Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
Manuel Schmid & Marek Arnold – Hutkonzert in Halberstadt 25.06.2021 Meist ist es so, dass ich zu Konzerten fahre, der Musik wegen und weil ich dort Künstler treffe, die ich gut kenne. Ich mag das Eintauchen in deren Lieder und die Gespräche zwischendurch oder danach. An diesem Freitag aber kommt ein Künstler quasi zu mir, nach Halberstadt. Von meinem Besuch weiß derjenige natürlich noch nichts, aber als ich Manuel schon am Eingang zum „Halberstädter Hof“ treffe, gefällt es ihm und ich bekomme, weil es schon knüppeldicke voll ist, einen Stuhl zugewiesen und also den Ehrenplatz für verdiente Rock-Rentner des Volkes. Mein „Fernsehabend“ im Biergarten bei guter Live-Musik ist gesichert. Einer privaten Begegnung mit dem Keyboarder und Komponisten von Lift ( HIER ) im Juli 2008 in Dresden habe ich die Bekanntschaft mit MANUEL SCHMID zu verdanken. Der war damals schon musikalisch sehr aktiv und in Kooperation mit „Scheffi“, aber ansonsten noch ein „unbeschriebenes Blatt“. Das änderte sich 2012 mit seinem Einstieg als Sänger bei der Stern-Combo-Meissen, deren Klangbild er seitdem zunehmend prägte. Mit MAREK ARNOLD, den er auf ähnlichen Wegen kennen lernte, verbindet ihn eine kreative Freundschaft, die beide in gemeinsamen Projekten und manchmal auch auf der Bühne ausleben. Die Fans lieben das und einige reisen oft hinterher. Kein Wunder also, dass ich auch heute die „üblichen Verdächtigen“ treffe und in eine familiäre Atmosphäre eintauche. Es ist angenehm hier und deshalb werde ich diesen Abend genüsslich an mir vorüber ziehen lassen. Der Genuss beginnt mit einer leichtfüßigen Melodie vom „Frühling“, die Manuel für sein erstes Album „Leben“ schrieb und die Besucher im Biergarten begrüßt. Unter dem Dach der alten Bäume lässt der Pianist seine Finger über die Tasten gleiten und MAREK ARNOLD setzt mit dem Saxophon markante Tupfer dazwischen. Beim folgenden „Das Paradies“, zu einem Text von Andreas Hähle“, werden die ersten Stühle gerückt, um besser sehen zu können. Der abendlichen Ruhe folgt knisternde Neugier im Anwesen. Als dann mit „Hey Blues, verlass mich nicht“ ein wachechter Boogie-Woogie“, mit einem der letzten Texte von Altmeister Kurt Demmler, folgt, ist bei den heimischen Harz-Hexen die Glut entfacht, während die Sonne hinter den Mauern abtaucht. Genau die richtige Zeit für ein „Liebeslied“ und die verträumte Ballade “Irgendwann (kommt der Tag)“ vom aktuellen Album „Zeiten“. Dort ist auch ein Stück „für vier Hände“ mit einem Text von Hähle zu finden. MANUEL & MAREK bemächtigen sich jetzt der Tasten, hämmern Stakkato-Akkorde und zaubern mit akrobatischem Körpereinsatz den „Raum der Illusionen“ in den Biergarten. Es ist sehr beeindruckend, zu erleben, wie beide am Keyboard die Seiten tauschen und sichtlich Vergnügen am Spiel haben. Zwei Könner begeistern spielerisch die angereisten Fernsehabendverzichter und mich mit Liedern aus eigener Feder. Der kleine Junge im Strauch weißer Ballhortensien, mit dem Weinkrug in der Hand und dem Affen auf der Schulter, lächelt dazu steinern in sich hinein - eine perfekte Abendidylle. Mit der herrlichen Lift-Ballade „Wasser und Wein“ ergänzen Manuel & Marek das symbolträchtige Bild auch klanglich. Ich lehne mich ganz entspannt zurück, folge den Klängen von „Sagte mal ein Dichter“ und sehe mit geschlossenen Augen den „Sch(a)wanenkönig“ im Hintergrund vorüber gleiten. In vielen Gesichtern kann man jetzt Erinnerungen ablesen, die so mancher mit den Liedern seiner Jugendjahre verbinden mag. Passend zum Lied „vom zu großen