Horch(en) in der Scheune von Colbitz
20.09.2019
Colbitz?
Der
Ort
am
größten
Lindenwald
Europas?
Nee,
kenn’
ich
nicht,
nie
gehört,
hätte
ich
noch
vor
wenigen
Tagen
geantwortet.
Inzwischen
habe
ich
gelesen
und
freue
mich
auf
eine
alte
Scheune,
alte
Holzbalken,
eine
Holz-Bar
und
auf
ein
Podest
aus
Holz
mit
Holz(Blas)Instrumenten.
So
ungefähr
muss
man
sich
das
Ambiente
in
der
Scheune
von
Colbitz,
gleich
neben
der
alten
Dampfmolkerei,
vorstellen.
Was
diese
Vorstellung
zu
einem
unbedingt
zu
besuchenden
Abendereignis
macht,
ist
die
Anwesenheit
der
Erfinder
des
„mittelalternativen
Barock’n’Roll“.
Lange
bevor
die
heutigen
Mittelalter-Folkrocker
ihre
eigene
Schublade
aus
Metall
schweißten,
gründeten
schon
1979
drei
junge
Musikenthusiasten
in
Halle
die
Gruppe
HORCH.
Sie
begannen
damit,
alte
Texte
sehr
ideenreich,
authentisch
und
äußerst
filigran
musikalisch
auszugestalten
und
so
ihren
ganz
eigenen
unverwechselbaren
Stil
zu
kreieren.
Das
ist
in
diesen
Tagen
vierzig
Jahre
her
und
deshalb
wird
das
Jubiläum
mit
ausgewählten
Konzerten
gebührend
gefeiert.
Als
alter
und
begeisterter
Fan
der
Hallenser
Troubadoure
habe
ich
mir
diesen
Tag
auserkoren
und
weiß
nun,
wo
Colbitz,
die
alte Scheune sowie ein engagierter Verein, nebst Chefin, zu finden sind.
Außen
macht
das
Gebäude
einen
fast
unscheinbaren
Eindruck,
aber
drinnen
empfängt
mich
rustikales
Flair
in
einer
rappelvollen
ehemaligen
Tenne.
Dann
die
erstaunte
Nachfrage,
ob
ich
den
„weiten“
Weg
von
Halberstadt
nur
wegen
der
Band
gekommen
sei.
„Ja“,
bestätige
ich,
„und
wegen
der
Möglichkeit,
deren
Musik
live
zu
hören“.
Wobei
eine
Stunde
Fahrzeit
kein
langer
Weg
ist,
gebe
ich
zu
bedenken.
Ein
Platz
zum
Sitzen,
als
Ausgangspunkt
für
Exkursionen
zu
anderen Positionen, ist bald gefunden und eine Fettbemme verzehrt. Ich bin bereit für HORCH und zum Gucken.
Die
Mannen
von
HORCH
stehen
wenige
Minuten
später
auf
dem
rustikal
gezimmerten
Podest
und
als
„Ouvertüre“
erleben
wir
ein
Instrumentalstück,
das
schwungvoll
und
flink,
mit
Laute,
Flöte
und
Geige,
auf
diesen
Abend
einstimmt.
Das
Volk
hört
zu
und
genießt,
ehe
HORCH
für
„Wein
und
Weiber
(in
den
Schänken)“
mit
Volkstanzrhythmen,
Flöte,
Geige
und
Satzgesang,
einzuheizen
beginnt.
Es
ist
genau
diese
besondere
Klangstimmung,
die
übrigens
ein
gewisser
Gundermann
auch
einzufangen
verstand,
die
mich
an
solcher
Spielweise,
alte
Musik
zeitgemäß
zu
beleben,
schon
immer
fasziniert
hat.
So
als
würden
sie
diesen
Gedanken
unterstreichen
wollen,
öffnen
die
Musikanten
die
Sammlung
der
Herren
Brentano
und
von
Arnim,
bekannt
unter
dem
Titel
„Des
Knaben
Wunderhorn“,
und
lassen
davon
„Der
Provokant“
folgen.
Ich
stehe
mit
der
Knipse
in
einem
der
Gänge
und
bin
innerlich
begeistert,
wie
sie
das
Stück
„über
chronisch
unterbezahlte
Berufsmusiker“
von
der
Bühne
schmettern.
Zum
ersten
Mal
am
Abend
lässt
ANDREAS
„Fabiano“
FABIAN
schon
mal
seine
Künste
an
der
Querflöte
aufblitzen
und
ich
genieße
es.
Darauf
folgt
die
wahre
Geschichte
vom
„Rotkäppchen“
und
Meister
KLAUS
ADOLPHI
lässt
es
sich
nicht
nehmen,
eine
der
Gruselgeschichten
von
vielen
„verschwundenen
Schulklassen
der
Neuzeit“
zu
erzählen,
wobei
ich
mir
nicht
sicher
bin,
ob
einige
Lacher
aus
dem
Publikum
wirklich
echt
sind.
