Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
Singen vom Leben – The Sands Family in Zwickau 24.04.2013 Im Jahre 1973 waren sie das erste Mal hier. Damals hieß diese Gegend noch DDR, hier lebten auch Menschen mit Gefühlen und heimlichen Sehnsüchten und in Berlin fand ein Festival des politischen Liedes statt. Die irische SANDS FAMILY gehörte zu jenen vielen Künstlern aus allen möglichen Ländern dieser damaligen Welt, die diesem Event, wie man es heute nennen würde, ein besonderes Flair gaben. Damit waren sie bei weitem nicht die einzigen. Einer, der mir sofort einfällt, weil er sich mit seinem Lied über „Nicaragua“ so tief in die Herzen vieler sang, war der Kanadier Bruce Cockburn, der mit seinem Lied Gerhard Gundermann inspirierte, dafür einen deutschen Text zu finden. Bruce Cockburn ist mir, wie die SANDS FAMILY auch, bis heute in meiner Erinnerung hängen geblieben und auch der Wunsch, sie einmal live erleben zu dürfen. Wahrscheinlich deshalb, weil vor allem die SANDS FAMILY es war, die mit ihren traditionellen und den eigenen Liedern irische Musik, nicht nur bei uns, einem breiten Publikum nahe brachte, aber besonders hierzulande tiefe Wurzeln in die Herzen vieler Menschen treiben konnte. Diesen vier Musikern von der grünen Insel Irland habe ich, neben einigen anderen, mein Faible für das Keltische im Folk zu verdanken. Ich kaufte mir ihre Platte von Amiga (1981) und legte mir das Poster aus der NBI zur Seite. Nur leider fand ich, als einer aus der Provinz, nie wirklich die Chance, eine Karte für eines ihrer Konzerte in Berlin zu ergattern. Die waren dort schneller weg, als ich mir eine Fahrkarte für die Bahn kaufen konnte. Also habe ich sie auch bei einem späteren Besuch „der größten DDR aller Zeiten“ im Jahre 1980 wieder verpasst. Es sollten noch mehr als weitere zehn Jahre vergehen, ehe mein Wunsch endlich wahr werden konnte. Nach der Wende gaben sie gemeinsam mit WACHOLDER, die seit den 1970er Jahren mit der SANDS FAMILY freundschaftlich verbunden sind, in Cottbus ein Konzert und dort war ich endlich dabei. Das ist fast genau 20 Jahren her und nun, da ich schon beinahe nicht mehr daran glaubte, fahre ich noch einmal zu einem ihrer Konzerte, um der Faszination ihrer Musik und den schönen Erinnerungen, die sich damit verbinden, zu erliegen. Die Reise geht nach Zwickau. Das ist für mein Gefühl ziemlich weit, aber immer noch viel näher als Oberhausen oder Nürnberg, wo sie auch auf der Bühne stehen die Set-List für Zwickau haben sie auf die Rückseite eines Plakates aus Oberhausen geschrieben. Hier in Zwickau also, wo einst die Automobilwerke für Lohn und Brot sorgten, wurde auch mein Trabbi in den 1980er Jahre zusammen geschraubt, ohne dass ich ihn jemals selbst über Strassen gefahren hätte. Inzwischen erledigt diesen Job mein silberner Blechfreund, der allerdings auch nichts weiter macht, als mich über Strassen und Autobahn an Chemnitz vorbei zum Alten Gasometer in Zwickau zu befördern. Das ist überraschend schnell gefunden und so bleibt genug Zeit, in Ruhe den kommenden Stunden entgegen zu fiebern. In meiner Heimatstadt Elsterwerda stand hinter dem Bahnhof auch so ein altes rundes Ding und als Junge wollte ich immer wissen, wie es da drinnen wohl aussehen mag. Nun stehe ich endlich, mit meinen sechs Dekaden auf dem Buckel, inmitten so einer leeren Riesentonne aus rotem Klinkerstein und komme aus dem Staunen gar nicht mehr raus. Was für ein wunderschönes Kleinod, was für faszinierende Lichtspiele von außen in den Innenraum gelangen und was für eine beeindruckende Einrichtung dem Raum Atmosphäre gibt. Nichts mehr ist zu spüren von der alten Bestimmung. Hier ist eine andere, neue eingezogen und verbreitet andere, intensive Stimmung. Das allein ist diese Fahrt nach Zwickau, an den Rand Sachsens wert. Einen solchen markanten und heimischen Treff für die Bürger würde ich mir in meiner südbrandenburgischen Randenklave auch wünschen! Dann hätte ich vielleicht, gleich vielen anderen, die sogar aus Berlin und Nürnberg hierher gekommen sind, so ein Konzert vor der eigenen Haustür erleben können, ohne die Dividende der Aktionäre