Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
Zeitreise mit Heinz-Jürgen „Gotte“ Gottschalk 02.04.2011 Dieser Musiker gehört schlicht zu jener Generation, die sich in den 1960ern von der Musik der Beatles, der Rolling Stones, der Kinks oder Small Faces anstecken und auf neue Lebenspfade führen ließ. Das war die Zeit der SPOTLIGHTS und die der ersten gemeinsamen Erfahrungen mit den Freunden Jürgen Kerth und Roland Michi. Es waren seine Jahre mit den NAUTIKS. Er ist von Beat- und Rockmusik nicht mehr losgekommen, hat, wie viele andere auch, die Musik und die Gitarre zu seinem Lebenselixier gemacht und ist mit dieser, meiner, unserer Musik in die Jahre gekommen. Er durchlebte die Höhen des Erfolgs, die Rangeleien und Misserfolge auch, ist frustriert gegangen, hat in der Fremde vom musikalischen Handwerk gelebt und ist mit großen Hoffnungen wieder zurück gekommen. Einer bösen Krankheit hat er trotzig die Stirn geboten und deshalb ist er nun schon wieder „13 Jahre alt“ und zum Glück noch immer da HEINZ- JÜRGEN „Gotte“ GOTTSCHALK. Der Kunsthof in Gohlis erlebte gestern den ersten schönen beinahe Sommer-Sonntag und eine Reise voller Erinnerungen, die, zumindest für mich, eine in die sicher aufregendsten Jahre meines Lebens war. Aber das weiß man immer erst im Nachhinein, wie GOTTE gestern sehr treffend bemerkte. Unsere Naivität wuchs in dem Maße, wie unsere Haare immer länger wurden und erst nach und nach holte uns das Leben wieder einzeln ein, während der Beat zu einer Rock-Industrie mutierte. Nun, in der reifen Jugend von sechs gelebten Jahrzehnten, so scheint es mit heute, ist man in der Lage, dies alles lächelnd, genießend und mit Respekt zu reflektieren und gemeinsam noch einmal auf die Reise zu gehen. „Hab’ mir von der Tagesreise manches mitgebracht“ stand schon deshalb symbolhaft am Beginn des Abends, denn in mir klingt es auch weiter „und vielleicht ein bisschen Stärke für den nächsten Tag“. MICHAEL HEUBACH schrieb das Opus einst für die BÜRKHOLZ FORMATION und die HORST KRÜGER BAND machte daraus, auch mit der Stimme von GOTTE, jene Hymne, die wir noch heute mitsingen. Mitgesungen habe ich natürlich auch bei „Yesterday“, denn den Text kenn’ ich einfach, so wie den von „Hänschen klein“. Diese Deja Vu Erlebnisse sollten sich wie ein roter Faden durch den ganzen Abend ziehen. Selbst die Rückseite von „She Loves You“ („Jeh, Jeh, Jeh“ so Walter Ulbricht), nämlich „I’ll Get You“ von 1963, erklang im Kunsthof Gohlis. Gotte erzählte von den frühen Jahren in Erfurt, von den Freunden Jürgen und Roland und von Karli, dem Fleischermeister, der einen Barkas B1000 sein eigen nannte, um damit tagsüber das Fleisch der Schweine zu transportieren und an den Wochenenden eine Band. Mit ihr sang und spielte er die Lieder seiner Idole, die er sich aus dem Radio und von mitgebrachten Schallplatten abhörte. Das tat ich auch mit der Gitarre auf dem Schoß und dazu sang ich „I Am Waiting (Oh Yeah, Oh Yeah)“, beinahe so wie ein echter Rolling Stone oder dieses wilde „All Or Nothing“ und versuchte dabei, so wie Steve Marriott von den legendären Small Faces zu klingen. Genau all das ging mir gestern Abend wieder durch den Kopf, als ich Gotte da vor mir sah und er genau diese alten Lieder sang. Von George Harrison erzählt er, von dessen Freund Eric Clapton und spielt „While My Guitar Gently Weeps“. Er plaudert über die drei legendären Damen aus dem Stones-Umfeld - Anita, Jane und Marianne - wieder versinke ich in den Erinnerungen und ganz leise in mir singt einer mit, den ich Zeit meines und seines Lebens