Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
Ein letztes Hallelujah für Leonard Cohen 11.11.2016 (21.09.1934 - 07.11.2016) Dies ist ein diesiger Morgen, feucht und ungemütlich. Der Kaffee neben mir ist frisch und draußen ist es noch duster. Dieser Tag scheint verschlafen zu wollen. Mein Hund hat sich, nachdem draußen alles erledigt war, wieder in die Wärme verkrochen. Mein Morgenkaffe schmeckt nur leicht süßlich, als ich die bittere Nachricht vom Schirm ablese: LEONARD COHEN ist tot. - Im Jahre 1967 sind wir auf Klassenfahrt und im Chorlager. In Frauenstein ist zu dieser Zeit Winter und es liegt viel Schnee. Abends sitzen alle im Speiseraum. Ich spiele Gitarre, manche tanzen und andere singen mit. Es gibt kein Handy oder Internet, bestenfalls ein Kofferradio. Die Beatmusik jener Jahre ist laut und deftig, die Lieder der Songwriter intim und zärtlich berührend. Also singe auch ich „Suzanne“ und „So long, Marianne“, zwei der schönsten Liebeslieder der Pop-Kultur, die je geschrieben wurden. Ob die Akkorde, die ich spiele, richtig sind, weiß ich nicht. Es ist egal. Was hätte man Mädchen haben können, wäre man nicht so grün hinter den Ohren gewesen! Eine von ihnen hatte schwarzes Haar und ein wundervolles Lächeln im Gesicht. So könnte die „Suzanne“ oder „Marianne“ von LEONARD COHEN auch ausgesehen haben. Diese beiden Songs von seinem ersten Album „Songs Of Leonard Cohen“ (1967), plus sein „Sisters Of Mercy“ wurden Teil der Empfindsamkeit meiner Generation. Wohl kaum einer, der damals mit Musik in Berührung kam, wird diese Lieder vergessen können, die dieser Kanadier in seiner unverwechselbaren traurigen Stimmung sang. Zum mit Mitheulen schön! Er sollte mich mit seinen Liedern, so wie einige andere auch, durch mein ganzes Leben begleiten. Doch davon ahnte ich 1967/68 noch nichts. Als 1969 sein zweites Album „Songs From A Room“ erschien, hatte ich kurze Haare war und war „bei der Asche“ in Berlin. Da passten die Lieder wie „The Partisan“, das er nicht selbst geschrieben hatte, sondern französische Autoren hat, und das tieftraurige „Bird On The Wire“, wie die Faust auf’s Auge: „Like a bird on the wire, like a drunk in a midnight choir, I have tried in my way to be free.” Unsere Sehnsucht danach, wieder frei und zu Hause sein zu dürfen, das spiegelte sich auch in diesen Zeilen, die einem gerade einmal 19 Jahre jungen Mann in Uniform wie auf dessen Leib geschrieben schienen. Der damals fast 40jährige LEONARD COHEN hatte tief in meine Seele geblickt und mein Herz berührt. Ich war hingerissen von seiner Art, diese melancholischen Songperlen zu singen und erstaunt auch, wie die Poesie, die ich erst langsam begriff, unter die Haut ging. Wieder „von der Fahne“ zurück, veröffentlichte er sein Album „Songs Of Love And Hate“ (1971). Sein „Famous Blue Raincoat“ schien mir wie ein melancholischer Abschied, denn auch mir war gerade die Jugendliebe aus dem Chorlager an einen anderen verloren gegangen. Wieder war es dieser LEONARD COHEN, der in romantischen Stunden zu berühren vermochte und das sollte so bleiben. Ganz gleich, ob er „Lover, Lover, Lover“ (1974) oder später „Dance Me To The End Of Love“, „Hallelujah“ oder „Heart With No Companion“, alle vom Album “Various Positions” (1984), sang, LEONARD COHEN blieb mit seinen Melodien und Texten stets an meiner Seite, auch wenn der natürlich nichts davon