Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
Karat live in Derenburg 06.08.2016 Support: Sunbeat, Quotime & Black/Rosie Seit knapp zwei Jahren lebe ich jetzt in Sichtweite zum Brocken. Ich besuche neue Orte und Plätze, lerne Menschen kennen und fühle mich ganz langsam hier heimisch. Ein Harzer allerdings, werde ich wohl nicht mehr werden, aber ich erkunde immer öfter die regionalen Besonderheiten, die in keinem Reiseprospekt zu finden sind. Auch im kleinen Städtchen Derenburg gibt es solche herrlichen Winkel. Fährt man aus Halberstadt kommend hinein, fühlt man sich um Jahrzehnte zurück versetzt, weil die Straße von alten Fachwerkhäusern gesäumt ist. Dann wiederum wird man vom Wendebauwahnsinn geradezu erschlagen, fährt man in Richtung Wernigerode wieder aus dem Ort heraus. Auch hier hat die Gründerwut ein Gewerbegebiet an den Ortsrand gesetzt und auf diesem Gelände findet heute ein Open-Air-Konzert mit KARAT, sowie drei lokalen Bands, statt. Ich finde sogar noch ein Plätzchen, um mein Fahrzeug sicher abzustellen. Beim Betreten des Festgeländes verklingen gerade die letzten Klänge der jungen Band Sunbeat. Vor der Bühne drängen sich schon die Fans von QUOTIME, um den Hits von Status Quo zu lauschen, der sich die lokale Tribut-Band verschrieben hat. Ihr Outfit - Jeans, weißes Hemd und Weste passt zum Anspruch, wie die Vorbilder auszusehen. Neugierig drängle ich mich in die vorderen Reihen, um den Harzer „Francis Rossi“ aus der Nähe betrachten zu können. Von der Bühne ballern mir die typischen Boogie-Riffs entgegen, von denen ich mich im einsetzenden Regen mitreißen lasse: „Whatever You Want“. QUOTIME zupfen sich durch einige der großen Quo-Hits von „Wanderer“ bis „What You’re Proposing“ und lassen sogar die uralte Nummer „Pictures Of Matchstick Men“ nicht aus. Da ist der inzwischen betagte Beat-Jünger in mir für zwei Minuten wieder ein Beat-Fan alter Schule. Die Herren von QUOTIME lassen mich den Regen vergessen, der Körper wippt im Boogie-Rhythmus und die Band streut rockige Heiterkeit in die Massen. Ein schöner Auftritt! Der Regen ist vorbei. Fünf, in grelles Outfit gekleidete Rockerladies, stehen auf der Bühne und kehren uns ihre knackigen Ärsche zu. Doch schon beim ersten Akkord sehen wir BLACK/ROSIE von vorn, wir spüren die Energie der Band, die sich der Musik von AC/DC verschrieben hat und weiß Gott, da bleibt kein Auge trocken! Wir bekommen gnadenlos „High Voltage“ auf die Ohren und die Augen dürfen sich an einer hinreißenden Power-Show erfreuen. Das kurze Set ist mit einigen der großen Welthits, wilden Gesten und rockigen Posen gespickt, die man nicht zwangsläufig von einer Cover-Band erwartet. Mal davon abgesehen, dass die großen Knaller wie „Hells Bells“ oder „Whole Lotta Rosie“ ganz von selbst funktionieren, lassen es die heißen Ladies gnadenlos krachen und rocken, dass die Fetzen und Haare fliegen. Headbanging und Bühnenstunts inklusive. Die Zeit vergeht auf dem weiblichen „Highway To Hell“ blitzschnell und verdammt laut krachend. Als sich das Damen-Quintett unter tosendem Applaus verabschiedet, bin ich beinahe wieder in trockenen Tüchern und der Himmel deutet Versöhnung an. Diese Damenkapelle werde ich mir irgendwann noch einmal ansehen, aber dann ein ganzes Konzert. Pünktlich zwei Stunden vor Mitternacht ist die Bühne in rotes Licht getaucht. Es ist schon ein Weilchen her, dass ich KARAT live sah. Dennoch klingen die ersten Töne sofort vertraut. Die Band, die sich einst aus Panta