Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
Konzertpremiere 1974 – Wiedersehen 2012 anno 2010 & 2020 (In Erinnerung an meine Freunde Matthias Gerber und Gerhard Kreher aus Bad Liebenwerda) Dies ist ein Erinnern an Tage, als in der DDR die Förderung von Rockbands, auf Beschluss von ganz oben, bis in die letzten Winkel des Landes vorgedrungen war. Einer Zeit, der man heute nachsagt, sie wäre nur von Gängelei und Bevormundung geprägt gewesen. Das ist sicher richtig, aber wie so oft im Leben, nur die halbe Wahrheit. Ich war damals in einer Kultureinrichtung tätig, deren Aufgabe darin bestand, Volkskunst und kulturelle Aktivitäten zu fördern und zu unterstützen. Genau das habe ich in jenen fünf Jahren, von 1970 bis 1975, auch gemacht und darüber hinaus noch einiges mehr. So etwas wie Bespitzelung stand nicht in meinem Arbeitsvertrag, hat auch keiner von mir verlangt und hätte ich auch niemals gemacht. Freunde zu haben und mit ihnen etwas anzustellen, war immer die reizvollere Alternative. Ich hatte einen großen Freundeskreis, darunter viele Tanzmusiker, Amateure und solche mit der Profi-Pappe. Eine dieser Bands waren die PRIMANER aus Bad Liebenwerda: Matthias Gerber (git), Wolfgang „Fips“ Lehman (b), Manfred „Alfred“ Thielemann (dr), Joachim „Jockel“ Förster (keyb) und ein Sänger aus Gröditz, dessen Namen mir inzwischen entfallen ist. In der Kapelle spielten kurzzeitig auch andere Musiker, als Matthias zur „Fahne“ eingezogen wurde. In der Besetzung Wolfgang „Fips“ Lehmann (b), Christian „Chris“ Martin (git, voc), Thomas Gerber (keyb) und Manfred „Alfred“ Thielemann nahm die Band im August 1972 zwei Songs als Rundfunkmitschnitte auf. Die Session fand in einer Gaststätte in Großthiemig mittels eines Ü-Wagens vom Sender Cottbus statt und ich durfte, als Freund der Musiker, dabei sein. Jahrzehnte später bekam ich davon eine CD mit den beiden Songs „Ich suche dich“ sowie „Du hast mich nur angesehn“, geschenkt. Die Textvorlage für „Ich suche dich“ ist übrigens die gleiche, wie sie später von REFORM für ihre Version des Branoner-Textes auf dem Album „Löwenzahn“ (1979) verwendet wurde. Für die Puristen unter den Historikern: Es gibt also eine „Alternativ“-Aufnahme, die schon einige Jahre eher entstanden und mindestens ebenso gut ist. Dies zur Vorgeschichte. Als Mitarbeiter im Kreiskabinett für Kulturarbeit war ich für die Betreuung von Volkskunstgruppen und Dorfklubs jeglicher Art verantwortlich. Viel Raum, mich bei der Umsetzung von Ideen auszuprobieren und da ich mich nicht ausgelastet fühlte, durfte ich mich, dank eines toleranten Vorgesetzten, der gar keiner war, an mancher „neuer Mode“ auslassen und eigene Vorstellungen in die Realität umsetzen. Eine solche Idee war es, nach dem Vorbild von zentralen Beat- und Rockveranstaltungen in Berlin, so etwas ähnliches, nur eine Nummer kleiner, mit lokalen Gruppen organisieren. Dabei half mir, dass ich eben jene Musiker persönlich kannte und zwei Kapellenleiter, von Beruf Musiklehrer, quasi Kollegen von mir, waren. Die Musikschule war, so wie meine Arbeitsstelle, eine „nachgeordnete Einrichtung“ der Kreisverwaltung. Die Musiker ließen sich alle von der Idee begeistern, denn gemeinsam hatten sie noch nie auf einer Bühne gestanden. Zudem konnte ich den Kreislichtspieldirektor und den Leiter des Kinos „Capitol“ in der Kreisstadt gewinnen. Der wiederum konnte das geplante Ereignis auf die eigene Fahne schreiben und danach auch als seinen Leitungserfolg verbuchen. Bürokratie gab es damals wie heute schon, nur für mein Empfinden lange nicht dermaßen miteinander verquickt und so ungemein entscheidungsgebremst, wie es einem heute begegnet. Es ist ein Sonntag, vormittags, und die Bands bzw. die Musiker hatten die Muggen vom Sonnabend in ihren Gesichtern. Sie waren müde und eigentlich (noch) nicht zum Musizieren geeignet. In so einem Zustand wurde die gesamte Technik von drei Amateurkapellen über den Hintereingang auf die Bühne des „Capitol“ getragen. Dort bauten die WOLF-LINGE- COMBO aus Falkenberg, das CLUB-QUARTETT und die PRIMANER, beide aus Bad Liebenwerda, alles auf, was ihnen zur Verfügung stand. Für jene Tage und damalige Verhältnisse und die Tatsache, dass alle als Amateure auf der Bühne standen, sah das nicht schlecht aus. Gegen 10.00 Uhr war das Kino zu einem guten Drittel gefüllt. Natürlich hatten wir uns mehr erhofft und eine volle Hütte erwartet, aber die Akteure nahmen es gelassen. Mit leicht schlotternden Knien betrat ich damals die Bühne, um den Vormittags-Rock, mein allererstes und selbst organisiertes Rockkonzert, zu eröffnen. Ein schönes Gefühl, das ich in späteren Jahren immer wieder einmal erleben durfte. An den Beginn mit der WOLF-LINGE-COMBO kann ich mich noch sehr gut erinnern, denn die Musiker gaben mir einen Zettel mit den Songs, die sie spielen wollten. Auf diesem Zettel stand u.a. „Imagine“ zu lesen und deshalb sagte ich für den ersten Block den gleichnamigen Song von John Lennon an. Als dann die Musik begann, bin ich hinter dem Vorhang sicher vor Scham rot geworden, als stattdessen die Pop-Nummer „Imagine Me, Imagine You“ der Gruppe Fox erklang, die damals im Radio rauf und runter lief. Die Kapelle um den Bandleader und Musiklehrer Walter Wolf stand mit einer kompletten Bläsersektion auf der Bühne und spielte außerdem von Chicago deren Welthit 25 Or 6 To 4“ und die Beatles-Nummer „Ob-La-Di, Ob-La-Da“ in der Version von Marmalade. Damit waren das Publikum und ich wieder entschädigt. Das CLUB-QUARTETT mit Jürgen Kluge, ebenfalls Musiklehrer, spielte in klassischer Beat-Besetzung, wobei der Sound der Band maßgeblich von der Orgel des Musiklehrers geprägt wurde. In Erinnerung ist mir noch Procol Harum’s „Reepend Walpurgis“, bei dem Jürgen Kluge sein Können an den Tasten zeigen konnte. Außerdem spielten sie das „Perlenhaarige Mädchen“ von Omega mit dem bekannten deutschen Text – die Regelung 60:40 ließ grüßen. Den Abschluss bildeten die PRIMANER, eine Rockband um den Gitarristen Matthias Gerber und „Fips“ am Bass sowie „Jockel“ an den Tasten, der übrigens in seinen frühen Jahren als Gitarrist der Stern Combo Meissen unterwegs war. Die PRIMANER waren als Band bei den Weltfestspielen und hatten es zu einiger Bekanntheit in der Region gebracht. Sie spielten ihren eigenen Song „Ich suche dich“ und als begeisterte Fans von Santana und Deep Purple spielten sie uns „Jingo“ und „Maybe I’m A Leo“, die beide durchaus sehr anspruchsvoll für eine Live-Präsentation sind. Zum Ende coverten die PRIMANER das damals schon legendäre „How Gypsy Was Born“ von Frumpy, bei dem vor allem der Sänger seine rauchige Stimme präsentieren konnte. Das