Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
Die Klaus Renft Combo – wie ich sie erlebte 25.11.2009 In meiner Erinnerung gibt es ein paar verschwommene Fetzen, die erst gemeinsam ein Bild ergeben, einem Puzzle gleich. Es ist das Bild einer Leidenschaft, über viele Jahre gewachsen, über Jahrzehnte umfangreich geworden, bis ins Heute nach Wahrheit suchend und doch auch nur Teil eines noch viel umfassenderen Ganzen. Doch das wusste ich damals, Ende der 60er Jahre, noch nicht. Ich war jung, voller halbfertiger Ideale sowie unheimlich neugierig, ergänzt von teils zügelloser Leidenschaft für all diese Lieder, Beat-Musik genannt, die auf uns über die „Bravo Musikbox“ oder den „Rias Treffpunkt“ einprasselten. Ich wurde Beatles-Fan ebenso wie Fan der Rolling Stones, der Small Faces, der Byrds, von The Who und der Kinks sowie mindestens hundert anderer. Aus England kam im Jahre 1969 der Film „Privilege“ auch in das Kino nach Elsterwerda. Die Nachricht verbreitete sich ziemlich schnell und auch, dass in der Hauptrolle der Sänger von Manfred Mann, Paul Jones, zu erleben sein würde. Die Stimme von „Pretty Flamingo“ und „Doo Wha Dee Dee“ wollte ich unbedingt auf der Leinwand sehen und hören. Die Geschichte dieses Films wäre schnell erzählt. Ich beschränke mich jedoch nur an den bleibenden Eindruck jener beeindruckenden Sequenz, als Steve Shorter, alias Paul Jones, im Käfig eingesperrt und an den Händen gefesselt, von der Bühne herunter sein „Set Me Free“ in die davor kreischende Schar der Fans singt und dabei auf die Knie geht. Das ist deshalb wichtig zu erwähnen, weil diese Geste später im realen Erleben wieder auftauchte. Ich weiß noch, dass wir alle wie die Mäuschen saßen und überall die Taschentücher gezogen wurden. Es ging einfach nur unter die Haut und nistete sich dort ein. Jemand nahm sogar seinen Kassettenrecorder mit ins Kino, um den Song „Set Me Free“ auch zu Hause hören zu können. Die Schallplatte gab es ja nur im Westen und erst Jahrzehnte später auch in meiner Sammlung. Das Filmprogramm allerdings kaufte ich mir und auch das wird viel später wieder von Bedeutung sein. Zur gleichen Zeit erzählte mir ein Freund, dass im Gesellschaftshaus „Hoppenz“ in Elsterwerda wieder die Klaus Renft Combo zum Jugendtanz spielen würde. Der neue Sänger der Band würde auch dieses Lied aus dem Film „Privilege“ singen. Wir gingen also tanzen, was nichts anderes bedeutete, als einen Tisch direkt vor der Bühne zu besetzen oder auf der Galerie sitzend, direkt auf die Bühne zu sehen. So konnte ich den ganzen Abend verbringen, ohne einen Blick auf die tanzenden Mädels zu riskieren. Die Erinnerungen an jenen Abend sind immer noch da. Ich sehe „Fetz“ Pachsteffel am Schlagzeug sitzen und Jürgen Matkowitz, wie er die Gitarrenakkorde in seiner ganz unnachahmlichen Art bei „Born To Be Wild“ aus den Saiten prügelt. Am linken Bühnenrand drückt Ralf Stolle die Tasten und auf der anderen Seite der Mann mit dem Bass zwischen den Beinen, Klaus Renft. Und dann beginnt dieser unheimlich klingende Chorus von Orgel und tiefen Männerstimmen, das mystische Intro zu „Set Me Free“. Da oben steht einer, nicht älter und nicht größer als ich. Der trägt die Haare fast wie ich und hat einen weißen Pulli an. Er steht zwei Meter vor mir und singt, steigert sich in diesen Song hinein bis zu dem Moment, da er auf die Knie sinkt, um „Just Set Me Free“ in den Saal zu