Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
Jenny & Kay Berkel im Volksbad Buckau 25.11.2016 So etwas Ähnliches ist mir schon einmal passiert, als ich eine Scheibe von Serena Ryder in den Player schob. Da erreichte eine Stimme voll fremder Schönheit und fesselnder Faszination meine Ohren und von jetzt auf gleich hatte die junge Schönheit einen Liebhaber ihrer Musik mehr. Diese intime Version der „Sisters Of Mercy“ von Altmeister Leonard Cohen ging mir tief unter die Haut. Ihre eigenen Songs machten mich neugierig auf mehr. Nun sitze ich im Magdeburger Volksbad Buckau und lausche zwei traumhaft schönen jungen Stimmen aus dem fernen Kanada. Beinahe ein Deja Vu, denn vor wenigen Tagen starb Leonard Cohen. Daran denke ich und höre die Lieder von JENNY BERKEL, die ein wenig wie der weibliche Nachhall mancher Songs des Kanadischen Großmeisters klingen und mich frösteln lassen. Wieder einmal bin ich fernab jeglicher Klischees und Hörgewohnheiten unterwegs und werde zwei Stunden später, völlig vom Klang verzaubert, wieder in die Nacht und den Nebel eintauchen. Folk kommt aus den Tiefen der menschlichen Seele, ganz egal, ob ihn eine afrikanische, europäische oder amerikanische Mutter geboren hat. Da ist noch nichts anerzogen, nichts übergestreift und keiner wagt irgendeinen Vergleich. So wie bei den frühen Liedern der Carter Family oder als ich das erste Mal die zierliche Tiny Vipers erlebte. Plötzlich ist man mit dem, was man hört, und mit sich selbst völlig im Reinen. Wer das einmal erlebt hat, wird es immer wieder suchen und finden. Der Zufall führte mich zu JENNY & KAY BERKEL aus Kanada, die nun beide im stimmungsvollen Licht einer auf vorweihnachtlich dekorierten Bühne direkt vor mir stehen. Beide ganz in schwarz gekleidet. Jenny in einem langen Kleid und Kay in einem kurzen Röckchen, die langen Haare noch oben gesteckt. Zwei Mikrofone, zwei Gitarren und zwei Stimmen. Die eine weich wie Samt, die andere klar wie ein Gebirgsbächlein. Die Gitarrensaiten nur spärlich zupfend, während beide Stimmen leicht darüber zu schweben scheinen. So etwa könnte man sich „How Red The Bloom“ vorstellen, blumig und verführerisch duftend. Ebenso, nur noch einen Tick rauchiger und langsamer, empfinde ich „Green Coat“, einen Song vom neuen Album „Pale Moon Kid“ (2016) und der erinnert mich in dieser Stimmung an den „Famous Blue Raincoat“ von Leonard Cohen; gedämpfter Klang und fremde Worte voll Poesie. In diesen Augenblicken bin ich froh, die Fahrt hierher, durch den langsam aufkommenden Nebel in die verborgenen Seitenstraßen der Elbestadt, auf mich genommen zu haben. Die beiden Geschwister stehen beinahe bewegungslos auf dem Podium, während sie die neuen Lieder vom Album „Pale Moon Kid“, sowie zwei wunderschöne Folk-Klassiker, präsentieren. Manchmal treten sie zur Seite oder einen Schritt zurück. In ihren dunklen Kleidern verfließen ihre Konturen beinahe mit dem Schummerlicht des Bühnenhintergrundes. Alles an diesem Abend scheint sich nur auf ihre Musik zu konzentrieren und die Faszination, die von den beiden Stimmen ausgeht. Die samtweiche dunkle Stimmfärbung von JENNY, etwa der von Tanita Tikaram vergleichbar, harmoniert wirklich perfekt mit der dezent aus dem Hintergrund klingenden hellen Stimme von KAY, die mit geschlossenen Augen am Mikrofon steht und singt. Ihr Gesang ist wie die Schönheit von Eisblumen, die langsam am Fenster zu wachsen scheinen, während die Sonne sie schon wieder aufzutauen versucht. Schon fast schmerzhaft schön, zum Greifen nah und dennoch ganz weit entrückt. Die fein gewobenen Lieder wirken wie ein zerbrechliches Netz auf mich, das man beim Berühren zerstört unwirklich faszinierend, wie nicht von dieser Welt. Dennoch erzählen sie kleine Episoden, beschreiben ihnen bekannte Orte in Kanada und singen von der Liebe. Zwischendurch erzählen sie, wie und wo sie ihre Melodien fanden oder wie ihnen eine der alten Folk-Songs begegnete. Eine dieser Folk-Perlen rührte beide zu Tränen, während sie im Auto Radio hörten. Uns präsentieren sie ihre Version von „Talk To Me Of Mendocino“ der McGarrigle Sisters, eine Nummer zum Wegschmelzen und Heulen, wunderschön! Ein weiteres solches Kleinod bekommen wir mit „Blues Run The Game“, ehemals von Jackson C. Frank, zu hören. Doch irgendwie passen die eigenen Lieder am besten zu JENNY BERKEL und dann spürt man auch, wie sich die beiden Schwestern blind in die Songs, deren Gedanken, Träume und Hoffnungen, fallen lassen. Wenn beide von „Winnipeg“ oder der Einsamkeit in „Pale Moon Kid“ singen und dann poetisch umschreiben, wie man sich fühlt, weil in der alten Blockhütte nur noch für eine Nacht Feuerholz vorhanden ist. Diese Sehnsucht, die irgendwo in den Wäldern von Ontario zu Hause ist, und der „Half Dream“, der halbe Traum, der in den Weiten des Landes entschwindet, lassen mit der Musik bei mir Bilder entstehen. Das ist der eigentliche Zauber der Lieder wie „Wealth In The Country“ (Reichtum des Landes) oder „Tall Tales“ (Lügengeschichten) von der neuen CD der JENNY BERKEL, die in diesem kleinen Klubsaal erklingen. Am Ende und als Zugabe erklingt noch „Half Dream“, der Opener der neuen CD, und dann liegen beide Gitarren verlassen auf dem Boden des Podiums, zum Schweigen verdammt. JENNY und KAY BERKEL, die beiden Schwestern, sind noch einige Minuten in Gespräche eingebunden und dann ist der Raum wieder leer, beinahe kahl. Nichts deutet mehr darauf hin, dass hier eben noch zwei Grazien ihr Publikum verzauberten. Nur der helle große Weihnachtsstern leuchtet über dem Podium, fast so wie der „pale moon“ aus dem Lied. Der Zauber ist vorüber, leider. Diese vier Fotos kann man durch Anklicken vergrößern. Am Ende des Abends sehe ich in einige staunende Gesichter, fühle mich selbst irgendwie verlangsamt und versuche, die eigenen Eindrücke zu sortieren. Was mich an diesen intimen Abenden reizt, ist das Gehörte in Gesprächen mit den Künstlern vertiefen zu können, etwas nachzufragen oder einfach auch die erste Begeisterung mitzuteilen. Dann weiß ich, dass ich reicher, mit neuen Erfahrungen aufgeladen und vielleicht auch ein wenig entschleunigt zurück in mein tägliches Leben fahre. Das „Pale Moon Kid“ namens JENNY BERKEL und ihre Schwester KAY würde ich gern in ein, zwei Jahren wieder treffen. Bis dahin muss mir die Musik der inzwischen signierte CD genügen. Außerdem nehme ich Erinnerungen an einen zauberhaften Abend im Volksbad Buckau mit auf die Piste.