Klangwechsel beim Cage-Projekt Halberstadt
05.09.2020,15.00 Uhr
(„Organ2/ASLSP“ – „as slow as possible“ – “From Five To Seven“)
Manchmal
frage
ich
mich,
welche
Musik
werden
die
Menschen
in
600
Jahren
wohl
hören?
Werden
sie
noch
etwas
von
den
Beatles,
von
Bob
Dylan,
von
Czeslaw
Niemen,
Gundi
Gundermann
oder
vielleicht
Bayon
wissen
und
wenn
ja,
auf
welche
Weise
wird
man
deren
alte
Kompositionen
dann
hören?
Wenn
es
nach
einigen
sehr
engagierten
Enthusiasten
geht,
wird
erst
nach
600
Jahren
auch
der
letzte
Klang
von
„Organ2/ASLSP“
des
1912
in
Los
Angelas
geborenen
JOHN
CAGE
ausklingen.
Dann
hätte
dieses
Werk
eine
Laufzeit
von
insgesamt
639
Jahren
am
Stück
hinter
sich
gebracht.
Menschen
werden,
falls
unsere
Spezies
dann
noch
existieren
sollte,
auf
sechs
Jahrhunderte
zurück
schauen
und
sich
fragen,
was
in
dieser
Zeit
alles
geschehen
sein
mag:
Kriege
oder
Frieden?
Zerstörung
oder
doch
Erhalt?
Tod
oder
Leben?
Hass
oder
doch
Vernunft?
Beinahe
interessieren
mich
die
Antworten
auf
diese
Fragen
viel
mehr,
als
das
anstehende
große
Ereignis
an
diesem
fünften
Tag
im
September
des
Jahres
2020,
dem
Wechsel
des
Klanges
bei
„Organ2/ASLSP“ vom Ton fünf auf die Töne sechs und sieben.
Falls
sich
in
sechs
Jahrhunderten
irgendjemand
oder
vielleicht
gar
eine
ganze
Generation
diese
Fragen
beantworten
kann,
müsste
nach
heutigem
Verständnis
längst
Frieden
sein
sowie
glückliche,
kreative
Menschen
miteinander
leben
können.
Doch
heute
ist
heute,
JETZT,
und
dieses
JETZT
lässt
mich
noch
zweifelnd
in
die
Zukunft
sehen.
Daran
hat
dieser John Cage mit dieser, seiner Komposition einen nicht geringen Anteil.
Wer
die
Burchardi-Kirche,
nahe
dem
Stadtrand
von
Halberstadt,
an
einem
normalen
Tag
besucht,
wird
im
Innern
von
Ruhe
und
einem
gleichmäßigen
Klang
empfangen,
der
von
überall
zu
kommen
scheint.
Zu
diesem
Klang
passen
all
die
unterschiedlichen
Grautöne
des
Mauerwerks,
von
denen
man
überall
umgeben
ist.
Man
bleibt
stehen,
verharrt
und
versucht,
sich
zu
orientieren.
Das
funktioniert
gefühlt
erst,
wenn
man
sich
auf
das
Zentrum
des
Innern
zu
bewegt
und
allmählich
den
Raum
erfassen
kann.
Dann
entdeckt
man
das
unscheinbare
Gestell
zur
Rechten,
das
sich
als
das
eigentliche
Instrument,
die
Orgel,
entpuppt.
Dennoch
habe
ich
mich
beim
ersten
Besuch,
und
halte
es
noch
immer
so,
nach
links
gewandt.
Beinahe
tastend
bewege
ich
mich
entlang
der
Wand,
im
Uhrzeigersinn,
an
denen
die
Tafeln
der
Spender
mit
ihren
vielfältigen
und
oftmals
tiefsinnigen
Inschriften
angebracht
sind.
Man
verweilt,
man
denkt
und
manchmal
lächelt
man
ob
der
Weisheiten
und
klugen
Worte,
die
alle
auf
eigene
Weise
die
Zeit,
das
Sein
und
damit
die
Zukunft
zum
Thema
haben.
So
mancher
Spender
offenbart
mit
seiner
Tafel
feinsinnigen
Humor
oder
gar
philosophische
Tiefe.
Ich
entdecke
Namen
und
Inhalte,
zu
denen
ich
sogar
persönliche
Beziehungen
finde,
wie
die
von
Bill
Ramsey,
Arno Schmidt oder der Gruppe Silly. Jedenfalls geht es mir immer noch und immer wieder so.
Diese acht Fotos lassen sich durch Anklicken vergrößern.
Cage
verpasste
seiner
Komposition
acht
Teile
sowie
Wiederholungen.
Er
definierte
nur
die
Töne,
aber
nicht
die
exakte
Spieldauer.
Stattdessen
fügte
er
die
Vorgabe
„as
slow
as
possible“
,
also
„so
langsam
wie
möglich“
hinzu.
Wie
der
Verein
auf
die
Dauer
von
639
Jahren
kam
und
warum
Halberstadt
als
der
ausgewählte
Ort
möglich
wurde,
ist
eine
ebenso
interessante,
sowie
historisch
spannende
Geschichte,
die
auch
ich
erst
für
mich
selbst
„erfahren“
musste,
um
zu
begreifen
und
Ehrfurcht
vor
diesem
Werk
und
dem
Ort
zu
erkennen.
