Lebensgefühl Rockmusik
Der Ostrock lebt und rockt in Irxleben 19.05.2023 (Doppelkonzert der Klosterbrüder mit Hannes Andratschke, Tom Gavron & Steffi Breiting und der Stern Combo Meissen) Was macht jemand, den eine Idee treibt, ein Traum, den er verwirklicht sehen möchte? Er sucht sich Wege, Möglichkeiten und Partner, ihn zu realisieren, seinen Traum wahr werden zu lassen. Ein Gefühl, das ich auch kenne. Sich nicht beirren lassen, nicht aufgeben, einfach machen. Nicht einmal durch die Pandemie lässt sich Werner Albrecht von seinem Vorhaben abbringen, die Artrocker der Stern Combo Meissen und die legendären Klosterbrüder gemeinsam auf die heimische Open-Air-Bühne zu bringen. Er hat es tatsächlich geschafft und ich befahre eine kurvenreiche Landstraße über die Dörfer (hinter Oschersleben) und lande schließlich in Irxleben, wo das Ereignis heute Abend die Hohe Börde rocken wird. Ein Parkplatz direkt neben dem Konzertgelände ist schnell gefunden. Dort bleibt noch Zeit genug für überraschende Begegnungen und entspannte Gespräche. Als die Sonne hinter die Bühne taucht, wird es dichter vor der Rampe, formieren sich die Reihen. Das Intro kündigt mit rauschenden Tull-Facetten die Klosterbrüder an und die eröffnen das mit Spannung erwartete Konzert. Am Mikrofon singt Hannes Andratschke, den ich einst mit der Magdeburger Band Quintessenz auf eigener Bühne hatte, „Untreue Freunde“. Ihm zur Seite bringt uns Dietrich Kessler die Flötentöne bei und Eberhard Klunker mischt als Gitarrist, anstelle von „Matze“ Blankenburg, mit. Der Band erging es wie anderen auch. Krankheit und Sensenmann lichteten die Reihen, rissen tiefe Wunden, aber der typische Sound rockt und Hannes, als Nachfolger von HaJo Kneis, gibt stimmgewaltig sein Bestes. Erster Eindruck: „Der Ostrock lebt!“. Für den nächsten Song, „Wenn ich zwei Leben hätt“, kündigt der Bandchef den Sänger Tom Gavron aus Elsterwerda an. Wie jetzt, Elsterwerda? Ich bin elektrisiert und lausche der Stimme, die irgendwie einen Touch von Jazz mitzubringen scheint. Aber sie passt zum Song und ich überlege, wo ich diesen jungen Mann aus Elsterwerda einordnen soll. Später stehe ich ihm gegenüber und wieder einmal holt mich meine Vergangenheit ein, erlebe ich ein kleines Deja Vu. Doch das ist eine völlig andere und alte Geschichte. Das ausgerechnet in Irxleben, wo gerade das „Lied einer alten Stadt“ mit der Stimme von Hannes Andratschke erklingt, eines jener Lieder, das bei mir viele Assoziationen auszulösen vermag, denn es besingt Weimar. Der Song rockt das weite Areal, viele singen textsicher mit, die Stimmung ist vom Feinsten. Glückwunsch Werner, das habt ihr alle großartig hinbekommen! Ein besonderer Gast des Abends steht jetzt am Mikrofon: Steffi Breiting. Gesegnet mit einer Stimme, die den Blues wie heiße Lava fließen und Soul-Feeling darüber tropfen lässt, dass Dir die verborgenen Sehnsüchte im Herzen überquellen. Ich hab’s bei Engerling und Masterpeace selbst erlebt, aber Moods Of Ally verpasst. Egal, sie steht da, sie zelebriert den „Rock’n’Roll Preacher“ und so manchem werden die Knie weich. Die Frau ist blanke einfühlsame Power der Extraklasse. Inga Rumpf wäre sicher stolz oder gar neidisch. Ich selbst erinnere mich an Zeiten, als „How Gypsy Was Born“ mit den typischen Orgelkaskaden Kult unter jungen Männern war und wir verbotene Träume träumten: „Go to the top of the mountain and look. Do you see the land around?