Orcadian und Ossi – Zwei aus Europa 16.12.2012 (3. Advent)
In
diesen
Tagen
kurz
vor
dem
Weihnachtsfest
ist
es
sicher
nichts
besonderes,
wenn
man
zum
Telefon
greift.
Man
bimmelt
Verwandte
oder
gute
Freunde
an,
um
ihnen
mehr
oder
weniger
deutlich
zu
sagen,
dass
man
sie
mag.
Für
mich
ist
es
immer
etwas
besonderes,
wenn
ich
die
Vorwahl
0044
wähle
und
ich
dann
genau
weiß,
es
bimmelt
ein
Telefon
auf
den
Schottischen
Orkney
Inseln.
Irgendwo
in
der
Nähe
der
Inselstadt
Kirkwall
steht
ein
Telefon
in
einem
Wohnzimmer,
das
klingelt
dann.
Von
den
Fenstern
des
Zimmers
aus
kann
man
über
die
raue
See
in
Richtung
Norden
zu
den
anderen
Inseln
Rousay oder Shapinsay und südwärts auf die karge Landschaft von Tankerness sehen.
Ich
„kenne“
DAVID
seit
seinem
ersten
Brief
vom
10.
August
1971.
Seitdem
sind
so
viele
Briefe
hin
und
her
geschickt
worden,
wie
andere
wahrscheinlich
in
ihrem
ganzen
Leben
nicht
schreiben.
Bei
mir
im
Regal
stehen
zehn
Ordner
voll
davon
und
nicht
einer
fehlt.
Sie
dokumentieren
eine
sicher
sehr
ungewöhnliche
Freundschaft,
die
inzwischen
länger
als
40
Jahre
andauert.
So
lange
hält
manche
Ehe
nicht.
Es
sind
hunderte
Seiten
zum
Lesen,
voll
geschrieben
mit
Worten
über
Musik,
aber
auch
Gedanken
über
das
Leben
dort
und
hier.
Irgendwann
schrieb
mir
auch
sein
Bruder
TOMMY
und
der
bastelte
mir
auch
ein
Büchlein
über
die
Geschichte
der
WHO,
mit
viel
selbst
geschriebenem
Text
und
vielen
Fotos.
Von
seiner
Schwester
ELISABETH
bekam
ich
ebenfalls
Briefe
und
die
Platten
von
SALLY
Oldfield
geschenkt.
Insgesamt
sind
es
hunderte
von
Langspielplatten
und
Singles,
die
den
Postweg
von
Kirkwall
in
die
kleine
abgeschottete
DDR
nach
Elsterwerda
fanden.
Die
Postfrau
brachte
mir
Plattenkataloge,
Zeitschriften
von
Lady
Diana’s
Hochzeit,
echten
Schottischen
Whisky
und
auch
den
verdammt süßen Plumb-Kuchen zum Kosten.
Regelmäßig
zu
Ostern,
Weihnachten
und
zum
Geburtstag
kam
ein
Plattenpaket
mit
mindestens
zehn,
zumeist
aber
mehr
Schallplatten
darin.
Darunter
wahre
Kleinode
oder
Sachen,
die
ich
bis
zu
diesem
Augenblick
nie
gehört,
geschweige
denn
gesehen, hatte. In all den Jahren hatte ich immer das Gefühl, einen schottischen Freund mitten in der DDR zu haben. –
Das
Telefon
auf
den
Orkney’s
klingelt
irgendwie
anders,
als
meins.
Dann
nimmt
jemand
ab
und
ich
sage
dann
üblicherweise:
„
Hello,
Hartmut
here
from
Germany.
Could
I
speak
to
David
please?“
Meist
murmelt
dann
die
Stimme
am
schottischen
Ende:
„Hang
on.“,
und
dann
muss
ich
warten,
denn
sowohl
DAVID,
als
auch
ELISABETH,
wohnen
nicht
im
Haus,
sondern
über
den
Hof,
falls
es
ein
solcher
ist.
Dann
stelle
ich
mir
vor,
was
in
diesen
Augenblicken
dort
geschieht.
Einer
von
David’s
Brüdern
muss
aus
dem
Haus
und
sich
jetzt
im
Dezember
den
scharfen
Nordwind,
der
direkt
von
der
Steilküste kommt, um die Nase wehen lassen.
Zu
DDR-Zeiten
schrieb
mir
DAVID,
dass
er
draußen
in
einem
Caravan
seinen
Platz
hat.
In
den
90-iger
Jahren
hat
man
dann
an
dieser
Stelle
ein
weiteres
Gebäude
errichtet
und
nun
haben
DAVID
und
auch
ELISABETH,
so
meine
vage
Vorstellung,
jeder
ein
richtiges
eigenes
Zimmer.
Beide
wohnen
noch
immer
„zu
Hause“,
denn
beide
haben
keine
eigene
Familie
und
im
Clan der großen Familie haben alle einen sicheren und warmen Platz zum Leben.
