Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
Robert Plant & the Sensational Space Shifters in Dresden 01.08.2018 Ein Jugendtraum geht in Erfüllung! Ich bin in Dresden, sitze in der Jungen Garde, einen Plastebecher mit Bier in der Hand und ich schwitze. Von der Bühne prahlt feinstes Equipment. Die Sonne hat sich hinter die Baumwipfel verzogen. Heute brennt sie keine haargelichteten Schädel mehr, es ist nur noch schwül in Dresden. Über das Areal legt sich ein unhörbares Knistern. Man hört Wortfetzen schwirren: „Whole Lotta“, „Immigrant“, „Stairway“. Ich bin mir nicht sicher, ob solche Wünsche heute tatsächlich erfüllt werden, aber es ist auch egal. Ich bin hier dabei, inmitten der hoffenden Meute. Die Garde ist ausverkauft. Wir hoffen auf ein Konzert mit der sphärischen Musik-Melange der SPACE SHIFTERS und der extravagante Rock-Röhre von einem der Besten: ROBERT PLANT. Ich erwarte ganz viel Magie und lasziven Rock’n’Roll & Blues’n’Folk, wenn der Sound in das Rund knallen wird. Von einer Vorband weiß niemand etwas. Es sieht auch nicht danach aus und doch steht da vorn einer mit einer Fiddle. Er beginnt zu spielen, wir schauen uns an und dann klappt die Kinnlade runter. Der dort im Stil und Slang eines Billy Bragg und dennoch völlig anders Folk spielt, nimmt aus dem Stand die Aufmerksamkeit aller ein. SETH LAKEMAN spielt Violine, Tenor-Gitarre, Viola und wer weiß, was alles noch. Würde man allerdings, wie in den Jugendjahren, die Namen von Bandmitgliedern einfach so hersagen können, wäre mir seine Zugehörigkeit zu den SPACE SHIFTERS schon eher aufgefallen. Der Mann ist einfach grandios und lässt ahnen, was musikalisch gleich folgen wird. Es ist noch nicht dunkel, Abend, nicht Nacht. Einige Herren betreten die Bühne, ein Jubelschrei bricht aus knapp fünftausend Kehlen und die ersten Rhythmen schwappen herüber. Da hinein dringen diese zwei, drei kehligen Laute und meine Nackenhaare richten sich auf: „When the levee breacks I’ll have no place to stay“. Der gereifte Rocker startet tatsächlich mit einer steinalten Blues-Nummer von 1927, die sich Led Zeppelin einst kaperten, um sie für sich zu nutzen. Heute wälzt sich der Mississippi-Blues über die Bühnenkante, wie einst die Flut über das Delta. So metallisch groovend, klingt die Nummer, als käme sie aus einem Jungbrunnen. Das kann ja heiter werden, denke ich, denn live wirkt Musik viel intensiver, als unter Kopfhörern. Das geht mir auch bei „Turn It Up“ so, eine Alltagsstory, die ich aus dem Album „Lullaby And…“ kenne. Mir kommt es vor, als würde er sich mit der nachfolgenden „May Queen“ auf „Stairway To Heaven“ beziehen, denn auch darin geht es um eine „Lady who’s sure all the glitter is gold“. Auf diese Weise spannt der Künstler fast unmerklich einen Bogen und erzählt dennoch eine ganze andere Story. Die vielschichtigen Rhythmen treiben und König PLANT stöhnt und presst die sich steigernden Töne, bis alles in einen gewaltigen Chorus mündet, einer majestätischen Hymne gleich. Ich bin hin und alle, kann überall in glücklich glänzende Augenpaare sehen und ein paar Stufen weiter unten auf einen wild tanzenden knackigen Weiberarsch. Wie geil ist das denn?! Dann geschieht, was alle hier wünschen: „Hey, hey mama said the way you move“ und fünftausend Kehlen jubeln ein zweites Mal, das man es an der Frauenkirche auch hören könnte. Dieser „Black Dog“ knarrt wie eine Metallsäge, er groovt und tanzt auf elektronischen Loops und er rockt, dass es einem in die Knochen geht. Da unten im Oval wogt die Menge und eine „Lady In Black“, eine Reihe vor mir, wedelt mit ihrer Haarpracht, als säße sie nicht hier, sondern in Woodstock auf dem Acker. Vorn spielt SETH LAKEMAN mit der Violine, er zaubert ein sehr asiatisch-orientalisches Solo aus den Saiten seiner Violine und wir sind betört davon. Bei uns allen tanzen die Emotionen und Endorphine im Körper. Wie schön, dass ich das noch erleben darf und schade, mein Freund Hans-Georg, dass Du hier und jetzt nicht bei uns sein und mitmachen kannst! Herrlich, wie die SHIFTERS ihr „Rainbow“ mit vier Handtrommeln rhythmisch aufstocken, während der Sänger über diesem Klanggewitter seinen lasziven Gesang