Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
Mel Parsons solo im Papermoon Halberstadt 10.06.2017 Sie hat dunkle, neugierig blickende Augen, ebenso schwarzes sehr langes Haar und einen roten Mund, der herzlich lachen kann. Sie ist so groß, dass ich zu ihr aufblicken muss. Aber das werde ich am Ende des Abends ohnehin tun. MEL PARSONS hat eine weite Reise hinter sich, um zwanzig Konzerte hier in Deutschland zu spielen. Der aufstrebende Stern am südlichen Folk-Himmel kommt aus Neuseeland zu uns. An diesem Sommerabend treffe ich sie im Papermoon, inmitten vieler alter Fachwerkhäuser von Halberstadt. Um diese Zeit ist es noch nicht dunkel, der Biergarten ist gut besucht und die Türen sind weit geöffnet, um die Atmosphäre in jeden Winkel zu lassen. Vor einem dunklen Vorhang stehen ein Mikrofonständer mit einem Hocker daneben und einem Glas darauf. Es scheint gemütlich zu werden, denke ich, während ein kühles kräftiges Bier meinen Gaumen erfrischt. Sie tritt in einem langen schwarzen Kleid vor uns, das Haar ein wenig gestylt wie Amy Winehouse es tat und fordert lachend die draußen Sitzenden auf, doch bitte die leeren Stühle drinnen einzunehmen. Sie beginnt zu singen. Direkt in das Stimmengewirr hinein dringt ihr warmer kräftiger Gesang und löst es auf. Dann ist es still, nur MEL PARSONS mit ihrer Gitarre ist zu hören. Mit ihren Liedern erzählt sie von Begebenheiten und zwischendurch, wie es dazu kam, darüber zu singen. So erfahren wir im Laufe des Abends einiges über die hier unbekannte Sängerin, die sich in diesen Tagen aufgemacht hat, ganz allein und mit einem gemieteten Auto, kreuz und quer durch halb Europa zu reisen und bei Konzerten ein neugieriges Publikum zu entdecken und mit ihrer Musik zu begeistern. Im Gepäck hat sie ihr aktuelles Album „Dryland“ (Trockenes Land, 2015), mit dem sie in ihrer Heimat viel Erfolg hat. Mit dem Titel-Song dieses Albums, einer sanften Folk-Ballade, beginnt sie nun auch ihr Konzert, um danach von einer Reise nach Kanada zu plaudern. Von diesen Erlebnissen berichtet sie in „Alberta Sun“, einem typischen Folk-Song, der auf nur vier Akkorden beruht. Beinahe kann ich fühlen, wie sehr sie „die Sonne über Alberta vermisst“, so intensiv wirkt ihre Stimme und irgendwie erinnert sie mich dabei an die großartige Joni Mitchell. Lachend erzählt sie, wie sie sich beim ersten Mal hier in Deutschland auf die falsche Seite im gemieteten Fahrzeug gesetzt hat. Sie lässt danach den „Driving Man“ folgen, bei dem ich das Gleiten über die weiten Straßen in der Musik fühlen kann. Stets erzählen ihre Lieder von besonderen Situationen und von Menschen aus ihrem Umfeld. Ein solch einfühlsames Lied schrieb sie für ihre zwei Jahre jüngere Schwester. Die bat sie nämlich um ein Lied anlässlich ihrer Hochzeit, allerdings bereits sechs Monate vor diesem Termin. Eine lange Zeit und so vergaß Mel das Anliegen. Erst einen Tag vorher schrieb sie, jetzt unter Erfolgsdruck, die zärtliche Ballade „Fireworks“ (Feuerwerk). Da sitze ich einfach nur und lasse die musikalischen Schwingungen in mich eindringen. Wundervoll! In dieser schwülen Sommernacht überrascht sie mit zwei ausgewählten Liedern aus fremden Federn. Ihre Version von Springsteens „I’m On Fire“ wirkt weicher, weil tatsächlich unplugged nur zur Gitarre gesungen. Auf diese Weise geht mir der Song tief unter die Haut und auch mit „Wicked Game“, dem großen Wurf von Chris Isaak, gelingt ihr eine besonders weiche und intensive Version des Klassikers von 1989. Selbst ein mit ihr synchron pfeifender Gast bringt sie nicht aus der Fassung, sondern lässt sie nur lachend „What a fucking good whistler!“ ausstoßen, um danach den Song bis zum Ende weiter zu singen. Chapeau! Zu vorgerückter Stunde fragt sie, ob wir denn einen traurigen oder sehr traurigen Song von ihr hören möchten. Die Wahl fällt auf das sehr traurige „You and I“, das mir dann beim Hören eher intensiv und sehr sensibel, statt traurig, vorkommt. Aber egal, dieses Lied ist einer der Höhepunkte des Konzertes und so wird mir die Melodie auch in Erinnerung bleiben. Ebenso wie „Another City“ das von „touring musicians“ erzählt und in dem sie über sich selbst „I never changed it for anything“ singt. Das klingt überzeugend und nachvollziehbar, wenn man weiß, welcher Art sie gerade unterwegs ist. Ich erlebe an diesem Abend eine in sich ruhende und sehr überzeugende Künstlerin. Sympathisch versucht sie, in gebrochenem Deutsch zu plaudern, zieht aber erst in ihrer Muttersprache wirklich alle Register, die einen guten Entertainer und feinfühligen Folk-Sänger ausmachen. Sie setzt gänzlich auf die Wirkung ihrer eigenen Songs, die sie als authentische Geschichtenerzählerin ausweisen. Das hatte ich so nicht erwartet und bin deshalb sehr angetan von der Künstlerin aus Neuseeland. Der Abend klingt noch einmal sehr folk-betont, mit „Get Out Alive“ vom aktuellen Album, aus und mit „Down In The Bar“ wird es abschließend noch einmal richtig deftig, rhythmisch und wortverspielt, ehe eine Stunde vor Mitternacht in der Kneipe und im Biergarten laut gejubelt wird. Leider schon zu Ende, sage ich mir, und denke an jene längst vergangenen Zeiten, als wir nach solchen Club-Konzerten erst richtig begannen, im kleinen Kreis bis in den Morgen den Musikanten zu lauschen, zu plaudern und ja, auch zu trinken. Ein wenig von jener Atmosphäre konnte ich mir, was für eine Überraschung, mit MEL PARSONS aus dem fernen Neuseeland noch einmal für reichlich zwei Stunden zurück in die Gegenwart holen. Schön war’s und ein signiertes Poster habe ich auch auf den Weg nach Hause mitbekommen. Falls sie, wie angekündigt, in zwei Jahren mit ihrer Band wiederkommt, möchte ich sie in Halberstadt am liebsten persönlich begrüßen dürfen. Es war mir ein Vergnügen – and a pleasure too.