Echt
sind
sie
auf
jedem
Fall
bei
der
Mähr
von
der
„Volkskaffeehalle“
(in
Halle),
in
der
der
Kaffee
niemals
alle
wurde.
Es
ist
schon
sehr
beeindruckend,
wie
es
ADOLPHI
versteht,
die
lokalen
Hallenser
Geschichten
musikalisch
in
die
heutige
Zeit
zu
übersetzen,
Folks-Lieder
daraus
zu
machen
und
diese
dem
Publikum,
süffisant oder manierlich, anzumoderieren.
Diese Fotos kann man durch Anklicken vergrößern.
Ähnliches
gelingt
den
Musikanten
von
HORCH
auch
mit
einem
alten
Folk-Song
aus
Irland,
den
Kinder
gern
zur
Weihnachtszeit
singen.
„The
Wren“
wird
bei
HORCH
ein
kraftvoller
Tanz,
bei
dem
ADOLPHI
mit
einer
Schamanentrommel
Assoziationen
zu
Riverdance
herbeizaubert.
Für
ein
paar
Minuten
fühlt
es
sich
hier
wie
in
einem
Irischen
Pub
an.
Wenn
jetzt
einer
im
Schottenrock
aufspringen
und
tanzen
würde,
wäre
die
Illusion
in
der
Scheune
perfekt.
Diese
Musik
geht
in
die
Beine
und
sie
verleitet
zum
Mitsingen,
wenn
einer
der
großen
Hits
angestimmt
wird.
Mir
gefällt
dieses
„Schockschwerenot“,
das
den
Charme
eines
Gassenhauers
entwickelt
hat
und
von
vielen
laut
mitgesungen
wird:
„Mein
Eheweib
ist
tot.
Wer
stopft
mir
jetzt
die
Socken
und
wer
kocht
mein
Abendbrot?“.
Wobei
man
vielleicht
diese
Zeilen,
in
Anlehnung
an
heutige
Lebensgewohnheiten
junger
Leute,
auch
modifizieren
könnte:
Wer
holt
jetzt meine Pizza und beräumt den Hundekot?
Die
Stimmung
in
der
Colbitzer
Scheune
ist
gelöst
und
locker.
Die
Herren
von
HORCH
sind
es
auch
und
demonstrieren
diesen
Zustand
musikalisch
mit
dem
Song
zur
„Tittenklapp“.
Die
beschwingte
Melodie
erzählt
die
frivole
Geschichte
vom
„Lustversteck“
und
„Zeitvertreib
im
Tittenklapp“,
den
der
„geneigte
Verkehrsteilnehmer“
zuweilen
gern
in
Anspruch
nahm.
Die
Melodie
stammt
von
HORCH,
der
Inhalt
ist
historisch
überliefert
und
wird
genüsslich
vom
Publikum
aufgenommen,
das
sich
bei
dem
Refrain
gern
zum
Mitmachen
verführen
lässt.
Sicher
bin
ich
nicht
der
Einzige
hier,
der
diese
Nummer
mag.
Doch
mein
heimlicher
Favorit
ist
die
düstere
Ballade
vom
„Graseweg“
in
Halle.
Wuchtige
Akkorde,
verspielt
von
der
Querflöte
umrahmt,
und
eine
drohend
verzerrte
Gitarre
im
Hintergrund,
zeichnen
das
Bild
von
einem
dunklen
Geheimnis
hinter
hohen
Mauern.
An
der
Nummer,
denke
ich
mir,
könnte
sich
die
halbe
Gothic-Szene
etwas
abschauen. Grausam schön.
Ein
Glanzstück
dieses
Abends
dürfen
wir
erleben,
als
vier
der
Musiker
zu
verschiedenen
Flöten
greifen,
deren
gemeinsamer
Klang
uns
in
das
Mittelalter
zu
versetzen
mag.
„Ihr
Mädchen
(lasst
euch
doch
nur
raten)“
lebt
vom
Zusammenspiel
der
vier
Holzblasinstrumente
und
vom
a-capella
Gesang
der
Musiker.
Das
kurze
Stück
versprüht
faszinierende
Magie,
gepaart
mit
instrumentaler
Finesse,
mit
Leichtigkeit
dargeboten.
Mich
begeistert
die
Vielseitigkeit
von
Meister
ADOLPHI,
der
Mandoline,
Laute,
die
Flöte
und
Trommel
einzusetzen
vermag.
Ich
liebe
das
hinreißende
Flötenspiel
von
FABIANO,
das
manchmal
sehr
an
Altmeister
Anderson
erinnert,
und
ich
mag
das
schmeichelnde
Saitenspiel
von
REINER
„dem
Pascha“
DIETRICH.
Bescheiden
im
Hintergrund
agiert
STEFAN
„Witsch“
WIECZOREK
am
Bass,
aber
auch
mit
Laute
und
Krummflöte,
der
zusammen
mit
MATTHIAS
„Meff“
von
SCHIMETZEK
hinter
dem
Schlagzeug
für
den
nötigen
Groove
und
Druck
sorgt.