Hut“, von Vroni Fischer, trägt die gute Fee des Abends einen ebensolche zu ihren Gäste, um Scheine einzusammeln, „damit es raschelt (und nicht klimpert)“, so die Ansage. Am Ende der Biergartenrunde liegt der Hut, gut gefüllt, zu Füßen der beiden Musikanten, die inzwischen „Wind trägt alle Wort fort“ in die Runde schmettern. So erinnern sie an Franz Bartzsch und wir erfahren außerdem von der Einweihung der Bartzsch-Brücke in Schmölln vor zwei Wochen. Meine Gedanken wandern zum Gedenkkonzert für den begnadeten Künstler ( HIER ), das ich im März 2010 erleben durfte schon mehr als zehn Jahre her. Wo ist nur die Zeit geblieben? Apropos Zeit: ganz nebenbei fragt Manuel die Anwesenden, ob sie denn schon einmal beim längsten Musikstück der Welt gewesen wären und ob sich jemand an den Klang erinnern könne. Beide geben uns eine Probe vom aktuellen Klang, den Marek mit seinem Saxophon und einem schelmischen Grinsen im Gesicht zum Probehören intoniert. Nur noch 619 Jahre, dann wird „Organ2/ASLSP“ von John Cage verklungen sein. Wer also den laufenden Ton hören möchte, sollte allmählich aus den Puschen und dann nach Halberstadt zum Cage-Projekt ins Kloster St. Burchardi kommen. Auf Wunsch biete ich mich gern als Begleitung an. Im Biergarten gibt es bis dahin einige der schönsten Lieder aus dem Schaffen einstiger DDR-Bands; der Begriff „Ostrock“ ist mir persönlich zuwider. Mit seiner glasklaren Stimme erinnert Manuel uns an die Gruppe Lift mit „Nach Süden“, beide zelebrieren behutsam das „Fischlein unterm Eis“ und auch an „Das Bild“ aus der „Sixtinischen Madonna“ von Electra. Eine besondere Atmosphäre ist unterm Dach der Bäume zu spüren. Einige singen leise mit, andere genießen lächelnd ihr Lieblingslied und wieder andere spüren dem Rhythmus von „Also was soll aus mir werden“ der Stern Combo Meissen nach. Die markante Bass-Linie übernehmen die Tasten und jeder nach seinem Temperament klatschend mit den Händen. Ich selbst genieße in mich gekehrt das abschließende „Am Abend mancher Tage“ und träume so meinen Erinnerungen und Erlebnissen hinterher, die damit verbunden sind. Was für eine kreative Zeit ich doch miterleben durfte und welch ein Privileg, auch ein wenig mitgestaltet zu haben! Unter dem Dach des kleinen Podestes präsentieren zwei Musiker rock-musikalische Leckerbissen, von deren Entstehung sie selbst gar nichts miterleben konnten, mit einem Lebensgefühl, das sie nur vom Erzählen ihrer Eltern kennen. Es ist umso bemerkenswerter, mit welchem Gespür sie diese Lieder zum Klingen bringen und die Texte ihre Wirkung entfalten können. Kann auch sein, es liegt einfach daran, dass die Songs zeitlose Gefühle transportieren, die man noch Jahrzehnte später nachvollziehen kann. Eine „Sommernacht“, wie sie LIFT mit der Stimme von Henry Pacholski damals besang, gibt es sicher auch heute und die Zugabe „Als ich fortging“ von Karussell mit Dirk Michaelis trifft immer noch viele Menschen mitten in ihr Herz. Liebe und Trennungsschmerz überdauern die Zeiten, sie gab es und sie wird es immer geben. Nur das besondere Lied ist eben einzigartig und unverwechselbar, wie einige andere heute Abend auch Danke Manuel und Marek für die Zeit am Abend und das Zusammensein im Biergarten. Danke auch der Harzer Lady, die der Eventplanerin vom „Halberstädter Hof“ einen Hinweis gab, das Duo hierher zu locken. Nach langen Monaten kultureller Entbehrungen tut es gut, Musik wieder live unter Menschen hören zu können. Der Anfang ist gemacht und wenn wir alle vernünftig bleiben, werden wir wieder mehr dieser Abende genießen können. Darauf freue ich mich.