ahnte. Schließlich zählen sich seine Verehrer weltweit in Millionen. LEONARD COHEN war einer der letzten Giganten des vergangenen Jahrhunderts, die ihre Poesie und einzigartige Musik auf eine besondere Ebene zu heben vermochten. Seine Lieder sind extravagante und dennoch schlichte Mischungen aus betörender Lyrik, ehrlicher Melancholie und manchmal auch stillem Sarkasmus, dem man sich nur schwerlich entziehen konnte. Aus den eigenen emotionalen Tiefschlägen schuf er klingende Magie, er verzierte seine Songs mit tiefer Spiritualität, ohne nur ein einziges Mal aufdringlich zu wirken. Er vermochte uns mit offener Ehrlichkeit und harmonischer Tiefe zu berühren und zu verzaubern. Er war einer derjenigen, die Rockmusik erwachsen machten. Irgendwann wurde es still um ihn und ich hatte in den 1990er Jahren andere Probleme und Aufgaben zu lösen. Wenig Zeit für Romantik und kaum Gelegenheit, sich um Informationen zu kümmern. Neue Zeiten erforderten andere Prioritäten und mein Lieblingskanadier schien sein Pulver, so wie andere der alten Garde auch, längst verschossen zu haben. Ich kaufte mir kaum noch neue Platten und hatte in den letzten zehn Jahren gerade auch mal zehn Konzerte gesehen: Deep Purple, Rolling Stones, Pink Floyd, Yes, Jethro Tull oder The Who. Der Kanadier war nicht darunter und so mancher, den ich gern gesehen hätte, auch nicht. Was sollte denn jetzt auch noch kommen? Eine jener Platten, die mich wieder mobilisierten, waren seine zehn neuen Lieder, „Ten New Songs“ (2001). Die zehn Songs schrieb COHEN gemeinsam mit SHARON ROBINSON, die mit ihm zusammen den Zen-Buddhismus studiert und seine Platten produziert hatte. Aufgenommen und produziert quasi im Alleingang, kam das neue Album schlicht und unfassbar berührend daher. Es hat mich damals fast umgehauen, als „In My Secret Life“ und „A Thousand Kisses Deep“ aus den Rillen erklang. Da war es wieder, dieses unbeschreibliche Gefühl, das nur LEONARD COHEN in mir auszulösen vermochte. Es war die pure Schönheit von Liedern und eine Lyrik, die nach meinem Herzen griff. Cohen war endlich wieder da! Als er endlich Deutschland besuchte, die O2-Arena in stille Begeisterung versetzte und die Waldbühne mit seinen Liedern zum Glühen brachte, wollte oder konnte ich nicht dabei sein. Ich weiß nicht warum ich ausgerechnet eines seiner letzten Konzerte nicht besucht habe. Beide Male war mein Freund dabei und beide Male hat er mir was vorgeschwärmt. Nun ist es zu spät für eine neue Chance und wieder muss ich erkennen, dass man nicht alles haben kann. Selbst dann nicht, wenn man gern möchte. Der Mann mit dem magischen Timbre in seiner charismatischen Stimme ist für immer gegangen und viele haben einen Freund für’s Leben verloren. Wieder einmal wird in der Abenddämmerung im Fenster für einen meiner Helden eine Kerze brennen und ein leises „Hallelujah“ aus den Boxen klingen. Ich denke dann an eine der letzten großen Ikonen unserer Epoche, einen Künstler mit ehrlichen Visionen von der Menschlichkeit und Liebe in seinen Liedern. Dann werde ich mich in meinem Kämmerlein von ihm verabschieden und leise weinen - so long, Leonard, Du wirst mir sehr fehlen: “And I sing this for the captain Whose ship was not been built …. For the heart with no companion For the soul without a king For the prima ballerina Who cannot dance to anything“ (”Heart With No Companion”)