Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
Czeslaw Niemen & Band – das Sonderkonzert in Dresden 19.05.1973 Dieser Tag, der 19. Mai 1973, war ein ganz besonderer und ich damals knackige 24 Jahre jung. An jenem Tag hatte ich das große Glück, einen Künstler live zu erleben, der damals schon Kult war: CZESLAW NIEMEN. Der war in diesen Jahren eine Leitfigur nicht nur Polnischer Rockmusik oder solcher aus dem Osten. Seine Platten standen weltweit gleichberechtigt neben denen von Blood, Sweat & Tears, Deep Purple oder Pink Floyd. Sein Gold-Album „Enigmatic“, das mit dem berühmten Kerzencover, hatte ich damals im Haus der Polnischen Kultur in Berlin gekauft. In den Folgejahren alle anderen auch. Eines Tages waren ganz neue und andere Töne bei DT64 (für Uneingeweihte: Der Jugendsender der DDR zum Deutschland-Treffen 1964) zu hören. Da legte einer so wahnsinnig viel Seele, Herz, Gefühl und Poesie in seine Musik, dass einem schwindlig vom Hinhören wurde und der machte das in polnischer Sprache! Das war sehr ungewöhnlich, erstaunlich und fremd; das war unerhört! Nun saß ich also mit Freunden im Saal des Dresdner Kulturpalastes. Das Konzert war eines von zwei Konzerten, die in Vorbereitung der anstehenden Weltfestspiele der Jugend in Berlin durchgeführt wurden. Meine damalige Freundin Dorothea hatte mir eine Karte aus dem Kontingent ihre Betriebes, dem VEB Kombinat IMPULSA, besorgt und deshalb sind wir beide nach Dresden gefahren. Wir hätten auch Karten für das andere Konzert im gleichen Haus einen Tag zuvor haben können, mit OMEGA als Hauptakteur, aber ich hatte mir Niemen und das Collegium Musicum gewünscht und dank ihrer guten Beziehungen auch bekommen. Diese Entscheidung sollte sich erst Jahre später als goldrichtig und sinnvoll erweisen. Wir saßen in den oberen Rängen wie auf einem riesigen Balkon, aber mit einem exklusiven Blick auf die große Bühne. Nur wenige Reihen hinter uns die Musiker von OMEGA, die vermutlich ihre ehemaligen Kollegen von Locomotiv GT bewundern oder begutachten wollten. Ich habe sie dort angesprochen, eine Autogrammkarte der Band und von Mecky sowie ein Poster bekommen. Diese kurze Begegnung allein wäre damals die Reise nach Dresden wert gewesen. Erst Jahre später habe ich mir diese Mitbringel signieren lassen - auch wieder in Dresden, Backstage am Elbufer. Dann begann das Konzert. Zunächst, wenn ich die Reihenfolge noch richtig im Kopf habe, die Jazz-Rock-Band SOK von Ulrich Gumpert. Die waren damals äußerst beliebt unter Anhängern von Fusions-Rock. Danach erlebten wir die neu gegründeten Locomotiv GT mit den beiden ehemaligen Omega-Musikern Gabor Presser, als Sänger und Keyboarder, und Josef Laux an den Drums. Nach LGT dann Collegium Musicum mit ihrer Variante, Art-Rock zu interpretieren. Mich hat damals schon Marian Varga an der Hammond begeistert und dieser Auftritt hier in Dresden war meine begann erste Live- Begegnung mit den Slowaken. Viele weitere sollten folgen. Und dann wurde Czeslaw Niemen und seine Gruppe angekündigt. Das Konzert begann und es wurde laut, richtig laut! Im zuckenden Licht der Bühnenspots konnte man die drei Musiker erkennen, die in den Folgejahre als SBB Furore machen sollten. Drums, Bass & Gitarre peitschten sich gleich zu Beginn in ein wahres Soundgewitter, um den Bühnenauftritt des eigentlichen Stars anzukündigen. Niemen betrat von rechts kommend die Bühne, in giftgrüner Hose und leicht tänzelnd, die Arme in die Höhe gestreckt und die langen schwarzen Haar im Nacken - dieses Bild werde ich wohl nie vergessen und bis heute habe ich nichts vergleichbares gesehen. Hinter seiner Hammond stehend jagte er dann Akkorde in den Saal und über all dem erklang diese so einzigartige und helle Stimme, von der man manchmal nicht glauben wollte, dass sie von dem Mann da unten kam. Ich hatte die „Rhapsody für Bem“ und sein „Jednego Serza“ noch im Ohr und war schon ziemlich überrascht, was dann tatsächlich von der Bühne donnerte. Der Sound war noch kompakter als das, was ich von den Platten in Erinnerung hatte, mehr am Jazz und Soul orientiert. Niemen sang überraschender Weise Englisch und faszinierend fremd. Es ahnte damals wohl keiner im Saal, dass wir gerade Material aus seiner CBS-Scheibe „Ode To Venus“ zu hören bekamen. Niemen und seine Musiker zelebrierten diese neuen Songs förmlich und streckenweise hatte ich den Eindruck, dass von der Bühne eine Soundwalze in den Saal strömte, fremdartig und betörend zugleich. Musik mit dieser unheimlichen Wucht und Aggressivität hatte ich bis dahin live noch nicht erlebt. Es gab Momente - Niemen kippte manchmal seine Hammond-Orgel schräg nach vorn - da blieb mir förmlich das Staunen in der Kehle stecken. Da traute sich einer, im Konzert nur neues, noch unbekanntes, Songmaterial zu spielen und dabei seine Hits einfach unten den Tisch fallen zu lassen. Da forderte einer sein Publikum zum Hinhören auf und nahm jeden einzelnen, der das auch wollte, mit auf diese Reise in das ungewisse Neue. Ich erinnere mich an ein furioses Konzert, einen stimmgewaltigen Niemen an der Orgel, eine überragende Band und ein donnerndes Bass-Solo. Es war schlicht einmalig und berauschend. Nach dem Konzert blieb noch etwas Zeit. Meine Freundin und ich sind noch ein wenig über den Parkplatz, den es heute nicht mehr gibt, hinter dem Kulturpalast geschlendert. Uns viel eine dunkle Gestalt auf, in der wir den Musiker CZESLAW NIEMEN erkannten. Ich habe ihn angesprochen und um ein Autogramm auf meine Eintrittskarte gebeten. Eine Plattenhülle oder ein Foto hatte ich nicht mitgenommen. Heute bin ich noch immer stolz, diesen seltenen Moment erlebt und das Kleinod bekommen zu haben. Was für mich bleibt und noch immer ungeheuer tief in meiner Erinnerung steckt ich hatte ein seltenes Konzert miterlebt und die tatsächliche Tragweite erst viel später begriffen. Die LP „Ode To Venus“ konnte ich mir erst in der Zeit nach 1989 zulegen. Das Autogramm von Niemen allerdings, das er mir damals hinter dem Palast auf dem Parkplatz gab, habe ich noch heute. Diesen kleinen Schatz und die Erinnerung an die persönliche Begegnung mit Czeslaw Niemen hüte ich wie ein kleines Kultobjekt, mein “Heiligtum”. Niemen starb am 17. Januar 2004 im Alter von nur 65 Jahren still und von der internationalen Rockwelt eher unbeachtet. Was bleiben wird ist seine Musik und die Erinnerungen in den Herzen und Gedanken vieler seiner Fans und Musikliebhaber an eine kreative, schöpferisch unruhige Musikerpersönlichkeit, an einen Künstler, dem musikalischer Inhalt und textlicher Anspruch stets vor Kommerz und Erfolg gingen.