Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
Lift-Balladen in der St. Blasii-Kulturkirche 07.08.2021 Die kleine Kulturkirche St. Blasii steht in Quedlinburg ein wenig versteckt. Wer zum Markt möchte, um eventuell das schöne Rathaus oder die Fachwerkhäuser zu bewundern, könnte an ihr vorüber gehen, ohne sie bewusst wahrzunehmen. Dabei würden die alten Mauern viel über Historie erzählen können und im Innern verbirgt sich eine romantisch disponierte Kirchenorgel. So einem Instrument Töne zu entlocken und Zuhörer zu erfreuen, ist stets ein besonderes Erlebnis. Das wissen auch die Musiker von LIFT und auch, dass ihre Rock-Balladen, von einer Kirchenorgel begleitet, eine zusätzliche klangliche Aufwertung erfahren. In der Ulrichskirche von Halle konnte ich mich davon schon überzeugen ( HIER ). Von Halberstadt bis Quedlinburg ist es quasi nur ein Katzensprung, also nutze ich heute die Gelegenheit ein weiteres Mal, klassische Lift-Musik zwischen sakralen Mauern zu genießen. Zur Musik von LIFT pflege ich seit vielen Jahren ein sehr persönliches Verhältnis. Wenn man das Glück hatte, die Band in ihrer absoluten Blütezeit, zwischen „Meeresfahrt“ und „Spiegelbild“, live gesehen zu haben ( HIER ), kann man auch gar nicht anders. Also suche ich die Kirche auf, begrüße die Musiker und finde ein Plätzchen in einer der alten Priechen, den Gebetsstühlen für die Reichen im Ort. Jede zweite wird aufgrund der Pandemie nicht besetzt. Das führt letztlich dazu, dass Gäste vor der geöffneten Seitentür dem Konzert lauschen müssen. Von draußen zuhören und kaum etwas vom Konzert sehen - schade, sehr schade! Das Kirchenkonzert eröffnet pünktlich mit wuchtigen Orgelklängen, aus denen sich bald das Leitmotiv der „Meeresfahrt“ heraus schält. Auf diesem Instrument gespielt, klingt das Thema, ursprünglich von einer Querflöte intoniert, erhaben, ja beinahe feierlich. Bei mir geht das sofort tief unter die Haut, sind doch so viele schöne Erinnerungen damit verbunden. Mit jeder Wiederholung wird die Melodie dichter, um schließlich mit brachialer Wucht den ganzen Raum auszufüllen dann Stille, in die hinein Werther Lohse „Nach Süden“ zu singen beginnt. Die Überraschung ist perfekt, als von der Empore die Stimmen von vier ehemaligen Kruzianern den Refrain über unsere Köpfe hinweg singen. Ein Gänsehautmoment. Genau das ist es, was die Lieder von LIFT zeitlos erstrahlen lässt; ihre schlichte Schönheit. Nur wenige Augenblicke später stehen die vier Herren und der letzte Originalmusiker der Band auf dem Podest vor uns. Als a-capella Variante hören wir die „Falsche Schöne“ und wieder entsteht das besondere Gefühl von grenzenloser Intensität, das wegen der intimen Nähe tief in mich dringt. Es folgt das Titelstück der aktuellen EP „Der Admiral“. Diesmal begleitet Andrè Jolig die vier Chorsänger am Klavier. Scheinbar schwerelos schwingen sich die Töne in den Kirchenraum, füllen ihn, zu einer Melodie gewoben, aus und die lässt sich sanft inmitten der Zuschauer nieder. Für „Impro 1“ muss er wieder die Stufen zur Orgel ersteigen. Das selten gespielte „Der Frieden“ aus der „Spiegelbild“ - Phase ist ein weiteres Glanzstück. Im Original wird Werther Lohse von einem Streichquartett begleitet, heute lässt der Klang von Orgelpfeifen das Stück fast majestätisch, ja sogar mahnend erscheinen: „Vielleicht, wenn er müd’ wird, wenn keiner ihn sucht. Vielleicht hat er Furcht, er sei abgebucht. Es ist schon spät.“ Diese Worte von Andreas Reimann treffen auch heute noch den Nagel auf den Kopf. Auch das musikalische Thema des „Vincent van Gogh“, zentrales Stück des Albums „Spiegelbild“, füllt nun den Raum im Gotteshaus. Die Orgelklänge sind wieder wuchtig, sie steigern sich bis zum Gesangspart, den sie eher schlicht untermalen, um zum Schluss noch einmal all ihre Power auszuspielen. Nach dem Abschlussakkord scheinen die alten Mauern leise durchatmen zu wollen. So und nicht anders habe ich LIFT in meinen Erinnerungen gespeichert. Einfach faszinierend. Aber auch die filigranen Balladen gehören zum Klangbild der Band. Das „Liebeslied“ tragen die Jungs aus Dresden für uns a-capella vor und die romantische „Sommernacht“ entfaltet ebenso ihren feinen Reiz, der sakralen Atmosphäre angemessen. Schlichte Lieder wie diese, haben das Lebensgefühl einer ganzen Generation eingefangen und zum Klingen gebracht. Immer noch zum Heulen schön. Mit „Mein Herz soll ein Wasser sein“ erinnert Werther an die beiden kürzlich verstorbenen Mitstreiter Till Patzer und Stephan Trepte, die viele Jahre das Klangbild von LIFT ebenso prägten. Wo sind nur all die Jahre hin? Wieder begibt sich Andrè Jolig zu den Orgeltasten. Er reißt kurz das Thema der „Tagesreise“ an, um dann jedoch in „Am Abend mancher Tage“ hinüber zu gleiten. Orgelklänge, Männerchor und Stimme verschmelzen im stilvollen Abgesang des Konzertabends in der St. Blasii zu Quedlinburg. Diese Klänge passen irgendwie zur Stimmung, die derzeit überall mitschwingt und sich aus gedanklicher Enge zu befreien suchen: „Gib’ nicht auf, denn das kriegst du wieder hin.“ Es ist schon erstaunlich, wie solche Songs noch viele Jahre nach ihrem Erscheinen, die Befindlichkeiten und Gefühle treffen und spiegeln können. Die Herren verbeugen und verabschieden sich, um uns dann doch noch etwas „Wasser und Wein“ zum Abschied symbolisch zu überreichen. Danach ist eine besondere musikalische Andacht in der Stadt am Harz beendet. Zufriedene Gesichter wenden sich dem Ausgang zu. Einer Gewohnheit folgend, bleibe ich noch, lasse die Stimmungen und Gefühle ausklingen. Ein Raum dieser Art wirkt bei jedem Besuch in besonderer Weise, stimmt nachdenklich. Der Zufall möchte es, dass die Herren Kruzianer noch anwesend sind und so bekomme ich ein extra Ständchen gesungen. „Schöne Nacht, Gestirne wandeln“, ein Gedicht von Carl Hermann Busse, von Heinrich Kaspar Schmid vertont, sangen sie bereits in der Ulrichskirche. Als ich sie darauf anspreche, erfüllen sie mir, und den noch hinter mir Gebliebenen, diesen Wunsch. Herzlichen Dank an Alexander Deke, Lucas Reis, Moritz Schlenstedt und Joan Vincent Hoppe für die schöne Weise, die diesen Abend für mich gänzlich rund werden lässt. Ich weiß, dass dieser Besuch hier nicht mein letzter bleiben wird. Musik von LIFT sollte man möglichst live gehört, ja erlebt und gefühlt haben, so wie ich heute. Dann wächst eine Liebe zu ihr, die kein Ende kennt.