Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
QUEEN & PAUL RODGERS im Berliner Velodrom 21.09.2008 (Ich habe die Königin gesehen!) Nicht alle Träume werden wahr und nicht alle Wünsche kann man sich erfüllen. Gleich gar nicht, wenn man als DDR- Geborener lebte. Die Rolling Stones machten 1969 mit „You Can’t Always Get What You Want“ (Du kannst nicht alles haben, was du möchtest) einen Song daraus, mit dem man sich bei allen möglichen Gelegenheiten hätte trösten können. Dabei hatte ich so viele Wünsche und Hoffnungen, die Rockmusik betreffend, die ich mir gern erfüllt hätte. Einer von ihnen: Ein Konzert von QUEEN erleben. Manchmal aber werden Träume doch noch wahr. Seitdem ich von meinem Schottischen Freund immer regelmäßig die neuesten QUEEN-Alben in die DDR geschickt bekam, wuchs natürlich der Wunsch, die Band wenigstens ein Mal im Leben live zu erleben. Jedes Mal, wenn Queen eines ihrer neuen Alben in England veröffentlichte, drehte sich der Longplayer zehn Tage später auf meinem Plattenteller! Mein Freund auf den Orkney Inseln machte es möglich. Diese Band im Konzert zu erleben, schien dennoch unerfüllbar, zumindest bis zum Ende der DDR-Traumzeit. Als dann alle Möglichkeiten und die Freiheit greifbar schienen, dämmerte auch die Erkenntnis, dass man beides kaufen musste, um sie nutzen zu dürfen. Die Hoffnung allerdings, so sagt man, stirbt zuletzt. Irgendwann, so mein Vorhaben, würde ich mir die Tickets kaufen (können) und (fast) alle meine Wünsche erfüllen. Auch den nach einem Queen-Konzert. Doch als Freddy Mercury am 24. November 1991, mit gerade einmal 45 der Immunschwäche Aids Tribut zollen musste, da zerbarst dieser Traum wie eine Seifenblase. Aus und vorbei! Alle Tränen wurden geweint, der Traum begraben und in meiner Sammlung standen stolz alle Original-Alben von meinem Schottischen Freund und das schon zu DDR-Tagen! Shit happens! Doch dann die Überraschung. Die beiden noch verbliebenen Musiker BRIAN MAY und ROGER TAYLOR gehen wieder auf Tour, allerdings ohne den Bassisten JOHN DEACON, der nach dem Tod des Sängers nicht mehr weitermachen will. Das ist sicher irgendwie verständlich, aber schade. Aber die eigentliche Überraschung ist der „neue“ Mann am Mikrofon. Kein Geringerer als PAUL RODGERS, die Stimme von FREE und BAD COMPANY, wird der Band eine neue Stimme, und damit einen prägnanten Sound für ein Album und die Tour geben. Was ich in diesen Momenten empfand, kann ich nicht beschreiben. Für mich fühlte sich das an wie ein Sechser im Lotto oder zwei Fliegen mit einem Schlag. Der Shouter mit der markanten Blues-Stimme hatte sich mit „All Right Now“ bereits 1970 in den Rockanalen verewigt und sich mit dem markanten Riff in die Herzen einer ganzen Generation eingebrannt. Die Kombination von Queen und weißem Blues sollte live zu erleben sein. Für mich gab es kein Zögern mehr. Ich wollte nur noch dabei sein, wenn die Band und der Sänger ein Konzert in meiner Nähe geben würden. Jenes in Leipzig hatte ich verpasst, aber das in Berlin wird mein „Hauptgewinn“ sein. Dann endlich ist es Zeit, nach Berlin zu fahren. In einer Seitenstraße, nahe dem Velodrom, gelingt es mir tatsächlich, noch einen Park- platz zu finden. Ich muss beinahe „hochkant“ einparken, aber für den Außendienstler in mir ist es kein Problem, mich in die Lücke zwischen Abfallcontainer und Gartenzaun zu