Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
Jule Werner Band – Blues im Museumshof 30.07.2021 Nein, nicht der „Summer Of 69“, sondern die Ausgabe 2021 regiert derzeit. Die Regentschaft besteht aus Massen schwülwarmer Luft einerseits und Unmengen an Wasser anderen Ortes. Die Verteilung ist ungleich und ungerecht sowieso. Während Verantwortliche seit Jahrzehnten nur reden, vertrösten und schwindeln, dass sich die Balken biegen, schafft die Natur Tatsachen. So ganz ohne Rücksprache und weil sie es kann. Weil uns zudem ein Winzling namens Corvid zusätzlich piesackt, würde ich gern mal wieder meine Batterien aufladen. Das Abenteuerland sah mich gestern, heute bin ich zusätzlich beim Sommerblues im Museumshof von Aschersleben. Gut versteckt zwischen Häuserwänden, mitten in der Stadt, ist mein Platz reserviert. Hier will ich mir Blues’n’Soul von Jule Werner & Band gönnen. Bis zum Beginn ist noch Zeit und deshalb gönne ich mir zusätzlich einen eiskalten leckeren Cocktail, gemixt vom Bandleader und Gitarristen Wolfgang Maywald, der ansonsten im Cafè Fledermaus, Quedlinburg, zu Hause ist. Meine Jugendjahre sind die wilden 1960er, inklusive dem „Summer Of Love“. Damals formte sich mein Musikverständnis und in den 1970ern reifte es aus. Innovation sowie Experimentierfreude schrieb man groß und deshalb setzen die Songs jener Tage noch immer Maßstäbe. Nachdem Wolfgang Maywald seine Aufgaben als Cocktail-Mixer hinterm Tresen erfolgreich absolviert hat, steht er jetzt mit seinem Instrument auf der Bühne. Leise Gitarrenklänge schmeicheln meine Ohren und schon bald entwickelt sich daraus „All Along The Watch Tower“ von Bob Dylan, das Jimi Hendrix zur Rock- Hymne formte. In der Schwüle des heutigen Abends scheinen die Töne noch einen Tick langsamer zu werden und Jule Werner färbt sie mit ihrer, vom Soul geprägten Stimme, zudem dunkler ein. Ein Rock-Rentner schlürft dazu seinen Cocktail und grinst genüsslich in sich hinein. So kann es von mir aus weiter gehen, denke ich, da singt die Lady auf der Bühne als nächstes vom liebsten Hobby der Frauen: „Kaufen (alles und noch mehr)“. Ein wenig fällt es mir schwer, die Ironie dahinter zu entdecken. Ich denke eher, dieses Hobby ist real wie der fließenden Boogie, wie die soulige Frauenstimme und das knackige Solo des Gitarristen. Ein lauwarmer Sommerabend, triefender Blues und geschmeidiger Soul sowie ein kühles Getränk auf dem Tisch. Mir geht’s gut. Vor mir musiziert ein bestens aufeinander abgestimmtes Musikantenpaar. Das Gitarrenspiel und Jule’s Gesang harmonieren bestens miteinander und im Hintergrund agiert ein solides Dreiergespann aus Keyboard, Bass & Drums, ein Musikantenteam aus Aschersleben und Quedlinburg. Die Band verteilt „99 Pounds“ von Ann Peebles für die Gäste und die sind hörbar davon begeistert. Die meisten kennen und verstehen sich und die kleinen Witzeleien. Mit einer Stimme, nah am Timbre von Amy Winehouse, ist es kein Wunder, dass uns Jule an diesem Abend auch Songs der Rock- Lady aus dem „Club 27“ zu Gehör bringt. Für Rock-Rentner der früheren Jahre gibt es den „Road House Blues“ der Doors und für Liebhaber gehaltvoller deutscher Rock-Lyrik einen „Blues in Deutsch“ von Holger Biege: „Kein Geld da für Schulen und Bildung die Herrn, die das Schiff fleißig schaukeln, grinsen dich an, drehn sich um.“ Es ist genau jene Mischung, die ich mir insgeheim erhofft hatte. Abschalten, den Klassikern lauschen, die mich eingenordet haben und mittendrin eigene Lieder wie „Fliegen“ aus ihrem Album „Traumland“, die sich nahtlos in die abendliche Feinkost integrieren. Genau so hatte ich die Band um Frontfrau Jule Werner vor Jahren kennen gelernt. Als die „Harzkapelle“ dann noch ihre Version von „What Good Can Drinkin’ Do“, eine Hymne für die Liebhaber von hochprozentigen Getränken („gimme whisky, gimme bourbon, gimme gin“), abfackelt, brennt die Luft im Museumshof. Na dann Prost, liebe Gemeinde! Inzwischen hat die Nacht ihr Dach über Ascherleben aufgespannt. In Zwielicht getaucht, intoniert die Band „Break On Through (To The Other Side)“ einen dunklen Blues aus der Frühzeit der legendären Doors und lässt ihm „Piece Of My Heart“ von Janis Joplin folgen. Wenn jetzt Feuerzeuge leuchten oder Kerzen flackern würden, wäre die Illusion fast perfekt. In solchen Momenten spüre ich wieder, dass all der neumodische und zusammen gerührte Pop-Brei nichts für meine verwöhnten Ohren ist. Ich habe mich an eine ziemlich hohe Messlatte gewöhnt und mag aus den Zähnen gepresste Banalitäten nicht! Da lasse ich mich gern stur nennen. Rock-Rentner lieben Songs wie „Paint It Black“, das ich mir zum Ausklang genüsslich in die Ohren träufeln lasse. Das Teil hat 55 Jahre auf dem Buckeln und verstrahlt immer noch die gleiche Magie wie einst. Hinter mir wird gejubelt und gepfiffen, als befände ich mich in einem der legendären Beat-Schuppen meiner wilden Jugendjahre. Wie viele Jahre inzwischen auf meiner Uhr ablesbar sind, gerät in diesen Minuten zur Nebensache. Ob dieses Phänomen in weiteren fünf Jahrzehnten auch noch auftreten wird …? Die Zeit bis dahin ist schneller vorüber, als sich heutige Jugendliche vorstellen können. Beim abschließenden „Light My Fire“ stellt die Frontfrau ihre Mitstreiter auf der Bühne vor. Da sind es bis Mitternacht schon weniger als zwei Stunden. Für Zugaben keine Chance. Die Einheimischen mögen jetzt vielleicht noch eine Weile beisammen sitzen, plaudern und leise fröhlich sein. Für mich sind diese Augenblicke des Ausbremsens keine Option mehr, ich mag sie nicht. Gute Stimmungen darf man nicht per Anweisung ausbremsen, verbieten, man sollte sie ausklingen lassen. Was (zur Hölle) geht in den Köpfen mancher verantwortlichen Zeitgenossen eigentlich vor, denke ich, doch da rollen die Räder schon wieder auf der Piste heimwärts.