von Shell, Aral & Co. steigern zu müssen. Sei es drum. Hier sitzt die Generation (mindestens) 40 plus versammelt und wartet auf einige ihrer Idole aus längst vergangenen, aber noch lange nicht vergilbten, Jahren. Wer hier links, rechts und hinter mir sitzt, weiß warum. Dann stehen vier aus der Familie Sands ganz unspektakulär auf der Bühne, empfangen ihren Begrüßungsapplaus und die ersten Töne erklingen. In mir macht es „Zoom“ und dann summe ich die Melodie von „Daughters And Sons“ (Töchter und Söhne) mit. Es geht um die Vision, den „Samen der Freiheit und Gleichheit“ an unsere Kinder und Enkel weiter zu geben, hinein in ein friedliches Miteinander der Menschen, wenn möglich. Eigentlich braucht es auch nicht mehr Worte, als genau diese, um die kommenden drei Stunden zu beschreiben. Die SANDS FAMILY sind natürlich Musiker, und was für welche, aber sie wollen uns noch immer ganz bewusst etwas mehr sagen, als dass im Frühling die Blumen blühen und im Herbst auch, nur andere. COLUM SANDS, der mit den Locken und seinem Bass, spricht aus, was viele von uns auch bewegt. „Sie sagen uns Dinge, die keiner hören möchte“, mein er, „und geben Geld aus für Waffen, die wir nicht brauchen, statt für Hospitäler und Schulen.“ So ist die Musik der Sands Geschwister auch Botschaft, Inspiration und Anregung zum Denken und genau das meinen sie mit ihrem schönen alten Lied von den „Töchtern und Söhnen“. Irgendwie sind das auch Liebeslieder, sie klingen auch genau so, und gehen trotzdem anders zu Herzen. Der spontane Zwischenapplaus gibt im recht. Alle gemeinsam singen sie uns diese, ihre Liebeslieder, wie „I Always Love U“ (Ich liebe dich immer) oder skurrile Geschichten, wie die von „Coffee And Cheesecake“ (Kaffee und Käsekuchen) sowie den Frauen. TOMMY erzählt von einem Musical und singt uns den Titelsong Shadow Of O’Casey“ und davon, dass man etwas tun, aber auch träumen muss: „You must do, but you must dream too.“ Sie singen uns vom „Fox“ (Fuchs) und versuchen mit uns gemeinsam den ellenlangen Chorus von einem gewissen „Jackson“ unfallfrei einzustudieren vergebliche Liebesmüh, aber lustig allemal. Sie erzählen von ihren Eltern und den alten irischen Liedern, die sie sangen, und auch von den Geschichten, die sich dahinter verbergen. Es sind, damals wie heute, Lieder, die vom Leben singen und das tun sie manchmal tief in Emotionen versunken und dann wieder aufbrausend fröhlich. Mich fasziniert der äußerst sparsame und vielfältige Einsatz der Instrumente, der den Stimmen genug Raum lässt, sich zu entfalten, ohne dabei laut, aufdringlich und gewollt nach Effekten haschend, über die Rampe zu poltern. Die Wirkung ihrer Musik ergibt sich, für mich ganz persönlich, aus einer fast spartanisch sich zurück nehmenden Art, die Lieder zu singen. Das zwingt zum Zuhören und zum genauen Hinhören. Eine Tugend, die heutzutage digital via „Eier-Pot“ und massenhaften Abhören aus dem „Läppi“ völlig verloren gegangen scheint. Wie die Gefühle auch, die damit zugedröhnt oder gar abgetötet werden. Aus welcher alten und „verkrusteten“ Generation muss man eigentlich kommen, um sich so etwas leises, fragiles und zerbrechliches, diese entspannte Eindringlichkeit, wie „County Down“ der SANDS FAMILY anzutun? Und dann schaue ich mich um alles Menschen wie du, dein Nachbar und ich wie „Jackson, Janson, Jamerson And I“ oder so ähnlich. Schön, dass es uns noch gibt, die wir hier sitzen und uns Geschichten singen lassen wie „My Mother Won’t Let Me Marry“ (Meine Mutter möchte mich nicht heiraten lassen). Voll aus dem Leben gegriffen oder eben auch knapp daneben, aber immer mit einem Augenzwinkern und einem kleinen Körnchen Wahrheit zwischen den Worten. Nach einer Pause, mit Gelegenheiten für intensive Gespräche, hören wir, gesungen von ANNE SANDS, „Dan M’Gra“ eine gefühlvolle Ballade oder ein „irisches Chanson d’Amoure“, wie TOMMY eine andere Melodie ankündigt. Ganz rechts stehend, erzählt uns BEN von Leuten, bei denen man sich wohl fühlt, wenn sie den gleichen Raum betreten und von solchen, wo das gleiche geschieht, wenn sie gehen - „Better Or Ready“ (?). Ich mag die SANDS immer dann