Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
Sir Paul McCartney in der Waldbühne 14.06.2016 (Gastbeitrag von Andrea Noack – vielen Dank Andrea, in jedem Wort ist Dein Herzblut zu spüren - Fotos Andrea Noack und von Anke Schiemann. Ich danke Dir, Anke!) Am 14. Juni 2016 besuchte ich das Konzert von Paul McCartney in der Berliner Waldbühne. Noch Tage danach war ich völlig aufgelöst und euphorisch, denn dies war kein Konzert, das war viel mehr - ein Ereignis, ein Statement, eine Bilanz und eine Botschaft. Ich will versuchen, meine Eindrücke, mit denen ich wahrscheinlich locker über 30 Seiten füllen könnte, in vertretbarem Maß in Worte zu fassen. Irgendwo wurde die Tour als eine Retrospektive von Paul McCartney’s Schaffen bezeichnet und unter diesem Aspekt war es auch eine Reminiszenz an unser Leben, denn die Musik der Beatles begleitet meine Generation seit mehr als 55 Jahren. Paul hat als Künstler alles erreicht. Er hat erlebt, was mehr als ein einziges Leben füllen könnte und es scheint mir, als ob er auf dieser Tour 2016 mit einer Zusammenfassung all dessen nochmals vor seine Fans treten wollte. Ich hatte Urlaub genommen und konnte somit in aller Ruhe zur Waldbühne fahren, ohne Stress einen Parkplatz suchen und das Terrain erkunden, denn es war mein erster Besuch an diesem Ort. Am Zaun entlang schleichend, bekam ich etwas vom Soundcheck mit. In diesen letzten Stunden vorm Konzert konnte ich mich stimmungsmäßig einrichten auf das, was da kommen würde und ich lebte nur noch auf dieses Ereignis hin. Ich bin ein Beatles-Fan! Als sich die Pforten öffneten, gab es keine Panik und da ich keinen Innenraumplatz hatte, konnte ich mir in Ruhe einen der besten Plätze im Block H suchen. Da saß ich und konzentrierte mich auf diesen einen Moment, auf das Erscheinen von Paul. Auf den Videowänden rechts und links der Bühne wurden Bilder und Videos gezeigt, beginnend mit Fotos aus Paul’s Kindheit. Ich fand das sehr berührend. Sein Leben in Bildern, bis in die Gegenwart, und dazu dieses Gefühl der Erwartung. Ich kam mir vor wie ein Kind vor der weihnachtlichen Bescherung. Ich dachte so bei mir, falls der wirklich hier in der nächsten Viertelstunde auftauchen sollte, fällst du in Ohnmacht - was natürlich nicht eintrat. Aber diesen einen Moment habe ich sehr genossen. Paul erschien, wurde jubelnd empfangen und startete mit „A Hard Days Night“ der perfekte Auftakt. Die Set-List hätte von mir sein können. Insgesamt war die Songauswahl „beatleslastig“, was mir sehr gefiel. Der Bogen wurde gespannt von den Anfängen bis in die Gegenwart. So war auch ein Titel im Programm - „In Spite Of All The Danger“ - der 1958 noch unter dem Namen QUARRYMEN eingespielt wurde. Die wieder aufgetauchten Fragmente eines Mitschnittes habe ich vor Jahren in London in der British Music Experience hören können. Dies war mein drittes McCartney-Konzert nach 2004 in Leipzig und 2009 in der Berliner O2-Arena. Im Publikum saßen Größen wie Grönemeyer, Niedecken, Kati Witt, Campino, Jan-Josef Liefers (obwohl?). Paul sprach recht viel deutsch an diesem Abend und mir war es dabei völlig wurscht, ob er irgendwas abliest oder nicht. Ich empfand es als eine nette Geste und als Zeichen der Aufmerksamkeit. Das Konzept des Abends hatte vielleicht ein bisschen etwas von einem Abschied. Wer weiß das schon mit Sicherheit? Ich möchte nichts hineininterpretieren, aber auch Paul McCartney wird sich Gedanken zum Leben, zur Sterblichkeit und den Tod machen, Gedanken, wie ich sie mit meinen 62 Lebensjahren auch habe und wie wir sie wohl fast alle irgendwann haben, wenn sich uns das Thema nähert. Noch dazu, wo sich unsere Idole nach und nach von der Welt verabschieden und nicht nur sie, sondern auch unsere Eltern, Freunde und Weggefährten. Wir leben mit vielen Erinnerungen und ich finde es zutiefst menschlich, wenn Paul jenen, die ihm viel bedeuteten, einen Song widmet. Das ist weder kitschig noch unpassend, das ist berührend. Bei „Here Today“ für John stand er allein auf einem großen Podest hoch über der Bühne, von welchem sich virtuelle Wasserfälle ergossen gigantisch! Vor dem Konzert kam ich mit einem Mann aus Hamburg ins Gespräch und er sagte, wie sehr es ihm jedes Mal weh tut, dass John’s Platz neben Paul leer ist: „Er fehlt mir so!