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Klan – „Mrowisko“ (Muza, 1970) 21.04.2014 Sen Nasze Mysli Kuszenie Mrowisko Nerwy Miast Pejzaz z Pustych Ram Senne Wedrowki Taniec Glodnego Taniec Wariatki Epidemia Euforii Taniec Czterech Sen Na Przekor KLAN war eine polnische Jazz-Rock-Fusions-Band, die nur in der kurzen Zeitspanne von 1969 bis 1971 existierte und sich dann wieder auflöste. Die Gruppe schaffte es aber, außer einer EP, ein Album zu veröffentlichen, das es in sich hat. Diese Platte symbolisiert für Polen quasi den Übergang von Beat- zur Rockmusik. Ursprünglich als Ballettmusik angedacht, ist die Musik zum Album „Ameisenhaufen“, so die deutsche Übersetzung, von unterschiedlichen und scheinbar gegensätzlichen Einflüssen geprägt und klingt dennoch typisch polnisch, weil sie aus der reichhaltigen Folklore unseres Nachbarlandes schöpft. Niemals danach hat es eine andere polnische Band geschafft, so eine breite Palette zwischen Folk, Jazz, Rock, Psychedelic, Latin und freien Experimenten derart konsequent und leichtfüßig zu vertonen, wie es Klan mit diesem Album „Mrowsiko“ schaffte. Nur Marek Grechuta folgte mit Anawa einem ähnlichen Ansatz. Die dreizehn Songs widerspiegeln das anonyme und quirlige Leben vieler Menschen, die wie Gesichtslose im Moloch der Großstadt aneinander vorbei leben. Dafür wählten die Musiker um den Komponisten Marek Alaszewski und den Lyriker Marian Skolarski das Synonym des großen Kribbelns in einem Ameisenhaufen. Das war zu jener Zeit gewagt, hatte eine heftige Portion Kritik im Gepäck, wurde aber in einzigartiger Manier musikalisch auf Platte und auch live, wie zum Beispiel in Opole 1970, umgesetzt. Die Platte beginnt so, wie man sich einen Spaziergang in den Wald hinein vorstellt. Vögel zwitschern und Grillen zirpen, wenn „Sen“ (Der Traum) beginnt. Die Geräusche des Waldes empfangen uns mit all ihrer fremden Faszination und führen den Besucher mit lockenden Klängen von Orgel und Gitarren in Versuchung („Kuszenie“). Auf einem vielschichtigen Rhythmusgeflecht wird man entführt und landet wenig später bei „Nerwy Miast“ (Nerven der Großstädte), einem weit ausladenden Stück mit beinahe beschwörendem Gesang, das sich heißer Blues- und flotten Swing-Einlagen bedient, um wenig später in träumerisch schwelgende Passagen auszuwachsen. „Senne Wedrowki“ (Wandernde Träume) klingt schwermütig und berauschend schön, aber auch faszinierend unterkühlt und wächst sich hymnisch aus. Die beiden folgenden Stücke, als Tänze gedacht, leben von opulenten Soundkollagen und ständig wechselnden Breaks, ohne die entstehende Stimmung zu zerstören. Danach endet die erste LP-Seite mit „Na Przekor“ (Gegen alles), mit elegisch versponnenen Klängen sowie dem hymnisch ausladenden Chor, Gospel durchaus ähnlich. Obwohl diese Stücke inhaltlich voneinander abgesetzte Kompositionen sind, erfährt man sie als eine in sich geschlossene Suite. In gleicher Weise erlebt der Hörer die zweite Seite des Albums, in die man mit „Nasze Mysli“ (Unsere Gedanken) hinein gelockt wird. Wieder entführen uns filigranen Gitarren- und Orgelklängen, irgendwo zwischen Folk und Slow Blues, feinfühlig und von Gesangsstimmen eingefangen. Das nun folgende Titelstück „Mrowisko“ (Ameisenhaufen) basiert auf dem Spiel einer Akustik-Gitarre, das sich aus deren Spiel in ein opulentes schwermütiges Opus ausweitet, sich irgendwo im Nichts zu verlieren scheint. Wir sind in der „Landschaft der leeren Räume“ (Pejzass Pustych Ram) angelangt. Hier verschmilzt Folk mit gregorianisch anmutenden Kirchengesängen, wie man sie vom großen Czeslaw Niemen kennt. Der nun folgende „Tanz der Hungrigen“ (Taniec Glodnego) erinnert mit seinem markanten Flötenspiel an einen anderen Flötenhexer. Obwohl der zu jener Zeit gerade erst begann, seinen Stil zu suchen, sind die Parallelen umso erstaunlicher. Danach finden wir uns in “Epidemia Eufori“ (Euphorische Epidemie) in einem wilden und freien Tanz wieder, in dem die Rhythmen mit Orgel, Gitarre und Bass zu spielen scheinen, ehe die Geschichte endet, wie sie begann mit einem Traum („Sen“) und den Klängen der Natur. Damit endet die durchgängig gestaltete Suite, die eigentlich eine Ballettmusik darstellt. Ich weiß noch genau, dass ich mir damals das Album nur wegen des völlig anderen und interessanten Cover-Artworks gekauft habe. Gehört hatte ich die Musik bis dahin nicht und dann später, als ich mich schon in das Kleinod verliebt hatte, war davon auch nichts im Rundfunk zu hören. Zu schnell rannten die aufkommenden populären Rockströmungen in Polen, auch in der DDR und international sowieso, darüber hinweg und verhinderten eine größere Popularität der Band und ihrer einzigartigen Musik. „Mrowisko“ von den polnischen KLAN ist eine jener Scheiben, die man vom ersten bis zum letzten Ton an einem Stück durchhören kann, ohne das man fürchten müsste, die Spannung würde nachlassen. Die Musik steckt voller überraschender Wendungen und man entdeckt faszinierendes Zusammenspiel ganz unterschiedlicher Instrumente. Diese Scheibe ist ein Glanzstück des Musizierens auf höchstem Niveau sowie eine Meisterleistung der Verschmelzung von scheinbar völlig gegensätzlichen Stilen und Möglichkeiten und so auch Spiegelbild einer der innovativsten Momente internationaler Rockmusik und nicht nur Polens. Wer sich auskennt und seine Hörgewohnheiten abseits eingängiger Charts erprobt hat, dem springen die Facetten von Santana, Genesis, Jethro Tull, Nice, Caravan bis hin zu Niemen und den Spielarten von Folk, Jazz, Soul und Blues förmlich in die Ohren und er wird merken, dass nichts davon nur billige Kopie des Effekts wegen, sondern eingebettet in die reichhaltige Fundgrube der polnischen Folklore entstanden und gewachsen ist. Das macht auch die Faszination der Musik von „Mrowisko“ aus. Wer bereit ist, diese Musik zu entdecken, wird, selbst noch Jahrzehnte nach ihrem Erscheinen, seine Freude daran haben.