dieses „Lady Jane“ hab’ singen hören und mit über 60 werden dann die Augen doch wieder feucht Scheiße, Cäsar du fehlst! Auf einer der ersten DT64-Singles von Amiga sind die Nautiks verewigt. Ich hab’ es genossen, mich zurück zu lehnen, mir den Ostseestrand auf Usedom vorzustellen noch einmal „Wir gehen am Meer“ zu hören und danach ihn einen „Traum vom Baum“ singend zu erleben, der „von ganz besonderem Holz“ war. Seine Solo-Scheibe bei Amiga zeigte damals Gotte pur, einen, dem tausend Fragen durch den Kopf gingen und der die tausend Antworten darauf suchte. „Wenn ich auf dem Rücken lieg“, dann geht mir das heute auch noch so und deshalb erzählt dieses Lied nicht nur von Gotte, so wie sein „Lied für einen Freund“ auch. Je mehr der Abend von der Nacht verdrängt wird, desto intensiver werden auch die Assoziationen. Die Geschichte von „Norwegian Wood“ erinnert mich auch an eine meiner Jugendlieben. Wie viele andere in der DDR hab’ ich damals auch die Live-Aufzeichnung von „All You Need Is Love“ im Westfernsehen miterlebt und als er dann noch das Jahrhundertriff von „You Really Got Me“ in die Saiten knallt, ist eh alles zu spät. Ich hätte wahrscheinlich einfach mit einer der anwesenden Ladies vor diesem Podium abrocken sollen, aber nee, die Knochen tolle Ausrede! Aber das „(Let’s All Drink To The) Death of A Clown“ hab’ ich wieder mit gegrölt und dem quiekenden Damenchor hinter mir gelauscht: „Na na na na…“. Was man/frau so alles macht, wenn einen die eigenen Erinnerungen auf Wolke „Sieben plus“ katapultieren…!? So aufgewühlt hätte ich eigentlich ein Ventil gebraucht, stattdessen beamt mich dieser Typ da vorn in meine Pennezeit zurück, als wir mit einem großen Chor so manches schöne Stück Klassik zum Klingen brachten. „Wo Pensiero“ in der Version von ZUCCHERO, bekannt als Gefangenenchor, hat mich bis in die Haarwurzeln aufgewühlt. Nur gut, dass auch die anderen mit sich selbst beschäftigt waren und ihren eigenen Emotionen nachlebten. Es war berauschend schön, sich noch einmal einer solchen Illusion des gemeinsamen Singens hingeben zu können: „Flieg’ Gedanke, getragen von Sehnsucht…“. „Gotte“ Gottschalk lässt diese Zeitreise ausklingen, wie sie begann. Er singt uns „Wonderful Tonight“ von Clapton, es erklingt Lennon’s „Imagine“ und ich staune, wie aktuell und bewegend diese Zeilen von einer „Bruderschaft der Menschen“ im Heute noch immer wirken, als wären sie erst gestern geschrieben. Der Vollprofi spielt das alles, ohne die inzwischen gerissene h-Saite auszuwechseln, denn Lagerfeuerstimmung baut nicht auf Perfektion, sondern auf das Gefühl der Gemeinsamkeit und „bei Gott(e)“, das hast Du gestern bestens hin bekommen! Danke auch für die gerissene Saite. Wir haben noch gequasselt über die „Aftermath“ und „I Am Waiting“, über alte Fotos, die Haare, über die Jugend und eine Schönheit wollte unbedingt ein Foto mit mir fast so wie früher. Kein Leben im Heute ohne die Erinnerungen an damals und auch kein Gestalten von Zukunft, die unbedingt besser werden muss, wenn wir überhaupt eine haben wollen. Deshalb sind solche Abende nicht einfach nur schön oder entspannend. Ich brauche sie für den nächsten Tag, die nächste Woche und den nächsten Blödsinn, der mir dann wieder über den Weg latschen wird. Als ich dann spätnachts wieder auf der Autobahn bin, die gerissene Saite im Beute und die kleinen Risse im Herz, da ziehe ich mir meine alte Stones-Kassette aus der Tasche und dann in die Ohren. So wie GOTTE eine reichliche Stunde vorher, singe ich laut mit: „You Gotta Move“ – wir haben noch viel zu bewegen!