Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
„Bye, bye Cott’n – mach’s jut” 25.09.2020 Ein Konzert in Erinnerung an den Gründer der Sputniks, den Musiker Henry “Cott’n” Kotowski (24.09.1944 - 04.07.2019). Er war, ohne jeden Zweifel, einer der Stars der Beat-Generation der 1960er Jahre in der größten DDR aller Zeiten. Musiker wie Uve Schikora, Gerhard „Hugo“ Laartz, Herbert Dreilich, Hansi Biebl oder auch Harry Jeske, um nur die bekanntesten zu nennen, gehörten zu den Wegbegleitern von Henry „Cott’n“ Kotowski. Die Gründung der SPUTNIKS 1964, eigentlich schon 1962 ich war gerade in der 9. Klasse einer EOS gelandet wurde das, was man heute ein musikhistorisches Ereignis nennt. Ganz egal, was Cott’n in späteren Jahren auch machte, die SPUTNIKS formten aus ihn ein Idol für meine Generation. Als Teenager sah ich schon die originalen SPUTNIKS live auf der Bühne, ich war zum Jugendtanz mit den Berolina Singers und ich erlebte das Henry Kotowski Quintett (die getarnten Ur-Puhdys). Das sind Erinnerungen, die ein ganzes langes Leben tragen können, von denen man zehrt. Musiker aus jenen wilden Tagen später noch einmal zu treffen und mit ihnen zu plaudern, macht für einen wie mich, die Sache rund. Genau deshalb sitze ich heute hier im Berliner Neu-Helgoland, einen zu ehren, andere zu treffen und mit fast 71 noch einmal dieses irre Gefühl von Jugend auszuprobieren. Deshalb verewigt sich „Hugo“ als Erster mit seiner Unterschrift auf einem Poster. Weitere werden folgen. Wider Erwarten und gegen alle Ankündigungen scheint abends sogar die Sonne und taucht alles in ein warmes wohliges Licht. Noch ist es im Neu-Helgoland, nahe dem Kleinen Müggelsee, leer, draußen die Terrasse ohnehin verwaist. Vereinzelt tuckern ein paar Boote und Floßgefährte vorüber. Sie feiern, sie lachen und winken. Ein früher Abend wie jeder. Wie jeder?? Nein, heute gedenken Musiker, einige seiner Wegbegleiter und Fans eines Großen und feiern ihn noch einmal: HENRY „Cott’n“ KOTOWSKI. Dafür habe ich mir sogar einen „Ausflug“, meinen ersten in dieses Ausflugslokal, gegönnt. Ticket und Mundschutz sind am Mann, das Cover von „Savannah“ im Beutel und (m)ein Buch ebenso. Mich lockt nämlich nicht nur Cott’n, sondern auch die Hoffnung, noch einmal HANSI BIEBL auf einer Live-Bühne zu erleben, ihn dieses Cover und die entsprechenden Seiten im Buch vom „Lebensgefühl Rockmusik“ signieren zu lassen, wenn es der Zufall erlaubt. Gute Freunde haben versprochen, mir dabei zu helfen. Manchmal muss man dem Zufall die Steigbügel halten. Die Erwartungen sind groß und die Frage steht im Raum, ob er noch einmal seine Gitarre in die Hand nehmen wird. Viele hoffen genau das. Am Anfang waren der Beat, die Shadows und die Beatles. Nach dem Urknall formte das Universum die SPUTNIKS und heute steht die Kapelle immer noch auf der Bühne. Ohne einen der Ehemaligen, so wie bei Silly auch. Aber immerhin spielt MICHAEL LEHRMANN nun auch schon zwölf Jahre die Lead-Gitarre in der Sputnik-Band, wie er auf eine entsprechende Frage des Moderators Jürgen W. Schmidt verrät. Beide eröffnen den Abend und begeben sich mit allen im geschickt gefüllten Haus auf eine Reise in die Zeit der scheppernden Gitarrenklänge a la Duane Eddy. Der „Gitarren Twist“ knallt in den Saal und wie durch ein Wurmloch werden wir ein halbes Jahrhundert in der Zeit zurück katapultiert. Für sechs mal drei Minuten, die Spiellänge jeweils einer Single, schlägt mein Herz einen anderen Rhythmus. Es sind genau diese Nummern, die damals von einer der seltenen Amiga-Singles in mono jedes