Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
Liaisong – „Als ich 14 war …“ (live in Klein-Wanzleben) 01.02.2020 Als ich 14 war, begann für mich ein neuer Lebensabschnitt: Jugendweihe, Penne und die Beatles. Die Jugendweihe war relativ schnell vergessen, aber die Prägung vier Jahre Penne plus Beatmusik hält bis heute an. Eine unschlagbar tolerante Musiklehrerin und die Musik der vielen kleinen Beatelchen haben mich eine ganz besondere Zeit erleben lassen, wie ich heute weiß. Vor allem musikalisch ging in jenen wilden Jahren die Post in einer Weise ab, wie es sich junge Menschen heute nicht einmal ansatzweise vorzustellen vermögen. Die Erinnerungen an jene Tage sind bei mir mit einmalig schönen Melodien für die Ewigkeit verknüpft, die jenes Lebensgefühl komprimiert aufbewahren. Genau so und vielleicht etwas anders empfinden viele, wenn sie sich ihrer Jugend erinnern. „Als ich 14 war, da hatte ich ganz lange Arme. Die baumelten an mir herum.“, singt die Thalheim auf ihrer Vinyl-Scheibe vom „Lebenslauf“ (1977) und genau diese Liedzeile steht als Motto über einem Programm von LIAISONG. Die Zeile hat mich neugierig gemacht, ein Wiedersehen mit dem Duo war ohnehin geplant und so kam die kurzfristige Entscheidung zustande, über Land 50 Kilometer nach Klein-Wanzleben zu fahren. Die beinahe exklusiv ausgestattete Gastlichkeit “Casino” inmitten des abendlich abgedunkelten Börde-Dorfes empfängt mich. Plötzlich stehe ich inmitten dörflich-festlich gekleideter Damen und Herren, die den langhaarigen Fremden in Jeanskleidung argwöhnisch betrachten. Dumm gelaufen, nur für wen? „Als ich 14 war, da riefen sie mich Tischlers Tochter und das brachte mich fast um“, beginnt das Duo DUNJA & JÖRG NAßLER-AVERDUNG zu singen und brechen den Song unvermittelt wieder ab, um mit Erinnerungen zu beginnen: Weißt du noch? Kennst du noch die Tonbandkassetten und die Lieder, die darauf gespeichert waren? „Sommernachtsball (Wind schaukelt die Laternen)“ singt sie da vorn und meine Erinnerungen schalten auf Vollgas. Da bin ich mitten unter Menschen auf einmal ganz für mich allein: „Sommernachtsball, Märchen erzählen die Wälder“ und ehe ich meinen Fantasien weiter folgen kann, heißt es „Nein, Doktor, nein“, der kleine Saal swingt ein wenig mit der Melodie und JÖRG lässt solistisch seine Meisterschaft auf den Gitarrensaiten aufblitzen. Viel ruhiger kommt „Es gibt Momente“ von Hansi Biebl daher und als die „Momente“ verklungen sind, plaudern beide von Dresden, dem „Tal der Ahnungslosen“, vom Rundfunk- und Fernsehempfang sowie von Schallplatten, die man gern hätte. Jörg zeigt uns stolz sein altes Amiga- Exemplar von Joan Baez und weiß zu erzählen, wie ihn die Songs des Robert Zimmermann inspiriert haben. Als der Gitarrist von den Beatles „Blackbird“ auf seine ganz eigene Weise interpretiert, weiß ich auch wieder, dass auf diesen Saiten mehr als nur bekannte Riffs spielbar sind. Chapeau, das war’s mal wieder! „Als ich 14 war“ singt DUNJA wieder an und bricht ab. Spätesten jetzt spürt man die Klammer, die das Programm zusammenhält. Es folgt ein kurzer Exkurs ins Russische und eine „Leistungskontrolle“ beim Übersetzen sowie „In jener Nacht“, „Hast du einen Freund“ und „Auf der Wiese haben wir gelegen“, alle einst von Vroni Fischer gesungen. Oups, denke ich, damals gab es doch noch einige