Dann
habe
ich
endlich
ELISABETH
am
Ohr,
die
inzwischen
auch
kein
Teenager
mehr
ist.
Nach
meiner
Frage,
wie
es
ihr
geht,
kommen
wir
schnell
ins
Gespräch
über
das
kommende
Weihnachtsfest
und
ich
zu
meiner
Frage.
Sie
möge
mir
bitte
verraten,
was
für
ein
besonderes
Geschenk
wir
ihr
denn
machen
könnten,
um
ihr
eine
kleine
Freude
zu
bereiten.
Im
Hinterkopf
habe
ich
Süßigkeiten
-
die
ganze
Familie
ist
wild
auf
unseren
Dresdner
Stollen
-
oder
vielleicht
eine
CD,
die
sie
gern
haben
möchte.
Doch
dann
höre
ich
ihre
Stimme
und
die
spricht
etwas
aus,
das
ich
so
nicht
erwartet
hatte:
Sie
wünsche
sich,
noch
einmal
etwas
jünger
zu
sein,
noch
einmal
etwas
mehr
Zeit
und,
wenn
möglich,
ein
klein
wenig
mehr
Geld
zu
haben.
Ansonsten
habe
sie
alles,
was
sie
zum
Glücklichsein
braucht
und
außerdem
hätte
sie
ja
uns,
ihre
Freunde
in
Deutschland. Da wurden meine Augen feucht. -
Es
ist
bei
weitem
nicht
so,
dass
Marktwirtschaft
und
Demokratie
allen
Menschen
die
gleichen
Chancen
einräumen
und
sie
deshalb
alle
auch
glücklich,
geschweige
denn
wohlhabend,
sein
könnten.
Auch
die
Familie
von
DAVID,
ELISABETH,
TOMMY
und
den
anderen
Geschwistern
nicht.
Sie
leben
ein
karges
und
an
Entbehrungen
reiches
Leben.
Geld
ist
eher
mangelhaft
vorhanden
und
dennoch
haben
sie
mir
in
all
den
Jahrzehnten
nicht
ein
einziges
Mal
einen
Wunsch
ausgeschlagen.
Stets
bekam
ich
das
Gefühl
vermittelt,
für
sie
wichtig
und
ein
Freund
zu
sein.
Selbst
meine
beiden
Kinder
bekamen,
als
sie
das
Licht
der
Welt
der
DDR
erblickten,
ein
besonderes
Geschenk
von
den
Orcadians
mit
auf
ihren
Weg
in
das
Leben.
Mit
dem
„Musical
Apple“
von
1980
spielt
inzwischen
mein
Enkelkind
von
2011.
Das
erleben
zu
dürfen,
ist
für
mich
ein
ganz
besonderes
Geschenk,
dem
kein
noch
so
nobles
Teil
aus
irgend
einem
Supermarkt
oder
einer
Elektronikabteilung
den
Rang
abkaufen könnte – never ever! –
Am
Telefon
plaudert
noch
immer
Elsabeth.
Sie
spricht
über
TOMMY,
der
inzwischen
mit
seiner
Frau
KAREN
und
den
Kindern
„down
in
the
middle
of
the
town“
lebt
und
wir
sprechen
über
DAVID,
den
eher
in
sich
gekehrten
liebenswerten
Bruder.
Wir
reden,
wieder
einmal,
darüber,
wie
sich
das
Leben
aktuell
anfühlt
und
wie
es
denn
nun
sei
im
schönen
und
vereinten
Deutschland.
Da
komme
ich
ins
Stocken
und
finde
nicht
die
richtigen
Worte,
um
das
in
englisch
ausrücken,
was
mir
deutsch
durch
den
Kopf
geht.
Also
versuche
ich
einen
Vergleich,
in
der
Hoffnung,
sie
würde
mich
dann
vielleicht
verstehen.
Ich
erzähle
von
„Braveheart“,
den
Film
von
der
Geschichte
Schottlands
und
versuche
irgendwie
auf
den
Unterschied
Schottlands
zu
England,
dem
Mutterland
von
United
Kingdom,
zu
kommen.
Da
ist
plötzlich
am
anderen
Ende
ein
Moment
Schweigen und dann sagt sie: „I know what you mean. I am not Scottish, we are Orcadians.“ –
Aus
unserer
Küche
duftet
es
heute
weihnachtlich.
Evi
ist
gelernte
Konditorin
und
außer
Torte
und
Kuchen,
weiß
sie
auch
hervorragend
Plätzchen
zu
zaubern.
Wenn
sie
heute
damit
fertig
ist,
wird
ein
Teil
davon
in
ein
Päckchen
verpackt
und
morgen
zur
Post
gebracht.
Dann
wissen
wir
beide,
dass
am
Heiligen
Abend
in
einem
schottischen
Wohnzimmer
Freunde
an
einem
Tisch
sitzen
werden
und
von
ihren
Freunden
in
Deutschland
reden
und
davon,
wie
einzigartig
diese
selbst
gebackenen
Plätzchen
aus
Elsterwerda
schmecken,
für
die
es
im
Schottischen
keine
eigene
Bezeichnung
gibt.