stöhnen, so wie Steve Shorter im Film. In diesem Moment, da ich inmitten von schweißgebadeten Tanzwütigen meine Tränen nicht halten konnte, muss sich mein Leben auf eine andere Ebene begeben haben. So wie der Sänger Hansi Beyer an der Bühnenkante, der den Paul Jones gab, wollte ich auch sein! Der Name Klaus Renft hatte sich in mein Gedächtnis eingebrannt und der brachiale Sound natürlich auch. In jenen Tagen standen mein Liebe für Beat-Musik aus dem Westen und die für DDR-Kapellen gleichberechtigt nebeneinander. Die einen schenkten mir ständig neue innovative Musik und die anderen das emotionale Live-Erlebnis. Ich erlebte eine verdammt glückliche Zeit. Nach der „Asche“ war eines meiner ersten Live-Erlebnisse 1970 wieder die Klaus Renft Combo. Jedoch fand ich die Combo völlig verändert vor. Hatten die Herren 18 Monate vorher noch Bühnenkleidung im Charme der 60er Jahre getragen, so standen dort plötzlich Typen mit schulterlangen Haaren, in Jeans und einem Bier in der Band das revoluzzernde Original war geboren. Wie wilde Buben erlebte ich sie auf der Bühne, wie die Brüder von Che Guevara mit Botschaften von John Lennon. Sie sangen „Power To The People“, „Hilflos“ und den „Banano Boat Song“. Laut und wuchtig. Das meinten sie so und mir wurde klar, dass es mir ebenso ging. „Alle Macht dem Volke“ und „Wer die Rose ehrt“, das konnte nur gut und richtig sein und auch deshalb wurden sie zu Idolen in dieser DDR und wir zu ihren Fans. Wir schienen gemeinsam in eine neue Zeit aufbrechen zu wollen, glaubte ich jedenfalls. Neu war auch, dass diese „Kapelle der sechs aufmüpfigen Typen“ stolz ihre eigenen Lieder mit Lyrik in deutscher Sprache präsentierte. Und wieder erlebte ich auf der Bühnenmitte einen Typ, kaum älter als ich und mit einer Nickelbrille wie John Lennon auf der Nase. CÄSAR sang das Lied, das mir nie wieder aus dem Sinn gehen sollte, weil es eine Botschaft ähnlich „Set Me Free“ enthielt - „Wer die Rose ehrt“. Beide Songs konnte ich nacheinander hören, ohne an West- oder Ostmusik denken zu müssen. Es war ungeahnt und ungewollt die gleiche Blaupause. Dieser CÄSAR Peter Gläser faszinierte mich, berührte meine Seele und spielte mitreißend und emotional Gitarre. Ich wäre gern wie CÄSAR gewesen, dessen faszinierendes Saitenspiel ich bewunderte. Nach solchen „Tanzabenden“ ging ich stets trunken nach Hause, voll mit Emotionen und lauter wirren Ideen, wie ich denn die Welt verbessern könnte. Zum Glück wohnte ich gleich um die Ecke und meine kleine Weltrevolution dauerte nur die paar Minuten bis zum Einschlafen. Die Vision von einer besseren und menschlichen Welt aber habe ich bis heute behalten. Auch wegen der Lieder, die ich bei der Klaus Renft Combo hörte. Wenn sie in Elsterwerda aufspielte, bin ich dort gewesen. Meinem Vater, von dem ich wohl meine Leidenschaft für Musik geerbt haben muss, habe ich viel davon erzählt und ihm etwas vorgeschwärmt. Bis zu jenem einmaligen Wochenende Anfang der 1970er. Die Band spielte samstags zum Tanz und am Sonntagvormittag zum Konzert. Mein alter Herr meinte, er müsse das jetzt endlich auch erleben und so kam es, dass beim Konzert von Renft mein Vater neben mir und meinem Freund Hans-Georg saß. Die Blicke der anderen sehe ich noch heute: ein Schuldirektor mit dem Sohn bei der Klaus Renft Combo! Auf der Bühne sah man noch das Wirrwarr vom Vortag. Monster betrat die Bühne mit einem Bier in der Hand und ging zum Mikrofon. Es war so gegen 10.