Wohnzimmer zwischen Kap Arkona und Fichtelberg beschallten. Laut, wild und ein wenig „ungezogen“, während mir vor der Bühne sitzend ein stilles Lächeln über das Gesicht huscht. Mein Gott, waren wir damals brav! Den heutigen Sputniks merkt man „nur“ noch den Spaß am Gitarren-Beat an. „Walk Don’t Run“ oder „Tribut To Moricone“ heißen die aktuelleren Instrumentalstücke, die Wolfgang „Nick“ Nicklisch (guit), Frank Schultz (bass), Mathias Fuhrmann (dr) und Michael Lehrmann (ld-guit) live im Original-Sound der „wilden 60er“ präsentieren. Wann und wo erlebt man heute noch so ein lockeres Gitarrengewitter, so einen wilden Fingertanz über die Bünde auf dem langen Hals der Gitarre, ohne jeden technischen Schnickschnack und den vorprogrammierten Laptop? Es ist wie eine Lehrvorführung vom Lehrmann! Einzige Ausnahme ist der Vokaltitel „What You Love It“, den die Tochter von „olle Cott’n“ mit der Band singt und damit die Erinnerungsbrücke zum Thema des Abends baut. Simone Kotowski sitzt nun allein am Piano, ganz links am Bühnenrand. Quasi bei mir um die Ecke und deshalb nutze ich die Chance, ihr beim Singen von „Geh nicht allein“ ins Gesicht zu sehen. Es scheint, als würde sie ganz allein für sich und ihren Vater singen, intensiv, voll Hingabe und nur zum Klang des Piano. Ein Gänsehautmoment, der die enge Beziehung von Vater und Tochter ahnen lässt (und einen Moment lang denke ich an meine Tochter, meinen Sohn). Mit Band singt sie vom „Mitternachtsengel“ vom „Du und ich“ in einer Art, die mich irgendwie an Sade erinnert: leicht, geschmeidig und ein wenig lasziv purzeln ihre Lieder, mit dem rauchigen Sound der Trompete von FERRY GROTT im Hintergrund, in den Saal, wo man den Musikern beinahe andächtig lauscht, um wenig später von den „September“- Klängen, nach dem Vorbild von Eart, Wind & Fire, rhythmisch mitgerissen zu werden. Chapeau, das hat was! Daran kann der rockende Langhaar-Geiger mit seinen wilden Klängen nahtlos anschließen. Hans die Geige braucht nur Sekunden und schon scheint der Saal rocken zu wollen, wäre da nicht dieses blöde allgegenwärtige Virus. Diesen Rocker mit dem Rosshaarbogen habe ich nun schon so oft erlebt, doch sein Spiel sowie seine sichtbare Freude daran, begeistern mich immer wieder neu und Nummern wie „Dust In The Wind“ von Kansas sind ohnehin zeitlose Glanzstücke. Das scheinen alle im Lokal auch so zu empfinden. Eine Sympathiewelle entert die Bühne, als Hans der Bogenschwinger, nach dem Ende der Ovationen, selbigen beiseite legt und alle Blicke sich neugierig auf die Videoleinwand richten. Mit wohl ausgewählten Bildsequenzen erleben wir noch einmal die vielseitige Karriere von Cott’n. Von den Sputniks über Stationen wie Uve Schikora und das Henry Kotowski-Quartett, die Ur-Puhdys, dann die Country-Phase mit u.a. Peter & Cott’n bis hin zu seinen Solo-Aktivitäten wird der Bogen gespannt. In einer späteren Video-Einspielung werden wir auch noch TV-Schnipsel mit dem Gerd Michaelis Chor sehen. Am Ende steht ein Bild des umtriebigen Musikers und der Schriftzug „Bye, bye Cott’n“. Dann ist es erst ganz leise im Raum, Stille und schließlich bricht Begeisterung aus. Was für ein Musiker, was für ein Verlust! Daran erinnert auch Bernd Gabsch, einst Regisseur von „Außenseiter Spitzenreiter“, im Gespräch mit dem Moderator Jürgen W. Schmidt. „Es gibt Momente“, die sind einmalig, zumindest aber selten. Sehr selten! Auf so einen Moment hatte ich hin gefiebert, den wollte ich mir, wenn irgend möglich, nicht entgehen lassen. Hatte ich den Blues-Gitarristen mit Band im Juni 