zwängen. Der Weg zum Velodrom ist kurz. Ich freue mich, bei QUEEN & PAUL RODGERS, wenn der Kosmos rockt, dabei zu sein. Auf Anraten eines „Freundes“ lasse ich vorsorglich meine Digitalkamera im Auto. Als wir uns am Einlass treffen, zeigt der mir stolz seine Kamera, ehe er hinein geht. Mir bleibt die Spucke weg, die Wut steigt auf und von dem Augenblick an ist er für mich pfeilschnell gestorben. So ein Egoist und Arsch! Drinnen klingt meine Erregung erst langsam ab. Die Euphorie packt mich mit den ersten Klängen der Show wieder. Vom Bühnenraum her bricht mit heftigen Blitzen und tosendem Gedröhne aus fernen Galaxien, aus dem neuesten Werk der königlichen Herren, der Beginn der Show über den Innenraum des Velodroms herein. „The Cosmos Rocks“ lässt schnell erahnen, wie diese spannende Melange aus Heavy- und Blues - Erfahrung eines Paul Rodgers, gepaart mit der Perfektion und Finesse der beiden originalen Queen–Akteure, BRIAN MAY und ROGER TAYLOR, von den Fans aufgenommen wird. Deren angestaute Spannung und Erwartungen lösen sich endlich lautstark und sehr emotional in Jubel auf. Das war es dann auch schon aus dem neuen Kosmos und mit „Tie Your Mother Down“ erfolgt nahtlos der Zugang zum musikalischen Queen-Universum. Die Halle rockt aus dem Stand, die da unten haben offensichtlich einen Heidenspaß an ihrem Tun und lassen ihre Klassiker „I Want To Break Free“, „Fat Bottom Girls“ und „Another One Bites The Dust“ folgen. Die rauchige, vom Blues gefärbte Stimme von PAUL RODGERS macht sich die Songs liebevoll, mit unheimlicher Präzision und dennoch vor eigenen Wollen strotzend, zu eigen und versetzt auf diese Weise, im Einklang mit den Gitarrenzaubereien von BRIAN MAY, die Massen in wahre Begeisterungsstürme. Ich fühle mich bei all dem sauwohl und kann es kaum fassen, im Rang sitzend die Szenerie beobachten zu dürfen und diese Songs alle endlich live zu hören. Es wird leise im Rund, als sich Gitarrist BRIAN MAY an das Ende des Laufsteges begibt und auf einem Hocker sitzend, mit einer Akustikgitarre in der Hand, „an old German folk song“ ankündigt. Der Mann scheint sich gut informiert zu haben, denn er präsentiert sich nicht nur als Könner, sondern auch als echtes kleines Schlitzohr. Für den kurzen Bruchteil eines Wimpernschlages ist die Stille mit Händen zu fassen und das Intro zu „Alt wie ein Baum“ (von den Puhdys) im Rund zu hören, ehe Brian daraus schnell und zielsicher die Akkorde zu „39“ zaubert. Die Anspannung löst sich in Lachen, Staunen und Begeisterung auf und das Auditorium tobt ob des gelungenen Gas, den man sicher nur hierzulande verstehenden kann. Dramaturgisch äußerst geschickt lässt er „Love Of My Life“ aus seiner Gitarre sprudeln und die Massen im Rund singen leise dazu mit. Spätestens jetzt haben wir die Wahl zwischen Taschentuch oder Kloß im Hals. Doch ehe die Stimmung kippen kann und sich Melancholie einschleicht, können wir erleben, wir ROGER TAYLOR, im wahrsten Sinne des Wortes, am Ende des Stegs sein Drum-Solo aufbaut. Mit den Drum-Sticks auf den Saiten eines Basses beginnend, trommelte er sich Stück für Stück die Teile seines Schlagzeugs zusammen, das die Roadies während des Spiels komplettierten, so dass aus dem leisen Trommelspielen am Ende ein gewaltiger Donner und tosender Orkan wird. Ein Solo, das dieser Bezeichnung auch tatsächlich gerecht wird und das ROGER