Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
Rod Davis & David Bedford - Erinnerungen aus „Liddypool“ 25.11.2022 („Die Wahrheit ist doch, dass die Kindheit Dich zu dem macht, was Du Dein Leben lang sein wirst.“ - John Lennon) Im zarten Teenager-Alter hörte ich das erste Mal von einer Musikgruppe, die sich Beatles nannte. Ich war 13 und ein braver Junge, der täglich eine Violine zum Üben an sein Kinn hielt. Auf dem Rummel konnte ich eine Postkarte der Beatles (aus der CSSR) kaufen, im Radio hörte ich Gitarrenklänge und in meinem Kopf kam etwas durcheinander. Mein Vater, der eine alte Wandergitarre besaß, zeigte mir die Griffe für C-Dur, später auch für G- und D-Dur. Statt Etüden zu üben, sang ich zu Gitarrengriffen die ersten Lieder: „Clementine“ und „My Bonnie“. Bald bemerkte ich, dass die Beatles gar kein Einzelfall, sondern der Auslöser einer globalen neuen Begeisterung waren, die man Beatmusik nannte. Auch ich wurde ein Beat(les)-Fan, begleitete mich singend auf der Wandergitarre und hatte plötzlich Chancen bei den Mädchen alles Dank der Beatles. Dass es vor den vier Pilzköpfen die Quarrymen gab, war mir damals nicht bekannt. Viele Jahre später, keine Ahnung mehr wann, hörte ich von den Quarrymen, von Rod Davis und wie die Beatles tatsächlich begannen: Die Quarrymen waren jene Band, und Rod Davis ihr Banjo-Spieler neben John Lennon mit der Gitarre, aus denen die Beatles hervorgingen. Mit diesem Wissen war für mich die Geschichte vollständig, abgehakt und ich glaubte mich wissend. Ich bin kein Beatles-Purist. Es gab ganz viele „Beatelchen“, deren Musik ich in all jenen Jahren lieben lernte, so dass ich mich niemals endgültig entscheiden konnte: The Who, Small Faces, The Kinks und in den USA die Byrds. Bis zu jenem denkwürdigen Abend in Berlin, als Reinhard Fißler seinen runden 60. Geburtstag feierte, blieb das so. Einer der Gäste sang Lieder zur Gitarre und ein anderer bediente sein Waschbrett: Rod Davis, der Quarryman, und Edmund Thielow, der Macher vom Beat-Archiv in Glauchau. Langsam dämmerte es mir, das ist der Typ neben John Lennon. Für mich war es eine Sternstunde des Abends und Grund genug, mich erneut zu informieren. Durch Zufall traf ich Andrea aus Dresden, einen Beatles-Fan aus ganzem Herzen mit entsprechendem Background. Seitdem sind wir in Kontakt und sehen uns auch. Heute fahre ich nach Dresden, um dort, anlässlich eines John Lennon- Abends, noch einmal auf Rod Davis zu treffen. Andrea hatte mich eingeladen und der Beatles-Fan in mir ist wieder wach und sehr neugierig. Weiterer Gast des heutigen Abends, und für mich bisher völlig unbekannt, ist David Bedford. Der Autor aus Liverpool und Beatles-Fachmann forscht zu den Beatles und veröffentlicht die Ergebnisse in zahlreichen Büchern. Ein besonders auffälliges ist „Liddypool“, benannt nach einem Kosenamen Lennon’s für seine Heimatstadt Liverpool. Das Cafè Friedrichstadt ist günstig zu erreichen, auch im Dunkeln und bei Regen. Drinnen ist es voll, ich frage nach der Veranstaltung und jemand weist mit dem Finger nach hinten. Also gehe ich dorthin, lande schließlich bei Andrea und einigen anderen. Minuten später sitzen mir Rod Davis, David Bedford und deren Frauen gegenüber. Ich weiß grad nicht, wie mir geschieht. Vielleicht genau deshalb komme ich mit David ins Gespräch und plötzlich finden wir Themen fernab der Beatles: Small Faces & Marriott oder Status Quo. Beinahe hätte ich deshalb den Beginn der Veranstaltung verpasst. Neben die zweite Reihe, rechts außen, platziere ich meinen Stuhl. Von da an habe ich eine dicke Säule vor der Nase und das Geschehen vor mir (hinter der Säule) wird leider im Halbdunkeln stattfinden. Na prima, ein Horror für meine Knipse, dieses Schummerlicht. Pünktlich eröffnet Andrea den Event und Wolfgang, vom Beatles-Stammtisch Hannover, moderiert von nun an durch den Abend und bittet Rod Davis nach vorn. Zum Aufwärmen erklingt „Maggy May“, ein traditioneller Folk-Song aus Liverpool, über eine Prostituierte, die einen der heimkehrenden Seefahrer um seine Heuer erleichtert. Die Quarrymen spielten diese Melodie 1956 bis 1958, wie uns Rod danach wissen lässt. Von nun an plaudert er locker über Lennon’s Kindheit, seine Jugend und die frühen Jahre mit den Quarrymen, die Rod anhand von Fotos und Abbildungen illustriert. Darunter Raritäten, die das Sammlerherz höher schlagen lassen. Auch eine Single-Auskopplung einer New Orleans Jazz Band mit „Rock Island Line“ ist dabei, das auch die Quarrymen bei Auftritten spielten. Wir hören den Song solo von Rod gesungen. Etliche Fotos und Abbildungen später lässt er den „Midnight Special“ folgen sowie „Putting In The Style“ von Lonnie Donegan. Ich verfolge