°° Uhr; vormittags! Doch statt brav und anständig „Guten Morgen“ zu sagen, hörten wir den bärtigen Renft-Sänger laut rülpsen und danach sang er: „Es ist Sonntag früh am Morgen“, das „Lied von der alten Woche“ nach einem Song der Baker Curvitz Army. So begann das Konzert von sechs unangepassten Typen mit all jenen Liedern, die sie damals sangen: „Gänselieschen“, „Flüsse und Tränen“, „Zwischen Liebe und Zorn“, “Ketten werden knapper“, Cäsar’s Blues“, „Baggerführer Willi“, „Apfeltraum“, Wandersmann“ und natürlich „Wer die Rose ehrt“. Diese Band befand sich in Hochform und das Publikum in Hochstimmung. Als dann ziemlich zum Schluss der „Renft-Chor“ auch noch a capella den „Banana Boat Song“ anstimmte, war mein Vater, ein Belafonte-Fan, nicht mehr zu halten. Das sind Momente, die man festhalten möchte und heute versuche ich für meinen Sohn ein ganz klein wenig so zu sein, wie mein Vater damals für mich. Als später diese Klaus Renft Combo ihren ersten Fernsehauftritt hatte, es könnte „Basar“ gewesen sein, stellte mein Vater seinen Fotoapparat auf dem Stativ vor unseren Fernseher, um diese Momente für mich festzuhalten. Dafür bin ich ihm noch heute sehr dankbar. Wenig später war die Klaus Renft Combo nicht mehr da, verboten und die „Otto-Ballade“ drang erstmals vom RIAS II in meine Ohren. Damals verstand ich die Welt nicht mehr und das ganze Theater erst viel später. Cäsar und Jochen stiegen später bei Karussell ein und ich holte die Band, mit meinem Idol Cäsar, im Jahr 1979 auf „meine“ Bühne zum Konzert, auf der ich Jahre zuvor die Klaus Renft Combo erlebt hatte. Damals schloss sich für mich ein Kreis, dachte ich, doch auch Cäsar ging einen Weg, den ich wiederum auch erst später verstand. Es wäre gelogen, würde ich behaupten, das Geschehen sofort umfassend verstanden zu haben. Elsterwerda war nicht Berlin oder Leipzig, sondern DDR-Provinz. Die Musik zum Film „Privilege“ befindet sich inzwischen in meiner Plattensammlung gleichwertig neben den Platten der Renft Combo und der Band von Manfred Mann. Als im Mai 2010 die Blues Band nach Dresden in die Tante Ju kam, war ich dabei, um Paul Jones endlich live zu erleben. Nach dem Konzert hatte ich Gelegenheit, mit ihm zu sprechen und ihm meine Geschichte von „Privilege“ zu erzählen. Er signierte das fünfzig Jahre alte Filmprogramm und meine Single mit jenem Song. Nach dreißig Jahren schloss sich endlich der Kreis. Rückblickend kann ich sagen, dass mich die Jahre zwischen 1966/67 bis Mitte der 1970er wirklich geprägt haben. Fast alles, was damals Rang und Namen hatte, erlebte ich in Elsterwerda beim Jugendtanz oder live im Konzert. Von der Theo Schumann Combo, über die Berolina Singers und Schikora bis zur Klaus Renft Combo, von Czeslaw Niemen bis zum Collegium Musicum aus Bratislawa und Skorpio aus Ungarn. Von vielen Bands und Gruppen ließ ich mir die Autogrammkarten signieren und klaute manches Poster. Auch das vom Film mit Paul Jones und das von den sechs Typen aus Leipzig. Diese Jahre haben mich sozialisiert und viel davon hat sich in meiner Matrix eingebrannt, ist Teil von mir geworden. Nach langen Jahren des persönlichen Suchens und Findens im Nachwendeland und neuem Leben trieb mich der Schock von Tod des Ur-Renftlers zum Gedenkkonzert „Tanz auf meinem Grab“. Ich war beim Konzert zur Einweihung der Renft- Straße anwesend und habe CÄSAR & die Spieler, auch als Big Band, erleben dürfen. Noch einmal rockte Hansi Beyer „Keep On Running“ auf der Bühne im „Anker“ und die Ufholz sang „Mercedes Benz“. Noch einmal erklangen die Stimmen von Cäsar und Oschek gemeinsam im Leipziger „Anker“. Beim 60. Geburtstag von CÄSAR, in der Stunde des Schmerzes und der Tränen, war ich einer unter vielen, die lauschten und weinten. Auch RENFT, nun nur noch mit Monster aus der alten Garde, habe ich nach all diesen Torturen wieder live erlebt: in Leipzig, in Torgau, Medingen und Dresden. In diesen Stunden schwankten meine Emotionen zwischen schmerzlich und freudig, weil die Erinnerungen noch immer übermächtig, aber die Gegenwart mir manchmal so fremd erschien. Der Film „Privilege“ ist Geschichte, die Klaus Renft Combo, so wie ich sie erleben durfte, ist es auch. Als Pjotr ging, fehlte der leise einfühlsame Charakter. Als Klaus starb, gingen mit ihm sein Gespür und eine geniale Integrationsfigur, die alles halten konnte. Der Unfalltod von Heinz Prüfer war ein Schock. Nach Cäsar’s Tod blieben in mir nur Leere, Fassungslosigkeit und Trauer übrig. Die aufmüpfige Combo aus Leipzig ist ohne den unruhigen Geist ihres Namensgebers, ohne Pjotr und Cäsar, sowie ohne Kuno und Jochen, eben nur noch RENFT, ein überlebtes Torso. Manchen mag das genügen und auch, dass diese restliche Monster-Combo immer öfter ausgestöpselt, statt laut, die Klassiker auf Theaterbrettern spielt. Das musste ich 2016 im Theater von Halberstadt schmerzlich erfahren. Sorry, aber das ist nicht mehr meins, andere mögen das anders sehen. Die Legende heißt Klaus Renft Combo, nicht Renft! Mir ganz persönlich fehlen die Wärme, die Unverwechselbarkeit, die Vielfalt und der stürmisch rotzige Biss, es noch mal wissen zu wollen, hier und heute und wenn’s sein muss, auch gleich. Volles Risiko! Mir fehlen der Beweis von Spitzfindigkeit und Hintersinn sowie diese grinsende Gelassenheit, die sich erst ab einer gewissen Reife einstellt, alten Wein vergleichbar. Mir fehlen die rustikale Wucht eines neuen kritischen Rocksongs, das Urbane und die Wut, noch einmal die Zunge ganz weit rausstrecken zu wollen. Plötzlich fehlt mir irgendetwas, das sich trotzig über das Altern erhebt und gerade deshalb den Mut hat, den Finger tief in die gesellschaftlichen Wunden zu stecken, wie einst. Ich habe lernen müssen, es so zu nehmen und zu akzeptieren, sich selbst wiederholend, aber unwiederholbar. Im März 2017 besuchte ich den Kuno bei einer seiner Lesungen zum „Ringelbeats“ im Moritzhof von Magdeburg und ließ mir den Roman signieren. Ich traf Jochen im gleichen Jahr bei der 40-jährigen Gala von Karussell und während meines Urlaubs auf der Insel Poel besuchte ich das Grab von Pjotr auf dem Friedhof von Kirchdorf. Am schmerzlichsten jedoch war die Beisetzung von Cäsar auf dem Südfriedhof in Leipzig, die ich gemeinsam mit hunderten Fans durchleiden musste. Mit ihm wurde ein Traum zu Grabe getragen, auch wenn Monster das heute anders sieht. Die Chancen, mit dem Namen Renft noch einmal etwas Bleibendes und Aufrüttelndes zu schaffen, sind vertan. Der Kondor ist längst im Sonnenuntergang verblutet, statt sich erneut in die Lüfte zu schwingen. Die Musik allerdings, diese wundervollen Lieder, werden bleiben, von all dem unberührt, wer auch immer sie in Zukunft singen wird. Signierte Autogrammkarte der Klaus Renft Combo aus den aus den frühen 1970er Jahren.