Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
Maggie Bell & Miller Anderson live mit der Hamburg Blues Band 06.10.2012 Keine Ahnung, warum diese Frau stets in der zweiten Reihe stand und sang, auch wenn sie mit ihrer Band die internationalen Festivals ihrer Zeit rockte. Der ganz große Durchbruch blieb ihr sowohl mit ihrer Band Stone The Crows in den 1970ern, als auch solo versagt. Dabei ist die Stimme von MAGGIE BELL so faszinierend einmalig, dermaßen ausdrucksstark und von so außergewöhnlicher Intensität, dass sie getrost in einem Zug mit der großen Janis Joplin genannt werden könnte. In ihrem Gesang brodelt die raue See vor Schottlands Küsten und der Whisky, den man dort trinkt, hat sie rauchig gefärbt, aber auch weich gemacht. Sie war schon immer meist nur Insidern ein Begriff und die haben sie geliebt und verehren sie bis heute. Wer sich daran noch erinnern konnte, bekam gestern in der Sängerstadt Finsterwalde, worauf er so lange gewartet hatte – Maggie Bell. Der Mann, der es geschafft hat, sie hierher zu holen, ist kein geringerer als Bernhard Radigk, der mit seinem Gespür für gute Musik die Achtung der Musikliebhaber aus nah und fern genießt. Leider nicht mehr im Brauhaus Radigk. Zum Glück hat es ihn in Finsterwalde gehalten und im ATRIUM, direkt am Markt gelegen, setzt er ab und an gute Traditionen mit klangvollen Namen fort. Heute Abend rockt wieder einmal die Hamburg Blues Band und als Gäste hat die Band um Gert lange diesmal Maggie Bell und den Woodstock–Akteur Miller Anderson im Line-Up. Zwei Schotten, die Rockgeschichte in Person verkörpern. Grund genug, in den rauen schottischen Blues, umgarnt von Hamburger Bluesrock einzutauchen. Als die Hamburger Jungs die Bühne betreten, beginnt Sekunden später die Luft vom Blues mit „Rollin“ zu vibrieren und spätestens bei „Stony Times“ wird klar, hier rocken alte Haasen ihren eigenen „Mad Dog Blues“ (2008), so ein Album- Titel. Ganz rechts außen, beinahe unscheinbar, agiert Anderson mit seiner Gitarre, der Mann, der vor gar nicht all zu langer Zeit Dave „Clem“ Clempson (ex-Colosseum) an dieser Stelle ablöste. Der Wechsel ist spür- und hörbar, denn im Gegensatz zu Clem Clempson spielt Anderson seine Gitarre deutlich ruppiger und seiner Soli zuweilen trocken und rotzig. Das gibt dem Sound der Band einen härteren Groove und macht das Fehlen der Tasten von Adrian Askew mehr als wett. Besonders ist das spürbar, wenn der Gitarrist Stücke aus seiner eigenen Vita, wie das wunderschöne „Just To Cry“, zu zelebrieren beginnt. Dann sinkt er förmlich in sein Gitarrenspiel, schließt seine Augen und lässt die Finger über die Saiten gleiten. Dabei entsteht ein Sound, der mich glauben lässt, vor mir würden Jefferson Airplane und Grateful Dead gemeinsam eine ihrer grandiosen psychedelischen Sessions wie in alten Zeiten feiern. Schönen Gruß an Jerry Garcia, dem hätte dieses ausladende Solo garantiert gefallen. Unterstützt werden die beiden Gitarristen und Sänger von der Rhythmusgruppe Michael „Bexi“ Becker, der souverän seinen Bass singen lässt, und Hans Wallbaum, einem der trockensten Drummer dieses Universums. Die beiden stampfen und treiben die Grooves vor sich her. Auf diese Weise schicken sie mit „Bad To The Bone“ einen Gruß an Heckstall-Smith in den Himmel, originalen den Saxophonisten von Colosseum, der einst mit Gert Lange die HBB gründete und durch seine Connections zur britischen Blues Szene die Band zu einem Schmelztiegel der unterschiedlichen Spielarten des Blues werden ließ. Das wussten auch schon Chris Farlowe und Arthur Brown zu schätzen und für Pete Brown (Cream, Jack Bruce) war es Grund genug, einen Teil der Lyrics beizusteuern. Die drei Deutschen und der Schotte sind bestens eingespielt und rocken den „Hinterhof“ in Finsterwalde in die Nacht hinein und das alles mitten in der Stadt. Toll! Nach einer Pause für die Biertrinker und die strapazierten Knochen eröffnet MILLER ANDERSON mit einer weiteren Glanznummer den zweiten Teil. Das Stück „High Tight, High Water“ ist auch auf seiner Solo–Scheibe „Bright City“ zu finden und zeigt einmal mehr den Gitarristen mit dem besonderen Stil und einen Sänger, der einen zum Staunen verleitet. Live klingen seine Stücke noch ein ganzes Stück sphärischer, als auf seinen Platten. Hier vor der Rampe kann ich seine Fingerakrobatik aus der Nähe bewundern. Die Band rockt