Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
Mampe in spe – Versuch einer Erinnerung 27.09.1989 Es ist der 27. September des Wendejahres 1989. In der Kleinstadt Elsterwerda wird, nach dem Vorbild vieler Großstädte, jeden Montag demonstriert. Menschen gehen unter meinem Fenstern vorüber und halten ihre (noch eingerollten) Transparente in der Hand. Über ihre Köpfe hinweg sehe ich gegenüber „DIE STUBE“, unseren Klub, und ich frage mich, was wird die Zukunft dieser Einrichtung bringen. Ob sich einer der Demonstrierenden schon darüber Gedanken gemacht hat, was die Deutsche Mark, die Reisefreiheit und die offenen Märkte für ihre Arbeitsplätze und unseren Klub wohl bringen werden? In diesen Tagen bin ich eher ein Zweifler, denn ein Optimist in freudiger Erwartung. Ich weiß, dass mein Leben sich bald in unbekannten Bahnen bewegen wird und dass ich dort drüben in „meinem“ Klub am kommenden Wochenende einen runden Geburtstag feiern werde. Die Klubleitung hatte mich gebeten, meine Fete dort stattfinden zu lassen. „Man würde sich um den Rest schon kümmern“, sagte man mir. Am Sonnabend werde ich über diese Straße in „DIE STUBE“ gehen und immer noch so ein mulmiges Gefühl, das mich noch lange begleiten wird, mit mir herum schleppen. Gefeiert habe ich trotzdem. In den Räumen des Klubs und unter Freunden sind alle Sorgen vergessen. Zumindest für die nächsten Stunden. Freunde und Gäste in allen Räumen, ein einziges Gewusel. Das Team hat sich einen Wunsch erfüllt und mir damit ganz nebenbei eine große Freude bereitet. Mitten unter den Gästen entdecke ich einen bekannten Musiker, der schon lange auf unserer Wunschliste stand und den musikalischen Teil des Abends bestreiten wird. Gemeinsam sitzen wir am Tisch - meine Frau, meine Eltern und Mampe. Wir quasseln, während sich der vordere Raum mit Gästen füllt und im hinteren noch an der Technik gebastelt und geschraubt wird. Die „STUBE“ war unser Baby. Eine bunt gemischte Truppe jugendlicher Enthusiasten aus Elsterwerda hatte die Räume einer ehemaligen HO-Verkaufsstelle um- und ausgebaut. Ein Bürgermeister, dessen Streben nach Geltung unbewusst auch das Überschreiten von Grenzen möglich machte, wollte diese Jugendeinrichtung als Vorzeigeobjekt und wir wollten einen Ort, wo wir unsere Ideen umsetzen und eigene Vorhaben verwirklichen konnten. So kam es, dass wir letztlich sogar ein Künstlerpaar für die skurrile Innengestaltung der Räume mit in unser Boot holen konnten. Paul Böckelmann baute, mittels geknickter Alu-Bleche, schräge Leuchtelemente an Wände und Decken und kam auf die Idee, Tische mit einer dreieckigen Platte in die Räume zu stellen. Letztlich wirkten die Klubräume wie ein buntes lebendiges Mosaik von Lebenslust in einer ansonsten biederen Kleinstadt der 1980er Jahre der DDR. Hierher luden wir uns viele Künstler aus Kabarett, Kleinkunst, Literatur und der Liederszene ein. Wir gestalteten und erlebten hier unvergessliche Abende, deren einzigartiger Ruf bis nach Dresden und sogar Berlin drang. Diese Jahre gehören zu den wundervollsten Erfahrungen meines Lebens und der runde Geburtstag im Klub war ein kleiner Teil davon. PETER „Mampe“ LUDEWIG saß zu jener Zeit schon nicht mehr hinter dem Schlagzeug bei Electra. Er tourte seit 1985 mit seinem eigenen Programm, „Mampe in spe“, durch die Lande. Im beginnenden Wendeherbst 1989 hatten wir das Vergnügen, den Mix aus Rock, frecher Satire und Mundartkomik in unseren Räumen zu erleben. MAMPE war schon immer ein exzellenter Entertainer mit feinem Humor, was er bei Electra mit der Ballade vom „Grünen Esel“, aber auch mit anderen Showeinladen, beweisen durfte. An diesem Abend präsentierte er uns mit „Hilfe, ich platze“ und „Der Tenor“, zwei Nummern, die auf seine außergewöhnliche Stimme zugeschnitten waren. Wir erlebten seine Interpretation des hebräischen Volksliedes „Hava Nagila“, die er mit seiner ausgefallenen Gesangsakrobatik ausklingen ließ. Diese einzigartige Mischung aus exzellenter Sangeskunst, wilden Perkussionspassagen, gekonnter Moderation und sächsischer Satire ließen diesen Abend zu einem besonderen Ereignis unter Freunden werden. Das dies das allererste „Wohnzimmerkonzert“ der beginnenden Neuzeit war, weil es nämlich in einer „STUBE“ stattfand, steht für mich seither außer Frage. Wir konnten „DIE STUBE“ über die Wendewirren am Laufen halten. Auf der kleinen Bühne erlebten wir CÄSAR im Trio ebenso, wie Vicki Vomit und viele andere. Einige Zeit schien sich nichts geändert zu haben. Es schien, als wäre jetzt alles möglich. Aber es schien eben nur so. Während wir endlich ohne Winkelzüge unsere Ideen umsetzen konnten, begannen viele Mitglieder in der kleinen Gemeinschaft sich beruflich und privat neu und anders zu orientieren. Der eine begab sich „tief in den Westen“, um sich beruflich weiter zu qualifizieren, andere bereiteten sich auf die bald mögliche Übernahme eines Gewerbes vor. Einige suchten ihren Weg in neue Selbständigkeiten und so mancher verlor den bisher sicher geglaubten Arbeitsplatz von einen Tag auf den anderen. Die neuen Möglichkeiten setzten neue sowie andere Prioritäten. „DIE STUBE“ mutierte schleichend, dank der „Hilfe“ eines Brauereikredits, zu einer Kneipe. Danach war das Innere endlich „modern“ und sah aus, wie jede andere „neue“ Kneipe auch zum Verwechseln ähnlich - Unverwechselbarkeit und Atmosphäre adè! Besucher zeigten immer weniger Interesse, am Tresen oder Billardtisch ihre Langeweile totzuschlagen und Freunde trafen sich hier immer seltener. Die alten spannenden Zeiten gab es nun nicht mehr und die neuen Zeiten kamen ganz ohne Spannung aus. Das Neue schliff sich relativ schnell wieder ab. Alles war einfach nur besser, alles war schöner und Landschaften begannen natürlich erst durch die D-Mark zu blühen. Kleinstädte, im Niemandsland von Brandenburg an der Grenze zum Sachsenland, ausgenommen. Dreißig Jahre später steht an der Hauswand immer noch „DIE STUBE“, aber das ist nur noch der alte Namenszug. Geblieben sind die Erinnerungen an vergangene Zeiten, alte Freunde sowie erlebnisreiche Stunden mit klugen Gesprächen. Vor allem letzteres vermisse ich oft sehr, denn „klug“ fand mit „cool“ auch eine neue, aber inhaltsleere Entsprechung. Die Zeiten sind heute andere – bessere (sagt man).