Rhei löste, hat mittlerweile auch schon mehr als vierzig Jahre auf ihrem Buckel und wer sich auskennt, weiß auch, dass von den damaligen Gründungsmitglieder kein einziger Musiker mehr dabei ist (wie übrigens bei Silly auch). Die großen Hits entstanden auch bei KARAT erst mit deren „Mark II“-Besetzung. Ich habe das Gefühl, dass ich hier mit vielen anderen stehe, um einige dieser alten großen Nummern live zu hören und in Erinnerungen zu schwelgen. In den nächsten zwei Stunden bekommen wir genau das auf die Ohren und auch in die Herzen geträufelt. KARAT ist eine Live-Band. Wenn die losrocken, dann klingen die vertrauten Melodien kräftiger, als von der Konserve, rockt die Gitarre von Bernd Römer deftig trocken oder kann gefühlvoll bezaubern. Diese Band verdichtet den Sound, passt ihn heutigen Hörgewohnheiten geschmeidig an. KARAT rockt ihre eigene Vergangenheit vom „Albatross“ bis zu den „Sieben Brücken“ und hat mit Claudius „3lich“ einen idealen Ersatz für den Senior am Mikrofon gefunden. Ich genieße die treibenden Stakkato-Folgen von „Jede Stunde“, mit der Mundharmonika-Einlage von Martin Becker, und ich segle mit einem maroden „Narrenschiff“ durch vergangene Zeiten. Nur ab und an wird diese Reise von aktuellen Klangtupfern wie „Seelenschiffe“ und „Weitergehn“ ergänzt, die sich live nahtlos zwischen die Klassiker einfügen, aber dennoch deren Glanz nicht erreichen. Dem Kenner fällt das Fehlen von Swillms auf, die Jugend hat ihr Vergnügen. So geht nun mal Rock’n’Roll. Die Musik von KARAT verleitet zu großen Gesten, bei denen sich die Band mit abwechselnd rotem und blauem Licht inszeniert. Knapp tausend Besucher lassen sich darin treiben, geben sich ihren Gefühlen hin und genießen „Jede Stunde“. Ich selbst liebe das effektive, aber auch extravagante Gitarrenspiel eines BERND RÖMER und ich ertappe mich dabei, wie ich immer wieder auf dessen Finger schaue. Wenn dann die Band die Ballade vom sterbenden „König der Schwäne“ zelebriert, ist es genau dieser Saitenzauber, der dem Ganzen die „Schwanenkrone“ aufsetzt. Doch auch so ein Kleinod wie „Blumen aus Eis“ hat sich fest im Gedächtnis einer ganzen Generation verankert und man kann gut spüren, wie die Lieder bei den Fans verinnerlicht sind. Auf kaum einen Song trifft das mehr zu, als auf die „Sieben Brücken“, über die der nächtliche Chor aus tausend Kehlen traumwandlerisch sicher zu gehen (und zu singen) vermag. Natürlich erinnert der Junior an den Senior, der über viele Jahre das Gesicht von KARAT war und man kann noch immer den Kloß in seiner Stimme nachfühlen, wenn er den Gruß „nach oben“ schickt und „Mich zwingt keiner auf die Knie“ präsentiert. Die Band lässt sich feiern und die Besucher genießen die schönen Lieder ihrer Jugend, ehe kurz vor Mitternacht die „Edelsteine des Ostrock“ den emotionalen Abend in Rot und Blau ausklingen lassen. Wer, so wie ich, die vielen Live-Erinnerungen von einst mit sich herumträgt, spürt natürlich, dass sich nicht nur die Zeiten geändert haben. Auch die Musik unserer „gealterten Garde“, so sie noch auf den Bühnen steht, klingt heute anders. Doch sie klingt noch und kaum etwas ist schöner, als das erleben zu dürfen. Für mich spannen solche Augenblicke einen Bogen über große Erlebnisräume, die meinem Leben einen Stempel aufgedrückt haben und dessen Konturen ich in diesen zwei Stunden wieder gut spüren konnte. Was kann jetzt eigentlich noch kommen? Die nächsten Jahre bis zur runden 70, und die darüber hinaus, werden es zeigen.