My sweet George – zum 70. Geburtstag von George Harrison
25.02.2013
Während John Lennon, singend und am Mikrofon stehend, mit seiner Gitarre für den Rhythmus, also den Beat, der Beatles
sorgte, wies Harrison, meist zwei Schritte hinter ihm stehend, mit seinen Fingerkünsten auf dem Instrument den Tönen
einen Weg hin zur Melodienfolge. GEORGE HARRISON war der Lead-Gitarrist der BEATLES, so lange es diese Einteilung
gab. Während John Lennon und Paul McCartney mit ihrem sehr ausgeprägten Ego stets nach vorn drängten oder bei
Pressekonferenzen, je nach Situation oder Laune, die klugen oder bescheuerten Antworten ablieferten, überraschte
GEORGE HARRISON die dort Anwesenden oftmals mit seinem typisch trockenen schwarzen Humor.
Für mich ganz persönlich, der ich zunächst eher dem sarkastischen und stürmischen Lennon zugetan war, schien der stille
George in zunehmenden Maße einer, der die filigranen Ornamente in die Musik der vier Pilzköpfe einfließen ließ, der
verletzlich und emotional daher kam und die BEATLES letztlich, durch das Einbringen orientalischer Klangstrukturen, aus
ihren selbst gewählten Zwängen befreite. Da hatte ich den „stillen Beatle“ längst vollständig in mein Herz geschlossen und
zu den Tönen von „Here Comes The Sun“ und Something“, beide von „Abbey Road“ (1969), viele heiße Tränen vergossen.
Was hatte der Enthusiast in mir probiert und seine Finger geschunden, um wenigstens ansatzweise so spielen zu können.
Später begriff ich, dass dieser Vorsatz vielleicht lobenswert, allerdings auch schier undurchführbar bleiben musste. Es war
GEORGE HARRISON vorbehalten, seine Gitarre „wimmern, weinen und klagen“ zu lassen. Selbst ein Meister Eric Clapton
schaute ehrfurchtsvoll auf dieses zauberhaftes Spiel.
Wer tiefer in den musikalischen Mikrokosmos des GEORGE HARRISON abtauchen möchte, muss weit zurück, aber
mindestens bis zur „Rubber Soul“ von 1965. In der wunderschönen Lennon-Komposition „Norwegian Wood“ lässt GEORGE
erstmals eine Sitar zirpen, die einfach nur berauschend schön klingt und schon wenig später in der Pop-Welt jener Jahre
zahlreiche Nachahmer fand. Es sind genau jene kleinen Perlen wie das spätere „ Within You Without You“ der „SGT. Pepper“
(1967), verstreut auf die zwölf regulären Langspielplatten der BEATLES, die so viel über den Musiker Harrison verraten. Sie
zeigen seine Kunst, Melodien zu finden und ihnen einen eigenen Charakter zu geben und letztlich zu solchen Höhepunkten
wie „While My Guitar Gently Weeps“ vom legendären „White Album“ führten. Von da an ist er der Beatle mit der
„weinenden Gitarre“.
GEORGE HARRISON fühlt sich zunehmend eingeengt, schreibt eigene Songs, die keinen Zugang auf die Platten der Gruppe
finden. Schon 1968 bringt er den Soundtrack „Wonderwall“ auf Platte, doch der Film wird nie veröffentlicht. Viele der Lieder,
die GEORGE HARRISON bereits fertig hatte, kamen auf das Dreifach-Album „All Things Must Pass“ (1970), mit dem er sich
quasi von seinem angestauten Frust mit einem Schlag befreien konnte. Der Überhit „My Sweet Lord“ landete 1972 an der
Spitze der Charts in aller Welt und mit dem „Concert For Bengla Desh“ (1971) sowie der dazu gehörigen LP-Box setzt er das
nächste gigantische Achtungszeichen. Das Konzert wird zum Höhepunkt seiner Karriere und zum Vorbild aller danach
folgenden Benefiz-Events bis hin zu „Live-Aid“ & Co. Ich hab’ damals nachts vor meinem Röhrenradio gesessen und mir
alles, was davon über den Äther in meine Ohren schwappte, in mich aufgesogen. Das Tondokument hab’ ich mir aus
Schottland schicken lassen sowie einige andere Erinnerungsstücke, welche die Garde der Musiker auf der Bühne zeigen,
auch.
