Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
Begegnungen mit Rummelsnuff Teil 1: 18.12.2012 Cottbus war noch nie eine Stadt, mit der ich positive Erinnerungen verbinden würde. Das hat was mit beruflichen Erfahrungen zu tun. Nur ein einziges Mal fuhr ich gemeinsam mit Freunden gern dorthin. Das geschah, um eines der wenigen Konzerte von Shakin’ Stevens zu DDR-Zeiten zu erleben. Mir hat das richtig Spaß gemacht, doch die DDR fuhr bereits auf dem Abstellgleis der Geschichte ein. An ein weiteres Konzert, diesmal Wacholder gemeinsam mit der Sands Family in den frühen 1990er Jahren, habe ich ebenfalls schöne Erinnerungen. Da waren die Abstellgleise auf den Bahnhöfen bereits voll… Eines Abends in diesem Jahr bimmelte mein Telefon und eine Stimme erklärte, mein kleines Büchlein wäre irgendwie auch ein Teil seiner Biografie als Musiker. Vieles darin käme ihm bekannt vor und das wolle er mir nur mal so sagen. Aus dem Gespräch wurde ein regelmäßiger Kontakt, ich bekam einen dicken roten Ordner mit vielen Erinnerungsstücken zum Ausschlachten überlassen und nun fahre ich nach Cottbus, um das Teil, jetzt um zahlreiche Fotos und Zeitdokumente erleichtert, seinem Besitzer zurück zu bringen. Ich bin neugierig, was mich dieses Mal im ungeliebten Cottbus erwarten wird. Der Freund will sich mit mir in einer kleinen Kneipe treffen, aber kurz vor dem Ende des alten Jahres findet im Cottbuser Gladhouse, dem ehemaligen Haus der Jugend, eine Fete statt, wo traditionell viele Musikanten anzutreffen sind. Auf der Bühne, neben einer All-Star-Band von Cottbuser Musikern, solle auch ein schräger Typ auftreten. Dort treffen wir pünktlich gegen 21.°° Uhr ein, denn da soll die Show laut Ankündigung starten und siehe da, die Hütte ist noch fast leer. Auf den Beginn wartend, nutzen wir die Zeit für kleine Fachsimpeleien, denn Wolfgang Behrend ist mit Leib und Seele auch Musiker…. Ein Freund hielt mir kürzlich eine CD unter die Nase und meinte, die Arbeiter-Shantys und Volks-Songs wären es wert, entdeckt zu werden. RUMMELSNUFF sei ein Typ wie aus dem Film vom „Panzerkreuzer Potemkin“ und mit einer Stimme gesegnet, die ihn an alte Briketts erinnere. Damit hat es schwer, die Zuneigung eines alten Rockers zu gewinnen. Ein Rest Neugier blieb dennoch haften. Die Eltern waren beide Musiker und Papa Peter Baptist leitete seine eigene Kapelle. Beide inspirierten ihren Sohn, sich auch der Musik zuzuwenden, was Roger Baptist, so sein bürgerlicher Name, auch ausgiebig tat. Neben der Musik folgten Jobs als Bodybuilder und auch Türsteher. Gegensätzlicher konnten die Vorgaben gar nicht sein. Als ich kürzlich den Namen Rummelsnuff als „spezial guest“ auf dem Flyer dieses Abends in Cottbus las, ahnte ich, was die späte Stunde geschlagen haben würde. Zwei Stunden vor Mitternacht habe ich das erste Mal Rücken. Gleichzeitig startet nun der Abend mit „derber Strommusik“ von Rummelsnuff und seinem Gitarristen Rajko „Der Maat“ Gohlke, den man auch Bass spielend beim Orchester Knorkator kennt. Irgendwie aus dieser Ecke klingt das auch, was von nun an von der Bühne geknarrt, geknurrt, gesägt sowie geröhrt wird und das ist ausdrücklich nur positiv gemeint. Ohne dass man diese Art der Bühnenpräsentation ad hoc lieben müsste, strahlt sie etwas aus, das mich in ihren Bann zieht. Mit Pudelmütze, Lederhose, weißem Hemd plus Schlips und barfüßig, röchelt „der sich Käptn nennt“, Geschichten vom „Türsteher“ und vom „Heizer“, „dem alten Schmutzfink, der schwarz und staubig ans heiße Tagwerk geht“, in die ersten Reihen. Hinter mir sagt jemand was von „runter von der Bühne“, aber neben mir tanzt eine schwarze Lady verzückt zu den klobigen Rhythmen beider Strommusiker. Polarisierung total live und lebendig. Die Muskel strotzende Männlichkeit da vorn auf der Bühne singt sich warm, kommt ins Schwitzen und zeigt letztlich seinen kompakten nackten Oberkörper zum Bestaunen. Mit einer Matrosenmütze auf seinem kahlen Schädel singt er seine Strom-Shantys vom „Kapitän“ der einen mit auf die Reise nimmt und meint „Salzig schmeckt der Wind“, der dabei weht. Eine dreckige Gitarre kreischt dazu knackige Riffs, denen von Pink Floyds „Money“ durchaus ebenbürtig, und, ob man will oder nicht, beginnen sich die Hüften im Takt zu wiegen. Mist aber auch oder wie geil ist das denn! Ich kann nicht erklären warm, aber ich bin fasziniert. Mein Freund hatte mir beim Eisbeinessen in Torgau was von modernen Arbeiterliedern geflüstert. Mir scheint, der Vergleich hinkt ein wenig, denn Rummelsnuff kommt ehrlich rüber und ohne Pathos aus, wenn er