Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
Rockgeiger Hans hautnah – das 13. Fantreffen 2021 28.08.2021 Wenn einer mit mir getrunken und gefeiert, nachts in meiner Küche Makkaroni mit Gulasch gekocht, im Bett meiner Kinder gepennt und morgens meinen Kaffee geschlürft hat, dann habe ich mehrere Gründe, ihn einen Freund zu nennen. Das alles geschah am 8. Mai des Jahres 1986 in Elsterwerda im heutigen Landkreis Elbe-Elster. Schon sechs Jahre zuvor, im Mai 1980, rockte Hans die Geige „meine“ Bühne in Plessa als Mitglied der Klosterbrüder, die sich damals Gruppe Magdeburg nannten. Meine verwöhnten Ohren verzauberte der rockende Geiger allerdings mit „Rhododendron“ als Musiker bei der Gruppe Kleeblatt. Als Kind „durfte“ ich das Geigenspiel lernen und das erklärt auch meine Affinität zum Instrument. Nach der Wende traf ich „Herrn Geigenfiedler“ an vielen Orten zu unterschiedlichen Anlässen wieder: Dresden, Ottendorf, Riesa, Braunsdorf, Mittweida oder Weinböhla. Zuletzt auch bei Konzerten im Harz, wo ich inzwischen lebe. Hier besuchten er und Dani mich wieder zu Hause. Bis zu einem Fan-Treffen beim Geigenhans hatte es bisher allerdings noch nicht gereicht. Das will ich endlich nachholen und hoffe, dass Ende August nicht schon Novemberwetter im Anmarsch sein wird. 1986 in Elsterwerda mit Cäsar in Mittweida mit Joro bei City mit Kindern am Elbeufer Hans lebt mit Dani, von den Höhen des Harz gesehen, am Ende der Welt; hinter Berlin. Die Fahrt zum Ort des Geschehens dauert Stunden. Ziemlich genau drei, inklusive einer halben Stau auf dem Berliner Ring. Doch letztlich biegt man in den Schillerweg, entdeckt parkende Blechkarossen und weiß, hier ist man richtig: „Sie haben Rockgeiger City erreicht.“ Ich wähne mich irgendwie in einer anderen, ruhigen Welt. Straßen mit dem Charme der 60er DDR-Jahre. Kein Bürgersteig, keine Kante, ein festgefahrener Sandbelag und fein ausgearbeitete Schlaglöcher sowie einer Grasnarbe am Rand. Dort stelle ich mein Pistenwunder ab, steige aus und schaue mich um. So schön, ist es also am „Ende der Welt“! Inmitten von hoch gewachsenen Bäumen, zwischen Strauchwerk und Gras, ducken sich Pavillons mit Tischen, Bänken und Sitzgruppen. Im Hintergrund sticht eine Bühne hervor und dazwischen wuseln schon Gäste wie in einem Ameisenhaufen. Wenige Augenblick später sind wir mittendrin, werden von der Gastgeberin begrüßt und finden Platz an einem Tisch, der den ganzen Abend über zu einer Stätte von Begegnungen werden wird. Es ist ein Wiedersehen mit Freunden sowie Begegnungen mit neuen freundlichen Musikliebhabern. Da wir zum ersten Mal hier sind, wollten wir unbedingt ein bleibendes Geschenk an diesem Ort hinterlassen. Ich habe riesige Freude daran, Dani und Hans beim Auspacken zuzuschauen und noch mehr, dass der Leuchtkörper sogleich einen Platz „on stage“ erhält. Nachdem die kleine Überraschung gelungen ist, kann ich mich endlich der obligatorischen Bratwurst zu wenden und dabei das Treiben in ungezwungener Atmosphäre genießen. Man steht in kleinen Gruppen unter einem Pavillon oder sitzt plaudernd zwischen Bühne und Bäumen beieinander. Wir dürfen Gast beim Rockgeiger und seiner Frau sein und genießen diese Gelegenheit. Doch das Event ist mehr als ein Fan-Treffen. Dieser Abend versteht sich zugleich als Dankeschön an eine „Siedlergemeinschaft“, die hier wohnt und lebt. So etwas wie ein Dorffest en miniature, herzlich und sehr familiär. Genau das betont „Hans die Geige“ bei seiner Begrüßung. Doch ein besonderer und sehr emotionaler Dank gilt einer Dame, die vor zwei Tagen 89 