Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
Semper Fidelis 70/10 - Cäsar’s Geburtstagskonzert 07.01.2019 Mir ist, als wären mir diese zehn Jahre wie Wasser zwischen den Fingern hindurch geglitten. Ich mag nicht glauben, dass ich schon wieder, mit Freunden und Weggefährten, vor dem Anker in Leipzig auf Einlass warte. In mir herrscht Zwiespalt, so wie vor zehn Jahren auch. Einerseits die Freude, diesen sicher sehr stimmungsvollen Abend mit vielen Ausnahmekünstlern erleben zu dürfen. Andererseits aber die Vorstellung, wie schön es wäre, wenn CÄSAR selbst noch diesen Abend gestalten und prägen dürfte. Doch „er ist gegangen, weil er geboren wurde“. Scheiße ist es trotzdem! „Where Have All The Good Times Gone?“, sangen schon 1965 The Kinks aus England. Wo fange ich an, wo höre ich auf, mich zu erinnern. Die Klaus Renft Combo erlebte ich erstmals live und noch nicht im Konzert. Hans-Jürgen Beyer sang „Set Me Free“, der Gitarrist Jürgen Matkowitz ließ bei „Born To Be Wild“ seine Gitarre jaulen. Das muss 1967/68 gewesen sein und als die „Fahne“ hinter mir lag, stand CÄSAR mit der Gitarre (um den Hals) da vorn und auch alle anderen, außer Klaus Renft, waren neu in der Combo. CÄSAR besang die „Lady Jane“, während die anderen Musiker am Tresen ihr letztes (?) Bier austranken. Jugendtanzabende dieser Art habe ich einige erlebt und zudem noch ein Sonntagvormittagskonzert, bei dem auch mein Vater neben mir saß und sich freute, wie sie a capella den „Bananaboat Song“, vom Vorabend noch nicht ganz nüchtern, sangen. Nach dem Verbot fand ich CÄSAR und Jochen bei Karussell wieder und die standen 1978 auf „meiner“ Konzertbühne. Der Abend wurde ein unvergessliches Erlebnis. Mitte der 1990er holten wir CÄSAR & Die Spieler in unseren Klub „Die Stube“ zum Konzert. Ich habe mir seine erste CD „Cäsar“ signieren lassen, um ihn dann für zehn Jahre nicht mehr live zu sehen. Mit Weggefährten erlebte ich dann ein furioses Weihnachtskonzert 2007 von CÄSAR & Die Spieler im Anker, aber auch die Ankündigung, sich in ärztliche Behandlung begeben zu müssen. Ein halbes Jahr danach besuchte uns CÄSAR beim Fantreffen im Entenfang von Torgau. Es war das letzte Mal, dass er unter uns weilte, dass ich ihn sah und mit ihm sprach. Erst auf dem Südfriedhof trafen wir uns wieder, zum Abschiednehmen und gemeinsamen Trauern. Im Januar 2009 dann „Semper Fidelis“, ein Konzert zu seinem 60. Geburtstag, das ein emotionales Miteinander wurde. Wir haben ihn gefeiert, haben uns erinnert und am Ende gemeinsam geheult. Von damals bis heute blieben irgendwo neben der Zeit alle unsere Erinnerungen liegen. Man kann sie alle finden und betrachten, wenn man es wirklich möchte. Heute nun würde CÄSAR 70 sein und einige, darunter auch ich, werden dieses Datum feiern, „weil er geboren wurde“, und weil wir es uns so sehr wünschen (aber Scheiße ist es trotzdem). Alle Fotos dieser Seite bitte durch Anklicken vergrößern. Zum vereinbarten Zeitpunkt ist der Anker gefüllt, beinahe vollgestopft bis in den letzten Winkel. Viele Gesichter, die sich kennen und in denen glückliche Augen unter grauer Haarpracht leuchten. Von ganz oben, vom Bühnebogen, schaut CÄSAR still lächelnd auf