Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
Rockiger Advent - Hans die Geige im Harz 07.12.2019 Es ist der 8. Mai 1986 und das rein zufällig. In unserem Klub „DIE STUBE“ kann ich Hans Wintoch, den Rock-Geiger, ankündigen. Da kenne ich „Hans die Geige“, wie er sich schon damals nennt, bereits seit sechs Jahren, denn schon 1980 hatte ich ihn mit der Gruppe Magdeburg live auf „meiner“ Bühne. Der Grund ist ein kleines Instrumentalstück namens „Rhododendron“ und meine frühe Bekanntschaft mit der eigenen Violine. Der Geigenhans blieb seit jenem Abend in der „STUBE“ (und in unserer Küche) so etwas wie ein guter Freund. Daran hat sich über vier Jahrzehnte nichts geändert, im Gegenteil. Wenn wir uns irgendwo trafen, war es jedes Mal ein besonderes Vergnügen. Ob er im Mai 2007 in Mittweida das erste und einzige Mal gemeinsam mit CÄSAR auf der Bühne stand und „Tears In Heaven“ von Eric Clapton spielte oder im Dezember des gleichen Jahres bei CITY mit Joro Gogow den guten alten „Little Drummer Boy“ fiedelte, ich war dabei und habe es genießen können. Mit diesen Erinnerungen im Kopf fahre ich die wenigen Kilometer hinüber nach Blankenburg zum alten E-Werk, um ein Konzert mit ihm, diesmal in meiner neuen Umgebung, zu besuchen. Hans im Harz, wie schön! Im Bühnenhintergrund leuchtet ein Weihnachtsbaum. Unter seine Spitze, kaum zu erkennen, hat eine liebevolle Hand eine kleine gläserne Violine zwischen die Zweige gehangen. Gestern war Nikolaus und morgen wird zweiter Advent sein. Es weihnachtet ein wenig und viele Gesichter strahlen so etwas wie Entspannung aus. Im Nebenraum überrasche ich einen erstaunt dreinblickenden echten Rock-Rentner mit langen blonden Haaren. Genau diesen winzigen Augenblick will ich genießen, dann liegen wir uns in den Armen. Lange nicht gesehen! Wir kommen aus dem Stand ins Schnattern und wäre in wenigen Minuten nicht sein Bühnenauftritt, hätte es locker eine Stunde werden können. Was sind schon vierzig Jahre Freundschaft zwischen zwei „alten Säcken“? Viel, ganz viel in diesen flüchtigen Digital-Zeiten! Die ersten Geigenklänge erlebe ich sitzend, direkt vor der Rampe. Meine Augen sind geschlossen und die Töne kullern wie kleine Weihnachtskugeln durch meinen Körper. Ich sehe mich als Kind, auch mit einer Violine am Kinn, den Lichterbaum im Rücken und zögerlich „Stille Nacht“ spielend. Ungefähr so muss dieser Typ da vor mir auch begonnen haben, denke ich, während er den „Little Drummer Boy“, eine der schönsten Weihnachtsmelodien, für Minuten neues Leben einhaucht. Zum Heulen schön und ohne jeden Schmus, der mir ansonsten auf den Zeiger gehen würde. Auch wenn es Hans nicht weiß, in diesem Moment spielt er nur für mich allein und erreicht mit der Violine mein Herz. Für Augenblicke ist die ganze Welt ausgeblendet und als wäre das nicht schon „schmalzig“ genug, schiebt er noch den „Kanon in D“ von Johann Pachelbel, eine „Pop-Nummer“ des Barock, hinterher. Wäre jetzt schon das Konzert beendet, es hätte sich gelohnt, es zu besuchen! Doch mit dem „Ave Maria“ von Franz Schubert präsentiert der Rockgeiger in seinem unnachahmlichen Stil noch eine weitere Nummer, die alle Herzen im Saal berühren muss. Was für ein Bild! Ein Mann mit Violine vor einem glitzernden Tannenbaum! Danach bricht der Jubel los. Spätestens jetzt hat wirklich jeder im Raum den Geigenhans ins Herz geschlossen. Zwischendurch plaudert die „Geige“ mit lockerer Zunge über sich und wie er die jeweiligen Stücke für sich entdeckt hat. Da bleibt das eine oder andere Auge nicht trocken, denn Hans ist Musiker, vom Scheitel bis zu den Fußsohlen, und hat den Schalk im Nacken sitzen. Auch dann, wenn man ihn nicht gleich sieht und er nimmt kein Blatt vor den Mund, als er seine Version von „Deutschland“, als klingenden Beitrag zur Alltagsdiskussion, abliefert. Chapeau, das saß! Ich mag es, wenn er seine klassischen Ausflüge in rockende Gewänder, als „Klassik I und III“, kleidet. Dafür könnte man die Bezeichnung „rock’n’heavy’n’classic“ erfinden, so sehr verschmelzen bei ihm die einzelnen Komponenten zu einem besonderen, seinem Sound. Später erleben wir das gleiche Wunder noch einmal mit der Melodie aus „Forrest Gump“, die er empfindsam anders interpretiert. Passend zur Weihnachtszeit findet er den Übergang von einem Film zum anderen. Wer kennt nicht die Geschichte von „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ und dem wunderschönen „Küss mich, halt mich, lieb mich für immer“ und dem Prinzen aus dem Märchen. Es sind Momente, in denen Erwachsene wieder als Kinder fühlen können und sich trauen, Gefühle zu zeigen, weich zu sein in Tagen, die hart sein können. Hans und seine Partnerin auf der Bühne und Frau an seiner Seite, schaffen diesen Spagat, ohne sentimental oder kitschig zu wirken. Vorweihnachtszeit eben. Dass der Langhaargeigenfiedler auch ein außergewöhnliches Gesangstalent aufweisen kann, beweist er mit seiner Version des Cocker-Klassikers „Up Where We Belong“. Da meint man fast ein Double des Altmeisters herauszuhören, so sehr kratzen die Stimmbänder. Es huscht ein Lächeln über sein Gesicht und in den Reihen hinter mir wird gejubelt und gepfiffen, was das Zeug hält. Nicht viel anders bei dem Klassiker von Kansas schlecht hin. „Dust In The Wind“ spielt er fast originalgetreu und man fühlt, jetzt vergräbt er sich tief in diesen Song. Der alte Rocker kann es noch immer und als die deftigen Akkorde von „Apokalyptika“ von der Rampe krachen, ist Rockgeiger Hans in seinem Element. Nun fliegen und jagen die Rosshaare über die gespannten Saiten seiner Geige, die blonden Haarsträhnen wirbeln vom Nacken bis auf seinen Rücken und der Körper zuckt im Rhythmus der Musik einmal Rocker, immer Rocker! Hans lässt es viersaitig krachen und Daniela untermalt den Rockertanz mit einer dezent aber wirkungsvoll eingesetzten Lichtshow. Rockin’ heavy X-mas time! Zum Ende des Abends krönt Hans die Geige sein vorweihnachtliches Menü mit „irischen Melodien“, die zum Mitklatschen anregen. Die Stimmung ist auf dem Höhepunkt. Überschwänglich wird gejubelt und dramaturgisch geschickt, bedankt und verabschiedet sich mein Lieblingsgeiger von seinen Gästen. Die wollen ihn natürlich nicht von der Bühne lassen und darauf ist der Geigenvirtuose auch „vorbereitet“, sagt er grinsend. Hans, der Omega-Fan, beendet den rockigen Adventsabend mit seiner Version vom „Mädchen mit Perlen im Haar“. Dann steht er glücklich, im Licht des Bäumchens und der Spots, dankt und verbeugt sich, um sogleich, durch die im zujubelnde Menge, den Saal zu verlassen. Da hat es der Geigenhans doch tatsächlich wieder geschafft, mich zu begeistern und glücklich zu machen. Es kann Weihnachten werden. Wir haben noch geschnattert, wir haben noch gelacht und auch ein wenig gelästert. Das muss schon sein unter Freunden. Es war ein wirklich rundum gelungener Konzertabend, denn im E-Werk werden Besucher nicht sofort „rausgekehrt“, wie anderen Ortes üblich. Danke mein Hans, danke dem Verein, dass Ihr das Vertrauen hatten, mich für einige persönliche Worte auf Eure Bühnenbretter zu lassen. Es war ein herrliches Gefühl und meine Überraschung für einen Freund. Fröhliche Weihnachten allen, die dabei waren! Am nächsten Morgen, so gegen 11.00 Uhr, haben wir uns noch einmal auf einen Kaffee in den heimischen vier Wänden getroffen und das Schnattern fortgesetzt. Es war fast wie 1986, genau so lustig und ebenso vertraut. So kann es gerne weitergehen. Wir sehen uns, spätestens bei nächster Gelegenheit. Versprochen!