Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
Jackie Bristow – Songs voller Leidenschaft 07.07.2019 Sie hat ihr Versprechen gehalten. Ein reichliches halbes Jahr nach ihrem uns alle überwältigen Konzert in der Kulturkneipe Papermoon, steht sie erneut, mit ihrem kongenialen Partner, an gleicher Stelle, um uns Lieder zu singen. Niemand hier wusste vorher etwas von ihr oder über sie. Sie kam, sie sang und sie nahm uns, dank einer natürlichen Ausstrahlung und faszinierenden Stimme voller Leidenschaft, mit auf eine Reise in die Gedankenwelt ihrer Lieder. Das ging so tief, dass jedem, der das miterlebte, das Herz hüpfte und jubeln ließ. Jener Abend nach dem Konzert soll noch eine sehr turbulente Fortsetzung gehabt haben, an deren Ende JACKIE BRISTOW versprach, wiederzukommen. Yes, she did it again! Trotz Volksfest und Töpfermarkt auf dem Domplatz bleibt das Papermoon nicht leer. Neben bekannten Gesichtern sehe ich viele, die wahrscheinlich vom Hörensagen neugierig sind und Familie Rautzenberg aus Stangerode mit Tochter HANNA, die ihrem Support entgegen fiebert, treffe ich auch wieder. Es ist wie Eintauchen in eine sich regelmäßig treffende Gemeinschaft von Musikliebhabern jeglicher Couleur. Dies ist einer der Gründe, die mich immer wieder zum Papermoon ziehen und die Nähe zu Musikanten sowie die Möglichkeit, nach getaner „Arbeit“ miteinander locker mit ihnen zu plaudern, ein anderer. So liebe ich es und deshalb kann mir manch „große“ (Ost)Rock-Legende, die von Security und Gästelisten abgeschirmt wird, inzwischen gestohlen bleiben. „All Things Must Pass“. 1) Der Nachwuchs, vielleicht selbst einmal in jene Gefilde aufsteigend, lauert bereits in den Starlöchern und steht, noch ein wenig schüchtern lächelnd, wenig später am Mikrofon. HANNA RAUTZENBERG tat dies im vergangenen November schon einmal und überraschte mit einer Stimme, die, für ihre Jugend, ungewöhnlich rau, weich und gegen den Strich gebürstet wirkte. Doch auch diesmal ist es ihr Talent, diese Stimme einzusetzen und in ausschließlich eigenen Liedern leben zu lassen. Mit ihrer Gitarre steht sie vor uns und singt von Gedanken und Begebenheiten, die sie bewegen. Von den „Blutigen Tränen“ („Bloody Tears“) vom „Lügen lernen“ („Learnin To Lie“) und sehr emotional darüber, wie man sich ohne ein Zuhause, also obdachlos („Homeless“) fühlen muss. Dabei ist diese Melodie nicht etwa ein Cover jenes berühmten Hits von Paul Simon, sondern eine ganz eigenständige Komposition. Am Ende ihres Vortrages habe ich das Gefühl, eine andere HANNA erlebt zu haben, als vor Monaten. Wenn sie diesen Weg zielstrebig in die Zukunft, auf eigenen Füßen und nicht auf fremden Bohlen, weitergeht, werden wir eine erfrischend andere Künstlerin erleben können. „You Better Believe It, Baby“. 2) Das alles hat JACKIE BRISTOW, in Neuseeland geboren und in den USA zur Künstlerin gereift, schon hinter sich. Sie hat einige Teile der Welt bereist und mit großen Namen die Bühnen geteilt. Dass sie heute wieder im kleinen Papermoon, umwerfend lächelnd, vor uns steht, ist einer jener Momente, die man(n) gern auch zwei Mal erlebt. Sie nimmt ihre Gitarre, wechselt mit MARK einen Blick, ihre Finger gleiten über die Saiten und ihre Stimme verzaubert mit „Shot Of Gold“, dem Titelsong ihres aktuellen Albums. Für mich ist dieser Augenblick ein Deja Vu, aber zugleich auch eine Parallele zu Erlebnissen, die ich bei Gretchen Peters oder Melanie Dekker auch hatte überrascht zu werden und nicht mehr vom Gehörten lassen können. JACKIE dringt mit ihrer subtil facettenreichen Stimme sofort tief unter die Haut. Ich lasse mich fallen und genieße, wie ihre Mimik den Worten sichtbaren Ausdruck verleiht. Es ist fast wie Magie, so lässig, ausdrucksstark und dennoch so ungemein einschmeichelnd, geht ihr Gesang ins Ohr. „Can’t Get Enough Of It“! 3) Natürlich kenne ich inzwischen diese Lieder, deren Melodien mit ausgefeilten Ideen jeden Zuhörer in ihren Bann ziehen können. JACKIE fesselt durch ihre Hingabe und mit einer Leichtigkeit, der niemand widerstehen kann. Ganz besonders dann, wenn man unmittelbaren Blickkontakt hat. Sie singt „Whistle Blowing“ und mir ist, als würde ich ihren Atem spüren. Sie stimmt „Blue Moon Rising“ an, MARK zupft die Saiten dazu und dann heißt es zu stampfenden Blues- Akkorden „we gonna rock“! MARK ist einer der echten Urgesteine des Rock’n’Roll, der noch mit den blanken Fingernägeln in die Saiten greift, sie zupft, reißt oder zieht, dass der Blues im Raum wimmert oder schreit und JACKIE neben ihm lasziv die Hüften kreisen lässt und lächelt. Das ist für mich Rock’n’Roll in seiner ursprünglichen Form, der mich im Herzen trifft und tief innen berührt. Eigentlich müsste ich meinen Arsch heben, alles und jeden um mich herum vergessen und einfach den Rhythmen folgen, tanzen – „Dancing The Night Away“. 