am meisten, wenn sie ihre eindringlichen Balladen singen oder jene kleinen liedhaften Kunstwerke, die zum „um die Ecke denken“ zwingen. Wenn sie uns vom Schweinchensammeln berichten und dann aber doch die menschliche Herzlichkeit meinen. Wenn sie von einer Umarmung, einem „Hug“, singen, der die beste Therapie für uns sei. Dass sie dennoch sehr zeitkritisch sein können, beweist ihr Rückgriff auf Dylan’s „Blowing In The Wind“, aus dem sie ihr „The Answer Is Not Blowing In The Wind“ machen. Die Wahrheiten stechen uns direkt in die Augen, wir dürfen nur nicht darüber hinweg sehen wollen, weil uns die „blühenden Landschaften“ ablenken könnten. Dann wieder schallt Lachen durch den Raum, als COLUM, die Arme auf seiner Gitarre verschränkt, uns von einem weisen Mann erzählt, der schon vor zwanzig Jahren weit in unsere Zukunft schauen konnte, indem er meinte, „er könne aus Hunger glattweg ein Pferd verspeisen“. Wenig später greift BEN zur Mandoline und beginnt langsam eine sich wiederholende Melodie zu spielen. Dabei wird er immer schneller, steigert sich immer mehr und die anderen steigen in sein Spiel ein. Zum Schluss hin tobt der ganze Saal vor Begeisterung. Letztlich begeistern sich mich mit „Down By The Lagan Side“, gesungen von TOMMY SANDS, einer jener Songs, der sich, inzwischen schon m-zig Mal gehört, schon vor zwanzig Jahren in mein Ohr gebohrt hat und dort nicht mehr raus zu bekommen ist. Es ist ein Lied von „dancing and romancing“ and von „Whisky in the Tee“ ja, richtig gelesen das mit seiner Ursprünglichkeit, beinahe jeden im Saal des alten Gasometer zu faszinieren vermag, denke ich mir. Da sitze ich vor dieser Bühne, lasse mich von vier weltbekannten Musikern weit weg tragen, und bin in diesen Minuten mit mir völlig im Reinen. Es ist „meine Musik“, meine Art, die Welt zu erkennen und manchmal auch mein Innerstes, Gedanken und längst vergessen geglaubten Gefühlen nachzutasten. Musik, die gut für die Seele ist und auch die Herzen zu wärmen vermag, so man denn möchte. Vor allem aber scheinen mir diese Lieder ganz einfach menschlich zu sein, so, wie mich die SANDS FAMILY vor fast 40 (in Worten: vierzig) Jahren leise berührt hat, genau so scheinen sie mir noch immer. Zwar sind wir nun, sie auf der Bühne und ich davor, ein wenig grau geworden, aber als ich später vor ANNE stehe, blitzen die Augen noch immer und die von TOMMY lachen und strahlen. So etwa muss ich wohl in diesen Stunden auch gewirkt haben, als ANNE, dort oben stehend, von „My Mothers House“, ihrer Mutter’s Haus, singt und ich, tief im Innern aufgewühlt und bewegt, den letzten Liedern dieses Abends lausche. Viele dieser Lieder habe ich versucht, für mich allein leise mitzusingen. Viele der Melodien sind nicht nur hierzulande zu Volksweisen avanciert. Viele derer, die hier im alten Gasometer von Zwickau sitzen, haben zumindest die Amiga-LP der SANDS FAMILY im Regal und so mancher die von TOMMY SANDS auch und deshalb wissen wir ja, dass mindestens eines ihrer Lieder, das, von den Winden, die von Freiheit singen, gemeinsam gesungen werden muss und als dann endlich „The Winds Are Singing Freedom“ erklingt, ist alles gut, bin ich innerlich aufgewühlt und muss die kleine Träne der Erinnerung im Augenwinkel wohl auch akzeptieren. Zwar wurde das eine oder andere Wunschlied an diesem Abend sicher nicht gesungen, da fallen mir aus dem Stand einige ein, aber wenn man aus mehr als 20 Plattenveröffentlichungen nur allein der SANDS FAMILY, die vielen Scheiben der Bandmitglieder gar nicht mitgezählt, auswählen kann, dann haben wir in dieser Nacht einige ihrer wohl schönsten Melodien gehört. Die Lieder von der Sehnsucht, von „High Hills And Valleys“ (1980) und die von der Freiheit, der Liebe, von unserem Leben von uns. Der weite Bogen aus dem Jahre 1973 mit dem NBI - Poster bis zu diesem Abend war ein gewaltiger, aber dennoch leicht, filigran und mit vielen neuen Eindrücken gespannt, die nun auch auf dem alten Poster ihre Spuren hinterlassen haben. It really was a great experience, a wonderful evening and you made me very happy as well thank you so much, dear sister and brothers Sands.