noch den „Rattlesnake Blues“ und dann endlich ist die Zeit gekommen. Mit den ersten furztrockenen Akkorden von „Wishing Well“ betritt jene Frau die Bühne, die uns alle mehr oder weniger hierher gelockt hat: Maggie Bell. Was heißt hier, sie betritt die Bühne. Auf einmal steht ein Energiesturm dort oben, ein Power- und Bewegungsbündel, das die meisten von ihr wohl nicht erwartet hatten. Es ist wie ein Raunen und ein Aufschrei zugleich, als Maggie ihre ersten Töne in das Mikrofon knallt. Die Hamburg Blues Band war ja schon in voller Fahrt und gab uns 110 Prozent Adrenalin in die Adern. Doch jetzt steht eine Frau vor uns, der man ihr Geburtsjahr 1945 (!) nicht mal ansatzweise abnehmen mag. Die HBB bekommt noch einmal ’en extra Kick und dann fegen 67 Jahre Hexen–Rock’n’Roll über die Bühne, dass die Schwarte kracht. Wäre die auf einem Besen geritten gekommen, hätte mich das sicher auch nicht gewundert. Jeder Ton von „Wishing Well“ ist wie eine Offenbarung und jeder nicht gesungener Ton, eine kleine Briese Adrenalin für die Augen! So agierend kann sie sich schon mal locker eine Persiflage auf Chris Farlow leisten und dabei liebevoll mit den Augen zwinkern, dass alle, die Farlowe auf der Bühne kennen, lachen müssen. Wir kriegen „Down In The Whole“ und „I Believe I’m In Love“ zu hören und während meine Wirbel im Rücken auf Alarm schalten, scheint Maggie da oben singend Bühnengymnastik betreiben zu müssen. Sie steht kaum eine Sekunde still, schlägt das Tambourine in die Hände und auf die Oberschenkel und freut sich wie ein Kind, wenn wir hier unten wie besessen jubeln. Es ist der blanke Genuss, diese langmähnige Lockenpracht ihren Blues wild schreien, stöhnen und flüstern zu hören. Als sie dann endlich ihren „Penecillin Blues“ aus alten Stone The Crows Tagen in den „Hinterhof“ donnert, lasse ich mich nur noch in diesen Rausch fallen und meinen Körper auf müden Füßen schwingen. Auch beim „Louisiana Blues“ geht’s mir nicht viel anders, denn ich merke, dass diese Frau all die Hinterhof-Leute, die vor ihr tanzen und rhythmisch in die Hände klatschen, und mitten unter ihnen auch ich, ganz und gar, auch mit „What You’ve Got“, in ihren Bann zieht. Genau so hatte ich sie mir vorgestellt, sie mir gewünscht, doch sie übertrifft meine Erwartungen noch. Als sich die Blues Messe im ATRIUM dem Ende entgegen neigt, singt sie uns noch das gute alte „Respect Yourself“ der Staple Singers. Gott, wie lange ist denn das her? Sie zelebriert diese Nummer und erzählt sie in bester Tradition der schwarzen Blues –Barden, indem sie dem Text ihre eigene Erzählweise über den Grovve hinzu fügt: „Respect your mother, respect your father, respect your brother and your sister, respect the neighbour and respect your teacher, respect ….. yourself.“ Ich wünschte, ihre Worte würden gehört von all jenen, die das Respektieren des andern verlernt oder vergessen haben! Sie nutzt den Text, um noch einmal die Bandmitglieder vorzustellen und ihnen ihren „Respect“ zu zollen. Tolle und einfühlsame Geste einer Rock- und Blues Ikone, wie man sie nur noch ganz, ganz selten findet. Dann ist Schluss und nach „Into The Night“ dann auch endgültig. Wie ich dann, erschöpft und glücklich zugleich, an der Bühnenkante sitze, um den nach draußen strömenden „Hinterhofkindern“ hinterher zu schauen, steht Maggie Bell plötzlich neben mir, mit einer sprechend, die offensichtlich engeren Kontakt zu ihr pflegt. Als sie gehen will, sage ich ihr: „You made an old man very happy“, worauf sie stürmisch auf mich zukommt, dass ich verdutzt einen Schritt zurück weiche. Diese Gelegenheit nutze ich dennoch für einen Small- Talk und anschließend ziert ihr Schriftzug mein LP – Cover. Thank you so much, Maggie! Auf der Heimfahrt im frühen Herbstmorgen, über feuchte Straßen und glitschiges Laub, wird mir dann bewusst, dass ich eine der ganz Großen im Herbst ihrer Karriere erleben durfte, die so manchem, der meint, ein Großer zu sein, locker und flockig den Schneid abkaufen könnte. Es lohnt sich, diese Band aus Hamburg mit diesem Miller Anderson und der rockenden Blues Röhre Maggie Bell live zu sehen. Es ist Herbst und wer weiß, wie viele Herbsttage noch bleiben, eine der wirklich großartigen Blues Ikonen und Stimme Schottlands hierzulande auf einer Bühne erleben zu können. Ich war dabei und keine Sekunde Zeit und kein Brennen der Füße bereue ich.