“. Mit Paul’s Interpretation wurde genau diese Stimmung transportiert. Ebenso einsam begann Paul „Something“ für George. Die Band stieg später ein und es wurden wundervolle Fotos von Paul mit George gezeigt. Man konnte seinen Emotionen nachgeben - ja, es gab auch Tränen in der Waldbühne, da hat wohl jeder so seine ganz eigenen Momente gehabt. Die BEATLES haben stets für Liebe, Verständigung, Toleranz und Frieden gestanden. Paul zelebrierte an diesem Abend ein Miteinander und das in einer Zeit, in der die menschliche Gemeinschaft aus den Fugen zu geraten droht, wo täglich von Terrorakten, Krieg, Überfällen und Mord berichtet wird. Die Waldbühne erschien mir in diesen Stunden wie ein anderer Planet. Die 22.000 Menschen, wie eine Einheit, eine Gemeinschaft und seht ihr, es geht doch: „Imagine, a brotherhood of man“! Vielleicht hatten die BEATLES eine Lösung und mit Wehmut denke ich daran, welche Chancen die Menschheit vertan hat und sie immer noch vergibt: „All we are saying is give peace a chance!“ Dieses Konzert war perfekt. Die Songauswahl hätte besser nicht sein können. Mir gefiel auch die Präsentation mit den wundervollen Videos. Im Zusammenschnitt waren sie absolut passend, großartig aufgemacht und doch nicht überladen. Ich bin kein Freund von bombastischen Lichtshows und Feuerwerken, aber diese pyrotechnischen Einlagen zu „Live And Let Die“ sind immer wieder grandios, auch deshalb, weil sie auf die Zehntelsekunde genau auf die Töne abgestimmt sind. Und was bedeuten schon ein paar Songzeilen, mit brüchiger Stimme vorgetragen, gegen mehr als 55 Jahre voller musikalischer Highlights. Paul ist doch auf einer Ebene angekommen, wo das keine Rolle mehr spielt. Für mich war es der beste PAUL McCARTNEY, den ich je erlebt habe, zum Niederknien. Und er hatte für mich auch meinen Lieblings-Beatles- Song im Repertoire: „Lady Madonna“. Mein Herz klopfte wie wild und ich war wieder das 14-jährige Mädchen, das die ganze Nacht durch nicht schlafen konnte, nachdem es das erste Mal diesen Titel gehört hatte. Und weiter. Song auf Song, Hit auf Hit. Es waren über 2 ½ Stunden, die PAUL McCARTNEY ohne Pause und ohne geringste Anzeichen an mangelnder Kondition absolviert hat. Gegen Ende zu nutzte er eine Pause zwischen zwei Songs, um kurz hinter der Bühne zu verschwinden und tauchte mit einer Regenbogenflagge auf und rief: „Wir stehen gemeinsam mit Orlando!“ Damit reagierte er auf einen Anschlag, der zwei Tage vorher auf einen Nachtklub verübt wurde und fast 50 Todesopfer forderte. Trotz Tournee-Stress hatte er das aktuelle Geschehen verarbeitet. Alle wussten, dass nach „Hey Jude“ nicht Schluss ist. Der Zugabenteil begann mit „Yesterday“, natürlich Paul’s „Yesterday“ - ach ja, seufz. Ganz am Ende dann der Schlussteil der „Abbey Road“, das war perfekte Dramaturgie. Letztes aufgenommenes Album, letzter Song, letzte Zeile: “And in the end the love you take is equal to the love you make.“ Dies ist eine große Weisheit, ein Vermächtnis, das uns die Beatles hinterlassen haben. Ich dachte so bei mir, es werden vielleicht die letzten Worte sein, die ich live von ihm höre. Paul legte seine Hand an sein Herz ein großer Moment, den ich wohl nie vergessen werde und jedes Mal, wenn ich daran denke, kommen mir die Tränen. Auch jetzt, da ich das niederschreibe. Man hätte diese letzten Minuten nie enden lassen wollen. Und so sehr sich die Fans in der Waldbühne dies auch wünschten, das Publikum schien zu spüren, dass es ungehörig gewesen wäre, eine weitere Zugabe zu erzwingen. Was sollte jetzt noch kommen? Und so kehrten 22.000 Menschen mit unvergesslichen Eindrücken wieder friedlich in ihren Alltag zurück, glücklich und voller positiver Emotionen. Auch ich bin voller Glück und Dankbarkeit, hier dabei gewesen zu sein. Schon seit langem gehört meine besondere Zuneigung John, doch an diesem Abend war Paul mein Lieblingsbeatle. Wenige Tage nach diesem Konzert in der Berliner Waldbühne ist Paul 74 geworden und so, wie er zur Zeit drauf ist, scheint noch alles möglich. Die Geschichte der Beatles ist noch nicht zu Ende.