uns, als würde er heute den eigenen Liedern lauschen wollen. Hier stehe ich nun mit Freunden und Weggefährten, glücklich, angespannt, angeregt und ein wenig gealtert, der vielen Jahre wegen, die gerade als Lieder-Erinnerungen abgespult werden und jedes Mal neuen Beifall hinter mir auslösen. Ich stehe vorn an der Rampe, wohl wissend, dass ich nach drei Stunden, oder gar eher, einen festen Halt brauchen werde. Emotional und sowieso. Von den Worten der Begrüßung erreicht nur die Hälfte mein Gehör und die Gesichter von SIMONE DAKE sowie ARNO KÖSTER werden vom Licht der blauen Spots aufgefressen. Blöde Idee, denn blauer Schein lässt vieles älter erscheinen. Auch Gesichter! CÄSAR, das „Liebeslied“ singend, als Ton und Filmkonserve. Das Gesicht aus der Vergangenheit und auf der Bühne all jene, die er lebend zurückließ. Es fühlt sich an, als würden Zeit und Realität hier und jetzt schwinden. Die Reise beginnt und die ehemaligen (Mit)Spieler übernehmen. Von jetzt auf gleich rockt es im Anker. Jubel und alles live, so als lägen keine zehn Jahre zwischen jener ersten Ausgabe und dem Geschehen. Als erster Gast greift FALKENBERG in die Saiten, lässt die alten „Weggefährten“ krachen, so dass Melancholie erst gar nicht aufkommen kann. Man kann ihn mögen oder nicht, aber mir sind Leute mit klarer Kante lieber, als verzweifelt schmusende Weihnachtsrocker. Rock’n’Roll ist es, wenn’s kracht, nicht schunkelt! Bei „Zwischen Liebe und Zorn“ sollte er zwar „Revolution ist das Morgen schon im Heute“ singen, aber dafür ist alles live, das Lampenfieber sichtbar und bei CAROLIN MASUR klappt mir dann ruckartig mein Unterkiefer eine Etage tiefer. Was für ein kultivierter Schrei, untermalt von MORITZ GLÄSER mit einem Gitarrensolo! So eine Version von „Liebe und Zorn“ gehört in Konserve gemeißelt, wie die vom „Wandersmann“ mit ERIC FISH auch! Spätestens nach diesen ersten zehn Minuten ist jedem hier klar, dies wird eine brausende Geburtstagsparty, nur der Jubilar, übrigens eine echte Rock-Legende, ist leider verhindert. Dass eine geborene MASUR einmal einen düsteren Rock-Song wie „Die Gewalt“ interpretieren würde, wäre wohl niemandem im Saal je in den Sinn gekommen. Doch genau das macht sie - und wie! Sie singt, als wäre das Grauen fassbar, presst die ängstlichen Emotionen auf engstem Raum zusammen, um dann von den schönsten Gefühlen der „Sehnsucht“ zu träumen. Sie jagt uns über die Achterbahn aus dem Tief ins Hoch und mir Tränen in die Augen. Eine klassisch geschulte Stimme singt eine der schönsten deutschen Rock-Balladen, die auf klassische Strukturen gebaut ist. „Yesterday“ und „Lady Jane“ lassen grüßen. Zum Heulen schön und genau so geschieht es. Oh, mein Gott! Die Fahrt auf der Achterbahn geht weiter. KAI NIEMANN plaudert liebevoll vom Jubilar und macht aus „Hallelujah“ eine stampfende Hymne. Die tiefen Töne von VOLKMAR GROßE rammen sich mir in den Bauch und meine Füße stampfen trotzig das Parkett: „Auf der Stelle, wo er starb, seine Seele über’m Grab, bleibt ganz nah, wie’s immer war, bei ihr“. Irgendwie müssen ja auch Rammstein mal inspiriert worden sein. NIEMANN taucht ein in „Kain ist tot“ und besingt gefühlvoll „Deine Augen“, ehe wir alle