Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
Miner’s Rock Open Air in Goslar 22.07.2017 ( am 21. Todestag von Tamara Danz: 14.12.1952 – 22.07.1996) Als ich vor (vielen) Jahren das erste Mal in Goslar weilte, zum ersten Mal den Marktplatz sah, dem feinen Glockenspiel lauschte und über die historische Kaiserpfalz staunte, ahnte ich nicht, dass ich später quasi in Sichtweite zur alten Kaiserstadt leben würde. Noch weniger hätte ich mir vorstellen können, hier einen Teil der Familie heimisch zu wissen und doch ist es heute so. Die Stadt ist mir inzwischen Lebensumfeld geworden, hat den gleichen Stellenwert wie Wernigerode oder Quedlinburg. Eines meiner Enkelkinder ist „sogar“ ein West-Geborener und wird vielleicht das einmal besser machen, was zuvor Gabriel & Co. nicht auf die Reihe bekommen haben. Neben vielen historischen Stätten, gibt es hier auch ein altes Bergwerk zu bestaunen, dessen Stollen sich tief in den Rammelsberg bohren. Dort holte man einst Buntmetalle aus dem Schoß der Erde. Ganze eintausend Jahre dauerte die Ausbeutung, ehe die Anlage 1988 geschlossen und vor dem Abriss gerettet wurde. Heute fungiert das Bauwerk als einzigartiges Museum und außerdem, in diesem Jahr zum ersten Mal, als Umfeld für ein Konzert der besonderen Art: MINER’s ROCK OPEN AIR. ALLE Fotos auf dieser Seite kann man durch Anklicken vergrößern. Während ich den Weg oberhalb der eigentlichen Straße, auf der man bequem bis hin zum Gelände laufen könnte, entlang stolpern muss, frage ich mich, warum ich das mit mir mache. Weder Jupiter Jones, noch die Schröders, nicht Texas Lightning sind das, was ich mir als Vinyl oder CD ins Regal stellen würde. Von Silly habe ich alles, was ich gut finde, aber das waren andere Zeiten und eine andere Band. Heute werde ich Musik hören, zu der mir der Zugang schwer fällt. Meine Sozialisation hatte andere Prioritäten, andere musikalische Quellen und eine andere Lyrik sowieso. Nur ein hymnisches „Still“ (Jupiter Jones) lässt mich ein wenig hoffen und die „ollen Kamellen“ von Silly natürlich auch. Trotzdem stolpere ich über den Staub des Rammelberges, um bis Mitternacht neun Stunden (west)deutsche Rockmusik, plus Silly, zu hören. Es ist nicht die Musik, es sind auch nicht die Lieder dieser Bands, sondern es ist die Lust, einige gemeinsame Stunden mit meinem Sohn hier zu verbringen. Es ist der Wunsch, dass wir beide vielleicht erleben, wovon meine Erinnerungen an meinen Vater mir noch immer erzählen. Es ist der Wunsch, dass ihm davon etwas bleiben möge, wie auch bei mir viele einmalige Erinnerungen mit meinem alten Herrn geblieben sind. Wir beide denken, dass MINER’s ROCK sicher eine gute Gelegenheit sein könnte, mal wieder auf den Pudding zu hauen, egal, welche Kapelle da vorn gerade „hupt“. Meine Knochen mögen uns verzeihen, was wir uns da haben einfallen lassen, aber solche Chancen wiederholen sich nicht mehr so oft, wenn demnächst der 68. Geburtstag ansteht. Deshalb wollen wir mal schauen, was wir an diesem Abend noch alles anstellen, umstellen oder auch querstellen können. Der Rammelsberg erscheint wuchtig, wenn man mal von oben bis ins Tal geschaut hat. Diese ehemalige Bergwerksanlage hat man elegant an den wuchtigen Hang gebaut. Eine ideale Stätte, altes und heutiges, Architektur und Musik, für ein paar Stunden zu verschmelzen und in den Abendstunden die Lebensfreude gemeinsam zu feiern. Solche Gedanken im Hinterkopf streben Sohn und Rock-Opa die letzten Schritte im Staub dem Einlass entgegen. Rock- Opa nicht mehr ganz frisch, denn in dessen Knochen steckt noch das gigantische Konzerterlebnis vom Vortag mit CITY im Bergtheater von Thale. Trotz desto nichts, dies hier muss jetzt auch noch sein und außerdem möchte ich endlich einmal herausfinden, worin der Unterschied zwischen Rockmusik und Rockmusik (West & Ost) live und im direkten Vergleich besteht. Auf denn in den Kampf, Rock-Torero! Mein erster Eindruck: Das Veranstaltungsgelände ist weiträumig, fast schon großzügig, was Möglichkeiten und Räume