1981 doch selbst einmal auf „eigener“ Bühne (HIER) . Noch einmal möchte ich HANSI BIEBL live erleben. Dann steht er plötzlich da oben und mit ihm sein Freund und Begleiter aus jenen Zeiten des Blues, EBERHARD KLUNKER. Als wäre nie etwas anderes gewesen. Doch heute und hier ist alles anders. Es ist eine Flöte und nicht die Gitarre, wie wohl die meisten gehofft hatten, die HANSI mit auf die Bühne bringt. Ja, eine Blockflöte ungläubige Blicke und Staunen. „Ich beschäftige mich jetzt eher mit klassischer Musik“, lässt er uns alle wissen und fügt sinngemäß hinzu, „da steckt so viel drin.“ Ehe sich das große Staunen im Saal breit machen kann, führt BIEBL die Flöte an die Lippen. Anfangs habe ich noch das Gefühl, als würden seine Finger zaghaft, beinahe unsicher agieren, so ungewohnt fremd klingt es für Momente in meinen Ohren. Wie wohl die meisten hier, hatte auch ich heute zwei Gitarristen erwartet und erhofft. Doch mehr und mehr wird das Spiel geschmeidig, finden Gitarre und Flöte zueinander und dann schält sich doch tatsächlich die Melodie von „Es gibt Momente“ aus dem Spiel der beiden Musiker. Boah, was ist das denn!? Wir sitzen alle wie die Mäuschen und sehen, hören und wir staunen über das, was da auf der Bühne gerade geschieht. Biebl und Klunkel präsentieren mit „Going Round The Chapel“ einen Uraltblues, neu bearbeitet, um mit Blockflöte gespielt zu werden und dann schieben beide noch einen Bossa Nova hinterher, bei dem sich im Hintergrund nun eine Cajon, gespielt von OLLI BECKER, sowie der Kontrabass von MICHAEL BALK hinzufügen. Es ist einfach spannend, zu hören, zu sehen und mitzuerleben, was da auf der Bühne passiert und ganz langsam gesellt sich auch Begeisterung zum großen Staunen. HANSI BIEBL steht am Mikrofon, auf sein Instrument und das Spiel fixiert und wenn ich nicht wüsste, dass dies einmal einer der besten Gitarristen des Landes war, ich würde ihn für das halten, was ich da sehe - einen Musiker, der Flöte spielt. Auch das „Bouree“ von J.S. Bach erklingt in seiner klassischen Form, er spielt einen „Bolero“ und lässt es mit „Fly Me To The Moon“ singend swingen. Spätestens in diesen Minuten ziehe ich meinen Hut vor diesem Mann. Wie leicht hätte er es haben können! Gitarre, Blues spielen, verbeugen und Beifall einheimsen. Das hätte es sein können. Aber nein, HANSI bleibt sich selbst treu, macht sich Gedanken und präsentiert uns den BIEBL, wie sich BIEBL in diesen Tagen eben selbst empfindet. Das ist ehrlich, nicht berechnend und dennoch authentisch. Großen Respekt, auch wenn er dann doch noch mit „Es gibt Momente“, gesungen in Begleitung von Simone Kotowski an den Tasten und Gesang, ein kleines Zugeständnis an die Erwartungen der Gäste macht. Jedenfalls bin ich tatsächlich hingerissen und genieße diese Augenblicke ganz bewusst. Sie werden wohl einmalig und besonders bleiben, denke ich mir. Die Vorstellung, dass es dieser Ausnahmemusiker noch einmal anders machen könnte, ist in diesen Minuten unter den Tisch gefallen. Das, so empfinde ich, hat mehr Achtung und Ehre verdient, als noch ein wenig durch die kleinen Clubs zu tingeln und das Vergangene hinter sich her zu schleifen. Vielleicht hätte ich es ihm sagen sollen, aber vor dem Konzert ahnte ich noch nicht, was kommen würde und konnte seine Worte, „hoffentlich wird Dir meine Musik gefallen“, noch nicht deuten. Jetzt aber bin ich wissend, überrascht und zutiefst glücklich, hier zu sein. Nach diesem Höhepunkt sowie einer zweiten Video-Einspielung bahnt sich das große Finale an. Vorher jedoch wird noch einmal einer