Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
BAYON & Barbara Kellerbauer im Gut Saathain 11.11.2007 Wenn mich nach all den Jahren mal jemand fragen würde, was für mich etwas besonderes in der Rockmusik der DDR gewesen wäre, würde mir neben vielen anderen sicher auch der Name BAYON einfallen und Songs wie „Blicke mit Augen“, „Und drüber wächst das Gras“, „Spur im Sand“ und natürlich „Stell Dich mitten in den Regen“ allesamt in meinem Gedächtnis und meinem Privatarchiv verankert. Und na klar die Suiten“, jene kammermusikalischen, polyrhythmischen und mit Folklore aus Kambodscha angereichten einzigartigen BAYON-Kompositionen, deren Klangwelten sich erst live richtig und intensiv erschließen. Die Musik von BAYON für den Leser zu beschreiben schwierig: Kammermusikalische Rockmusik? Noch ehe in der Westlichen Rockwelt der Begriff der „Weltmusik“ geprägt wurde und Musiker sowie Bands vom Business dort eingetütet wurden, machten BAYON in der kleinen abgeschotteten DDR genau dies Weltmusik! Eine gelungene Synthese fernöstlicher Folklore mit rockmusikalischen Stilistiken sowie kammermusikalischen Strukturen. Damals wie heute schlicht einzigartig. An diesem Novemberwochenende und ausgerechnet in meiner heimatlichen Provinz-Oase erlebe ich Barbara Kellerbauer gemeinsam mit BAYON im Konzert und in dieser Konstellation zum ersten Mal. Mein letztes Erlebnis dieser Art liegt dreißig Jahre zurück (zwei meiner damaligen Mitstreiter traf ich im Saal wieder). Ich war ungemein neugierig darauf, die beiden Saitenzauberer CHRISTOPH THEUSNER und SONNY THET wieder zu erleben und zu erfahren, wie sich diese Musik mit der Stimme von Barbara Kellerbauer ergänzen und anfühlen würde. Das spürt man auch im Gut Saathain nahe Elsterwerda. Der Saal ist gut gefüllt und ich ergattere mir einen Stuhl in der ersten Reihe. Ich möchte alles, was jetzt zu hören sein wird, intensiv genießen und ohne einen Kopf vor mir zu haben. Die einzelnen Stücke haben nicht einen Namen, sondern heißen „Suite“ und sind schlicht durchnummeriert. Dies geschieht bewusst, um Konzertbesuchern die schier endlosen Klangräume zur Eigeninterpretation und zum Meditieren zu öffnen. Nur keine, wie auch immer gearteten, formalen Einschränkungen oder Vorgaben. Es ist schon berauschend, wie die beiden Vollblutmusikanten sich bei dem, am Jazz orientierten, freien Spiel die Einsätze „zuwerfen“ und feine Soundgebilde miteinander verweben. Ich tauche also ein in Klänge und Rhythmen, erzeugt von Laute, Gitarre und Cello und lasse mich, wie wohl die meisten Anwesenden auch, von meiner Fantasie treiben und genieße den Klang im Saal. Die knisternde Spannung ist mit Händen zu fassen und löst sich erst im Applaus, als die Töne dem Raum schon entschwunden scheinen. Nun könnte man meinen, Barbara Kellerbauer hätte es verdammt schwer, danach diese Stimmungen weiterzuführen. Von wegen! Wir erfahren eine dezente Steigerung, wie sie eben nur eine Künstlerin beherrscht, die nicht sich, sondern die Musik sprechen, resp. ihre Stimme klingen lässt. Es ist wie eine Art Versprechen, mit ihr gemeinsam dem musikalischen Traum vom Fliegen zu folgen, sich auf Heine und Mikis Theodorakis einzulassen und wenn man dann ihre Interpretation von „Liebe fliegt den Schwalben gleich“ als Fingerzeig aufs Heute begreift, liegt man sicher nicht verkehrt! Das alles passt, ist filigran und kräftig sowie ungemein intensiv. Und sie versteht es, mit Worten zu berühren, etwa als sie nachdenklich und leise über eine mögliche gesamtdeutsche Nationalhymne nachdenkt: „Anmut sparet nicht noch Mühe“. Deren Nichtvorhandensein als vergebene Chance zu begreifen, wird in diesem Moment einmal mehr deutlich. Von ihr im Original gesungen, verdichtet sich dieser Eindruck noch mehr. Ganz anders der Teil, als Barbara Kellerbauer gemeinsam mit ihrer Tochter Johanna über die Querelen philosophiert, einer Katze notwendigerweise eine Pille zu verabreichen. Die bis dahin aufgebaute Spannung löst sich, der Saal wird von Lachsalven dominiert und mein Zwerchfell spüre ich noch Minuten danach. Ein weiterer Glanzpunkt des Abends ist die „Barcarole“, eine Perle mit Groove und instrumentaler Finesse, bei der sich zu den beiden Musikern von BAYON noch Johanna an der Violine und der Pianist Reinmar Henschke ( Ulla Meinecke ) am Bass gesellen. Für mich ganz persönlich war es außerdem das Liebeslied, gesungen 1965/66 von Christel Schulze (*), bei dem mich Erinnerungen aus früher Jugend einholen, mich quasi überrennen und mich für Momente tief im Innern berühren. Als dann ganz am Schluss des Konzertabends doch noch ein Lied von BAYON gesungen wird, ist die Welt für einen Augenblick nur noch schön. „Stell dich mitten in den Regen“ mit der Stimme von Barbara Kellerbauer, das muss man erlebt haben! Sich ganz und gar auf Musik und Texte einzulassen bei Konzerten gelingt mir nicht immer. In diesem Fall war der Einladung der Beteiligten nicht zu widerstehen, sich einzulassen und Gefühle zuzulassen, sich wieder einmal selbst zu entdecken. Momente wie diese sind angetan, die harte Kruste, die viele für das heutige Leben aufgebaut haben, für den Hauch eines klingenden Momentes zu vergessen und den Inhalten Raum zu geben. Wir sollten uns mehr davon antun, genau deshalb! Nach dem Konzert kann ich nicht anders, ich muss zu ihr und zu Christoph Theusner, meine übersprudelnden Gedanken mitteilen und mir die Amiga-LP signieren. Es ist eine intensive Begegnung, von der ich noch lange zehren werde. Ein herzliches Danke an Barbara Kellerbauer für dieses Foto.