betrifft. Dennoch habe ich das Gefühl, dass der Platz zum Rocken, zwischen Bühne und dem Mixer, unnötig eingeengt und daher viel zu klein geraten ist. Man(n) muss schon sehr drängeln, um links und rechts am Mixer bis zur Bühne zu gelangen. Da hätte ich mir, schon auf den ersten Blick, viel mehr Großzügigkeit gewünscht. Ansonsten empfängt uns ein verschwenderisch angelegtes Umfeld, Fress- und Trinkmeile bieten viel Platz und sind ins Innere verlegt. Wer pfiffig ist, findet sogar das Örtchen, wo noch weitere Stühle versteckt sind. Später wird uns das zugute kommen. Als wir beide eintreffen, haben wir die erste Band bereits verpasst. Macht nüscht, vier weitere warten auf unser Erscheinen. Von Live-Musik werden wir auch begrüßt. Mit einem Bier in der einen und der Knipse in der anderen Hand realisiere ich, dass dies der Sound von JUPITER JONES ist. Wobei Sound, also Klang, nicht wirklich zutreffend ist, denn es knallt aus allen zur Verfügung stehenden Boxen, undifferenziert und laut. Sehr laut! Eigentlich bin ich so zeitig hier, um mir diese Band, unter Mithilfe ihres großen Hits “Still“, ein wenig anzueignen, meine privat vorgefertigten Hürden zu überspringen, und dann empfängt mich so eine Krawall-Wand. Hätte mein Sohn mich nicht Minuten später darauf aufmerksam gemacht, mir wäre sogar „Still“ im Krach nicht einmal aufgefallen, so laut und unisono drang das alles an meine Ohren (und die sind einiges gewöhnt!). Schade eigentlich, aber so kommen wir schneller in den Genuss des nächsten „Sohnemann-Vater-Bierchens“. Von drinnen höre ich mir den Rest vom „Krawall“ an und spüre, dass mein erster Versuch misslungen scheint, aber drei stehen ja noch aus. Inzwischen ist es schon später Nachmittag. Vom Bier gestärkt und mit blendender Laune ausgestattet, so inspizieren wir das Gelände und haben das auch beim „Mörtsching-dein-Sing“ vor. Doch Artikelstände der anwesenden Bands sind Mangelware. Außer den von SILLY gibt es so etwas nicht und der von SILLY ist, von den Preisschildern mal abgesehen, leer. Keine CD’s oder Platten, keine Karten, nix Flyer oder andere Mitbringesel sind zu entdecken. Nur ein paar Shirts hängen lust- und lieblos an einer Standwand herum. Fan zu sein und seine zusätzlichen Bedürfnisse, außer Live-Musik, zu befriedigen, wird von vorn herein verhindert, einfach abgebügelt. Von einem Autogramm ganz zu schweigen, denn wie einer der Betreuer uns verrät, sonnen sich die Künstler gerade im Backstage-Bereich. Was haben die für ein Glück, dass wir das Ticket schon bezahlt haben! Das einzige, was mich jetzt noch begeistern könnte, außer Sohnemann und Bier natürlich, ist das „No No Never“ von TEXAS LIGHTNING und die vage Erinnerung an den Eurovision Song Contest 2006. Ich mag Country & Western Music und wenn sie schon mal hier sind ….. also stehen wir beide vorn an der Rampe, um uns, nur mal ganz kurz, die Zeit zu vertreiben, denn bis SILLY sind es fast noch vier Stunden. Was die fünf Herren, inklusive Olli Dietrich am Schlagzeug, abliefern, überrascht mich. Die da oben haben richtig Spaß an ihrer Musik und die knallt stilrein und sauber in die Menge. Nur noch einen Song, denke ich, und dann wird es noch einer und noch einer bis „No No Never“. Unmerklich lasse ich mich hinreißen und freue mich über jede weitere Nummer, die kleine Überraschungen mit sich bringen. Die machen aus Farnham’s Pop-Hymne „You’re The Voice“ eine knackige Country-Nummer und „Highway To Hell” mutiert zu einem schmachtenden Slow-Blues mit instrumentalen Finessen. Als sie dann noch zwei alte Beatles-Klassiker zu verwandeln wissen, haben TEXAS LIGHTNING mein Herz erobert. „Norwegian Wood“ als dreistimmige Country-Ballade einzufädeln und aus „Ticket To Ride“ einen ebensolchen Country-Schmachter zu basteln, zeugt von viel Liebe zum Detail und Achtung für das Original. Ich bin tatsächlich begeistert und kann das sogar lautstark ausrücken. Die Jungs sind richtig gut und die Sängerin mit dem australischem Background versteht es bestens, den Songs eine neue Seele