aus vergangenen Tagen auf die Bühne geholt, der ebenso wie Hansi, „Hugo“ oder Cott’n selbst, Geschichten erzählen könnte. WERNER DÜWELT, dereinst bei Schikora und Horst Krüger als Gitarrist unterwegs, steht nun auf der Bühne. Mit Vergnügen lauschen wir, was er zu erzählen weiß und ich freue mich über diese zusätzliche Überraschung aus meinen frühen Jahren. Vielleicht war es GERHARD „Hugo“ LAARTZ, der die Idee für diesen Abend hatte und die Musiker aus seinen Anfangsjahren auf der Bühne für diesen Anlass zusammenbringen konnte. Immerhin existiert diese Kapelle, die vielen Musikern als Katalysator für die eigene Entwicklung diente, schon seit über 50 Jahren und „Hugo“ selbst feierte erst im Sommer dieses Jahres seinen 80. Geburtstag. Noch ehe seine Band den Saal zum Kochen bringen würde, weiß auch er noch ein paar Episoden aus dem fröhlichen Musikantenleben anzureißen. Doch dann hämmern die Tasten, rauschen die Bläser und Simone singt dazu den „Stormy Monday Blues“ in der Art der Uschi Brüning. Plötzlich schäumt diese Blondine über, man möchte aufstehen und der Anspannung Raum und Luft lassen. So klatschen wir wenigstens das Virus aus dem Raum und genießen den souligen Blues, der mit „Unchain My Heart“, und Geigenhans als zweiten Sänger, noch einen Zacken schärfer wird. Es ist die wahre Freude, Band und Solisten so in Aktion zu erleben, befreiend und glücklich trotz des Anlasses. Aber Cott’n, da sind sich alle einig, hätte es nicht anders gewollt und wahrscheinlich rockt er gerade irgendwo mit uns in erster Reihe. Einmal Musikus, immer Musikus! Das Konzert für HENRY KOTOWSKI hat sein Finale erreicht. Mit Gastsänger Thomas Ellnitz und seiner gut geölten Rock- Röhre führt uns die MSB durch „Himmel und Hölle“. Es groovt und hitziger Soul füllt den Raum. In diesen Minuten erleben wir eine Feier der Lebensfreude, denn dieses Leben sollte man reichhaltig ausfüllen und sinnvoll genießend durchschreiten und mit Musik haben wir eine wundervolle Möglichkeit, genau das zu tun. Ein Hoch auf das Leben, dessen Schönheit und Reichtum, möchte man am liebsten schreien. Es gingen schon zu viele, zu jung und zu schnell. Also singen wir mit denen auf den Brettern im Chor: „Bye, bye Cott’n, mach’s jut“. Ein würdiger Konzertabend für einen großartigen Musikanten. Für jeden auf der Bühne gibt es ein Gläschen Sekt und dann stoßen wir alle gemeinsam an: auf uns, auf das Leben und all diejenigen, die es leider schon hinter sich haben: Macht’s jut, ihr Lieben, mach’s jut Cott’n! Es ist wie so oft. Die Musik und die Emotionen schwingen nach. Wir sitzen noch eine Weile, die Rampe hinter und den sich leerenden Saal vor uns. Sacken lassen, Worte tauschen, Hände schütteln und sich gegenseitig versprechen, sich hier oder da und bald wiederzusehen. Wieder so ein Gedenkkonzert für einen der Unseren, tausche ich meine Gedanken mit Geigenhans, und doch wünschen wir uns beide, es möge doch auch einmal einen solchen Abend für die lebenden Legenden geben. Eine Hoffnung, die immer wieder einmal nach solchen Stunden auftaucht und auch andere bewegt. DANKE allen, die den Abend für Cott’n möglich machten: dem Team vom Neu-Helgoland, den Musikern, Managern und den Technikern und allen, die sich an die besonderen Regeln hielten. Mein ganz persönlicher Dank gilt Dörthe und Karsten, die mich nahe der Autobahn einsammelten und mitnahmen. Lasst uns aufeinander aufpassen. Es wird ein Morgen und eine Zeit danach geben. Darauf freue ich mich ganz besonders und dann sehen wir uns wieder. Es muss auch kein Gedenkkonzert sein!