den „Mitternachtsblues“ rocken und VOLKMAR den „Mr. Biederman“, mit uns als Chor, besingt. Mir ist, als hätte sich CÄSAR nur mal so für einen Augenblick (oder einen Schluck) verzogen und würde gleich wieder, zum Gitarrensolo, aus dem Bühnenvorhang hervortreten. Zeit ist eben doch (gefühlt) relativ! Stattdessen wird ein gewisser Pjotr Anatolitsch Wassiljewski angekündigt. Ihn kannte ich bisher nicht, aber wie PJOTR die „Bauerpolka“ auf die Bühnenbretter hämmert und springt, wirkt im ganzen Saal ansteckend. Der tobt und jubelt, dass irgendwo die Heide wackelt oder in den Alpen ein Lawinenbrett abgeht, denke ich mir. Genau die richtige Stimmung, um mit dem Trommeln von „Noturno“ noch eins draufzusetzen. Es ist einfach grandios, wie diese Spieler noch immer rocken und dieses hochexplosive Gemisch aus Rock, Blues, Polka und instrumentaler Finesse aus CÄSAR’s Fundus live umsetzen. Mich begeistert auch, wie dezent und vielseitig MARIO FERRARO mit seinem Gitarrenspiel wirklich jedem Song einen besonderen Feinschliff verleiht. Selbst eine Rap-Einlage vom Sohnemann MORITZ findet da noch seinen Platz. Es ist schlicht grandios, was hier an virtuoser Musikalität abgefackelt wird. Kein Abspulen alter Hits, stattdessen wird liebevoll, mit viel Ideenreichtum neu- und umgestaltet und der Spaß kommt auch nicht zu kurz. Chapeau! Die „Nummer 1 an der Bar“ singt wieder CÄSAR auf der stehenden Videowand und seine Spieler sind es auch diesmal, die ihn begleiten. Noch einmal eines seiner so typischen Soli, noch einmal der Klang seiner Gitarre. Die gebürtige Thüringerin NADINE MARIA SCHMIDT passt nur scheinbar nicht in Riege der musikalischen Weggefährten von CÄSAR. Der jedoch hatte immer ein offenes Ohr für Neues und jüngere (Begleit)Musiker. Ihm hätte es gefallen, wie die schlanke Lady „Ja oder nein“ singt und dann die „Glaubensfragen“ von Kuno, nur von VOLKMAR am Bass begleitet und mit wundervollen Vokalisen verziert, interpretiert. Da bin ich mir sicher. Ganz ehrlich, das hatte ich nicht erwartet und andere, die ihr Staunen laut artikulieren, offensichtlich auch nicht. Eine der Überraschungen des Abends. Während einer Umbaupause bedanken sich SIMONE DAKE und ARNO KÖSTER bei allen, die diesen so wundervollen Abend ermöglicht haben und dann spielt jemand Gitarre. TOM LEONARDT erkenne ich tatsächlich nur an diesem Gitarrenspiel: Laut, elegant, schnell, immer noch ein wenig dreckig und sehr präzise. Mit seinen Fingern auf den Saiten klingen „Lieb ein Mädchen“ und „Der Gitarrist“ nicht ganz so brav, wie man beide Songs gedanklich abgespeichert hat. Der Typ spielt, beinahe wie einst CÄSAR, noch immer jeden Computerchip locker an die Wand, weil der weder Herz hat, noch so beseelt singen kann wie REINHARD „OSCHEK“ HUTH. Aber genau darum geht’s beim Rock’n’Roll und STOPPOK, mit CYNTHIA NICKSCHAS an seiner Seite, lässt daran nicht den geringsten Zweifel aufkommen. So einen stimmgewaltigen Chor wie bei „Mc Donald“ hat der neue Anker zuletzt beim Konzert der Seilschaft vor wenigen Wochen erlebt. Auch diesmal kennt jeder jede Textzeile des Volksliedes und die beiden da vorn auf der Rampe genießen es, die Akteure sein zu können. Das Adrenalin schwebt