Damen mehr, die Stimme und Melodien hatten: Angelika „Lütte“ Mann, Ines Paulke, Uschi Brüning, die Freudenberg oder Gaby Rückert fallen mir spontan ein. Einer von denen die Stimme zu leihen, sollte dem Duo nicht schwer fallen, denke ich. DUNJA NAßLER - AVERDUNG ist mit einer wandlungsfähigen und markanten Stimme ausgestattet, da sollte eigentlich noch mehr möglich sein und wie zur Bestätigung erfreut uns das Duo LIAISONG wenig später mit einer exzellenten Interpretation der „Tänzerin“ von Ulla Meinecke und ich staune. Wie beide Musiker den typischen Sound dieser Nummer, nur mit Gitarre und Stimme, in eine neue Form gießen, ist ungemein beeindruckend und lässt uns vor Begeisterung toben. Klasse! Einen ungewollten Höhepunkt erleben wir, als Dunja auf den Deutschunterricht und das Aufsagen von Gedichten zu sprechen kommt. Zur Auswahl stehen „Die Glocke“, „Der Erlkönig“, „John Maynard“ und der „Osterspaziergang“ und welch Staunen, letzteren sagt der Veranstalter des Abends tatsächlich auf. Mir klappt die Kinnlade runter und die Reihen hinter mir toben. Setzen, Eins! Da hat es die folgende Krug-Fischer-Nummer „Wenn’s draußen grün wird (im wunderschönen Monat Mai)“ fast schon schwer, sich mit ihrem Jazz-Feeling zu behaupten. Doch JÖRG NAßLER kann dem Osterspaziergang mit seiner Version des Dylan-Klassikers „Don’t Think Twice“ einen weiteren Gänsehautmoment hinzufügen. Was dieser Mann auf den Gitarrensaiten zaubert, haut mich auch diesmal wieder um. Einfach faszinierend! Als das „Klavier im Fluss“ schwimmt, lässt er in den Wellen süffisant „Die Forelle“ (Franz Schubert) für Sekundenbruchteile auftauchen. Der Musikliebhaber hat sie erkannt und freut sich darüber genau so, wie über „Am Abend mancher Tage“, die zauberhafte Ballade von Lift. Schön, dass diese Nummer im Programm Platz gefunden hat, obwohl ich, als der Song 1979 erschien, schon lange kein Teenager mehr war. Am Ende des Konzertes hören wir dann doch noch, da sich die Klammer wieder schließt, „Als ich 14 war“ in voller Länge und Schönheit. Verbeugung und aus mit den Erinnerungen oder? Natürlich nicht, denn die betagte Dorfjugend, mich als Gast inbegriffen, möchte noch ein wenig mehr in ihren Erinnerungen schwelgen. Es gibt einen Lieblingssänger der beiden Musiker, lässt uns der JÖRG wissen. Aus seinem Gitarrenspiel schält sich mit „Wenn die Blätter fallen“ ein wohlbekannter Reform-Song. Ein Rock-Klassiker im besten Sinne, einer wie die „Tänzerin“, nur dass wir auf dieser Seite des zerteilten Landes beide kannten. Das macht uns auch noch drei Dekaden danach so besonders, denke ich, während von vorn „Rauchiger Sommer“ zu mir dringt. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass diese zwei Stunden nicht gereicht haben, auch nur einen Bruchteil von dem auszuloten, was in der Klammer „Als ich 14 war“ aufbewahrt bleibt. Späteren Generationen, und denen danach, wird es wohl auch so gehen, deutet sich beim Hören von „Wenn zwei zueinander passen“ an. Dann wird vielleicht auch dieses „wir und die“, gleich, auf welcher Seite gedacht oder ausgesprochen, nicht mehr mitschwingen. Jede Zeit hat ihre Melodien, persönliche Geschichten und intime Erinnerungen und nur die schönsten werden welch Glück überleben. Da helfen auch keine Verkaufszahlen, von denen wissen unsere Erinnerungen eh nichts. Danke sehr, LIAISONG.