In den Folgejahren erschienen weitere Platten auf seinem Dark Horse – Lable und immer wieder sind Lieder zu finden, die
den sensiblen und einfühlsamen Musiker verraten. Stellvertretend für sie, möchte ich auf „Your Love Is Forever“ vom 1979er
Album „George Harrison“ aufmerksam machen. Erst runde zehn Jahre später, 1987, überraschte GEORGE HARRISON die
Musikwelt wieder. „Cloud Nine“, von seinem Freund Jeff Lynn produziert, enthielt mit „Got My Mind Set On You“ sogar einen
Song, der die Charts stürmte. Im Gespann mit Bob Dylan, Roy Orbison und Tom Petty überraschten diese fünf Musiker
gemeinsam noch einmal 1988 sowie 1990 als TRAVELLING WILBURYS die Musikwelt und ihre Fans. Schon ein Jahr später
kann sein Freund ERIC CLAPTON den zurückgezogen lebenden GEORGE HARRISON noch ein einziges Mal überzeugen, mit
ihm gemeinsam auf Tour zu gehen. Es war seine letzte und, wegen der schlichten Schönheit der dargebotenen Stücke,
vielleicht auch seine mit der am intensivsten dargebotenen Musik, die man auf dem Doppel-Album „George Harrison - Live
In Japan“ auch heute noch genießen kann. Auf den vier LP-Seiten kann man so wundervolle Perlen wie das live
dargebotene „Piggies“ und auch „Isn’t It A Pity“ finden.
Die Karriere von GEORGE HARRISON ist weit mehr und viel umfangreicher als das, was ich als meine sehr persönlichen
Erinnerungen heraus gepickt habe. Mag sein, dass so manches Detail historisch nicht völlig exakt ist, aber jeder Ton, den
ich in all den Jahren gehört und jedes Wort, das ich gelesen habe, ergeben mein ganz eigenes Bild des genialen Musikers,
den ich verehre. Ich müsste noch viele meiner Lieblingslieder, wie zum Beispiel „Give Me Love (Give Me Peace On Earth)“,
das verzwickte „Apple Scruffs“ oder das zum Heulen schöne „Isn’t It a Pity“ erwähnen und noch eine Menge Details aus der
Geschichte auskramen. Doch letztlich geht es mir nur darum, daran zu erinnern, dass Musiker bescheiden, ehrlich und
zurückhaltend sein und trotzdem zu den ganz, ganz Großen werden können, wenn sie sich selbst und ihren eigenen
Überzeugungen treu bleiben. Dafür und für seine unsterblich wunderschönen Lieder wurde ich einer seiner vielen Verehrer
und genau so werde ich ihn in meiner Erinnerung aufbewahren.
Hatte ich nach dem hinterhältigen Mord an JOHN LENNON am 8. Dezember 1980 schon Rotz und Wasser geheult, so zerriss
es mir förmlich das Herz, als GEORGE HARRISON am 29. November 2001 an den Folgen seiner Krebserkrankung starb.
„Alles kann warten – alles, bis auf die Suche nach Gott und die Liebe zu den Mitmenschen.“, soll er gesagt haben. In diesen
Worten kann ich bedingungslos aufgehen, auch ohne an Gott glauben zu müssen, weil sie die einfache Menschlichkeit
ausstrahlen, die eigentlich uns allen von der Natur in die Wiege gelegt wurde, um dann bei vielen von der Gier nach Macht,
Geld oder Ruhm aufgefressen zu werden.
Wenn ich mir heute „Brainwashed“, postum 2002 veröffentlicht, anhöre, glaube ich wieder dieser Überzeugung vom
Menschsein und erinnere mich an einen großartigen Musiker und Menschen. Heute würde GEORGE HARRISON seinen 70.
Geburtstag begehen. Der bescheidene und stille Beatle ist schon seit Jahren tot, seine Musik aber wird uns alle und weitere
Generationen überleben.