wie ein Duftstoff im Raum, als BIG JOE STOLLE hinzu kommt, um mit seiner Mundi „Cäsar’s Blues“ anzustimmen. Die Masse jubelt, sie tanzt wie in Trance und die da oben treiben sich gegenseitig an. Es ist ein fröhliches Fest geworden und ich bin mittendrin. So wunderschön! Mit ihrer rotzigen Version vom „Bauch des Riesen“ bezaubert CYNTHIA NICKSCHAS im Handumdrehen wohl jeden im Auditorium. Mit ihrer Unbekümmertheit, die man von Straßenmusikern kennt, ringt sie dem Klassiker tatsächlich einen völlig neuen widerborstigen Charme ab und begeistert die Menge. So ein zierliches Wesen, aber sie so herrlich lebendig zu erleben, welch ein Glückgriff. Diesen Glücksgriff haben die Herren vom APFELTRAUM um die beiden Cäsar-Söhne bereits hinter sich und die Aufgabe, das Feuer weiter zu tragen, fest im Hinterkopf. Mit B.J. STOLLE an der Seite und DELLE KRIESE bzw. JÜRGEN SCHÖTZ hinter der Schießbude prasseln nun die Hits auf uns ein: „Steig ein“, „Der Wind weiß, was mir fehlt“, „Baggerführer Willi“, „Bruder Blues“, „Whisky“, „Gelber Mond“ und endlich auch das „Gänselieschen“. Es scheint, als würde die einstige Klaus Renft Combo mit Karussell wie in einem Schmelztiegel brodeln. MORITZ kommt seinem berühmten Vater gefühlt verdammt nah und wenn ich die Augen schließe, verschwinden gar die Unterschiede fast völlig. Es ist faszinierend, das zu erleben und es macht unheimlich Spaß, sich von ROBERT, der geilsten „Rampensau“ des Ostens, anheizen zu lassen. Hey, es ist Rock’n’Roll und niemand hat etwas anderes erwartet. Die Jahreszahlen auf dem Lebensuhrwerk sind heute draußen geblieben. Ich will und liebe es genau so! Jede schöne Party muss einmal ein Ende haben. Eine Binsenweisheit. Das bekannte Intro erklingt und ich würde ein Feuerzeug entzünden, hätte ich eins bei mir. Beim gemeinsamen Gesang „Wer die Rose ehrt“ werden mir die Knie weich und denen da oben sieht man das Besondere des Momentes auch an. Erinnerungen vermischen sich mit Euphorie und Besinnung: „Und Mensch ehrt den Menschen“. Jetzt nur nicht melancholisch werden! Zum Glück gibt es den „Apfeltraum“ und noch einmal gelingt es, den Anker-Chor zu aktivieren. Wir singen mit denen auf der Bühne. Noch einmal der Klang der Flöte, noch einmal die Violinen von CORNELIA PLÄNITZ und TILL UHLMANN, doch der wirklich letzte Ton kommt von der Blockflöte des Meisters. CÄSAR und seine Version vom „Sandmann-Lied“ wollen uns nun in die Nacht geleiten. Mir ist wie vor zehn Jahren, glücklich und eigenartig beseelt fühlt sich der Ausklang an. Wer will schon nach einer begeisternden Party gern nach Hause und vorher in die kühle Tristesse der Nacht? Was ich jetzt brauche ist Wärme und die bekommt man bei den vielen herzlichen Umarmungen und liebevollen Worten von Freunden und Musikern. Nach und nach nähert sich der Moment des Auseinandergehens. Diesmal fällt der Abschied besonders schwer und als ich hinaus gehe, empfinde ich ein tiefes Gefühl von Glück und Dankbarkeit für JEDEN, der diesen einmaligen Moment Wirklichkeit werden ließ. Vor allem aber danke Dir, liebe SIMONE DAKE: „Wenn ich, was mein Lied gesät, aufgeh’n seh’ in fremden Köpfen und find’ Lachen und find’ Weinen, nämlich bin ich glücklich.“