Glanzstück der Primaner und gleichzeitig auch Abschluss des Konzerts bildete der „Banana Boat Song“ von Harry Belafonte in der Art, wie ihn damals die Klaus Renft Combo, mit der sie mehrmals gemeinsam auf der Bühne standen, live präsentierte. Da die drei Amateur-Gruppen auf ihre Gagen verzichteten und das Kino „Capitol“ von der vorgesetzten Dienststelle keine Miete forderte, blieb mir bei meinem ersten Versuch als Veranstalter ein finanzielles Fiasko erspart. Die Einnahmen deckten zum Glück die Fahrtkosten der Musiker. Gewonnen habe ich die Erfahrung, dass es höllisch Spaß machen kann, Konzerte zu organisieren. Außerdem Erkenntnisse, wie es zukünftig besser funktionieren könnte, was ich ein paar Jahre später in Elsterwerda bei ROCK-MIX, einer Konzertreihe mit bekannten Gruppen, umsetzen und über viele Jahre mit Gleichgesinnten erfolgreich, bis in die 1980er Jahre hinein, durchhalten konnte. Alle drei Bands gibt es längst nicht mehr. Walter Wolf lebte als 79-jähriger (2010) in einem Dörfchen nahe Falkenberg und Jürgen Kluge gab (2010), schon Klavierunterricht für Engel im Musikerhimmel. Die PRIMANER verstreuten sich in alle Himmelsrichtungen. Matthias nach Bayern und Fips in die Pfalz. Beide hatten danach nichts mehr mit Musik am Hut. Nur manchmal, wenn er in die alte Heimat nach Elsterwerda kam, griff Matthias gemeinsam mit Freunden noch zur Gitarre. Nur noch ein einziges Mal, im Juli 2012, traf ich drei von ihnen wieder. Ein Freund von mir, der wiederum zum Freundeskreis der Band gehörte, feierte seinen runden 60. Geburtstag und spielte gemeinsam mit den drei Primanern für die versammelte Gästeschar im Burgkeller Bad Liebenwerda einige beliebte Oldies. Ich durfte einige Anekdoten aus jenen Jahren sowie ein paar Zeilen aus meinem Büchlein zum Besten geben. Es wurde ein wundervoller Abend voller Erinnerungen und Begegnungen mit Matthias, Manfred und Jockel, die ehemaligen PRIMANER und lieben Kollegen*innen aus meiner einstigen Kulturarbeiter-Zeit. Geblieben ist mir persönlich die Erinnerung an wilde Jahre in der Kreisstadt sowie an ein paar Leute, die ebenso wie ich, mehr wollten als nur das, was sie vor die Nase gesetzt bekamen. Diese Sichtweise ist mir über die Jahrzehnte eigen geblieben. Sie hat mir viele interessante Begegnungen mit Musikern, unvergessliche Stunde sowie auch einzelne Tiefschläge beschert. Nichts von alledem möchte ich heute missen, keine Panne, keinen Erfolg, auch kein Missgeschick und gleich gar nicht einen jener Freunde. Nur wer eine Vergangenheit hat, sich ihrer annimmt und damit aktiv umgeht, findet seinen Weg auch im Heute und kann zukünftiges mit eigener Erfahrung gestalten. An meine erste Konzertveranstaltung in einem Kino, das inzwischen abgerissen wurde, erinnere ich mich sehr gern. Vier Jahre nach seiner Geburtstagsfeier im Burgkeller starb mein Freund Gerhard an einer Krebserkrankung und wenig später auch Matthias an einem Tumor. „Alfred“ der Drummer trommelt manchmal „zum Ausgleich“ noch, Fips steckt irgendwo in der Pfalz und zu „Jockel“ in der Nähe von Riesa pflege ich losen Kontakt. Irgendwie beschleicht mich aber manchmal das eigenartige Gefühl, derjenige sein zu müssen, der in der Zukunft als Letzter das Licht zu löschen hat schon eine skurril komische Vorstellung …! Matthias, HH, “Alfred” & “Jockel” 2012