Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
Singend Geschichten erzählen - Haase in Torgau 20.05.2022 In der Kulturbastion Torgau steht man dicht an dicht vor einer kleinen Bühne. Manchmal gepresst, wie in einer Konservenbüchse. Du spürst die Bewegungen der Konzertbesucher neben dir, wenn die sich im Rhythmus der Musik wiegen. Also fahr ich wieder einmal dorthin. Diesmal, um Christian Haase solo zu erleben und plötzlich, wie aus dem Nichts, schaue ich in strahlende Gesichter von Freunden, die in Torgau eigentlich nicht zu erwarten gewesen wären. Große Freude allerseits und ich soll auch auf das Gruppenfoto. Dann kommt noch Georg, mit dem ich diesen Abend mal wieder gemeinsam verbringen möchte. Alles ist perfekt, fehlt nur noch Christian Haase, der Geschichten erzählende blonde Sänger. Wer ist dieser Haase? Nun, die einen sagen so, die anderen so. Wenn man ihn seit vielen Jahren live begleitet, ihn zumindest in verschiedenen Konstellationen auf Bühnen erlebt hat, dann ist der Typ da vorn einfach nur Haase. Das sagt alles und nichts muss mehr erklärt werden. Deswegen mag ich ihn, liebe seine eigenen Lieder und wenn er die vom Gundermann intoniert, auch die. Christian Haase ist authentisch. Richtig spannend sind Konzerte mit ihm immer dann, wenn man ihm nah sein kann, wie in der Zschoner Mühle zum Beispiel. Dann knistert die Luft und nicht nur das Lagerfeuer. Es entsteht so etwas wie Intimität und man hat das Gefühl, er meint Dich oder zumindest den Kumpel, der neben dir steht und ebenso wie du selbst empfindet. Deshalb bin ich halt nach Torgau gefahren und auch, weil diese Pandemie im Sommer Urlaub genommen hat. Keiner weiß, wie lange. Der Raum wird dunkel, Christian Haase betritt die kleine Bühne, nimmt die Gitarre und lässt sie locker rhythmisch stampfen. Als ich ihn zum ersten Mal erlebte, damals in der Zschoner Mühle, da besang er „Alte Schwerter“ schon, kämpfte singend gegen Hausdrachen und Alltagsfliegen und träumte sich in eine bessere Welt. Heute macht er das immer noch. Die Zeiten änderten sich zwar, doch „was man kaut, muss man auch schlucken“. Nun haben wir an den Veränderungen (wieder einmal) mächtig zu kauen. Der blonde Erzähler da vorn fabuliert vom Rasenmäher, vom schönen Leben, das wir lebten, „und dann kommt so ein Krieg dazwischen“. Haase singt „Heul’ doch“ und alle wissen, dass das auch nichts ändern wird. Haase will uns nicht entführen, uns nicht in zwei Stunden „schlagernd“ ablenken. Mit Haase entdecken wir Möglichkeiten und menschliche Wärme, entdecken sie neu. Schon nach zwei Liedern, mit Gitarre und am Piano. Noch ein Schluck vom (alkoholfreien) Bier, während der Geschichtenerzähler von den Leuten spricht, die sich aktuell von ihrer Angst eingeengt fühlen. Mit der e-Gitarre auf dem Schoß spielen die Finger mit einer Melodie, die neu ist und die ich sehr mag. Doch live und ganz ohne Die Seilschaft, kommt „Dein Paket“ viel intensiver von der Rampe, wirkt intimer. Als dann noch die Fußtrommel das Cajòn stampfend trifft, wirkt der Song sogar fordernd. Das ist gut so, denn in Zeiten wie diesen, kann man sich nicht einfach verkriechen, nicht warten, bis alles vorbei ist. Es ist nie vorbei und eine Wende wendet nur, ist kein Neuanfang! Davon singt Haase völlig relaxt, fast schon swingend und erinnert uns, mit Gundis Worten, an jene Zeiten im „Niemandsland (am Ende der Welt)“, als die alten Autos und Träume plötzlich starben. Drei Jahrzehnte später stirbt gerade eines der Lieder, das mich in meinen Schülerjahren prägte: „Meinst du die Russen wollen Krieg?