Mitch Ryder & Engerling auf Birthday-Tour
25.02.2015
Jedes Jahr zu dieser Zeit und seit vielen Jahren, so sagt er am Mikrofon stehend, würde er Geburtstag in Deutschland
feiern. Während er dies sagt, sind es noch knappe vier Stunden bis Mitternacht, „four hours to live“, und es gäbe für ihn
nichts Schöneres als diese Zeit „together with music for the people who you love“ zu verbringen. Das ist ja mal ein
Statement gleich zu Beginn und der das sagt, begeht heute seinen 70. Geburtstag, auf Tour in Deutschland: MITCH
RYDER.
Man könnte eine Menge über diesen Mann zusammentragen und würde feststellen, dass er einer jener Typen ist, die den
Rock’n’Roll, den hektischen Großstadtblues und den schweißtriefenden Soul ehrlich und authentisch gelebt haben und
immer noch leben. Kann sein, dass ihm das Bücken, um die Flasche Wasser am Bühnenboden zu fassen, nicht mehr so
geschmeidig gelingt und kann auch sein, dass die Bewegungen, die das Tambourine taktvoll schlagen, aus dem
Schultergelenk kommen und deshalb so eigenartig aussehen. Aber wenn der seine Stimme vibrieren, stöhnen und erzählen
lässt, dann kocht er jeden gecasteten „Superstar“ ab und lässt ihn schockgefroren stehen. Einfach so, aus sich heraus. Für
mich ist dieser MITCH RYDER einer der letzten ganz großen weißen Blues-Männer dieses Planeten und deshalb wollte ich
ihn, den Cocker-Schock noch im Hinterkopf, sehen und live erleben. Deshalb stehe ich vor dieser Bühne in der Alten
Feuerwache von Magdeburg.
Von der Bühne ertönen sanft angespielte Piano-Klänge, zarte Ton-Tupfer, die wie Perlen nach unten purzeln. An den Tasten
sitzt „Boddi“ BODAG und formt die Klänge, lässt sie noch ein paar Augenblicke im Raum schweben, ehe ENGERLING, die
deutsche Tour-Band des Amerikaners, ihren Sound kräftig explodieren lässt. „Do You Feel Alright“ ist eine jene Nummern,
die den Blues-Mann aus Detroit schon lange Zeit begleiten und sie ist typisch für ihn, der den Blues aus der hitzigen
Autostadt Detroit um die Welt trägt. Ein rotziges Gitarrenriff vom deftigen „Rock’n’Roll“ kracht dann in die Menge und
irgendwie meine ich darin frech ein Zitat von „Beat It“ zu entdecken (oder hat der „King“ einfach abgekupfert?). Jetzt
kommen ENGERLING und MITCH RYDER richtig in Fahrt und werden das über gut zwei Stunden durchhalten, in slow und
in heavy, in rasant und auch zärtlich flüsternd. MITCH RYDER kann es so und auch so.
Der Mann mit der Mütze und der dunklen Sonnebrille plaudert gern und so bekommen wir die Chance, mehr über die
Songs und die Geschichten dahinter zu erfahren. Jetzt weiß ich, wie der „Terrorist“ zu verstehen ist, wenn seine Stimme ihn
flehen lässt: „Nobody loves me, I’m looking for love“. Es ist ein Blick tief in die menschliche Seele und der Blues malt uns
das Bild einer verlogenen Gesellschaft, in der Vereinsamung an jeder Ecke zu finden ist. Und wenn MITCH dann den
„Terrorist“ noch schreien lässt: „Teach me to hate“, mengt sich der stampfende Boogie mit glühendem Blues über asiatisch
treibenden Rhythmen. Die Mixtur lässt meine Emotionen erschaudern. Was für eine tolle Nummer und Scheiße, auch so
brandaktuell! Hinter mir stampft die wogende Menge ihre schmerzenden Füße in den Steinboden und vor mir wird getanzt
und im Rhythmus geklatscht. Der uns da vorn gerade den heißen Blues geröchelt und in die Ohren gepresst hat, meint
dann tatsächlich „Ain’t Nobody White (Can Sing The Blues)“. Und das aus dem Munde eines weißen weisen Mannes, der
nichts anderes als Mensch gewordener Blues zu sein scheint.
Auf der Bühne erleben wir mit „Pitti“ PIATKOWSKI und HEINER WITTE zwei wie entfesselt spielende Gitarristen, die sich
die Soli zunicken und, gemeinsam mit „Boddi“ an den Tasten, dem weißen Mann am Mikrofon das Umfeld für seine Blues-
Geschichten weben. Für „Freezing In Hell“ spielt Ur-Engerling HEINER eine gefühlvolle Einleitung und an anderer Stelle
lässt er den „Flaschenhals“ wie wild über die Saiten tanzen. Mich begeistert immer wieder, wie beide Gitarristen
miteinander harmonieren und wenn der Saitenhexer „Pitti“ seine Finger tanzen lässt, ist es ein besonderer Genuss, ihm
zuzusehen. Das solide Fundament für dieses Spiel und den Solisten am Mikrofon liefern MANNE POKRANDT, der ruhige
Mann an den fetten Saiten, sowie HANNES SCHUZE, versteckt hinter seiner „Schießbude“.