einzuhauchen. Als JANE COMERFORD aus „Like A Virgin“ einen Knaller im Country-Umhang macht, muss ich noch grinsen, doch wie sie sich der „Dancing Queen“ von ABBA bemächtigt und daraus eine glitzernde kleine Perle für alle Line-Dancer wird, bin ich restlos von ihr begeistert. Alle meine Vorurteile landen auf dem Kompost und wir beide finden Gefallen an dem, was wir hören. Erstaunt stellen wir fest, wir haben bis zum letzten davor Ton gestanden, gelauscht und Spaß gehabt. Zweiter Versuch ist ein Volltreffer, der vielen adrett verkleideten internationalen Klassiker wegen. Ich bin jetzt schon fast fünf Stunden auf den Beinen, laufe umher oder stehe. Meine Füße signalisieren Alarm und der Körper Müdigkeit. Wir begeben uns nach innen, auf der Bühne wird für DIE SCHRÖDERS, die lokalen Harz-Matadoren in Sachen Post-Punk, umgebaut. Mein Sohn führt Gespräche mit Leuten, die ich nicht kenne. Ich suche und finde einen der versteckten Stühle, denn mir dämmert gerade heftig, dass ich keine 60 mehr bin. Da hilft nur eins: Pause, Beine lang und aus die Maus, ZICK! Eigentlich wäre ich jetzt für einen weichen Sessel dankbar, würde mich zu einem Schläfchen überreden lassen. Doch draußen toben lautstark DIE SCHRÖDERS über die Bühne und brüllen zusammen, was nun zusammen gehört. Dass die vor der Bühne das als Party begreifen, wird mir erst klar, als ich mich wieder auf den „Kampfplatz“ traue, wo die vielen kleinen grünen Hüte der örtlichen AOK im Rhythmus des Punk hopsen und tanzen. Mein Ding ist das nicht, aber wie die vier schrillen Typen auf der Bühne Rockmusik aus dem Bauch heraus schmieden, macht sogar mir Spaß. Die greifen beherzt in die Saiten, kloppen auf die Felle und singen wilde Sprüche dazu. Selbst ein waschechter Blues rutscht dem Frontmann mit Gitarre aus den Fingern. Über Geschmack lässt sich bekanntlich schlecht streiten, doch irgendwie spürt der alte „Ost“Rocker in mir, dass DIE SCHRÖDERS ehrlich und ungekünstelt daher kommen und außerdem ist die Spielfläche zwischen Bühne und Mixer brechend voller Menschen (mit grünen Hüten), während die Tische drinnen vergeblich mit leeren Plätzen, Bratwurst und allerlei anderen, mir fremden, Kalorienspeichern, zu locken versuchen. So ist Rock’n’Roll, so muss er wohl auch sein, denn schon die Rollenden Steine sangen davon, dass „ein armer Junge nichts besseren machen könne, als in einer Rock’n’Roll-Band mitzuspielen“. Ich bin glücklich, weil ich diese wilden Stunden mit meinem Sohn verbringen kann, der seinen verrückten Alten ständig angrient und versucht, von uns beiden blöde Selfies in die digitale Welt hinaus zu jagen. Die SCHRÖDERS sind eine echte Entdeckung, rau und liebevoll, als kämen sie geradewegs aus dem Stollen. Als die vier Punk-Senioren ihren Teil der Arbeit verrichtet haben, strömen die Massen zum Tisch, zum Bier und zum stillen Örtchen. Dies ist unsere Chance, einen guten Platz in der ersten Reihe zu ergattern. Aber zu meinem Erstaunen scheint hier (im Westen?) dieser Drang lange nicht so ausgeprägt, wie hierzulande, wo ich unterwegs bin. Nur einige Abgesandte vom SILLY-Fanclub harren seit Stunden an ihrer eroberten Stelle vor der Absperrung aus. Von hier aus beobachten sie gemeinsam den professionellen Umbau auf der Bühne. Ich frage mich wieder einmal, wieso ohne all dieses digitale Zusatzarsenal Bands wie etwa die Beatles oder die Rolling Stones Musikgeschichte schreiben konnten. Vielleicht hatten die einfach nur Bock darauf, Musik zu machen?! Dann ist die Bühne für die Musiker gerichtet, reichlich gedeckt und fein geschmückt. Ein herausragendes Ereignis steht an die Headliner des Abends: SILLY. Aber auch aus einem anderen Grund ist dies heute ein besonderes Datum, denn vor 21 Jahren verstarb mit Tamara Danz, jene charismatische Frontfrau, die SILLY erst zu dem machte, wovon heute andere noch zehren. Sie begründete jenen Ruf dieser Band, die unangepasst und dennoch erfolgreich die Musiklandschaft der DDR prägte, wie keine andere. SILLY blieb im Lande, statt es zu verlassen, und stellte