wurde Mutter und Oma Wintoch. Sie scheint den Klang des Akkordeons zu lieben und deshalb betritt als „Einheizer und Vorglüher“ Musiker und Freund Lutz Möhwald, „der mit den Füßen tanzt“, die kleine Waldbühne. Von jetzt auf gleich wird es fröhlich, beschwingt und zunehmend auch ausgelassen im Waldesrund von „Hanshausen“. Schon sein erster (eigener) Song, „Gehupft und gesprungen“, deutet an, wohin die Reise geht. Vor uns steht ein Typ mit Wuschelkopf, Schnauzbart und dem Akkordeon, hat ein Lächeln im Gesicht und verbreitet Wohlfühlstimmung an die Gäste. Schon beim zweiten Lied vom „Wannebad“ nickt man sich lachend zu und fühlt sich ertappt. Es wird gejubelt, laut gepfiffen und bei „Marina“, dem Gassenhauer von Rocco Granata von 1959 sogar mitgesungen. Ich staune, dass sich der Text auch in meiner Birne eingenistet hat, ebenso wie „Rote Lippen soll man küssen“, eher bekannt als „Luky Lips“ von Cliff Richard. Wenn sich jetzt also einer fragen sollte: „Was soll ich mit dem Akkordeon?“, Lutz Möhwald präsentiert seine Antwort auf die Frage von Winni 2: gute Laune verbreiten. Extra für Mama und Oma Wintoch singt er schließlich noch „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“ zum Mitschunkeln. Das Lied hatte sie sich gewünscht und dafür bekommt der Akkordeonspieler ein persönliches Dankeschön von der agilen (Geiger)Mama. Der Solist und ehemaliges Mitglied der M. Jones Band war genau die richtige Wahl für diesen Teil des Abends. Bei mir jedenfalls hat seine Art bleibende Spuren hinterlassen. Danke dafür! Jetzt ist es Zeit für einen Imbiss, rote Fassbrause und Plaudereien am Tisch. Okay, auch Bier. Wie in alten Zeiten geben wir uns die Stichworte für Erinnerungen, versorgen uns mit Neuigkeiten und bilden uns neue Meinungen zu alten Bekannten, deren Konturen man in diesen Tagen viel schärfer erkennen kann. Die Tage von einst sind Vergangenheit, da sind wir uns einig, neue Zeiten mit frischen Inhalten nicht in Sicht. Wahrscheinlich sitzen wir auch deshalb hier, weil man sich am dem, was sich bewährt hat, gut festhalten kann. Hans und seine Musik sind so eine Konstante. Zumindest wir am Tisch sind uns darin einig und auch, dass der Abend gut dazu geeignet ist, sich darin bestätigt zu fühlen. Ich bin wirklich froh, endlich auch hierher gefahren zu sein und dieses Gemeinschaftsgefühl zu erleben. Fehlt nur noch der Rockgeiger auf seiner hauseigenen Waldbühne. Inzwischen hat die Dämmerung über der „Wintoch-Ranch“ das Zepter übernommen. Die Bühne ist in blaues Licht getaucht, ein bekanntes Intro ertönt und ER besteigt endlich seine Bühne: Hans Wintoch oder Hans die Geige. Die Erleichterung, dass alles geklappt hat und seine Gäste fröhlich und zufrieden sind, ist ihm anzumerken. Der Fidelbogen jagt über die Saiten und ein lautes „Yeahs“ ist von ihm zu hören: „Hallo, hier bin ich guten Abend!“ Als hätte der Musikus gewusst, dass ich den „Kanon in D“ von Johann Pachelbel ganz besonders mag, beginnt er seinen Part mit genau jenem magischen Stück. Ich sitze, lausche und wünsche mir, ich hätte als kleiner Junge mehr geübt. Dann könnte ich vielleicht den Kanon, der eigentlich von mehreren Instrumenten gespielt werden sollte, damit er wie ein Kanon klingt, heute selbst auf meiner Violine spielen. Danke, mein Hans, für diesen traumhaften Einstieg. Er präsentiert heute natürlich seine Verbeugung vor Robby Steinhardt, den Geiger von Kansas, „Dust In The Wind“ und auch „The Boxer“, die Nummer mit dem Apokalyptika-Touch. Das „Ave Maria“ jedoch passt zur Abendstimmung, ebenso wie der „Kanon“, als wäre das