“. Jahrzehnte später sah ich sie live und heute in Irxleben lausche ich dem Song, der mich an damals erinnert und mein Herz im Rhythmus des Sounds der Orgel hüpfen lässt. Da werden alte Männer jung und sind beim „Stormy Monday Blues“ glücklich. Es braucht nur die richtige Dosis, Rock’n’Blues & Soul und eben eine Stimme, wie die der Steffi, auf einer Live-Bühne. Grandios und mitreißend. Es folgen Klassiker der Klosterbrüder wie: „Kalt und heiß“, das Instrumental „Orient X-Press“, „Vorsicht Glas“, „Verkehrte Welt“ und zwischendurch, als Erinnerung an Omega, das „Perlenhaarige Mädchen“ mit der Stimme von Tom Gavron. Natürlich darf der Tull-Klassiker „Locomotive Breath“ von 1971 an einem Abend wie diesem auch nicht fehlen. Dafür verlässt Peter „Eiche“ Eichstädt seine Keyboards, schnappt sich das Mikrofon und plötzlich ist Bewegung auf der Bühne. Sogar der Anderson’sche Rock-Schalk führt einen Tull-Tanz auf und lässt die Massen vor der Rampe jubeln. Es ist einfach nur schön, diese Band noch einmal so entspannt rockend erleben zu dürfen. Die hat sogar mit „Das tiefe Meer“, komponiert und getextet von Eberhard Klunker, einen nagelneuen Song, gesungen von Tom Gavron, in petto. Alle Achtung, meine Herren, das hatte ich nicht erwartet! Die Dämmerung ist aufgezogen, die ersten bunten Spots werfen dunkle Schatten und der Wind lässt das erblondete Haar von Dietrich Kessler wehen, als er das Ende ankündigt. „Zugabe!“, ruft jemand laut. Ein Blick zum Zettel und der Mann im schwarzen Ledermantel kündigt „Was wird morgen sein?“ an. Wieder passt die Stimme von Tom Gavron zum Song und wieder singen die Fans inbrünstig und laut mit. Im Pulk vor der Rampe wird gejubelt und noch einmal schallt es laut „Zugabe!“ über das Areal. Steffi Breiting und Hannes Andratschke lassen es mit „Going Down“ krachen. Der Rausschmeißer aber ist ein steinalter Knaller von den Troggs. Als 1966 „Wild Thing“ aus den Dampfradios quoll, war ich sechzehn, „Ostrock“ noch kein Begriff, die Leidenschaft für (Rock)Musik aber schon gepflanzt. So hat alles angefangen. Heute bin ich ein glücklicher Rock-Rentner, völlig egal, was andere von mir halten! Ich lebe, denn ich spüre meine Knochen und genieße Musik. Alles andere ist Schnee von vorgestern und der interessiert mich nicht die Bohne. Die Umbaupause eignet sich gut für ein frisches Bier, eine heiße Bratwurst, Gespräche oder auch für ein Gruppenfoto vor der Bühne. Okay, jetzt kenne ich Euch alle auch persönlich und weiß, Potential für die Zukunft ist genug da. Also her mit der Zukunft! Die Stern Combo Meissen wird im kommenden Jahr ihr 60. (!) Jubiläum feiern. Die Zeit bis dahin wird schnell vergehen, doch heute Abend stehen die Herren um Urgestein Martin Schreier erst einmal auf dieser Bühne. Der erste Song heißt „Der weite Weg“ und gab dem 3. Album (1979) auch den Namen. Vor der Bühne steht man jetzt dicht gedrängt und der Pulk dahinter ist auch größer geworden. Viele haben zudem einen weiten Weg zurückgelegt, um beide Bands im Doppelpack zu erleben. Die Augen kleben förmlich an den Lippen von Manuel Schmied, um den Worten zu folgen: „So ist der Mensch im Suchen und im Wagen und das wird von ihm in ferne Zeit getragen.