4) Und dann kommt der Song wieder, auf den ich gehofft hatte: „Falling Youth“. Ein unbekannter Soldat schrieb seine Gefühle mitten im Kriege auf. Ein Freund von JACKIE fand die Zeilen in einer Bibliothek und trug sie über Jahre bei sich. Irgendwann später bat er sie, für die Worte eine Melodie zu finden. Es wurde ein Lied, das aufrüttelt und betroffen macht. Man meint der Stimme jenes fremden Soldaten zu lauschen, wenn JACKIE die Worte fließen lässt: „He stared at me through faded eyes, this is how a young man dies“. Heißt in etwa: „Er starrte mich mit welkenden Augen an, so ist es, wenn ein junger Mann stirbt.“ Mich erinnern diese Zeilen immer wieder an den Australier Eric Bogle und seinen Song vom „No Man’s Land“, das man hierzulande in der Version von Hannes Wader als „Es ist an der Zeit“ kennt. Ja, sie haben es getan und sie belügen uns noch immer dermaßen, bis sich die Balken biegen. „When Will They Ever Learn?“ 5) Natürlich kann ich Musik auch einfach nur genießen. Still sitzen, gedanklich der „Easy Road“ folgen und den beiden Musikern beim Spiel zusehen. Ich kann dem wilden Solo von MARK PUNCH in „Circle Round You“ begeistert lauschen und mich bei „Surrender“ ganz dem Zauber der Stimme von JACKIE BRISTOW hingeben, die alle Nuancen zwischen samtweich, ruppig rau und klirrend hell fast spielerisch auszuloten vermag. Ja und das alles von Angesicht zu Angesicht wie im eigenen Wohnzimmer. Dafür verzichte ich schon mal gern auf einen Nachmittagskaffee zur gleichen Zeit zu Hause. Das Leben kann jedem (der möchte) mehr bieten, als fade Selbstbefriedigung via Zwitschern und Gesichtslähmung auf Raten. Das muss auch eine der anwesenden Damen erfahren, die heute ihren 81. Geburtstag begeht. Plötzlich ist „Happy Birthday“ zu hören, die Tochter bittet ihre Mutter in die Mitte und dann singen wir alle für das Geburtstags“Kind“ unser kleines Ständchen. Wieder ging ein Wunsch in Erfüllung. Von den anderen Wünschen des Lebens singen JACKIE und MARK mit einem Klassiker, den ich noch aus ganz frühen 1970er Jahren im Ohr habe. „Drift Away“ rockt das Papermoon und einige hält es beim Refrain „Oh give me the beat boys and free my soul, I wonna get lost in your rock’n’roll and drift away” nicht mehr auf ihren Stühlen. JACKIE winkt und schon stehen HANNA und ihre Mutter direkt neben JACKIE am Mikrofon und „performen“ mit ihr gemeinsam, bis es auch den Letzten mitreißt und die Scheiben vibrieren: „I Wonna Get Lost In Your Rock’n’roll!“ 6) Jetzt brennt die Luft in der kleinen Hütte und weil es schön ist, legt MARK mit „Take Me To The River“ noch eine Kohle nach, reißt ein wildes Solo aus den Saiten und mir hüpft das Herz vor Freude. Manno, ist das schön! Ich bin überglücklich, solche intimen Momente mit authentischen Musikern so hautnah erleben zu können. Keine ausgeklügelte Show, keine Mätzchen oder stereotype Ansagen – alles echt und ehrlich, frei von der Leber weg und ohne eine Set-List am Boden. Beide blicken sich in die Augen, JACKIE flüstert, MARK nickt und dann spielen sie zum Abschluss am Spätnachmittag noch ihre eigene Schöpfung von „Freedom“. Noch einmal lassen sie es rocken, noch einmal Volldampf und letztlich hat leider doch alles ein Ende. Soeben ist ein wundervolles Konzert verklungen. „It’s All Over Now.“ 7) Erst einmal tief Luft holen, runter kommen. Ich bleibe sitzen und sehe dem Treiben um mich einfach zu. Einige der Gäste kaufen sich eine CD, auch eine Vinyl-LP wechselt den Besitzer und beide Musiker signieren fleißig die Cover, bis alle Wünsche erfüllt sind. Auch ich war nicht untätig. Dort, wo noch vor kurzem ein Poster hing, kann man jetzt wieder durch die Scheibe blicken und einige grinsen. Meine! Mit einem Bierchen in ihren Händen setzen sich JACKIE und MARK zu unserer kleinen Plauderrunde, um wieder etwas mehr von Land und Leuten zu erfahren. Ich genieße es noch eine ganze Weile, ehe ich mich wie von lieb gewordenen Freunden verabschiede. Wann wird man(n) von zwei bescheidenen Musikergrößen so herzlich und liebevoll zum Abschied in die Arme genommen? Danke für diesen sehr emotionalen Abend. „And In The End The Love You Take Is Equal To The Love You Make.” 8) 1) George Harrison, 1970 2) Joe Tex 3) Spencer Davis Group, 1966 4) Leo Sayer, 1978 5) Pete Seeger, 1955 6) Dobie Gray, 1973 7) Rolling Stones, 1962 8) Beatles, 1967