TAYLOR singend mit „I’m In Love With My Car“ zu einem furiosen Höhepunkt peitscht. Aber mal ganz ehrlich, am meisten begeistert mich diese prägnante Stimme des Queen- Drummers, die so manchem Queen-Song erst den besonderen Stempel aufdrückt und mich an die faszinierenden Songs seiner Solo-Aktivitäten erinnern lässt. Apropos Solo: Was BRIAN MAY einem zur Gitarre verarbeiteten Kaminholz entlockt und über Minuten in allen nur denkbaren Klangfarben durch den Raum schreien, wimmern, singen und krachen lässt, bringt möglicherweise so manchen Gitarristen, der als Zuschauer gekommen ist, ins Grübeln. Nicht nur bei seinen vielen Soli wird deutlich, dass dort unten ein Ausnahmegitarrist in die Saiten greift und so manchen seiner Musiker-Kollegen steinalt aussehen lässt. Mehrmals im Laufe des Abends bekommt PAUL RODGERS Gelegenheit, seine eigene rockmusikalische Laufbahn zu zitieren. Ob nun allein, nur mit Akustikgitarre, oder aus dem Fundus von Bad Company oder Free zitierend, der Mann ist ein Ereignis und seine Stimme kann wie die Gewalt eines brüllenden Wasserfalls oder wahlweise auch wie der morgendliche Raureif auf den Blättern sein. RODGERS lebt den Blues, presst ihn zuweilen aus den Queen-Songs heraus, ohne ihnen die Seele zu rauben und er ist ein furioser Rocker! Für mich stellt sich die Frage nach einem Mercury-Ersatz gar nicht, denn dieser Sänger lässt sich nicht in fremdes Fahrwasser locken. PAUL RODGERS agiert völlig gleichwertig neben den beiden Queen-Rockern und bringt seine eigenen Erfahrungen in die Songs ein. Einfach Klasse! An Höhepunkten mangelt es nicht in diesen 150 Konzertminuten. Es fehlen natürlich auch nicht die großen Gesten („Bohemian Rhapsody“) oder Hymnen („We Are The Champions“ & „Show Must Go On“) sowie das Rauschen und Klatschen tausender Hände („Radio Ga Ga“ & „We Will Rock You“). Ich selbst habe außerdem das vom Blues durchtränkten Riff und die Melodie von „All Right Now“ in mich aufgesogen, während meine Knochen zum Rhythmus mitschlotterten. Das hätte ich liebend gern auch schon vor 35 Jahren erlebt und dann möglichst direkt vorn an der Rampe. Dennoch bin ich glücklich und genieße jede Minute des Konzerts bewusst und in vollen Zügen. Was mir bleiben wird, ist ein Abend voller Emotionen, Harmonie und erinnerter Jahre der Sehnsüchte. Vielleicht auch ein wenig die Erkenntnis und Genugtuung, noch immer den wilden Rock’n’Roll im Blut und endlich diese Band im Velodrom live erlebt zu haben, so wie 1994 eine andere Legende auf dem Berliner Maifeld. Ich habe zwar nicht die Zukunft des Rock’n’Roll gesehen, wie ein amerikanischer Journalist einst nach dem Besuch eines frühen Springsteen-Konzertes schrieb, dafür aber lebendige Rock-Urgesteine in Höchstform und bester Spiellaune in der Erinnerung zu behalten. Das ist ja auch nicht zu verachten. Zudem hat QUEEN mit dem charismatischen Shouter PAUL RODGERS jemanden überzeugen können, der gar nicht erst versucht, Freddy Mercury zu ersetzen, sondern den Klassikern und der Show seinen ganz und gar individuellen Stempel verpasst. Manchmal werden Träume eben doch noch wahr. Spät, aber nicht zu spät. Die Zukunft wird zeigen, ob vielleicht ein ähnliches Ereignis noch einmal möglichst sein wird. Dann wäre ich gern wieder (mit Kamera) dabei. Herzlichen Dank an Michael J. Simons für das zur Verfügung stellen der Live-Fotos: hier