“. Doch ich lerne das Träumen auch wieder neu, denn ein faschistischer Diktator repräsentiert nicht „die Russen“! Christian Haase pendelt zwischen dem Sitz auf dem Cajòn und dem Hocker am Piano. Er wechselt die Instrumente und tauscht so Themen und Inhalte, die uns bewegen oder solche, die ihn durch diese Pandemie trieben. Der „Kompass nach Süden“ ist so ein Lied und „Das Salz im Süßen“ ein anderes, in dem „die Sommernächte um sich schlagen“. Draußen tobt unterdessen ein kräftiger Gewitterguss mit Blitzen und Donnergrollen, das man durch die dicken Mauern der Bastion hören kann. Den Mann mit der schwarzen Hose und den dezenten Streifen darauf, inspiriert das bestenfalls zu einem intensiveren Soloausflug auf den Saiten seiner e-Gitarre am Ausklang von „Was es wert ist“. Dafür erhält er einen besonderen Applaus und nach seiner Version des Lennon-Klassikers „Imagine“, als „Stell dir vor“ mit deutschem Text, jubeln wir ihm, und John da oben, zu. Haase bringt den Sarkasmus auf den Punkt, wieder einmal. Ich freue mich, heute endlich wieder einmal die „Weiße Wolke“ und die „Gute Fee“ live zu hören. Die beiden erinnern mich an frühere Solo-Ereignisse und die Atmosphäre, die eine besondere war, weil die Freunde besondere waren, mit denen ich sie erleben konnte. Jetzt sitze ich in der Bastion und genieße den Abend wieder mit Freunden und vielleicht erinnere ich mich später daran, wenn ich „12 einhalb“ oder „Das schlechtere Nie“ hören werde. Kann auch sein, ich gehe dann, mit achtzig oder älter, nicht mehr zu Konzerten, weil mir dann noch mehr Freunde fehlen, mit denen ich „Höflich sein“ konnte und wollte. Deshalb sauge ich Abende wie diese neuerdings viel intensiver auf, als Haase sich tief verbeugt und langsam das Ende andeutet. Mein (alkoholfreies) Bier ist getrunken, das Glas vor mir leer. Es ist schön, dass uns Haase jetzt „Hand aufs Herz“ vom neuen Seilschaft-Album singt und ich spüre, wie aktuell diese Zeilen gelungen sind. Es sprüht vor Optimismus, während die Zeilen gelebte Lebensmomente beschreiben, die auch ich kenne: „Und jedes Mal, wenn einer geht, wird ein Platz frei am Karussell, das sich noch weiter dreht“. Warum also jetzt aufhören, wenn es vielleicht noch einmal richtig schön werden könnte, weil uns Geschichte lehrt, dass Kriege irgendwann aufhören (müssen). Da passt es gut, noch mit „Benzin im Kopf“ und all den Erfahrungen in die Zukunft zu blicken: „Weißt du noch, wie wir mit Pfeil und Bogen, wie Robin Hood das Unrecht gerade bogen“? Nach so einem Abend ist man bestärkt in der Idee, dass es diesmal auch wieder gelingen wird. DANKE, Christian Haase, für gute Unterhaltung und die Nachfüllpackung Optimismus, die ich mit in den Harz nehmen werde. DANKE auch Georg, Dörte, Karsten und all den anderen, die diesen Abend zu einem besonderen Erlebnis (für mich) werden ließen. Links nach rechts: Ilka & Jens, Franzisca & Rene (hinten oben), Karsten & Dörte, Heike & Dietmar sowie ich. (DANKE Ilka für dieses Erinnerungsfoto.)