Die
Vielzahl
der
spielbaren
Instrumente
ist
erstaunlich
und
eröffnet
Möglichkeiten,
von
denen
andere
nur
träumen
können.
Das
erleben
wir
beim
„Totentanz“
auf
faszinierende
Weise.
Die
mittelalterlich
wirkende
Nummer
verrät
die
Handschrift
von
Angelo
Branduardi,
ist
aber
in
dieser
Version
wieder Typisch HORCH und fügt sich harmonisch in das Programm der Band ein. Ich liebe diesen „Totentanz:
„Ich bin der Herrscher aller, der Obrigkeit zum Hohne.
Ich bin der bleiche Sensenmann und trage eine Krone.
Niemals sich wer retten kann, niemanden den ich schone
und wer mir das nicht glauben will, der glaubt,
wenn ich ihn hole!“
Der
Abend
in
der
Colbitzer
Scheune
ist
voller
musikalischer
Höhepunkte,
voll
instrumentaler
Feinkost,
der
jeden
im
Raum
begeistert.
Als
schließlich
„der
Meff“
seine
Meisterschaft
am
Schlagwerk
zu
demonstrieren
beginnt,
ist
die
Hütte
vollends
aus
dem
Häuschen.
Für
Minuten
kocht
und
brodelt
es
unterm
Scheunendach,
beben
die
alten
Holzbalken,
als
würden
wilde
Dreschflegel
den
Tennenboden
bearbeiten
und
die
Hühner
auf
dem
(Bauern)Hof
aufscheuchen.
Ich
bin
begeistert
und
glücklich,
hier
dabei
zu
sein,
als
mit
dem
irisch
anmutenden
Instrumentalstück
„Witsch“
das
Konzert
in
der
Scheune
ausklingt.
Eigentlich,
so
denke
ich,
müsste
man
auf
den
freien
Flächen
den
Abend
tanzend
ausklingen
lassen,
doch
zu
abendlicher
Stunde
wird
es
mit
„Der
Schnitter“
noch
einmal
melancholisch
und
meine
Hüfte
wird
geschont.
Diese
letzten
Minuten
genieße
ich
noch
einmal
in
vollen
Zügen,
lausche
der
Flöte
und
dem
Gesang,
bin
innerlich, trotz der ausklingenden Harmonie, ziemlich aufgewühlt.
Obwohl
ich
englische
Vorbilder
wie
Steeleye
Span
oder
Gentle
Giant
niemals
live
erleben
konnte,
war
dieser
Abend
kein
Ersatz,
sondern
auf
besondere,
heimische
Weise
die
Fortsetzung
dessen,
was
viele
meiner
Generation
verpassen
mussten
und
nicht
mehr
nachholen
können.
Mit
HORCH
hat
mich
eine
Band
durchs
Leben
begleitet,
die
in
besonderer
Weise
ein
Lebensgefühl
bis
heute
reflektiert.
Dass
ich
das
erleben
durfte
und
noch
immer
darf,
erfüllt
mich
mit
Dankbarkeit
einerseits,
aber
auch
mit
Demut.
Es
ist
schön,
dass
viele
Künstler
hierzulande
noch
immer
ihrer
Wege
wandeln,
auch
wenn
sie
medial
dabei
nicht
begleitet
werden
und
auf
großen
Show-Bühnen
nicht
stattfinden.
Vielleicht
ist es ja sogar gut so.
Doch
wie
sähe
es
um
viele
ehemaligen
Ost-Künstler
aus,
gäbe
es
nicht
die
rührigen
und
engagierten
namenlosen
„Verrückten“
in
zahllosen
Klubs
und
Vereinen
irgendwo
auf
dem
Lande
oder
versteckt
in
einem
Häuserblock?
In
Colbitz
wirkt
ein
solcher
Verein
und
dort
ist
mir
mit
HERDIT
WOHLGEMUTH
eine
ungemein
freundliche
Dame
begegnet.
Mit
ihrem
Team
und
einem
vielfältigen
Angebot
lockt
sie
Menschen
in
ihre
Scheune,
die
hier
gesellige
Stunden
bei
niveauvoller
Unterhaltung
verbringen
dürfen.
Hier
lebt
die
kleine
Dorfgemeinschaft
noch
und
genießt,
gemeinsam
mit
ihren
Gästen,
die
kleinen
und
intimen
Ereignisse.
Dies
war
mein
erster
und
eher
zufälliger
Besuch
hier,
aber
ganz
sicher
nicht
mein
letzter.
Meinen
herzlichen
Dank
dem
Colbitzer
Kulturverein
sowie
von
ganzem
Herzen
Gratulation
dem
Gesamtkunstwerk
HORCH
zu
ihrem
40.
Barock’n’Roll-Jahrgang
sowie
eine
volle
Hütte
am
18.
Oktober
im
Steintor-
Varietè zu Halle.