das Ganze stehend von der Seite, um besser sehen, knipsen und staunen zu können. Da sind Sachen dabei, von denen ich keine Ahnung hatte! Die ganze Zeit über lächelt dabei dem einstigen Quarryman und Mitstreiter von John Lennon ein Bild von John Lennon zu, das scheinbar nebensächlich hinter ihm an der Wand hängt gemalt von Armin Mueller-Stahl und nun im Besitz der Cafè-Inhaberin. Was für eine wundervolle Hommage! Am Ende der Erinnerungen von Rod klingt in mir das Zitat von John Lennon nach: „Die Wahrheit ist doch, dass die Kindheit Dich zu dem macht, was Du Dein Leben lang sein wirst“. Diese Worte machen mich nachdenklich, denn sie scheinen nicht nur für John Lennon, und alle, die danach kamen, ihre Richtigkeit gehabt zu haben. Es ist wohl die Wahrheit. Ich hatte wirklich eine glückliche, friedliche Kindheit - zehn Minuten Pause. Von vorn lächelt nun David Bedford, der Autor und Beatlesforscher, in das Schimmerlicht des Raumes. Der hatte scheinbar in Ecken gewühlt und mit Menschen gesprochen, mit deren Hilfe er Erkenntnisse ans Tageslicht förderte, die dem Mythos Beatles weitere Facetten hinzufügen. Ich höre von Musikern, von denen sich die einzelnen Beatles offensichtlich beeinflussen ließen. Er spricht über seine Bücher, die Recherchen dazu und über viele historische und private Fotos, die bisher noch niemand zu Gesicht bekam. Darunter einige, die mich (und andere) staunen lassen, als es zum Beispiel um die Strawberry Fields und eine Fassadenmalerei in Liverpool geht. Der Spruch „Where did you get that shirt?“ erhält eine völlig neue Bedeutung und dass ein Beatles-Forscher ausgerechnet Status Quo als Lieblingsband seiner Wahl verrät, überraschte mich schon im Gespräch vor der Veranstaltung. Ja, die Geschichte der Countrymusic sehe ich jetzt auch mit eher englischen Augen. David Bedford entführt uns in ein neues Seitenuniversum der Beatles, in das man sich, so man sich prädestiniert meint, stundelang umschauen möchte. Als David endet, weiß ich wieder, dass mein Wissen über die Beatles ewig stümperhaft sowie unvollständig bleiben wird, leider. Dennoch ich bin glücklich zu wissen, welche Revolution die Fab Four einleiteten. Mittendrin und irgendwie stets dabei, die Typen wie ich und viele andere. Diese Erfahrung hat unser Leben geprägt und unsagbar erlebnisreich gemacht. Wiederholung in anderen Generationen ausgeschlossen! Es kommt, wie es kommen muss. Die beiden Akteure, Rod Davis und David Bedford, schnappen sich ihre Gitarren und dann knallt es in der Hütte: „Move It On Over“ von Hank Williams gefolgt von „Rock Around The Clock“ von Bill Haley. Ich habe einen freien Platz in der ersten Reihe ergattert und kann jetzt in vollen Zügen genießen und „sitzrocken“. Egal, die Einstellung ist wichtig. Die beiden rocken uns mit einer fetten Version von Ringo’s „Act Naturally“ und weiter geht’s mit blauen Wildlederschuhen: „Blue Suede Shoes“, wobei ich nicht mal weiß, ob hier wirklich die Farbe blau gemeint ist. Darüber will ich jetzt nicht nachdenken, sondern mache bei „One After 909“ der Beatles und „25 Rock“ von Eddie Cochran mit und so geht es weiter, bis zum „Yellow Submarine“, weiter und weiter nein leider nicht. Irgendwann ist Schluss, denn es ist spät geworden und die Reihen haben sich gelichtet. Letzter Akkord, ein letztes Winken der beiden da vor uns und dann hat mich die Gegenwart wieder. Aber halt, noch nicht ganz. Als John Lennon am 8. November 1980 erschossen wird, bricht für mich ein Traum auseinander: nie wieder Beatles! Ich brauche einige Zeit und bitte dann, Georgios Wlachopulos, einen befreundeten Künstler in Elsterwerda, eine Grafik in Erinnerung an den Musiker zu schaffen. Es sind 20 nummerierte kolorierte Kopien entstanden. Eine davon habe ich und die lasse ich mir von Rod und David signieren. Außerdem schenke ich den beiden je eine schwarz/weiß Kopie. Als ich mich schon verabschieden will, schnappt sich Andrea ein Waschbrett. Gemeinsam mit Rod und David „performen“ sie zu dritt noch einen Song als Bonus des Abends. Das hat sie sich nach all dem Lampenfieber zuvor wirklich verdient. DANKE Andrea, schön, dass ich dabei sein durfte und diese beiden Typen persönlich treffen konnte. Es waren einmalige und sehr besondere Momente für einen, der mit dieser Musik aufgewachsen ist. Als ich mich eine halbe Stunde vor Mitternacht auf die Regenpiste mache, bin ich glücklich und voller Euphorie. Da gibt es heutzutage so viele „Super“Stars, doch wenn ich deren Musik höre, bin ich froh, Platten der Beatles im Regal zu haben. Da klingt noch pure Leidenschaft sowie Entdeckergeist aus den knisternden Rillen und an dieser Einschätzung wird sich auch in hundert Jahren nichts ändern!