sich mit Ideenreichtum und Qualität quer. Das brachte ihr die Liebe der Fans ein. Bis heute wird der Name SILLY genau damit gleich gesetzt. Ich will heute wissen, ob die da oben, das noch auszustrahlen vermögen oder doch nur geschickt als Marke benutzen. Allein wären sie damit nicht auf dieser Welt. Es wird ein würdiger Abschluss und eine durch und durch perfekte Show. Eine tolle Performance, bei der die Dramaturgie das Sagen hat und ganz auf die aktuelle Musik der aktuellen Tonträger zugeschnitten ist. Man startet rockig mit „Kampflos“ und „Zwischen den Zeilen“ sowie einer gut sortierten Auswahl zwischen „Alles rot“ (2009) und „Wutfänger“ (2016), wobei der Schwerpunkt auf dem „Wutfänger“- Material liegt. Nur zwei Songs, „Bataillon d’Amour“ und „Mont Klamott“, in einer überaus interessanten und emotionalen neuen Bearbeitung, erinnern an die Zeiten mit Tamara und genau darauf fährt die Menge ganz besonders ab. Es geht wirklich ein Ruck durch die Körper und auch ich spüre, dass sich damit besondere Emotionen verbinden. Deshalb bin ich im Grunde ja auch hier, denn diese Melodien und Botschaften gehören auch zu meinem Leben, wie zu dem vieler anderer auch. Davon hätte ich mir, ohne gleich von gestern sein zu müssen, noch einen oder zwei mehr gewünscht. Doch leider Fehlanzeige, … denn SILLY präsentieren sich und ihre Musik als Produkt. Das kann man mögen, kann es richtig finden, muss man aber nicht. Songs wie „Frei“ kamen, so zumindest mein Gefühl, gar nicht erst an und die Frage von Frau Loos ans Publikum, wer sich den frei fühle, erhielt erst gar keine Reaktion. Die der Band darauf allerdings war nicht zu übersehen und also unprofessionell. Daran konnte auch die Hammer-Version von „Vaterland“ als erste Zugabe nichts mehr ändern. Einer neben mir sprach leise das Wort „arrogant“ aus und blieb unwidersprochen, denn selbst die da oben erinnerten nicht mit einem einzigen gesprochenen Wort an das heutige Datum, den 21. Todestag von Tamara Danz. Diesen Fauxpas zu interpretieren, will ich gern anderen überlassen. Fans nehmen sich zuweilen das Recht heraus, die Welt nicht nur rosarot zu sehen, sondern auch ihren Kopf einzuschalten und zuweilen völlig anders zu empfinden und zu denken. Stromliniengedankengut, das war einmal. Der einzige, der an diesem Abend an Tamara Danz erinnert, ist der Veranstalter, der jedem Musiker von SILLY eine Sonnenblume, ein allseits bekanntes Zeichen, in die Hand gibt. Mir bleibt am Ende des Konzertes ein fader Beigeschmack. Unheimlich schade, zumal ich den überaus gelungenen Gig von CITY am Vortage noch in guter Erinnerung habe. Pünktlich vor Mitternacht und nachdem „Alles rot“ ausgiebig zelebriert ist, kehrt wieder Ruhe unter dem Berg ein. MINER’s ROCK OPEN AIR ist erfolgreich beendet. Ein Rockmusik-Marathon von neun Stunden am Stück, ohne Ausfälle, ohne Pannen, perfekt organisiert und liebevoll betreut, ist harmonisch gefeiert worden. Eine gelungene und sehr abwechslungsreiche Bandauswahl hatte für jeden Geschmack etwas zu bieten. Wer an diesem Abend nicht auf seine Kosten gekommen sein sollte, dem ist auch nicht zu helfen. Mir waren neun wundervolle gemeinsame Stunden mit meinem Sohn vergönnt und wir hatten im Duo viel Spaß bei deftiger musikalischer (und anderer) Kost. DANKE „Max“, Du hast mir ein paar unvergessliche Momente geschenkt. Jede einzelne der Minuten konnte ich auskosten und nebenbei, ganz leise, habe ich mich von einer Band namens SILLY verabschiedet. Eine Performance, die nahezu perfekt über die Rampe kam, aber durchaus auch andere Emotionen schüren kann, ist nicht mehr meins und ich bin wohl auch nicht mehr Teil deren Ziel- und Käufergruppe. Ich habe das aktuelle Konzertprogramm erlebt, genossen, aber auch verglichen. Ich habe meinen Frieden gemacht, „Ich sag’ nicht ja“ und es tut nicht einmal weh. Sollte es eine zweite Auflage von MINDER’s ROCK OPEN AIR geben, meine Knochen brauchbar sein und mein Sohn Zeit haben, sehen wir uns wieder. Völlig egal, wer dann den Berg rockt. Hauptsache Rock!