In
diesem
Momenten
wünsche
ich
mir
außerdem,
es
gäbe
mehr
Davids
irgendwo
auf
dieser
Welt,
gleich
ob
in
China,
Russland,
Ägypten
oder
Brasilien,
die
Plätzchen
oder
was
auch
immer,
von
ihren
Freunden
vor
sich
hätten.
Das
macht
das
einander
Verstehen so unsagbar leicht und locker und würde Hass zu einem Fremdwort mutieren lassen.
Neben
Schallplatten
bekam
ich
in
all
den
Jahren
zum
Jahresende
stets
einen
Kalender
für
das
neue
Jahr
geschickt.
Natürlich
habe
ich
diese
Kalender,
ebenso
wie
die
Briefe
und
Schallplatten,
alle
aufgehoben.
Frag’
mich
einer
WARUM.
Für
mich
sind
sie
eine
Verbindung
zu
ein
paar
Menschen
auf
den
Orkney
Inseln,
die
mir
sehr,
sehr
viel
bedeuten.
Das
und
noch
viel
mehr
ist
der
Grund,
weshalb
ich
ab
und
an
zum
Telefon
greife,
um
die
vertrauten
Stimmen
von
DAVID
oder
ELISABETH
hören
zu
können.
In
all
den
Jahren
und
Jahrzehnten
haben
viele
Gedanken
und,
auf
diese
Weise
auch,
Gefühle
die
Reise
hin
und
her
gemacht.
Es
sind
Momente
wie
dieser,
als
ELISABETH
an
meinem
Ohr
leise
davon
spricht,
dass
sie
sich
nicht
als
Schotte
fühlt
und
dann
stolz
hinterher
schiebt:
„Wir
sind
Orcadians,
Bewohner
der
Orkney
Inseln!
Es
ist
dieses
„Wir“,
das
sie
besonders
betont
und
dann
spüre
ich,
dass
dieses
„Wir“
eine
Klammer
ist,
in
der
auch
ich
stecke,
der
Ossi.
Vielleicht
ist
das
einer
der
Gründe,
dass
mir
diese
Orcadians
von
den
Orkney
Inseln
so
an
mein
Herz
gewachsen
sind,
wie
kaum jemand sonst.
Diese
Freundschaft
hat,
genau
so
wie
die
englische
Queen,
die
Honi-Zeiten
ebenso
überlebt,
wie
die
vom
Kohl,
von
Gorbatschow,
von
Thatcher
oder
Tony
Blair,
von
Reagan,
von
Bush
oder
irgend
einem
Kim.
Über
alle
natürlichen,
politischen
und
religiösen
Grenzen
hinweg,
haben
wir
Briefe
geschrieben,
Gedanken
und
Emotionen
getauscht
und
ja,
auch
Schallplatten.
Inzwischen
aber
sind
die
besonderen
Momente
jene,
da
der
DDR-geborene
Ossi
zum
Telefon
greift,
um
mit
einem
Schotten
zu
reden,
der
Wert
darauf
legt,
ein
Orcadian
zu
sein,
so
wie
seine
Schwester
ELISABETH
auch
und
ihre
Eltern,
die
beide
nicht
mehr
leben.
Es
ist
schön
zu
wissen,
dass
Menschen
an
anderen
Orten
auch
stolz
auf
ihre
Herkunft
sind, ohne gleich als Feind im eigenen Land zu gelten.
Wenn
Europa
das
werden
soll,
was
die
Politiker
vorgeben,
daraus
machen
zu
wollen,
dann
brauchen
sie
Menschen
wie
DAVID,
ELISABETH,
TOMMY
oder
auch
solche,
wie
unsere
Freundin
JUDY
aus
dem
australischen
Tasmanien
und
SUSANNE
aus
dem
Schwäbischen
Göppingen.
Vor
allem
aber
braucht
Europa
die
Generation
unserer
Enkel.
Und
jede
Wette,
dann
brauchen
unsere
Enkel
auch
keine
Politiker,
um
dieses
Europa
zu
gestalten.
Sie
werden
dann
einfach
als
Europäer
leben,
miteinander und füreinander – was doch Rockmusik alles auslösen kann, wenn man den Tellerrand hinter sich lässt.
Ich weiß,
ich bin ein Idealist und Träumer.
Wer aber keine Träume und Ideale hat,
der spürt auch nicht wirklich,
wofür sich zu leben lohnt.
Wenn wir alle
ähnliche Ideale und Träume hätten,
von Liebe und Frieden,
so wie die BEATLES einst sangen,
dann hätten Hass und Kriege
kaum eine Chance
und wir alle könnten auf dieser Welt
glücklich miteinander leben.
Dafür bin ich gern ein Idealist!