Stück für so etwas geschrieben. Da trifft der Fidelbogen-Virtuose ganz sicher jeden mitten ins Herz. Jetzt brauche ich eine Pause für meine Gefühle, die nach solcher Musik Achterbahn fahren. Mich trifft Musik entweder mitten ins Herz oder sie berührt mich gar nicht. Ein paar Schritte im Dunkel der Nacht helfen, mich wieder zu finden und die Gelenke aus der Starre zu erlösen. Es ist frisch geworden, aber der Regen ist fern geblieben. Die Party geht weiter, als der rockende Geiger uns mit „Klassik I“ sowie „Klassik II“ lockt. Bunte Spots weisen wie Finger in die Nacht, sie beleuchten die Bäume und tauchen den Virtuosen in wechselvolles Farbenspiel. Der versucht sich jetzt auch singend, um auf diese Weise seine Gedanken zum Thema „Mensch“ und „(Guten Morgen) Deutschland“ zu vermitteln. Unser Hans plaudert, lässt sich feiern und präsentiert jene Stücke, die alle hören möchten. Es rockt im Rund, die Nachbarn und Freunde feiern, sie jubeln und Hans auf der Waldbühne läuft zu Höchstform auf. Selbst neue Stücke wie „Wire Cord“ werden uns erstmals vorgestellt und ich bin begeistert von dem, was ich da zu hören bekomme. Alles hat ein Ende, sagt ein deutsches Sprichwort. Zumindest der Konzertteil klingt zunächst mit „The Rose“ aus. Noch einmal lässt der Grandseigneur des Abends seiner Violine singen. Ich höre die Töne, schaue ihm ins Gesicht und sehe einen Musikus, der beseelt mit seiner Kunst um sich wirft, ohne sie zu verschenken. Die Zeit mit Corvid war lang und entbehrungsreich genug! Jetzt brauchen die Künste und Künstler endlich wieder Plattformen, Unterstützer und ein Publikum, das sie in sich aufsaugt. So wie heute Abend viele kamen, die wundervolle Musik zu hören und dem Rockgeiger hautnah zu sein. Deren Erwartungen wurden erfüllt und sicher wurde auch manch persönlicher Wunsch wahr. Unserer, einmal hier dabei zu sein, ist nun Realität geworden. Als die „Rose“ von Hans verklungen ist, stehen wir und applaudiere. Ich bin glücklich. Doch der langhaarige Fiedelbogenschwinger hatte seinen Freund Schluchti wohl nicht auf dem Schirm. Der steigt auf die Waldbühne und fragt die Meute, ob sie nicht noch das „T-Shirt“ hören möchte. Jubel allerorten und Hänschen muss zur Freude der Nachtgestalten „Wenn ich dein T-Shirt wär“ zum Besten geben. Wie tanzende Scherenschnitte erlebe ich den ausgelassenen Tumult im Farbenspiel des Lichts. Als hätten heimische Feen und Kobolde nur auf diese Gelegenheit gewartet. Die Waldparty startet den Turbo. Von nun an wird ausgelassen getanzt, während sich nach und nach die weit angereisten Gäste verabschieden und nur noch der harte Kern sich die Zeit bis zur Geisterstunde verkürzt. Als sie naht, brauchen wir nur um die Ecke zu gehen und, Dank Hans und Dani, ins Bett bei „Bungalow Bill“ zu fallen. Den aufkommenden Nachtregen höre ich schon nicht mehr. Ich bin Frühaufsteher. Als ich meine Morgenrunde drehe, begegne ich nur zwei Hunden, die ebenfalls eine Runde geführt werden. Die „Wintoch-Ranch“ in „Rockgeiger City“ wirkt verlassen. Souvenirs der Party lassen erahnen, was hier vor Stunden geschah. Kurze Zeit später rollen die Räder wieder durch die Dörfer bis zur Piste. Die empfängt uns am Abzweig Erkner mit Starkregen, der auf dem gesamten südlichen Ring bis weit auf die A2 anhält. Nur seinen Besten gönnt der Himmel eine trockene Nacht zum Feiern, denke ich, auf den Abwasch am Tag danach verzichtet er aber auch nicht. Das Fantreffen bei Rockgeiger Hans ist Geschichte, was uns die Zukunft bringen wird fragt mich nicht. Ich werde es Euch erzählen, wenn ich sie erlebt habe.