Deshalb
möchte
ich
mir
jene
Augenblicke
des
Klangwechsels
am
heutigen
Tag
auch
nicht
entgehen
lassen.
Meine
Lebensuhr
ist
schon
zu
weit
voran
geschritten,
als
dass ich so ohne weiteres auf ein nächstes Ereignis hoffen könnte.
Mit
einigen
hundert
Neugierigen
und
Begeisterten
stehe
ich
eine
Stunde
vor
diesem
Ereignis
vor
der
Burchardi-Kirche.
Sie
kamen
aus
allen
Himmelsrichtungen
und
mancher
von
ihnen
war
mehr
als
nur
eine
Stunde
hierher
unterwegs,
wie
die
Kennzeichen
auf
dem
Parkplatz
„Am
Anger“
verraten.
Auch
Besucher
aus
Europa
und
sogar
Asien
sind
hier
sowie
viele
Medienvertreter,
um
das
seltene
Ereignis
würdig
zu
dokumentieren.
Vor
den
alten
Mauern
der
Kirche
ist
eine
Videoleinwand
aufgestellt,
denn
das
Innere
bietet
längst
nicht
allen
Raum
zum
Teilhaben
und
da
gibt
es
ja
noch
ein
Virus
namens
Corona.
Die
direkte
Anwesenheit
ist
nur
jenen
vorbehalten,
die
ein
Ticket
gegen
eine
angemessene
Spende
erworben
haben
sowie
einigen,
die
als
Gäste
geladen
sind.
Das
eigentliche
„Happening“
aber
findet
ohnehin
im
Freien
statt,
auf
einer
Wiese,
unter
Bäumen,
auf
Steinen
sitzend
oder,
so
wie
ich,
immer
neue
Perspektiven
suchend
und
auf einem Stein stehend.
Eine
halbe
Stunde
vor
dem
Klangwechsel
wird
die
Tür
geöffnet.
Die
mit
einem
Spenderticket
sowie
die
Pressevertreter
können
eintreten.
Allmählich
versammeln
sich
auch
die
Besucher
nahe
der
Videowand,
um
das
Geschehen
im
Innern
verfolgen
zu
können.
Mit
großem
Interesse
lausche
ich
den
Worten
von
Prof.
Rainer
O.
Neugebauer
vom
Förderverein,
der
bildhaft
sowie
nachvollziehbar
das
Entstehen
des
Projektes
Revue
passieren
lässt
und
Details
zu
„Organ2/ASLSP“
„verrät“.
Nun
habe
ich
die
Bestätigung
und
bin
mir
sicher,
heute
die
richtige
Entscheidung
getroffen
zu
haben.
Es
gibt
Chancen im Leben, die nutzt man oder vergibt sie für immer! Wiederholung völlig ausgeschlossen.
Der
eigentliche
Klangwechsel
ist
dann
eine
Angelegenheit
von
nur
wenigen
Minuten.
Unspektakulär,
ja
beinahe
sachlich
und
nüchtern
werden
zwei
neue
Pfeifen
in
das
Instrument
eingeführt.
Den
„heiligen
Akt“
vollziehen
die
Cage-Preisträger
Johanna
Varga,
Sängerin,
und
Julian
Lembke,
Organist.
Plötzlich
ist
der
neue
Klang
allgegenwärtig.
Er
ist
einfach
da,
so
als
wäre
es
niemals
anders
gewesen.
Erst
dann
brandet
Beifall
auf
und
irgendwie
ist
auch
Erleichterung
spürbar.
In
vielen
Gesichtern
erkenne
ich
ein
Lächeln,
als
wollten
sie
sagen,
ich
war
dabei.
Ja,
auch
ICH
war
dabei
und
ich
fühle
mich glücklich, als ich das Geländer wieder verlasse. Doch in meinem Kopf kreiseln auch andere Gedanken.
Wird
die
kleine
Orgel
in
der
Burchardi-Kirche
diese
600
Jahre
durchhalten
und,
was
noch
viel
wichtiger
scheint,
wird
dafür
gesorgt
sein,
dass
dieses
Projekt
nicht
allein
durch
private
Spender
fortleben
muss.
Aber
die
eigentliche
Frage
wird
schlussendlich
nicht
die
nach
dem
Klang
des
Werkes
sein,
sondern,
ob
das
heutige
und
kommende
Gesellschaftssysteme
es
zulassen
werden,
dieses
Stück
bis
zum
Ende
des
letzten
Klanges
leben
zu
lassen.
Es
geht
letztlich
um
nichts
Geringeres,
als
um
unsere
Zukunft,
aber
mindestens
um
die
der
nächsten
600
Jahre,
in
denen
unsere
direkten
Nachkommen
leben
sollen.
Dazu
braucht
es
Wissen.
Es
braucht
Wissen
um
Verantwortung
und
es
braucht
Reife,
diese
Verantwortung
zum
Wohle
aller
zu
nutzen.
So
flüchtig
und
hektisch
wie
wir
heute
leben,
hat
weder
„Organ2/ASLSP“
noch
jede
andere
Form
von
Kunst
eine
Zukunft,
denn
Zukunft
heißt
verantwortungsbewusst
durch
die
Zeit
führen!
Davon
sind
wir
leider
noch
weit,
sehr
weit
entfernt.
ABER,
gern
lasse
ich
mich,
möglichst
noch
zu
meinen
Lebzeiten, vom Gegenteil überraschen. Ohne Optimismus auch keine Zukunft!