Am meisten aber genieße ich es, MITCH RYDER beim Singen zu beobachten und zu entdecken, was mir seine Mimik und
seine Hände, die jeweiligen Lyrik unterstützend, erzählen wollen. Als er wieder einmal über seine Musik, vor allem den
etwas langsameren Blues, plaudert, meint er lächelnd: „With the slow blues I have more time to put my emotions into the
words and the lyrics.” Genau das spürt man, wenn MITCH vor uns steht und von „Detroit By The River“ oder „Thrill Of It
All“ singt. Dann sind ihm die Worte in sein Gesicht geschrieben und die Gesten seiner Hände unterstreichen den Gesang
des Mannes.
Auf dem Höhepunkt des Abends angekommen, zerreißen vier aufeinanderfolgende steinalte Akkorde die dicke Luft in der
Alten Feuerwache. Fast glaube ich, mich verhört zu haben, denn sowohl „Pitti“, als auch HEINER, pressen die Akkordfolge
viel deftiger und härter aus den Saiten, als ich sie aus den 1960er Jahren in meiner Erinnerung abgespeichert habe. Und
weil auch der Text plötzlich in meinem Hinterstübchen auftaucht, singe ich leise für mich mit: „There’s been so many girls
that I’ve known, I’ve made so many cry, and still I wonder why.“ So etwas vergisst einer wie ich nie und deshalb bin ich
dann auch Teil eines gewaltigen Chores, der den Raum erzittern lässt: „You’ll never break, never breack this heart of
stone.“ – Gott, wie lange habe ich diesen Song schon nicht mehr gehört und erst recht nicht gesungen? Damals, als sie
„Heart Of Stone“ sangen, waren die Stones noch eine freche Rabaukenkapelle und wir noch wild im Herzen und grün hinter
den Ohren. Wo sind all die Jahre hin? MITCH RYDER hat mich wieder daran erinnert und auch daran, warum ich hier stehe
und laut mit ihm singe. Diese Musik war und ist mein Leben, egal, ob MITCH in wenigen Minuten 70 wird und ich nur fünf
Jahre darunter geblieben bin! Mit Musik live und gelebt ist das alles unwichtig.
MITCH erzählt und singt uns den Blues vom „Moon Dog House“, jenem Platz, den man braucht, um „mit seiner Frau, seiner
Freundin oder Freund Sex zu haben“, so MITCH, und besingt so einen „secret place“. Und dann brennt die Luft wieder und
der da vorn lebt seinen Blues in aller Offenheit aus. Links und rechts von ihm treiben sich die beiden Saitenzauberer wieder
gegenseitig an, „Pitti“ zitiert ganz lässig kurz „Green River“ und MITCH RYDER schwitzt die Story in sein Mikrofon und noch
während ENGERLING kräftig weiter rocken, versucht der alte weiße Blues Mann sich von der Bühne und uns zu
verabschieden. Doch ganz ohne Zugabe geht es auch diesmal nicht. Der Saal tobt, bis er wieder von hinter dem Vorhang
erscheint und schon kracht er uns das hitzige „It Wasn’t Me“ um unsere Ohren. Was für eine heiße Höllennummer und wie
er dann noch als Rausschmeißer das hitzige „Soul, Kitchen“ anhängt – einfach Klasse, der Mann, trotz oder gerade wegen
seiner (gleich) siebzig Lenze, die da vor uns stehen und glücklich lächeln.
Nur gut, dass ich hierher gefahren bin, um das zu erleben und schön, dass er mir, dank seiner netten Frau, ein Foto, von
vor einem Jahr in Dresden, signiert hat. Dieser weiße Blues-Mann hat mich mit all dem sehr glücklich gemacht. In diesen
Minuten wird mir klar, dass der Gipfel, auf dem all die weißen Blues- und Soul-Männer zu Hause sind, langsam sehr
geräumig wird. Noch leben Eric Burdon, Roger Chapmann und Mitch Ryder, die ich alle schon live sah. Doch der
wärmenden Nähe folgt immer öfter die emotionale Leere. Wieder einmal etwas mehr seitdem Joe Cocker ging. Aber wer
wird, so frage ich mich manchmal, diesen Raum einmal ausfüllen können? Entweder sind diese wunderbaren Zeiten mit
einmaliger und authentischer Live-Musik bald endgültig Geschichte oder wir werden sehr lange warten müssen, bis einer
wie Joe oder Mitch solche Fußabdrücke auszufüllen vermag. Bis dahin aber, wird ein Mann wie MITCH RYDER weiter touren
und jedes kommende Frühjahr hier mit seinen deutschen Fans feiern. Happy birthday, Mitch, and congratulations. You’re
not a star, you’re our music.