zelebriert, um danach einen seiner Helden Ehre zu erweisen. Wer hätte gedacht, dass die Wurzeln von „Gallows Pole“ ausgerechnet beim Blues-Veteranen Ledbelly zu suchen wären? Die da unten knallen diese alte Nummer ins Areal, als ginge es heute ums Überleben. Es rockt, es groovt und über einem keltisch-arabischen Rhythmusvulkan toben sich Violine und Banjo mit ekstatischen Soloeinlagen mal abwechselnd, mal gemeinsam, aus. Die Band ist wirklich in Höchstform, der Sound stechend klar und die Stimme eines Ausnahmesängers schweißt die heiße und verschwenderische Klang-Melange zusammen. Zeit für „Carry Fire“, den Titelsong ihres aktuellen Albums und eine herausragende Nummer zudem. Jetzt tönt es wieder arabisch-orientalisch, ist ungemein verschachtelt gestrickt und dennoch ganz simple in der Wahrnehmung. Davon kann man nur begeistert sein. Überhaupt ist es die stilistische Vielfalt, die aus dieser Mixtur etwas Neues und Ganzes wachsen lässt. Hätte Joan Baez jemals gedacht, dass ihr „Baby, I’m Gonna Leave You“, derart verspielt ausgedehnt, immer noch wundervoll klingen würde. Der Klang einer akustischen Gitarre führt durch das Werk, in dem nur mal so nebenbei „Stairway To Heaven“ zitiert und später die Akkordfolge von „25 Or 6 To 4“ eingefügt wird. Der Song dehnt sich zu einem Feinkostmenü für Liebhaber der Rock-Historie und ihrer Helden. Für mich persönlich wird hier in diesen Momenten ein Traum wahr, den ich tatsächlich schon viele Jahre intensiv lebe. Dafür bin ich sehr, sehr dankbar und am liebsten würde ich das den Herren auf der Bühne auch zurufen. Der Künstler ROBERT PLANT erinnert mich in diesen Minuten sehr an einen der historischen Könige in „Good Old England“: Die Mähne eines Löwenherz, jede Bewegung und Geste hat Bedeutung und seine Musiker umspielen ihn beinahe ehrfürchtig. Dennoch erhält jeder genügend Aufmerksamkeit von ihm, bekommt Raum, sein Können zu präsentieren und er nimmt sich oft bescheiden, ja beinahe andächtig zurück, sich als Teil des Ganzen zeigend, wenn er die Songs einschmeichelnd haucht, um danach den elektronisch angereicherten Blues aus sich herauszureißen. König PLANT hat meine Hochachtung, weil er sich aus dem Zeppelin-Reich befreien wollte, seine vielen Anhänger mit neuen sowie erfrischenden Song-Botschaften zu begeistern versteht und dennoch traditionell bleibt. Er könnte sich auf dem Ruhm vergangener Zeiten ausruhen, statt sein unruhiges Schöpferpotential zu bemühen. Stattdessen sucht ROBERT PLANT immer noch die Herausforderung, ist offen für neue Ideen und schöpft daraus Songs. So eine Perle ist „Little Maggie“, die er auf dem quasi Höhepunkt des Abends präsentiert. Genüsslich rockt die Band, mit ihrem Frontmann ROBERT PLANT, die ganze Bandbreite ihrer Möglichkeiten, spielt mit den Loops, kleidet sie in Bluesgesänge mit fernöstlicher Polyrhythmik und lässt es krachen, dass die Fetzen fliegen. Die SPACE SHIFTERS haben, nebenbei bemerkt, ihren Beinamen „sensational“ auch wirklich verdient. Sie sind ein wuchtiger Orkan, der all die kleinen Möchtegern-„Rocklegenden“ von der Bildfläche schubst, die Relationen wieder ins Gleichgewicht und Personen in die richtige Reihenfolge bringt. Chapeau, Mr. Plant! Und dann sagt der einfach, nachdem er uns heiß gemacht und wir gejubelt haben: „Schlafen Sie gut!“ Seit einer guten Stunde schwebe ich, gleich tausenden anderen, auf Wolke 7 und der will uns ins Bett schicken! Nein, wir bekommen noch eine gehörige Ladung auf unsere Ohren plus das Riff von „Whole Lotta Love“, das ein instrumentales Filetstück von „Bring It On Home“ umschließt, ins Herz gepresst. Zuvor lässt es sich ROBERT PLANT nicht nehmen, einige Worte zum Einwanderungsland USA von sich zu geben, um zu erinnern, dass diese Nation aus Einwanderern wuchs und im Hintergrund kann man „We belong to the land“ lesen. Dazu noch einmal urwüchsige Rhythmik, voller Sound und dazu diese so wundervolle Rock-Röhre. Ich könnte heulen vor Glück, schreien vor Begeisterung und stehe doch nur mit einem Kloß inmitten der Menge. Ich war dabei, habe die Magie gespürt, habe mich verzaubern und mitreißen lassen. Mir ist, als wäre ich auf einer Himmelsleiter zum Glück gewesen.