von seinen Helden wie „Donnerbolzen“ zu dreckigen Gitarren-Riffs rezitiert. Ich stelle mir den Klang eines Akkordeons vor und wie „Trägt die Woge dein Boot“ von einer Frauenstimme gesungen klingen würde. dann wäre das Teil womöglich eine Offenbarung für die Journaille und zum Träumen schön. Einige dieser Songs tragen den Keim des Volksliedhaften in sich und wer’s nicht glaubt, sollte sich einmal „Salzig schmeckt der Wind“ reinziehen. Schunkelzwang garantiert. Derweil amüsiere ich mich köstlich bei seiner Version von „Azzuro“ und lasse mich von „Halte durch“ motivieren, denn ich leide immer noch heftig Rücken und keine Gelegenheit zum Hinflegeln ist zu entdecken. Mist aber auch und dennoch so hinreißend schön! Als dieses „Vorprogramm“ vorüber ist, staune ich. Es hat mir gefallen, mich neugierig gemacht und irgendwie auch an meiner Begeisterung gekratzt. Diesen Typen will ich unbedingt noch einmal sehen und wenn möglich, näher kommen, mit ihm reden. Rummelsnuff war mir unbekannt, ich abgeneigt, aber danach überrascht. Da hat einer den Mut, sein ganz eigenes Ding durchzuziehen, völlig egal, wie die Masse darauf reagiert. Die braucht er nämlich nicht. Sein Publikum ist nicht die Masse, sondern es sind die Auserwählten, die Underdogs und sogar andere fein gekleidete Leute. Nach diesem Abend fühle ich mich eingeladen, einer von ihnen zu sein. Teil 2: 18.05.2018 Sechs Jahre später lebe ich zu Füßen der Harzer Berge und treffe Käptn Rummelsnuff in Quedlinburg wieder. Im Jugendzentrum Reichenstrasse präsentiert er „Das Buch“, eine Biografie des Musikers und wie er zum Musiker wurde. Der Mann mit der kräftigen Muskulatur eines Bodybuilders und erstaunlich weichen Sprechstimme meistert zwei Stunden am Stück und mit leisen Zwischentönen, die man hören kann, wenn man genau hinhört. Da versteckt sich eine sanfte Seele und nachdenklicher Charakter im Körper eines singenden Muskelmannes. Alles nachzulesen, wenn man „Das Buch“ besitzt und es liest. Die Begleitmusik dazu liefert er mit „Oh Mandy“ und wir erfahren, was der Song mit der „Klage eines Alkoholikers“ zu tun hatte und was es mit der Geschichte von den „drei Keksen“ auf sich hat. Kaum zu glauben, aber dieser Typ schafft es, auch Uneingeweihte zu fesseln, die nur mal so vorbei schauen wollten. Als einige schon meinen, dies sei das Ende, beginnt RUMMELSNUFF den Nachbrenner zu zünden und startet einen bunten Reigen mit einigen seiner volkstümlichen Schunkellieder aus dem Back-Katalog. Endlich gibt uns „Der Pumper“ die „Bratwurstzange“ auf den Grill und auch „Den Schrauber“ in unsere Ohren. Der Mann, den sie alle den Käpt’n nennen und der von sich selbst in der dritten Person Einzahl spricht sowie ein Buch schrieb, ist in seinem Element. Er genießt es, die nächste Dreiviertelstunde lang Wünsche zu erfüllen, seine (nunmehr) raue Stimme zu strapazieren und Posen zu zeigen. Dem Otto Normalbürger mag das alles absonderlich vorkommen, die hier sitzen und von Rammstein schwärmen, fühlen sich, wie bei „Kuschelschnuff“, sauwohl. Mich inbegriffen, denn so etwas wie „They’re Coming To Take Me Away Ha Ha“ von Napoleoan XIV. aus dem Jahre 1966, also dem Geburtsjahr von Roger Baptist, bestand aus gleichem Schrot und Korn und ich habe die Nummer geliebt. Fünfzig Jahre später sind solche skurrilen Werke fast zur Normalität gereift. Wie doch die Jahre vergehen und sich ändern! Scheinbar wenigstens, doch die Moden kehren immer wieder zurück und werden uns als neu verkauft. Rummelsnuff beherrscht dieses Metier traumhaft sicher, weil er selbst so echt ist, wie jede Mode. Wie alle hier, bediene ich mich aus einem seiner „Gerümpelkoffer“. Die Shirts passen mir sicher nicht, aber zwei Karten lasse ich mir unterschreiben und der Chef des Hauses macht vom Käpt’n und mir ein Erinnerungsfoto für die Nachwelt. Dann stehe ich unten auf der nächtlichen Straße, nach drei Stunden ein wenig müde, aber glücklich. Warum der Rock- Harz-Rentner zu solchen Veranstaltungen geht? Weil es ihm Spaß macht, die etablierten und überstrapazierten Krähen- und Maschinenteile allein denen zu überlassen, die das mehrmals im Jahr zelebrieren und weil es erfrischend ist, manchmal zurück zu den Wurzeln zu pilgern. Da sind Pop und Rock noch ruppig, rau und herzlich, statt filigran ausgefeilt und elegant im Studio gebügelt. Auf solchen Bühnen spürt man die Schönheit des Urbanen. Das hält einen Rock-Rentner jung im Herzen und er hat jede Menge Freude. Den Job als billige virtuelle Unterstützer sollen andere machen, meinte Käpt’n RUMMELSNUFF zum Abschluss. Recht hat er!