“ Es klingt wie das musikalische Lebensmotto dieser Band, die es immer verstand, sich in stürmischen Zeiten zu verjüngen. Es sind die Keyboards und der mehrstimmige Gesang, die der Nacht einen Klang geben und dann ist es Zeit für „Die Sage“ vom gleichen 79er Album. Der Song berührt noch immer und so alt diese Fabel auch sein mag, sie ist gerade in diesen Tagen aktueller denn je. Ich stehe neben Freunden in der ersten Reihe, genieße den Sound und entlasse meine Gedanken in die Nacht. Zum Beispiel zu Norbert Jäger, der einst den „Alten auf der Müllkippe“ gab, oder zu Thomas Kurzhals, dem die großen Melodien und Adaptionen der Combo zu verdanken sind. Doch der Gründer der Band, Martin Schreier, steht noch immer da oben und besingt „Die Zeder von Jerusalem“. Der großen Bogen von einst bis in diese Stunde ist für mich überbrückt. Martin singt aus tiefstem Herzen, die Band rockt und JA, „Der Ostrock lebt“, obgleich mir der Begriff irgendwie schräg auf der Seele liegt. Bin ja nicht im „Osten“, sondern in der DDR, mit ihrer besonderen Beat- und Rockmusik, aufgewachsen, ohne nun gleich einer von gestern sein zu müssen. Solche Gedanken gehen mir eben bei dieser Musik durch die Birne, denn meine Sozialisation fand auch mit dieser Musik statt. Mit „Stundenschlag“ rocken die Sterne weiter durch die Nacht und bei „Freiheit ist“ sind wir quasi im Heute angelangt. Manuel Schmid, Sänger, Tastenvirtuose und Jüngster der Band, prägt deren Sound schon seit Jahren. Er zaubert an den Tasten und taucht singend tief in die Seele auch der Klassiker ein. Man kann es sogar fühlen im weiten Rund, als der „Kampf um den Südpol“ über die Dächer von Irxleben hinaus hörbar wird. Kaltes blaues Licht taucht die Szenerie in die richtige Stimmung. Schatten tanzen an den Silhouetten der Bäume und wehen eine kühle Brise herüber, während die Band uns im Sound gefangen hält. So klang die Stern Combo mit dem „Südpol“ schon anno 1976 im Röhrenradio und fast genau so empfindet man den Klassiker immer noch: „Der Ostrock lebt“! Wir sind in der finalen Phase angelangt. Jetzt werden die großen Hits der 1980er Jahre abgefackelt und ja, es sind vorwiegend die weiblichen Fans, die jetzt jubeln und sich als textsicher erweisen. Egal ob „Mein Herz“, „(Wir sind) die Sonne“, „Leben möchte’ ich“ oder „Eine Nacht“, die Euphorie im Rund ist grenzenlos und viele Körper wiegen sich im Rhythmus und Lebensgefühl des Disco-Zeitalters. Man kann diesen Anblick prima genießen, ohne selbst gleich auszuflippen. Die Band lässt sich von dieser Euphorie tragen, sie gibt Vollgas und den Fans haufenweise Glückgefühle. Jeder spürt, dies ist unsere Musik, sie erzählt von uns, sie erzählt von unserem Leben, von Glück, Liebe und Hoffen. Dennoch ist mit „Eine Nacht“ auch das zweite Konzert verklungen. Gruppenfoto auf der Bühne, überall glücklich strahlende Gesichter und noch ein letztes Winken ins Publikum. Dann ist endgültig Schluss. Ich bin platt vom Stehen, aber glücklich. Eine Stunde vor Mitternacht ist das Doppelkonzert von Irxleben Geschichte. Allerdings bereiten sich nun die Musiker der Mäx-Inn-Band auf eine ausklingende Party-Nacht vor. Ich lasse noch das Erlebte ein wenig sacken, spüre aber auch meine körperlichen Grenzen. Dies war ein wundervoller Abend, ein Musikgeschenk besonderer Art. Dem Organisator Werner Albrecht mit seinem Team ein riesengroßes Dankeschön und Respekt, das Projekt mit aller Konsequenz durchgezogen zu haben hoffentlich bis zum finalen (finanziellen) Erfolg. Wer sich mit so viel Herzblut einbringt, hat nichts anderes verdient und zudem die Anerkennung vieler. So viel Engagement sollte sich herumsprechen, ganz weit über Irxleben hinaus, damit es alle erfahren: „Der Ostrock lebt!“. DANKE WERNER.