für immer in unseren Gedanken. Gute Reise und danke, mein Freund, Du wirst mir fehlen.